Kürthy, Ildikó von – Höhenrausch

|“Mann, bin ich einsam. Sonntagabende sind meiner Empfindung nach für uns Alleinstehende aber auch immer besonders schwer zu bewältigen. Da bleibt man traditionellerweise zu Hause, kocht Nudeln, guckt ‚Tatort‘ und geht, von Sabine Christiansen vergrault, zeitig zu Bett. Der Sonntagabend ist ein ‚Wir-Abend‘. Und ich bin kein Wir mehr. Der Scheißkerl hat mich mit Sabine Christiansen allein gelassen.“|

Wieder einmal spricht Bestsellerautorin Ildikó von Kürthy ihren weiblichen Leserinnen aus der Seele mit ihrem neuen Roman „Höhenrausch“, in dem sie sich erneut dem Singleleben jenseits der 30 widmet, das ich zwar nicht aus eigener Erfahrung kenne, aber nun bereits mehrfach dank von Kürthy miterlebt und mitgefühlt habe.

Linda Schumann ist 35, von Beruf Übersetzerin und frisch verlassen, nachdem sie im Auto ihres nunmehr Exfreundes – dessen Name man nicht mehr nennen darf und der deswegen „Draco“ (angelehnt an „Harry Potter“) getauft wurde – verräterische Fußspuren an der Fensterscheibe entdeckt hat. Kurzerhand tauscht Linda mit dem unbekannten Andreas aus Berlin die Wohnungen, da beide einen Neuanfang wagen wollen. Linda meldet sich bei einer Dating-Agentur an und bekommt auch tatsächlich schnell ein Date vermittelt. Dort stellt sie allerdings fest, dass sie fälschlicherweise mit dem schwulen Erdal aus Hamburg verkuppelt werden soll, der eigentlich Sexgott27 treffen wollte. Obwohl die beiden sich auf Anhieb unsympathisch sind, entwickelt sich dennoch eine Freundschaft aus dieser Zufallsbegegnung, nachdem Erdal Linda durch Antäuschung eines schweren Asthmaanfalls aus einer grausigen und nebligen Theatervorstellung errettet hat.

So kommuniziert Linda per Mail mit dem unbekannten Andreas, der nun ihre Wohnung in Jülich übernommen hat und ihr alle ihre Plüschtiere zuschickt, damit sie sich in Berlin nicht mehr so einsam fühlt, außerdem telefoniert Linda regelmäßig mit ihrer Freundin Silke und natürlich kommen die „Frauenabende“ mit Erdal hinzu. Als unvermittelt Lindas gut aussehender, aber verheirateter, neuer Nachbar Johann vor der Tür steht, ist die Not groß, denn Linda hat sich Hals über Kopf in den attraktiven Mittvierziger verliebt.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine Affäre, die natürlich in allen Einzelheiten mit diversen Menschen ausdiskutiert und aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert werden muss, und obwohl Linda immer cool und unbeteiligt wirkt, möchte sie Johann ganz für sich gewinnen – bis sie plötzlich seiner Ehefrau gegenübersteht und sie leider äußerst nett findet …

In wunderbarer und erfrischender Weise deckt Ildikó von Kürthy wieder einmal sämtliche weiblichen und auch einige männlichen Macken auf und schmückt sie durch viele sympathische Episoden aus. Und wieder einmal ist es nicht so sehr die Geschichte an sich, die unterhält oder überzeugt, sondern es sind die kleinen Dinge am Rande. Während Linda uns ihre Geschichte erzählt, ihre Probleme durchkaut und ihre geheimsten Gefühle offenbart, kommen ihr immer wieder neue Dinge in den Kopf, die sie vom eigentlichen Thema zwar ablenken, aber doch sehr viel über Linda und ihren Charakter aussagen. Diese abschweifenden Episoden und auch die herrlichen Metaphern sind es, die das vorliegende Buch wieder einmal zu einem herzerfrischenden Lesegenuss machen.

Ildikó von Kürthy beschreibt Dinge, die zwar jeder Frau schon einmal aufgefallen sein dürften, die aber nur die wenigsten Frauen in Worte fassen, Ildikó von Kürthy verleiht diesen Gedanken ihre Stimme und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Insbesondere der oft unverstandene weibliche Schuh-Tick wird hier messerscharf analysiert und dürfte nun auch jedem Mann einsichtig werden:

|“Aber irgendwann kommt in Beziehungen die Zeit der so genannten gemütlichen Abende. Dann machst du den Abwasch nicht mehr nackt und nur mit zwölf Zentimetern Absatz unter dir. Und du bist nicht länger bereit, dieses unermessliche Leid in Kauf zu nehmen, das bereits die Schritte zum Klo auf High Heels auslösen – und das für einen Mann, von dem du ja bereits weißt, dass er dich liebt. […] Eine Frau sollte nur dann Absätze von mehr als elf Zentimetern Höhe tragen, wenn sie Single ist und das nicht bleiben möchte. Oder frisch verliebt ist und das bleiben möchte. Oder den Abend definitiv größtenteils im Liegen verbringen wird.“| (S. 112/113)

Beschreibungen wie diese sind es, die mich immer wieder zu Ildikó von Kürthys Büchern greifen lassen, weil sie so herrlich überzogen sind, im Kern aber doch ziemlich nah an der Wahrheit bleiben. Natürlich sind viele Situationen überzogen und auch die Charaktere nicht wirklich alltäglich, aber genau das ist es, was den Reiz des Buches ausmacht.

Apropos Charaktere: Ildikó von Kürthy schafft es immer wieder, eine sympathische Frauenfigur zu kreieren, die jeder Leserin ans Herz wachsen dürfte. Von Kürthys Ich-Erzählerin steckt stets in der Krise, stets hat sie gerade Liebeskummer und jammert sich im Laufe des Buches ein wenig aus, dabei wird die Ich-Erzählerin – in diesem Fall Linda Schumann – aber nie nervig wie manchmal Becky Bloomwood bei Sophie Kinsella, die sich so naiv und dämlich gibt, dass man sie auch mit viel Geduld nur schlecht ertragen kann. Ganz anders bei Linda Schumann; sie hat genug Macken und macht auch einige Fehler, aber wenn sie zum Beispiel über ihre fehlenden Flirttechniken berichtet, muss man sie einfach gern haben:

|“Ich kann gut Englisch, und ich kann gut kochen. Ich kann gut Briefe schreiben, und wenn es sein muss, kann ich sogar gut auf Kohlenhydrate verzichten. Was ich definitiv nicht kann, ist gut rechnen, elegant auf hohen Schuhen gehen und ergebnisorientiert flirten.“| (S. 84)

In vielen Passagen findet frau sich wieder, aber auch der männliche Leser dürfte neben dem Schuhproblem noch weitere Mysterien aufgedeckt und erklärt bekommen, sodass Ildikó von Kürthy nicht ausschließlich für Frauen schreibt – wie beispielsweise auch das Zitat von Harald Schmidt auf dem Buchrücken beweist: |“Liebe! Romantik! Ein supertolles Buch!“|. Dennoch dürfte der weibliche Teil der Bevölkerung zugegebenermaßen wohl den weitaus größeren Teil der Leser(innen)schaft ausmachen.

Besonders optisch ist das Buch ein Hochgenuss, die verschiedenen Elemente wie die Telefonate mit Silke oder die E-Mails zwischen Linda und Andreas sind in verschiedenen Schriftarten gesetzt und somit leicht erkennbar. Auch sind erneut zahlreiche Bilder eingebaut, die stets zu den beschriebenen Situationen passen, sei es die DVD-Box zu „24“, wenn Linda darüber sinniert, wie lässig Jack Bauer sein aufklappbares Handy ans Ohr halten und „Mr. President, we do have a situation here“ sagen kann oder sei es die Plüschtierparade, wenn Linda über die Anschaffung neuer Kuscheltiere für die neue Berliner Wohnung nachdenkt.

Unter dem Strich ist Ildikó von Kürthy erneut ein überzeugender Roman gelungen, der vielen Frauen aus der Seele sprechen dürfte, der allerdings wie schon zuvor „Blaue Wunder“ nicht an ihre beiden Klassiker „Mondscheintarif“ und „Freizeichen“ heranreichen kann. Bei „Höhenrausch“ ist es die Rahmengeschichte, die nicht wirklich überzeugen kann, die betrogene Mittdreißigerin im Liebeskummer reicht für eine etwa 250-seitige Erzählung eigentlich nicht ganz aus. Die vielen Episoden am Rande sorgen allerdings erfolgreich dafür, dass das Buch trotzdem unterhaltsam ist und eine Menge Spaß bereitet. So werden die Fans von Ildikó von Kürthy das Buch durchaus zufrieden zuklappen, auch wenn die Autorin bereits zwei- bis dreimal bewiesen hat, dass sie es noch deutlich besser kann. Für unbeschwerte sommerliche Nachmittags- und Abendstunden auf dem Balkon ist „Höhenrausch“ aber in jedem Fall genau die richtige Lektüre.

Schreibe einen Kommentar