Philip Reeve – Gwyna – Im Dienste des Zauberers

In Artors Welt: zwischen Illusion und Drama

Als ihr Hof von Artus‘ Kampftruppe geplündert und niedergebrannt wird, rettet sich die junge Gwyna („Maus“) mit einem Sprung in den kalten Fluss. Sie ist eine exzellente Schwimmerin und Taucherin. Artus‘ Barde Myrddin (= Merlin) findet die Halberfrorene am Ufer und nimmt sich ihrer an, denn er weiß sich ihre Tauchfähigkeit zunutze zu machen. Er ist schließlich auch Artus‘ Propagandaminister und will seinen Herrn zum Herrscher über ganz England machen.

In seinem Auftrag schlüpft Gwyna, die er als Junge verkleidet, in verschiedenste Rollen, darunter als Knappe und als Spionin am Hof der Königin. Doch dann wird die Königin Opfer eines Verrats – und Gwyna schwebt als deren Vertraute unvermittelt in Lebensgefahr …

Der Autor

Philip Reeve, geboren 1966, arbeitete mehrere Jahre in Buchhandlungen, bevor er als Illustrator und Autor hervortrat. Er ist ein großer Fan von allem, was mit Artus zu tun hat, seit er im Juli 1981 John Boormans Film „Excalibur“ sah. „Gwyna – Im Dienste des Zauberers“, sein erster Jugendroman bei cbj, wurde laut Verlag in England und USA mit zahlreichen Preisen bedacht, darunter mit der Carnegie Medal – eine hohe Auszeichnung.

Handlung

Als Gwyna etwa acht oder neun Jahre alt ist, brennt die Kriegshorde des Artus ihr Gehöft nieder, den befestigten Hof ihres Dienstherrn Bran. Sie entkommt dem brennenden Inferno und den Schwertern der Krieger durch einen Sprung ins Wasser des nahen Flusslaufs. Sie ist eine exzellente Taucherin und Schwimmerin. Erst als sie sich in Sicherheit glaubt, taucht sie aus einem Teich auf und lässt sich erschöpft aufs Ufer sinken. Ihre alte Welt ist versunken. Was jetzt?

So erblickt sie ein älterer Mann, der sie bei sich aufnimmt, sie in trockene Kleider hüllt und ihr zu essen gibt. Er nennt sich Myrddin, einen Geschichtenerzähler und Barden. Er unterrichtet sie und bringt ihr viel Wissen bei. Was sieht er nur in mir, fragt sie sich, doch schon bald bekommt sie es heraus, als sie ihm zeigen soll, wie lange sie die Luft anhalten kann. Schließlich gibt er ihr an einem Teich unter einem Wasserfall ein wertvoll aussehendes Schwert. Damit soll sie in die Mitte des Sees tauchen und es emporheben: zu demjenigen, der dort stehen wird. Die Generalprobe geht reibungslos vonstatten.

Nun folgt die eigentliche Aufführung. Artus, der Anführer jener Krieger, reitet mit etlichen Männern zum See. In seiner Begleitung ist ein Häuptling, den er für seine Sache gewinnen will, einen Iren. Dieser soll Brans Hof künftig verwalten und Artus Tribut zahlen. Artus stellt sich in die Mitte des seichten Sees und ruft die Schutzherrin dieses schönen Ortes an, als plötzlich vor ihm eine nackte weiße Gestalt emporsteigt und ihm mit einer schlanken, weißen Hand ein großes, wertvolles Schwert reicht. Ein göttliches Geschenk! Ein Wink der Götter, dieses Schwert für sie zu führen! Artus nennt es Caliburn. In diesem Zeichen werde er siegen, verkündet er, und glaubt wirklich, was er sagt, denn Myrddin hat ihn nicht eingeweiht. Der Ire ist gebührend beeindruckt und erklärt sich zu Artus‘ Vasallen.

Nur Ritter Cei, der Halbbruder Artus‘, weiß Bescheid, denn er hat Gwyna und ihre Schwimmkünste schon zuvor gesehen. Aber er verrät Myrddin nicht. Myrddin strickt mit seinen Tricks und Geschichten an einer Legende: der Legende vom einigenden, rettenden König, der von den Göttern und der Vorsehung dazu ausersehen worden ist, die im Zwist liegenden Stammeshäuptlinge und Banden zu einen und gemeinsam gegen die Sachsen zu führen, die den Osten der Insel Britannien an sich gerissen haben. Welche persönlichen Gründe Myrddin für seinen Propagandafeldzug hat, erfährt Gwyna erst an dessen Sterbebett.

Wandlung

Myrddin ist klar, dass Gwyna nicht an seiner Seite bleiben kann, wenn sie ein Mädchen bleibt. Wegen der strengen Geschlechtertrennung unter den Bewohnern Britanniens müsste er sie in die Obhut der Frauen geben, wo sie an einem bestimmten Ort leben müsste. Um sie mitnehmen zu können, muss sie zu einem Jungen werden. Er schert ihr die Haare kurz und steckt sie in Männerkleidung. Das ist für sie zwar ungewohnt, aber so kommt sie wenigstens zu einem eigenen Pony und darf reiten. Zudem bringt ihr Myrddin Lesen und Schreiben bei, was unter Frauen nur die edelsten Herrinnen dürfen.

Unter den Knappen von Artus‘ Kriegerhorde schließt sie Freundschaft mit dem rothaarigen Bedwyr (= Sir Bedivere in den Legenden) und nimmt sich in Acht vor seinem jähzornigen Bruder Medrawt (= Mordred). Mit ihnen kann sie kämpfen, jagen und am Lagerfeuer Witze und Geschichten hören. Jedenfalls so lange, bis bei ihr die Brüste schwellen, während Bedwyr schon der Bart wächst.

Zu dieser Zeit hat sich Artus bereits zum Herrn von Aquae Sulis (= Bath) aufgeschwungen und die Witwe von dessen Ratsoberherren geheiratet: Gwenhwyfar (= Guinevere). Obwohl sie mit 25 Jahren schon relativ alt ist, zudem langhalsig wie ein Reiher und kinderlos, stellt sie doch die Verbindung zu König Ambrosius dar, der einst die Sachsen entscheidend in der Schlacht von Badon Hill, ganz in der Nähe, zurückschlug. Artus heiratet Gwenhwyfar nicht aus Liebe, sondern für seine Ehre und um seinen Thronanspruch zu festigen. Für den Sex hat er seine mollige Konkubine Cunaide.

Wandlung Nummer zwei

Als Myrddin bei einem Besuch des vormaligen Oberherrn von Aquae Sulis, Maelwas, erkennt, dass Gwyn, der Junge, wohl eher ein Mädchen sei, muss Gwyna sich zurückverwandeln. Das erscheint ihr noch schwieriger als die in einen Jungen. Denn nun wird sie in Gwenhwyfars Hofstaat gesteckt und muss den ganzen Tag bloß nähen und sticken. So viel Untätigkeit ist ihr zuwider, aber Myrddin will sie als seine Spionin in der Nähe der Königin haben. Sagt er zumindest.

Als Bedwyr in einem Scharmützel eine Beinwunde erhält, nimmt sich die Königin seiner an. Artus gegenüber gibt sie vor, den Ritter in ihre Leibwache aufzunehmen. Welche Leibwache, fragt sich Gwyna? Artus gewährt die Bitte und kehrt zu seinen Plänen zurück. Doch Gwyna sieht bald das Unheil kommen, als sie merkt, dass sich der genesene Ritter und ihre Herrin in den Ruinen der alten römischen Bäder zu heimlichen Stelldicheins treffen. Wenn der König von dieser Romanze erfährt, wird es ihrer Herrin schlecht ergehen, ahnt sie. Denn eines kann Artus auf den Tod nicht ausstehen: wenn man ihn lächerlich macht. Und es machen bereits erste Gerüchte die Runde, dass ihm seine Frau Hörner aufsetze.

Nun steht Gwyna zwischen den beiden Lagern, doch das Verhängnis kann selbst sie nicht aufhalten. Kaum hat sie Myrddin davon in Kenntnis gesetzt, als auch schon Artus wie ein wütender Bär über die beiden Liebenden herfällt. Es ist der Anfang vom Ende seines Traums vom Königreich.

Schon bald muss sich Gwyna ein weiteres Mal in einen Jungen verwandeln. Mittlerweile hat sie Übung darin. Sie verliebt sich in einen Jungen, der früher selbst mal ein Mädchen war: Peredur (= Parzival). Zusammen versuchen sie in den Wirren der finalen Kämpfe zu überleben.

Mein Eindruck

Die Geschichte versetzt uns auf anschauliche und anrührende direkt in das Umfeld eines der berühmtesten Herrscher aller Zeiten: König Artus. Das Dumme daran: Er ist nicht einmal erwiesen, dass es ihn je gab. Darauf weist der Autor selbst hin. Es mag einen Anführer gegeben haben, der zur Zeit der Völkerwanderung im 5. oder 6. Jahrhundert Britannier gegen Sachsen vereinte und führte, nachdem die Römer ihre Provinz fast schutzlos zurückgelassen hatten.

Forschung

Auf dieser Grundlage versucht der Autor mit Erfolg etwas ganz anderes. Wenn es doch unbestreitbar all diese Legenden gibt – angefangen bei Geoffrey of Monmouth -, dann müssen sie doch irgendwo hergekommen sein und jemand muss einstmals angefangen haben, sie zu erfinden und zu verbreiten. Auftritt Myrddin. Der alte Knacker, den wir als Merlin kennen, erscheint hier quasi als oberster Propagandaminister seines Fürsten. Mit beidem ist es jedoch nicht weit her, und die Frage erhebt sich, warum Myrddins Propaganda überhaupt gerechtfertigt war und ob bzw. warum man sie ihm glauben sollte. Das ganze Buch beschäftigt sich mit dieser Frage.

Die Historie

Da ist einmal Artus, der legendäre Bär, wie sein Name besagt (und wie eine Inschrift in Tintagel / Din Tagell belegt). Er ist ein gewitzter Muskelprotz, der Männer anführen kann und jede Menge Beute anzuhäufen vermag, der aber nichts mehr hasst, als lächerlich gemacht zu werden. Sein Ratgeber ist der besagte Myrddin (eher ein Titel als ein Name): ein Barde und daher auch ein Geschichtenerzähler. Diese Geschichten, die den Ruhm seines Fürsten mehren, verbreitet er auf ausgedehnten Fußmärschen, auf denen Gwyna ihn begleitet, im ganzen Südwesten der Insel. Und nichts darf die Legende, die er aufbaut, stören. Die Strafe ist hart und wird unerbittlich erteilt.

Tafelrunde?

Von einer Tafelrunde edler Ritter kann Gwyna, unsere Chronistin, nichts feststellen. Da sind Cei, der eher besonnene Familienvater und Gutsverwalter, da ist Medraut, ein Hitzkopf, und dessen Bruder Bedwyr, der verwundete Rotschopf, der Lancelots Rolle spielt und mit der Königin anbandelt. Als Artus Bedwyr im Zorn ermordet, bleibt Medraut nichts anderes übrig, als zu König Maelwas zu fliehen und mit dessen Kriegern Artus anzugreifen, um Bedwyr zu rächen. Medraut ist also nicht der Schwestersohn Mordred, sondern ein eigentlich treuer Ritter: Es ist Artus, der im Unrecht ist, und das ist mal was Neues. Es kommt zur Schlacht von Camlann, die in vielen Chroniken die letzte für Artus ist. Sie bedeutet das Ende von Myrddins Traum eines geeinten Britannien.

Der Traum & die Legende

Ist dies wirklich das Ende? Es kommt eben auf den Erzähler des Traums an. Dieser spinnt die Legende, die den Traum transportiert. Und für diese Aufgabe eignet sich jeder, der an den Traum glaubt und Geschichten zu erzählen weiß. Hier kommt Gwyna ins Spiel.

Gwyna hat die historische Wirklichkeit betrachtet: Blut und Schlamm, Verrat, Tricks und Täuschung. Dazwischen eine illegale Liebe. Daran ist nichts Fantastisches, aber doch ein Fünkchen Hoffnung. Sie überlebt nicht nur, indem sie mehrmals ihr Geschlecht wechselt, nein, nur so ist sie auch in der Lage, der Historie ebenso zu erfassen wie auch die Legende zu spinnen. Zwischen Historie und Legende liegen der Traum und die Hoffnung. Die Hoffnung auf ein Land, das befreit ist von Bruderzwist und Verrat, von Rassenhass zwischen Britanniern und Sachsen. Der Traum gilt dem friedlichen Zusammenleben der unterschiedlichsten Völker. Und wenn eine Legende nötig ist, um den Traum wirken zu lassen, dann ist auch Gwyna, Myrddins gelehrige Schülerin, bereit, sie zu verbreiten.

Die Komödie

Von Beginn an gilt die Komödie den Tricks, die Myrddin, aber auch Gwyna einsetzen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, die auf Glauben und Hoffnung basiert. Das Schwert, das Artus von der Herrin im See überreicht wird, ist ebenso ein inszeniertes Schauspiel wie Gwynas magischer Becher, den sie als Gral dem sterbenskranken Peredur reicht, zusammen mit einem Kuss, den sie ihm als „Königin der Feen“ gibt. Es dauert nicht lange, bis Peredur genesen ist: quod erat demonstrandum. Und was bei ihm funktioniert hat, könnte vielleicht auch bei Dörfern und an Fürstenhöfen wirken.

Komödie Nummer zwei

Die zweite Komödie, die dieses Buch so unterhaltsam macht, betrifft die der Geschlechter. Am Anfang sieht Gwyna ein, dass sie nur als Junge überleben kann. Doch die verräterische Natur lässt ihr Brüste statt eines Bartes wachsen. Um bei der Königin bleiben zu können, muss sie ihre Hofdame werden. Ironischerweise muss Gwyna wieder zum Jungen werden, als die Königin von einem roten Ritter des Feindes attackiert wird. Als Peredur, diese Parodie eines Ritters, halb bewusstlos daliegt, drückt sie ihm das Schwert des Feindes in die Hand, den sie selbst ertränkt hat, und erklärt ihn zum Sieger. Die Menschen glauben nur das, was sie glauben wollen. Es funktioniert.

Peredur

Überhaupt, Peredur. Der Autor hat die Legende von Parzival, der in keltischen Versionen Peredur heißt, allen Brimboriums entkleidet. In der Legende heißt es, der Junge sei bei seiner Mutter fern aller Kriege aufgewachsen, und so ist es auch im Buch. Doch die Legende lässt ihn ein Junge sein, nicht so das vorliegende Buch: Seine Mutter hat Peredur im Glauben aufwachsen lassen, er sei ein Mädchen. Da es ringsum keinen Sex gibt und somit keine Nackten – die Mönche hätten dies unterbunden -, bleibt Peredur kein Mittel der Selbstaufklärung. Erst als „ihr“ Muskeln wachsen und die Stimme in den Keller rutscht, kommt ihr das etwas spanisch vor. Ebenso die Lust, mit Waffen statt mit Puppen zu hantieren.

Geschlechterspiel

Als Gwyna den „Ritter“ Peredur mit dem Kochtopf auf dem Kopf erblickt, erkennt sie die Parodie des Rittertums sofort. Alle Propaganda Myrddins wird von Peredur sofort widerlegt, aber auch bekräftigt, denn die Legende vom Rittertum hat Peredur ja überhaupt erst dazu veranlasst, sich als Ritter auszustaffieren. Das Bewusstsein bestimmt also nach Hegel das Sein und nicht umgekehrt – ein weiterer Grund, den Traum und die Legende zu verbreiten.

Gwyna ist sich nach einer Weile bewusst, dass Peredur ihr Spiegelbild darstellt. Wo sie Mädchen ist, ist er Junge und umgekehrt. Sie ergänzen einander perfekt, denn sie erkennen, dass das Geschlecht keine Rolle spielt, sondern nur eine weiteres Mittel ist, um Tricks und Täuschungen in die Tat umzusetzen. Die Welt will getäuscht werden? Das lässt sich arrangieren, ganz gleich, ob als Mann oder als Frau.

Der Anhang

Im Anhang findet sich eine Aussprachehilfe für die vielen keltischen, walisischen und altenglischen Namen im Buch. Außerdem zeigt der Autor in seinem Nachwort auf, welche Variante der Artusmythen er gewählt und welche anderen Legenden er aufgenommen hat, so etwa die von Parzival alias Peredur.

Das Nachwort und die Aussprachehilfe fand ich hilfreich, aber unzureichend. Was hat sich denn der Zeitgenosse unter Orten wie Isca, Gwent und Kernyw vorzustellen? Diese Orte existieren heute alle noch, allerdings unter anderen Namen: Caerleon, Gwynedd und Cornwall. Deshalb wäre eine Landkarte mit Ortsnamen des 6. Jahrhunderts sehr hilfreich gewesen. Man findet sie beispielsweise in den Lübbe-Ausgaben von Diana Paxsons Artus-Zyklus, etwa in „Herrin der Raben“.

Die Übersetzung

Die Übersetzerin hat daher meines Erachtens nicht das Optimum erreicht. Stilistische Unsicherheiten kommen hinzu. Wieso schreibt sie „Irländer“ statt „Ire“? Auch kann sie nicht bis 48 mit römischen Ziffern zählen: Sie zählt zweimal 47 – XLVII. Immerhin gibt es praktisch keine Druckfehler, das ist schon sehr löblich.

Gestaltung

Über das Titelbild, das der deutsche Verlag gewählt hat, lässt sich streiten. Im Buch wechselt Gwyna mehrmals das „Geschlecht“, zumindest äußerlich. Sie ist hässlich statt weiblich hübsch. Dem widerspricht die junge Frau auf dem Titelbild, die doch recht weiblich und hübsch aussieht. Man sollte nicht den Fehler machen, das Objekt, das sie in der Hand hält, mit einem Schwert zu verwechseln. Dieses Schwert hätte ja keine Querstange und wäre somit unbrauchbar. Es handelt sich meines Erachtens um das obere Ende eines Stabes. Aber wozu dann der Griff und der Knauf? Des Rätsels Lösung: Man könnte das Objekt als römisches Gladius, ein Kurzschwert ohne Querstange, betrachten.

Unterm Strich

„Gwyna“ unternimmt die unterhaltsame Demontage des Artus-Mythos, eines Dickichts von Legenden, Sagen und historischen Quellen, von dem wohlfeilen New-Age-Geschwurbel ganz zu schweigen. Am Ende der Demontage bleibt nicht etwa ein bitterer Nachgeschmack der Desillusionierung zurück, sondern der unverstellte Blick auf ein menschliches Drama, wie es gewesen sein könnte, und die Einsicht in die Notwendigkeit des Traums von einem friedlichen Königreich, in dem unterschiedlichste Völker und Kulturen zusammenleben können. Denn genau dies ist ja auch der Traum der Vereinten Nationen im 20. und 21. Jahrhundert. Und für die Verbreitung des Traums werden Legenden benötigt; Legenden wie jene, die Myrddin von einem gewissen König Artus, Befreier Britanniens, verbreitet haben mag.

Es ist okay, den Legenden, die auch das Hollywood-Kino gewinnträchtig ausschlachtet, Glauben zu schenken, solange man zwischen den Grundlagen der Historie und der Propaganda zu unterscheiden vermag. So lautet wohl die These des Autors. Der Haken dabei: Man muss beides kennen, um über den Wert der Legenden urteilen zu können. Wem also die Artus-Legende nichts sagt – soll es ja geben -, dem wird auch dieses Buch nichts sagen. Umso schwächer wird das Vergnügen ausfallen, das es beispielsweise mir bereitet hat, die Versatzstücke der Legende entlarvt zu sehen: das Schwert der Herrin vom See, der Gral, die Tafelrunde und vieles mehr.

Der Ritter von der lächerlichen Gestalt, Peredur, ist das beste Beispiel für die Wirksamkeit der Artus-Legende: Er ist als Mädchen aufgewachsen, heimlich ein Junge geworden, hat sich mittels Küchenutensilien mit den Paraphernalien des Rittertums versorgt und reitet nun an König Artus‘ „Hof“ in Aquae Sulis, um Ruhm und Ehre für ein Reich zu erringen, das erst noch kommen muss. Sein Traum lebt, auch wenn seine Mittel bescheiden sind.

Auch wenn das Geschlecht das angeblich falsche ist: Auch Frauen wie Gwyna spielen eine wichtige Rolle, solange sie nur verstehen, dass sie jede Rolle spielen können. Rollen, die sie selbst wollen, und nicht Rollen, die man ihnen aufzwingt. Man muss keine „wicca“ werden, keine spirituelle Führerin, um am Traum teilzuhaben. Es reicht schon, einem hilflosen Jungen bzw. dem eigenen Kind zu helfen, ein „Ritter“ zu werden und ihm die richtigen Legenden zu erzählen. Die Legenden, welche die Welt nötig hat, mögen sich je nach Zeitalter ändern, doch der Traum bleibt bestehen: Einigkeit in Frieden und Freiheit.

320 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Originaltitel: Here lies Arthur, 2007
Aus dem Englischen von Alexandra Ernst
Ausgezeichnet mit der Carnegie Medal 2008
Empfohlen ab 12 Jahren
ISBN-13: 978-3-570-13420-7
www.cbj-verlag.de