Meißner, Tobias O. – Paradies der Schwerter, Das

_Das Paradies der originellen Ideen._

Tobias O. Meißner steht für ehrgeizige literarische Projekte, deren Erschaffung nichts mit üblichen Herangehensweisen zu tun haben: [„Im Zeichen des Mammuts“ 1938 zum Beispiel, Meißners aktuelles Projekt, verarbeitet die Ergebnisse einer siebenjährigen Rollenspielkampagne.

„Das Paradies der Schwerter“ steht dem nicht nach. Es gibt keinen allmächtigen Autor, der die Story auf ein geplantes und geglättetes Finale zusteuert, stattdessen erschuf Meißner ein Ensemble aus sechzehn Kämpfern, versah sie mit Zahlenwerten, die ihre Stärken und Fähigkeiten repräsentierten, schickte sie in ein Turnier um Leben und Tod, loste die Kampfpaarung selbst aus und würfelte schließlich den Gewinner heraus …

_Rollenspiel-Reality._

Damit wäre über die Story an sich alles gesagt, aber wer nun eine tumbe Schlachtenorgie erwartet, liegt vollkommen falsch. Die erste Hälfte des Buches beschreibt sie erst einmal alle: Die zukünftigen Teilnehmer, die Favoriten, die Veranstalter, von jedem werden die Motive aufgedeckt, manche edel, manche naiv und manche schändlich. Ein Wilderer muss das Turnier bestreiten, als grausame Alternative zu seiner Todesstrafe, weil er ein ganzes Herzogtum aufgemischt hat, ein sadistischer Patrizier nimmt an den Kämpfen teil, ein gedungener Mörder, ein Menschenfresser, zwei naive Brüder, ein noch naiverer Mönch, ein schweigsamer Waffenloser, ein frustrierter Jahrmarktsboxer, ein Gladiator, ein verhüllter Edelmann mit blutroter Klinge, ein mürrischer Kopfgeldjäger, ein Messerkämpfer, ein Barbar mit einem Pflug (!!!), ein trunksüchtiger Söldner, und Publikumsliebling Cyril Brécard DeVlame, der mit zuckendem Degen schon zwei solcher Leben-Tod-Turniere gewonnen hat.

In spannenden kleinen Nebengeschichten entwickelt Meißner seine Kämpfer, und sofort beginnt man sich zu überlegen, ob derjenige auch eine Chance hat, das Turnier zu gewinnen, ob er es verdient hat, das Turnier zu gewinnen. Im zweiten Drittel des Buches marschieren sie dann endlich ein in die hölzerne Arena, und man kann es selbst kaum aushalten vor Spannung: Welcher Kämpfer ist wie gut? Wer wird gegen wen gelost werden? Die beiden Brüder doch nicht etwa gegeneinander!? Immerhin lost der Autor das aus; wenn es geschieht, wollte es das Schicksal …

Immer wieder lässt Meißner dann auch den Blick durch die Zuschauerränge schweifen, auf die Nebenfiguren, die ihre ganz eigenen Erwartungen an die Kämpfe haben, die sich den Tod Bestimmter wünschen, oder den Sieg Anderer, weil ihre materielle Existenz davon abhängt. Auch hier lässt der Autor den Leser alleine: Es gibt keinen Protagonisten, niemanden, der „die richtige Sicht der Dinge“ vertritt, sondern eine Ansammlung von Individuen und Standpunkten, die man entweder teilen oder verabscheuen kann oder irgendetwas dazwischen.

Und als ob die Spannung noch nicht knisternd genug wäre vor dem ersten Kampf, geben noch zwei Buchmacher ihre professionelle Meinung ab und lenken die Aufmerksamkeit auf Details, die dem Leser ohne Turniererfahrung nie aufgefallen wären: Kämpfer XY mag ja geschickt mit dieser Waffe sein, aber gegen die Rüstung von Kämpfer AB wird er seine Probleme haben …

_Aleae jactae sunt._

Die Würfel sind gefallen. In der zweiten Hälfte des Buches wird gelost und gekämpft, punktum. Mehr zu verraten, wäre vorsätzlicher Spannungsmord. Nur so viel sei dem Leser anvertraut: Meißners Würfel nehmen auf gar nichts Rücksicht … und es ist ein seltsames Gefühl, wenn man das Buch wieder zuschlägt, ein Gefühl, das lange hängen bleibt und immer wiederkehrt, wenn einem der Einband ins Auge springt.

_Fantasy fern vom Kindchenschema._

„Das Paradies der Schwerter“ ist ein kompromissloses, düsteres und nachhaltiges Buch, das man jedem Freund moderner Fantasy ans Herz legen kann. Meißner ist kein Schwafler, seine Szenen enthalten keinen unnötigen Info-Ballast und starten immer mitten in der Handlung. Zeit zum Verschnaufen gibt es nie, selbst die „Erklärungspassagen“ beschränken sich nicht auf schlichtes „Erzählen“, sondern sind immer in Handlungsabläufe oder Dialoge eingebettet.

Trotzdem mag ich mich nicht ganz den Lobgesängen der Presse hingeben, denn für einen „absoluten Triumph“ genügt es dann doch nicht. Die knappe Sprache sorgt für Rasanz, hat dafür aber auch wenig Platz für Bilder, Gerüche und lebendige Eindrücke. Dazu kommt, dass Meißner manchmal einen Hang zu recht unschönen Schachtelsätzen hat.

Aber das war’s dann auch schon mit der Kritik. „Das Paradies der Schwerter“ ragt nämlich kilometerweit aus der Masse zuckriger Zauberstab-Fantasy heraus, nicht nur durch die Art, wie es entstanden ist: Es gibt keine heroische Verklärung, das Turnier ist eine schmutzige, voyeuristische Angelegenheit, von Ehre weit und breit keine Spur. Der Leser selbst macht diese Entwicklung mit, von anfänglicher, naiver Begeisterung hinab zu angeekelter Ernüchterung.

|Jetzt fingen die Wächter an zu kichern. „Gerechtigkeit?“ gluckste einer von ihnen. „Und die suchst du ausgerechnet hier, du armes Schwein?“|

„Das Paradies der Schwerter“ ist eine straffe, abgeschlossene Story, die durch würfelbedingte Wendungen auch den erfahrensten Leser zum Mitfiebern nötigt. Wer auf der Suche nach Helden und großen Epen ist, braucht dieses Buch gar nicht erst anzufassen, dem Dark-Fantasy-Leser jedoch dürfte dieses dunkle Gebräu hervorragend munden: bitter wie das Leben, mit einem blutigen Nachgeschmack von Staub und Dreck. Nun denn. Wohl bekomm’s!

|Siehe dazu auch das [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=35 mit dem Autor über „Das Paradies der Schwerter“ vom Juli 2004.|