James Lovegrove – Die Hoffnung

Apokalypse zur See: Der Kompass lügt

Ein gigantisches Schiff, das entgegen allen Informationen der Passagiere immer nur im Kreis herumfährt. Stephen King trifft Terry Pratchett – so könnte der Untertitel dieses düster-grotesken Debütromans von einem mittlerweile sehr produktiven Briten lauten.

Der Autor

James Lovegrove (* 24. Dezember 1965) ist ein britischer Science-Fiction-, Fantasy- und Jugendbuch-Autor. Lovegroves Arbeiten loten die Grenzen der Science-Fiction und Fantasy aus und weisen häufig dystopische oder satirische Elemente auf. Damit steht er in der Tradition von J. G. Ballard und John Wyndham.“ (Wikipedia)

Er wurde bei uns 1999 mit dem düsteren SF-Roman „Die Hoffnung“, seinem Debüt, bekannt, doch schrieb er danach noch zahlreiche weitere SF-Romane. Neben Kinderbüchern wie der „Cloud World“-Serie, die er als „Jay Amory“ veröffentlichte, hat er zuletzt die zwei Zyklen AGE und „Lords of Pain“ veröffentlicht.

Handlung

Von einem reichen Philanthropen vor 40 Jahren gebaut und auf die Meere geschickt, fährt das gigantische Schiff Hope mit seinen 1 Million Passagieren inzwischen als gespenstischer Seelenverkäufer ins Irgendwo angeblich auf die andere Seite des Ozeans, aber tatsächlich nur im Kreis.

Und ebenso wie sich ihr Erbauer einst nach dem Stapellauf das Leben nahm, als er den Irrsinn seiner Unternehmung einsah, so fordert jeder Tag neue Opfer. Der einzige Arzt an Bord brachte sich um, als er das Hope-Syndrom erkannte: eine psychische Krankheit, wie sie Ratten an den Tag legen, wenn zu viele von ihnen auf zu engem Raum länger eingesperrt sind. Sie gehen aufeinander los, neigen zu Halluzinationen und irrationalem Verhalten. Doch an Bord der Hope gibt es keine Ratten mehr bis auf eine: Lonely.

Es kommt zu Ritualmorden, Kannibalismus, Vergiftungen und Totschlag in geistiger Umnachtung. Auch übersinnliche Phänomene treten auf: Der tödliche „Regenmann“, der aus dem Regenwasser selbst materialisiert, erinnert ans Stephen Kings unheimlichste Gestalten. Maschinisten treffen auf Mutantenratten, die sich durch Stahl beißen können. Der geschlechtslose Passagier Pratt zeugt Traumwesen in seiner Kabine und unterhält sich mit dem Geist des Schiffes.

Das Schlusskapitel setzt dem Ganzen die ironische Krone auf. Der Sohn des Dirigenten der Schiffskapelle stößt auf „Lonely die Ratte“, einen klapperdürren alten Mann, der die Leute umbringt, die „nicht Bescheid wissen“. Paolo tötet Lonely und liest sein Tagebuch, „eine wahre Geschichte“. Darin stellt sich Lonely als Helfer des Schiffes dar, dessen Aufgabe es ist, die Hope vom menschlichen Müll zu befreien. Müll sind all jene, die keine Aufgabe erfüllen, sondern sich nicht mehr erinnern, wozu sie überhaupt auf dieser Reise sind. Die Hope hat die Kompasse manipuliert: Sie fährt im Kreis, jeweils einen ganzen pro Jahr. So lange, bis alle Menschen weg sind.

Mein Eindruck

„Die Hoffnung“ ist kein Buch für schwache Nerven. Wie schon B. Travens „Totenschiff“ befindet sich die Hope auf einer absurden Reise ins Nirgendwo. Diese existenzialistische Dimension treibt der Autor bis zur äußersten Konsequenz: Die Menschen haben hier nichts verloren, wenn sie nicht wissen, was ihre Aufgabe ist. Die Analogie zu unserer eigenen Realität ist deutlich: Die Hope ist ein Symbol für das „Raumschiff Erde“. Die Vertreter der Gesellschaft, seien es Geistlicher, Bibliothekar oder Arzt, erklären hier alle ihren geistigen und/oder moralischen Bankrott.

„Die Hoffnung“ ist eine makabre Tour de Force der Horrorvisionen mit einem schrecklich ironischen Ende, das hier keinesfalls verraten werden darf. Diese Art von Humor trifft man sonst nur bei Terry Pratchett an, und die Gestalten und Ereignisse bei Stephen King oder Iain Banks („Träume vom Kanal„). Doch die surreale Stimmung könnte direkt von J. G. Ballard („Terminal Beach“) stammen: Endzeit auf der „Titanic“.

Taschenbuch: 300 Seiten
Originaltitel: The hope, 1990;
Aus dem Englischen übertragen von Jürgen Langowski
ISBN-13: 978-3453148833

www.heyne.de

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