_Vom Leser zum Entdecker: Die Eroberung des Südpols_
„Die größten Antarktis-Expeditionen … Robert Scott, Ernest Shackleton und Roald Amundsen hatten ein gemeinsames Ziel: den bisher unerforschten Südpol zu erreichen. Ihr atemberaubender Wettlauf durch das ewige Eis und ihre gefährlichen Expeditionen machten sie zu legendären Helden.
Faszinierende Fotos, topographische Karten und Originaldokumente laden alle angehenden Polarforscher dazu ein, die berühmten Entdecker auf ihren abenteuerlichen Reisen durch die Antarktis zu begleiten.“ (Verlagsinfo)
Über die Verfasserin ist im Buch leider nichts zu erfahren, aber sie meldet sich mit einer Anmerkung zu Wort. Darin lässt sie sich über die Bezeichnungen der Expeditionen ab 1901 aus: Sie werden alle nach den Schiffen der Teilnehmer benannt.
_Inhalte_
Das Buch ist wie ein Bilderbuch aufgebaut: möglichst wenig Text, möglichst viele Bilder – aber auch Dokumente und Aufstellbilder. Schon der Innenumschlag birgt zwei Broschüren, die den Leser über die Antarktis-Forschung von 1820 (Entdeckung) bis 1901 (Discovery-Expedition) und über die am Südpol lauernden Gefahren aufklären.
Die Nationale Antarktis-Expedition, die die „Discovery“ einsetzt, wird im Hafen verabschiedet. Robert F. Scott nimmt den erst 27-jährigen Ernest Shackleton mit. Ein Büchlein beschreibt den Veranstalter und die zwei Expeditionsleiter.
Die „Discovery“ in der Antarktis: erstes Aufstellbild. Es zeigt einen riesigen Eisberg mit Pinguinen, davor Robben, gesehen von Bord aus.
1907 sticht Shackleton mit der „Nimrod“ auf seiner ersten eigenen Expedition in See. Die Expedition erreicht als Erste den magnetischen Südpol, man besteigt den Vulkan Mt. Erebus. Zu diesem Vulkan gibt es ein sehr schönes Ausziehbild. Zieht man an der seitlichen Lasche, enthüllt man einen eruptierenden Vulkan!
Für diesen Triumph schlägt der König den Forscher zum Ritter. Shackleton schreibt sein erstes Werk. Dies spornt Robert F. Scott an, es ein zweites Mal zu wagen. Im Winter 1911 legt er die Depots an, die ihn zum geographischen Südpol führen sollen. Erste Fotos von dieser Unternehmung sowie ein Telegramm aus Melbourne.
Der Zweikampf mit Roald Amundsen beginnt, der schon seit Anfang 1911 vor Ort ist. Wie bekannt, siegt Amundsen in diesem Wettlauf, und Scott, sowie seine Begleiter verhungern und erfrieren im Eis. Hier gibt es das zweite Aufstellbild: ein Schlittenhundegespann der Norweger.
Shackletons dritte Expedition beginnt am 5.12.1914: das Abenteuer mit der „Endurance“, trotz des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Ziel ist die erste Durchquerung des Südkontinents mit Passieren des geographischen Südpols. Es soll anders kommen!
Schon bald ist die ENDURANCE vom Packeis eingeschlossen, die Vorräte gehen zur Neige, und die Forscher müssen jagen gehen. Fotograf Frank Hurley beginnt seine einzigartigen Aufnahmen zu machen, die seinen Ruhm und den Shackletons begründen werden. Schon bald muss die Besatzung das Schiff verlassen, weil es zerquetscht wird.
|“Leben auf dem Treibeis“|: Die Besatzung hat sich auf dem Treibeis ein Camp geschaffen, in dem es sich überleben lässt. Aber nicht für immer. Deshalb fällt der Beschluss, dass die Schiffbrüchigen zur Elefanteninsel aufbrechen. Auch hier gibt es ein Ausziehbild. Zieht man an der seitlichen Lasche, kann man ein Boot fahren lassen.
|“Ein verwegener Plan“|: Nach 497 Tagen im Eis erreichen die Männer erstmals wieder Land! Sie fallen auf die Knie und küssen den kalten Kies. Doch hier kann nicht das Ende der Expedition sein, oder? Neun, Shackleton und seine besten Männer wollen weiter, um ein rettendes Schiff zu Hilfe zu holen. Aber nicht irgendwo, sondern 1300 Kilometer entfernt auf Süd-Georgien. Dort gibt es die Walfängerstation Stromness. 1300 Kilometer durch die rauheste See der Welt – in einer sieben Meter langen Nussschale! Am 16. April 1916 erklärt der Leiter seinen Entschluss, wenige Tage später sticht er in See. Ein Himmelfahrtskommando?
|“Eine mutige Mission“|: Am 2. Mai 1916 erwischt eine gigantische Riesenwelle – siehe das dritte Aufstellbild – das Langboot, das um ein Haar kentert und untergeht. Wie durch ein Wunder überleben alle und können weitersegeln. 30 km vor dem Ziel gerät die „James Caird“ in einen Hurrikan, der das Boot neun Stunden lang beutelt. Mit der Landung sind 16 Tage Todeskampf zu Ende. Am 10. Mai gibt es in einer Höhle Möweneintopf.
Aber sie sind am falschen Ende von Süd-Georgien gelandet und müssen die Insel überqueren. In einem gewagt konstruierten Schlitten aus dicken Seilen (!) schlittern Shackleton, Worsley und Crean die Gletscherhänge hinunter – siehe die Karte in einer Einstecktasche. An Schlaf ist drei tage lang nicht zu denken. Am 29. Mai hören sie die Dampfpfeife eines Schiffes. Endlich in Stromness, endlich am Ziel!
Doch Shackleton, dessen Haar vor Sorge schon grau wird, sorgt sich um seine Leute auf der Elefanteninsel. Nach Verhandlungen mit der Regierung in Chile fährt er mit dem Dampfer „Yelcho“ zur Elefanteninsel, die er am 30. August 1916 erreicht. Dort haben alle 22 Mann die fünf Monate als Schiffbrüchige überlebt.
|Hinterer Innenumschlag|: Karte der Antarktis mit eingebauter Drehscheibe. Dreht man daran, werden im Ausschnitt mehrere Expeditionsangaben sichtbar, inklusive Fotos des jeweiligen Leiters. Die gegenüberliegende Seite berichtet von Entdeckungen für die Wissenschaft und vom Tod Shackletons, der bei den Vorbereitungen zu einer weiteren Expedition am 5. Januar 1922 verstarb.
_Mein Eindruck_
Die Machart dieses Buches folgt dem von Büchern über Piraten und Legenden wie Bob Dylan oder John Lennon. Es verbindet die visuelle Darstellung mit dokumentarischem Ansatz, der sich in den Faksimiles von alten Dokumenten wie etwa Broschüren oder Fotoalben zeigt. Auf diese Weise wird dem jungen Leser Historie nicht nur per Text und Bild vermittelt.
Die Präsentation der Geschichte der Antarktis-Expeditionen verläuft vom Allgemeinen zum Besonderen, das heißt von der Naturbeschreibung über die Ausrüstung und Anfänge der Erforschung bis hin zu den drei Expeditionen, auf die es ankommt: Erst Scott und Shackleton zusammen auf der „Discovery“, dann Shackleton auf der „Nimrod“, darauf 1912/13 Scott vs. Amundsen, schließlich Shackleton auf der „Endurance“.
Das Übergewicht, das auf der Darstellung Shackletons liegt, setzt sich auch in der zweiten Buchhälfte fort. Woher die Dominanz dieses Forschers rührt, wird nicht begründet. Vielleicht lag der Autorin entsprechend viel Material vor. Oder Shackleton eignet sich als Held weitaus besser als Robert Falcon Scott, der in der Antarktis ums Leben kam, weil er der Technik zu sehr vertraute.
Wie auch immer, an Dramatik ist die Expedition der „Endurance“ nicht mehr zu überbieten, und die Darstellung unternimmt alles, um dieses Drama in Szene zu setzen. (Es wurde inzwischen erfolgreich mit Kenneth Brannagh als Shackleton verfilmt.) Die Aufstellbilder verstärken für den jungen Leser noch die Dimension der Gefahren: die Riesenwelle etwa. Auch die Wunder des sechsten Kontinents werden sichtbar, so etwa ein Vulkan wie der Mt. Erebus.
Aufgrund der Dokumente, die es zu öffnen, und der Aufstellbilder, die es aufzuklappen gibt, wird der junge Leser selbst zum Entdecker. Und das ist genau die Aufgabe dieses Buches: Lernen durch Entdecken. Die Unterhaltung kommt durch das Drama und die Spannung ebenfalls nicht zu kurz.
_Die Übersetzung _
In Shackletons Todesmeldung auf der letzten Innenseite verbirgt sich der einzige Datenfehler, den ich im Buch entdecken konnte: Wenn Shackleton im September 1921 mit der QUEST aufbricht, wieso stirbt er dann im „Januar 1920“? Ist er ein Zeitreisender? Mitnichten. Es handelt sich einfach um einen doofen Tippfehler in der Bildunterschrift. Nobody’s perfect.
_Unterm Strich_
Der junge Leser, dem dieses schöne Buch geschenkt wird, kann hierin vieles entdecken und beim Entdecken zugleich lernen, wie die Bedingungen in der Antarktis sind und welche Expedition sie überwunden hat. Die Helden tragen leider nur englische Namen wie Shackleton und Scott, denn der Norweger Roald Amundsen, der den geographischen Südpol zuerst erreichte, wie nur am Rande erwähnt. Offenbar ist er kein Heldenmaterial, ebenso wenig wie Scott.
Deshalb widmet das Buch dem siegreichen Forscher Shackleton die ganze zweite Hälfte. Die Geschichte von der ums Haar scheiternden Fahrt der „Endurance“ bestens fotografiert von Frank Hurley, ist denn auch ein exemplarischer Triumph des Menschen, seiner Willenskraft und Opferbereitschaft. Wer könnte ein größerer Held sein, scheint das Buch zu fragen.
Durch Aufstellbilder, doppelseitige Gemälde und Faksimiles alter Dokumente wirkt das Buch sowohl visuell als auch haptisch. Entdeckungen lassen sich mit Laschen von Einsteckbildern machen, so etwa vom Vulkan Mt. Erebus. Allerdings bleibt die Dokumentation im historischen Bereich und geht nicht auf die Moderne ein, die ja völlig unromantisch zu sein scheint.
|Hardcover: 30 Seiten
Originaltitel: The Search for the South Pole (2009)
Aus dem Australischen Englisch von Cornelia Panzacchi
ISBN-13: 978-3-570-13811-3|
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