French, Tana – Totengleich

_Inhalt_

Cassie Maddox ist früh am Morgen auf dem Schießstand, als ihr Freund Sam sie anruft und sie bittet, zu dem Tatort eines Mordes zu kommen. Cassie versteht die Bitte nicht: Sam ist schließlich beim Morddezernat, sie nicht mehr. Doch als sie bei dem verfallenen Cottage außerhalb von Dublin die Leiche in Augenschein nimmt, kann sie Sams Dringlichkeit und Panik nachvollziehen: Die Tote ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Noch unheimlicher ist die Tatsache, dass sie einen Studentenausweis auf den Namen Lexie Madison bei sich trägt. Lexie Madison existiert nicht, sie ist ein Phantasieprodukt, vor Jahren erdacht von Cassie und ihrem ehemaligen Vorgesetzten für eine verdeckte Ermittlung.

Wer ist die Tote, die in die Hülle der Studentin Lexie geschlüpft ist? Wie hat sie das schaffen können, wieso sieht sie so aus wie Cassie, und wer hat sie auf dem Gewissen?

Die Tote hat gemeinsam mit einigen Freunden von der Universität in einem Haus auf dem Land gelebt. Cassie fühlt sich auf verquere Weise verantwortlich für ihren Tod – sie hat Lexie schließlich erschaffen und damit der Fremden den Weg geebnet, an dessen Ende ein Messer auf sie wartete – und lässt sich von ihrem ehemaligen Vorgesetzten überreden, noch einmal undercover zu ermitteln. Mühselig arbeitet sie sich in die Rolle der neuen Lexie ein und lässt sich schließlich als „geheilt“ bei deren Freunden absetzen. Und nun beginnt ein andauerndes, atemloses Vabanquespiel: Cassie tastet sich langsam wie im Dunkeln an Lexies Platz innerhalb der Gruppe und versucht herauszufinden, wer ihren Tod wollte.

Die seltsamen Verbindungen, die feierlichen Anachronismen, der eigentümliche Rhythmus der Freundesgruppe ziehen die Polizistin wie magisch an und lassen die Grenzen zwischen Ermittlung und Leben für sie verschwimmen. Das allerdings ist eine gefährliche Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die Frau, die Lexie Madison gemimt hatte, erstochen worden ist …

_Kritik_

Wie schon Tana Frenchs Erstling [„Grabesgrün“, 6054 hat auch „Totengleich“ einen vollkommen eigenen Zauber. Hier wie dort findet sich ein traumwandlerisch sicherer, anspruchs- und niveauvoller Stil, allerdings ist der vorliegende Krimi in meinen Augen atmosphärisch noch dichter geraten.

Cassie Maddox ist als Protagonistin ein ganzes Stück sympathischer als Rob Ryan aus dem ersten Band, und Tana French spielt gekonnt mit dem, was sie den Leser bereits von Cassie hat wissen lassen. Während Cassie selbst erzählt, denkt man als Leser schon die ganze Zeit ein Stück weiter, hofft und fürchtet und weiß doch nicht genau, was man ihr wünschen soll. Kann Sam tatsächlich der Richtige für sie sein? Ist die reizvolle Gefahr der verdeckten Ermittlung nicht viel mehr ihr Metier, als er das je verstehen könnte? Und wäre es nicht schön, so schön für sie, wenn sie in das lockende Gewebe von Lexies Leben abtauchen und der Realität den Rücken drehen könnte?

Die Schilderung der Freundesgruppe, der alltäglichen Abläufe, der augenscheinlichen unbedingten Loyalität in Verbindung mit dem unbestimmten Brodeln unter der Oberfläche ist ein absolutes Meisterwerk. Dass Cassie sich als völlig Fremde, aber nach außen hin als altes Mitglied in der eigentümlichen Gemeinschaft bewähren muss, lässt den Leser in atemloser Spannung zurück. Und dass sie nur gute Arbeit leisten kann, weil sie vielleicht zu sehr in ihrer Rolle aufgeht und sich selbst zu verlieren droht, ist herzzerreißend.

_Fazit_

War ich schon von „Grabesgrün“ begeistert, bin ich von „Totengleich“ hin und weg. Ich bin mir nicht sicher, wann ich das letzte Mal so unmittelbar mit einer Heldin gelitten, gezagt, gebangt und gehofft habe. Diese Undercoverermittlung, dieses Verschwimmen von Arbeit und ganz persönlichen Lebensfragen, von Wünschen, Sehnen und Realität ist so ziemlich das Spannendste, das mir seit langem untergekommen ist. Dieser Krimi ist psychologisch verschlungen, aber logisch aufgebaut und hält sich nicht lange mit der Oberfläche auf. Es geht direkt ans Eingemachte – umso heftiger, als die Protagonistin sich vom letzten Fall noch nicht komplett erholt hat.

„Totengleich“ nicht zu lesen, käme einem Verlust gleich. Natürlich gilt auch hier: Wenn Sie Action bevorzugen, werden Sie sich irgendwann fragen, warum die Leute bloß reden und seltsam gucken. Aber ich wende mich dann mit meiner Empfehlung auch nicht an Sie, sondern an all jene, denen die Kombination aus Kriminalroman und Literatur nicht als Mesalliance, sondern als wünschenswerte Melange erscheint.

|Gebundene Ausgabe: 780 Seiten
ISBN-13: 978-3502101925
Originaltitel: The Likeness
Aus dem Engischen von Ulrike Wasel
und Klaus Timmermann|
http://www.fischerverlage.de
http://www.tanafrench.com

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