Filme und Romane, die sich mit dem Ende unserer bekannten Welt und Zivilisation befassen, gibt es viele. „The Day after“ zeigte uns in den Achtzigerjahren die Eskalation der Weltmächte und Angriffe auf die USA mit Nuklearwaffen; ob es dabei nun ein Erst- oder Gegenschlag war, wusste der Zuschauer nicht.
Es ist eigentlich auch egal, denn das Ende der Welt ist nicht mehr aufhaltbar. Der Bevölkerung bleiben nach dem Atomschlag nur verbrannte Erde, völlig zerstörte Großstädte, es gibt keine Zivilisation mehr und keine Gesetzgebung, keine Krankenhäuser, kein gezähmtes Wasser und keinen Strom, keine für uns so selbstverständlichen Güter, auf die wir scheinbar unbegrenzt zugreifen können und ohne die wir wahrscheinlich nicht mehr überleben könnten.
Wer die Bilder von Hiroshima und Nagasaki gesehen hat, bekommt eine Vorstellung von den möglichen Ausmaßen eines solchen Endzeitszenarios. Nicht nur die Bilder zerstörter Städte sind es, die uns erschrecken, sondern auch die der Bevölkerung, die zwar der Atombombe nicht sofort zum Opfer fiel, doch viele dieser Überlebenden sterben noch Jahrzehnte später an den Folgen der Radioaktivität oder geben ihr krankes Erbgut an die folgenden Generationen weiter – die Erb- und Krebskrankheiten steigen überdimensional an.
In der heutigen Zeit glauben nur noch die wenigsten an einen Atomkrieg. Die Theorie der atomaren Abschreckung gelingt scheinbar. Die militärische und politische Lage wirkt zwar zurzeit nicht entspannt, aber auch nicht kritisch. Es gab schon zu Zeiten Kennedys schwerwiegendere Krisen und Gefahren für die Weltbevölkerung.
Der amerikanische Autor Cormac McCarthy hat in diesem Jahr „Die Straße“ bei uns veröffentlicht. Der apokalyptische Reiter betritt wieder einmal die literarische Welt und reitet dem Untergang entgegen. Cormac McCarthy hat mit „Die Straße“ ein packendes und düsteres Endzeitdrama vorgelegt, in dem die uns bekannte Welt und die verbliebene Menschheit nach einer nicht näher benannten Kriegs- oder Naturkatastrophe auf ihren kleinsten Nenner reduziert und die Hinfälligkeit von allem und jedem endlich zutage getreten ist.
Unerbittlich zieht Cormac McCarthy den Leser mit einer traumwandlerischen Sicherheit in die Unausweichlichkeit hinein, die keine Hoffnung mehr lässt. In dieser Hoffnungslosigkeit existiert nur noch die Liebe zwischen einem namenlosen Vater und seinem Sohn. Das Leben der beiden auf der Straße kann sekündlich zu Ende sein – beide wissen dies, und ihr Martyrium führt den Leser an die Grenze des Erträglichen.
_Die Geschichte_
Ein verbranntes Amerika, eine verlorene Zivilisation, ohne Leben und ohne Hoffnung. Es existieren keine Städte mehr, das verkohlte schwarze Gelände erstreckt sich meilenweit. Astlose Baumstümpfe, Asche weht über die Straßen und von den geschwärzten Strommasten hängen die abgerissenen Kabel und wimmern ein Klagelied im Wind. Eine verlassene Baustelle an der Straße und Reklametafeln, die für Hotels werben, die aufgehört haben zu existieren. Die Einöde erhebt sich wie eine makabere Kohleskizze.
Ein namenloser Mann wandert mit seinem Sohn durch ein verbranntes Land, durch eine versunkene Zivilisation. Ihr einziges Hab und Gut ist ein quietschender Einkaufswagen mit wenigen gefundenen Habseligkeiten. Die Luft ist eiskalt und der Schnee grau. Ihre Kleidung hängt nur noch in Fetzen an den ausgemergelten unterernährten Körpern. Der Mann trägt als einzige Waffe einen Revolver, zwei Kugeln sind die letzte Munition, die sie noch haben. Sie haben nichts mehr, nur noch einander.
Ihr Weg ist das Ziel, und auf der Straße bewegen sie sich vorsichtig. Der Rückspiegel am Einkaufswagen warnt sie vor marodierenden Überlebenden, die schon lange alles an Menschlichkeit verloren haben, nicht aber vor Kälte und dem Hunger und schon gar nicht vor der Hoffnungslosigkeit, die sie wie ein treues Tier begleitet.
Auf der Straße bewegen Vater und Sohn sich in Richtung Süden, geradewegs auf das Meer zu; vielleicht ist das Meer noch blau, vielleicht gibt es noch Hoffnung auf Nahrung, auf Hilfe. Der Weg ist lang und voller Gefahren. In zerstörten Städten suchen sie in den schwarzverbrannten Ruinen nach Nahrung, nach Kleidung, die sie wärmt. Auf der Straße liegen die Autos und zeugen von einer Zerstörung, welche die Insassen in Sekundenbruchteilen überrascht hat, auf der Flucht vor dem Inferno verbrannt und vernichtet. Andere Überlebende wie sie, von Vater und Sohn nur die „Bösen“ genannt, haben ihre Menschlichkeit aufgegeben, und andere Menschen dienen diesen nur als Nahrung. Zeugnis davon geben aufgesteckte Köpfe und ausgeweidete Körper, die in Höfen liegen, und Feuerstellen, in denen man noch Knochen menschlicher Körper entdecken kann.
Doch die Tage des Überlebends sind limitiert. Der Vater erkrankt, und bereits Blut spuckend, ist er panisch verzweifelt, spricht aber dem Sohn noch immer Hoffnung zu. Notfalls, überlegt er, sind vielleicht die beiden letzten verbleibenden Kugeln für sie selbst die letzte Straße in ein neues Leben …
_Mein Eindruck_
Die dunkle Pilgerfahrt eines Vaters mit seinem Sohn durch ein offenbar nuklear vernichtetes Amerika ist ein verstörendes Stück Literatur. Der Leser erschauert, aber er wacht auch auf angesichts der Zerstörung und der Hoffnungslosigkeit. Cormac McCarthy hat mit seinem Roman „Die Straße“ ein packendes Endzeitdrama veröffentlicht. Er beschreibt in einem kühlen literarischen Stil den grausamen Pilgerweg seiner beiden Protagonisten und verschönert die Tragödie durch kein Wort. Wenn der Autor das Leben und Sterben im offenbar nuklearen Winter beschreibt, so wirkte der Roman düsterer, als jeder Film es uns zeigen könnte.
Es wird sehr wirksam mit der Frage jongliert, ob ein gütiger und gnädiger Gott noch über die Menschheit wacht oder jemals gewacht hat. Es gibt keine zufriedenstellende Antwort, nur die Liebe zwischen dem Sohn und seinem Vater, der ihn bis zuletzt vor allem beschützt. Spätestens jetzt wissen wir, wohin die Reise sich bewegt. Auch wenn die apokalyptische Erzählung grausam geschildert ist, so bildet die Liebe zwischen Vater und Sohn ein zärtliches Band in einer unwirtlichen, zerstörten Welt.
„Die Straße“ ist ein Roman über die letzten Dinge des Lebens. Über das Schlimmste und Beste, wozu die Menschheit fähig ist; ultimative Zerstörung, verzweifeltes Durchhaltevermögen und, nicht zuletzt, die Zärtlichkeit und Zuneigung, die Menschen im Angesicht der Vernichtung die nötige Kraft zum Überleben geben.
_Fazit_
Diese Vater-Sohn-Geschichte geht unter die Haut; bereits beim Lesen des ersten Kapitels wird dem Leser klar, welche Stimmung sich durch die Geschichte ziehen wird. Am Ende des Romans wird kein Leser sich entspannt zurücklehnen können oder gar den Kopf schütteln und vielleicht milde lächeln.
Wenn wir alles Materielle, allen Luxus, jegliche Annehmlichkeit unseres Lebens verloren haben, was bleibt dann übrig? Letztlich nur die Liebe und Opferbereitschaft, für den liebenden und geliebten Menschen alles zu geben. Wo Leben ist, ist auch Hoffnung, wo Liebe besteht, herrschen Menschlichkeit und Güte.
„Die Straße“ fasziniert nicht zuletzt durch das realitätsnahe Grauen und die individuelle Vorstellung einer verbrannten Welt, einer zerstörten und verstörten Zivilisation. Es gab einzelne Passagen, die zu lesen schwerfiel, nicht wegen des Stils, sondern wegen der Szenen, die der Autor gekonnt und erschreckend zu erzählen weiß. Was bleibt am Ende der Straße? Es gibt Hoffnung, eine offene, nicht endgültige, und das Ende, das letzte Kapitel ist mitnichten das wichtigste.
Wenn der Autor uns dazu bewegen wollte, über unser Dasein und unsere Verantwortung gegenüber uns und unseren Mitmenschen nachzudenken, so hat er mit „Die Straße“ ein gewaltiges Werk geschaffen.
„Wer vom Tod nicht sprechen will, der ist kein seriöser Schriftsteller“
|Cormac McCarthy|
McCarthy wurde 2007 für „The Road“ der Pulitzer-Preis verliehen. Eine Verfilmung des Stoffes ging im April 2007 in Arbeit; Regie wird John Hillcoat führen, dessen düsteres Westernepos „The Proposition – Tödliches Angebot“ Mitte Mai 2007 als DVD bei uns in den Handel kommt.
_Der Autor_
Cormac McCarthy wurde im Jahre 1933 in Rode Island geboren und wuchs in Knoxville, Tennessee auf. Für seine Romane wurde er mit dem William Faulkner Award, dem American Award, dem National Book Critics Circle Award und dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. McCarthy lebt in El Paso, Texas.
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