Moers, Walter – Stadt der Träumenden Bücher, Die

Zugegeben, der Aufmacher des Klappentextes zu Walter Moers‘ Roman „Die Stadt der Träumenden Bücher“ wirkt etwas reißerisch: |“Bücher können alles – sogar töten!“| Dabei ist das in Anbetracht des Inhalts gar nicht mal übertrieben. Wer zuvor schon „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ gelesen hat, der weiß natürlich, dass man bei Walter Moers mit allem rechnen muss. Moers‘ Zamonien-Romane haben nicht von ungefähr einen gewissen Kultstatus. Dafür ist auch „Die Stadt der Träumenden Bücher“ ein erstklassiger Beleg – und ein schöner Trost, nachdem mich „Ensel und Krete“ ein wenig am Moers’schen Genie hat zweifeln lassen.

Zamonien also wieder einmal. Hat man davon nicht eigentlich schon genug? Ich würde sagen, solange Walter Moers seine Leserschaft weiterhin mit so absurd-genialen Einfällen belustigt, ist zumindest mein persönlicher Bedarf noch lange nicht gedeckt. Wie schon „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“, ist auch „Die Stadt der Träumenden Bücher“ ein grandioses Feuerwerk an Ideen. Ein Roman, der unterstreicht, dass Moers ein absoluter Ausnahmeautor ist.

„Die Stadt der Träumenden Bücher“ ist ein astreiner Abenteuerroman, dessen Hauptfigur den Zamonien-erprobten Leser zunächst einmal die Stirn runzeln lässt: Hildegunst von Mythenmetz, war das nicht dieser sonderbare Dichter? Der soll sich als Held eines Abenteuerromans eignen? So viel sei vorweggenommen: Hildegunst von Mythenmetz ist eine hervorragende Hauptfigur, die unverhofft von einem haarsträubenden Abenteuer ins nächste schlittert.

Die Geschichte beginnt auf der Lindwurmfeste, auf der Hildegunst zu Hause ist und zu einem großen Schriftsteller heranreifen soll. Als Dichtpate hat ihn Danzelot von Silbendrechsler unter seine Fittiche genommen, der allerdings gleich im ersten Kapitel das Zeitliche segnet. Im Nachlass seines Dichtpaten findet Hildegunst ein Manuskript, das einst ein junger Dichter an Danzelot geschickt hatte, um seinen Rat einzuholen. Dieses Manuskript ist so makellos und von so überragender schriftstellerischer Qualität, dass es Hildegunst nicht mehr loslässt. Er will das Geheimnis des Textes ergründen und seinen Verfasser ausfindig machen.

Eine erste Spur führt Hildegunst nach Buchhaim, in die Stadt der Träumenden Bücher. In Buchhaim dreht sich erwartungsgemäß alles nur um Bücher. Hier tummeln sich Verleger, Autoren und Antiquare. Ganz Buchhaim mutete wie ein überdimensionaler Buchladen an. Hildegunst ist gleich hin und weg von der Stadt, die auch seine ganz eigenen Hoffnungen auf ein Leben als großer Schriftsteller nährt.

Doch die Stadt birgt auch viele Geheimnisse, die in den dunklen Katakomben unterhalb der Straßen Buchhaims verborgen liegen. Ehe Hildegunst sich versieht, steckt er selbst auch schon mittendrin, in der labyrinthischen Welt Buchhaims, mit all ihren Merkwürdigkeiten und Gefahren. Er trifft Bücherjäger, die längst verschollen geglaubten Büchern nachjagen, die merkwürdigen Buchlinge, die ihren eigenwilligen Schabernack treiben, und er kommt dem Geheimnis um den mysteriösen Schattenkönig auf die Spur, der tief in den Katakomben Buchhaims regieren soll. Hildegunst stolpert von einem Abenteuer in das andere und riskiert dabei mehr als nur einmal sein Leben …

Wie vielgestaltig die Welt Zamoniens ist, weiß man seit „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“. „Die Stadt der Träumenden Bücher“ greift sich aus diesem Universum einen Ort heraus, der dem Leser bislang noch unbekannt ist: Buchhaim. Eine Stadt in der sich alles nur um Bücher dreht, dürfte der Traum einer jeden Leseratte sein. In jeder Gasse reiht sich Buchhandlung an Buchhandlung, überall werden Lesungen abgehalten, an jeder Ecke warten Verleger darauf, den nächsten großen Autor zu entdecken.

Moers stattet diese Welt mit so ziemlich allem aus, was das Leserattenherz begehrt. Es gibt den Friedhof der vergessenen Dichter, auf dem abgehalfterte Dichter auf Zuruf Verse reimen. Es gibt die „Giftige Gasse“, die berüchtigte Straße der gedungenen Kritiker, wo selbsternannte Literaturkritiker gegen Geld vernichtende Verrisse schreiben. Kurzum, jede Facette der literarischen Welt findet in Moers‘ Buchhaim ihre Entsprechung und genau deswegen werden wohl alle, die Bücher lieben, auch „Die Stadt der Träumenden Bücher“ lieben.

Doch es ist nicht nur die Grundidee Buchhaims, die zu überzeugen weiß. Moers glänzt wie schon in vorangegangen Werken auch hier wieder mit einer unbeschreiblichen Liebe zum Detail und mit einer schier unerschöpflichen Phantasie in der Namensgebung. Absurde Romantitel, ulkige Autorennamen – für Moers alles kein Problem. Und so schmunzelt man immer wieder über Namen wie Dölerich Hirnfidler, Sanotthe von Rhüffel-Ostend oder T.T. Kreischwurst.

Auch der Einfallsreichtum, mit dem Moers die verschiedenen Epochen der zamonischen Literaturgeschichte entwirft, ist äußerst faszinierend und hochgradig unterhaltsam. Da gibt es beispielsweise den so genannten Gagaismus, eine Bewegung der zamonischen Literatur, in der man Sprachfehler als besonderes Stilmittel verwendete. Für Moers ist keine Idee zu absurd. Alles fügt sich zu einem liebenswert-ulkigen Gesamtbild zusammen und man möchte am liebsten noch Dutzende von Seiten damit füllen, indem man seine Lieblingseinfälle des Buches zum Besten gibt. Aber wir wollen hier ja nicht alles vorwegnehmen.

Auch im Erschaffen neuer Lebensformen beweist Moers Einfallsreichtum. Der Schattenkönig ist ein wahrhaft beeindruckende Gestalt, aber besonders die Schrecklichen Buchlinge bleiben im Gedächtnis haften. Sie sind buchbesessene Gestalten der Unterwelt Buchhaims, die eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit Mike Glotzkowski von Pixars „Monster AG“ haben. Sie mauserten sich im Verlauf des Romans zu meinen absoluten Lieblingsfiguren.

Positiv bleibt auch wieder einmal Walter Moers‘ Erzählstil im Gedächtnis, der aber eigentlich gar nicht sein Erzählstil ist, da er laut eigenem Bekunden nicht der Autor des Romans ist, sondern nur derjenige, der dieses Werk der Mythenmetzschen Biographie aus dem Zamonischen ins Deutsche übersetzt hat. Wir wollen aber nicht verschweigen, dass auch die Übersetzung des Textes absolut herausragend ist. Walter Moers dürfte damit als der bedeutendste Übersetzer des Zamonischen in die Geschichte der deutschsprachigen Literatur eingehen. Erst er hat die herausragenden Werke der zamonischen Literatur schließlich überhaupt einem größeren Publikum zugänglich gemacht, und dafür sei ihm an dieser Stelle ausdrücklich und von ganzem Herzen gedankt.

Mythenmetz (der mir bis zur Lektüre dieses Buches immer eher als etwas steifer und gekünstelter Kerl im Gedächtnis war) erzählt locker und packend zu gleich. Er spricht den Leser immer wieder direkt an und sorgt so für eine enge Bindung zwischen Leser und Autor. Die Geschichte bekommt dadurch etwas Unmittelbares und der Leser hat das Gefühl, ganz dicht am Geschehen dabei zu sein.

Immer wieder gerät Mythenmetz in brenzlige Situationen, die Leib und Leben des dichtenden Lindwurms in höchstem Maße gefährden. Das erhöht die Spannung und lässt den Leser von der Lektüre kaum noch loskommen, wenngleich der Faktor Zufall oft eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Über eventuell dadurch bedingte Spannungsabfälle kann Mythenmetz aber dank seiner augenzwinkernden und absolut lässigen Erzählweise hinwegtrösten.

Moers leistet über die Übersetzung hinaus noch einen weiteren Beitrag zum positiven Gesamteindruck des Romans. Immer wieder streut er Illustrationen ein, die die Geschehnisse begleiten und einen plastischeren Eindruck von den Figuren vermitteln. Das ist nicht nur anschaulich, sondern teils gar in höchstem Maße erheiternd und unterstreicht damit den Lesegenuss.

Kurzum: „Die Stadt der Träumenden Bücher“ ist wieder einmal ein Prachtexemplar eines Walter-Moers-Romans und Zamonienfreunden ohnehin schon ausdrücklich ans Herz zu legen, aber auch für Quereinsteiger in die zamonische Literatur durchaus geeignet. Nachdem „Ensel und Krete“ mich nicht so sehr vom Hocker gehauen hat, kann Moers mit diesem Werk wieder an die Hochform, die er mit „Die 13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär“ erreicht hat, anknüpfen. Hochgradig phantasievoll, hochgradig unterhaltsam, trotz seines Umfang nicht eine Sekunde langatmig und ganz nebenbei auch noch eine liebenswerte Huldigung an das Lesen. Fazit: Dringend zur Lektüre empfohlen!

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