Raymond Feist / Janny Wurts – Die Auserwählte & Die Stunde der Wahrheit (Kelewan-Saga 1)

„Nur wenige Gongschläge trennen die junge Mara von einem Leben hinter Klostermauern, da erfährt sie, dass ihr Vater und ihr Bruder auf der barbarischen Welt Midkemia im Kampf getötet wurden und dass sie jetzt das neue Oberhaupt des Hauses Acoma ist. Unterstützt von einer Handvoll treuer Soldaten und Bediensteter muss sie sich einer Aufgabe stellen, die schwieriger kaum sein könnte. Doch Mara ist entschlossen, die Acoma zu alter Größe zurückzuführen. Sie fasst einen waghalsigen Plan …“ So weit also der Klappentext; den kann man so stehen lassen.

Die Autoren

Raymond Feist, geboren 1945 in Los Angeles, studierte an der Universität San Diego und war Fotograf und Spielerfinder, ehe er mit dem Schreiben begann. Fast alle seine Romane spielen auf der erfundenen Welt Midkemia, die zu Anfang ein regelrechter Mittelerde-Klon war, mit Elfen und Zwergen, die sich dann aber rasch weiterentwickelte und auch gewisse Science-Fiction-Elemente enthält. Dazu gehört der „Spalt“, den ich immer als Dimensionstor aufgefasst habe und der das „magische“ Tor zur Welt Kelewan bildet – in beide Richtungen. Die Midkemia-Romane sowie die Krondor-Saga wurden auch zu Rollenspielen verarbeitet; sie dürften mehr als zwei Dutzend Bände umfassen, speziell in den gesplitteten deutschen Ausgaben bei Goldmann/Blanvalet.

Janny Wurts, geboren 1953, eine amerikanische Autorin und Künstlerin, ist mit dem bekannten Illustrator Don Maitz verheiratet. Nach Verlagsangaben lebt sie in Florida. Ihr erster Roman „Sorcerer’s Legacy“ erschien 1982 und bediente sämtliche Klischees und Gesetze des Fantasygenres. Ihr „Feuer“-Zyklus (1984-88) hingegen mischt bereits Science-Fiction mit Magie. Die Kelewan-Trilogie, die sie 1987-1992 zusammen mit Raymond Feist schrieb, spielt in einem fantastisch überhöhten byzantinischen Kaiserreich. Ihre am besten ausgearbeitete Trilogie ist wohl „The Wars of Light and Shadows“, die 1993 bis 1995 erschien, aber erst vor wenigen Jahren bei Bastei Lübbe veröffentlicht wurde („Der Fluch des Nebelgeistes“, „Die Schiffe von Merior“ usw.).

Die Kelewan-Saga – eigentlich eine Trilogie – besteht aus folgenden Bänden:

Kelewan I = 1+2: Die Auserwählte; Die Stunde der Wahrheit (beide zusammen: Daughter of the Empire);

Kelewan II = 3+4: Der Sklave von Midkemia; Zeit des Aufbruchs (beide zusammen: Servant of the Empire);

Kelewan III = 5+6: Die schwarzen Roben; Tag der Entscheidung (beide zusammen: Mistress of the Empire).

Der Doppelband „Die Kelewan-Saga I“ erschien im November 2004, Kelewan II soll im Juni 2005 veröffentlicht werden. Der Schluss liegt nahe, dass Kelewan III im November 2005 auf den Markt kommt.

Hintergrund

Kelewan ist eine mit Midkemia durch den „Spalt“ verbundene Parallelwelt, die es zu erobern gilt, um Rohstoffe zu beschaffen, vor allem Metall, das auf Kelewan selten ist. Während Midkemia stark angelsächsisch beeinflusst ist, trägt Kelewan ganz andere Züge. Diese Kultur erinnert in ihrer Stagnation und Starrheit an altchinesische Dynastien, aber auch an das alte Byzanz, erfüllt von Machtkämpfen und Intrigen.

Die kleinen Adelshäuser konkurrieren um den Aufstieg in den Hohen Rat, der von den fünf Großen Häusern gestellt wird. Erst dort können sie Einfluss auf die Politik des Kaiserreiches nehmen, so etwa auf die Partei, die den langjährigen Spaltkrieg befürwortet. Daher wählt der Rat auch den Kriegsherrn. Über allem thront der gottgleiche, jedoch politisch machtlose Kaiser, eine Marionette des Rates. Zumindest normalerweise …

Außerhalb dieser Hierarchie, jeglicher Gerichtsbarkeit und Weisungsbefugnis entzogen, stehen die Magier der „Schwarzen Roben“. Mit diesen Gestalten bekommt es unsere Heldin erst im dritten Band zu tun. Im ersten Band tauchen Zauberer als eine Art Theaterattraktion auf, ähnlich wie Gandalf im Auenland für das Feuerwerk zuständig ist. Die Schwarzen Roben sind einzig der unveränderten Erhaltung des Reiches verpflichtet, was sie zu einer Art Kardinalsliga macht.

Die Auseinandersetzungen um die Macht im Reich, das so genannte „Spiel des Rates“, folgt strengen, von der Geschichte scheinbar unabänderlich vorgegebenen Regeln. Die mächtigen Adelshäuser tragen ihre Differenzen mittels Intrigen, gedungenen Meuchelmördern und Verrat aus. Das erinnert stark an das Byzanz, das beispielsweise Guy Gavriel Kay in seinem Sarantium-Zyklus schildert.

Handlung

Mara ist siebzehn Jahre alt, als ihre Kindheit und Jugend abrupt enden. Jahrelang hat sie als Klosterschülerin gelebt und wurde in der Philosophie der Göttin Lashima ausgebildet. Gegen den Willen ihres Vaters, Lord Sezu Acoma, hat sie sich für ein Leben fern von der Welt entschieden. Doch gerade als sie endgültig das Gelübde als Nonne ablegen soll, unterbrechen sehr männlich klingende Stiefel die feierliche Zeremonie: Es sind die letzten überlebenden Soldaten des vernichteten Heeres ihres Vaters. In einer verheerenden Niederlage auf der Welt Midkemia hat sie neben dem Vater auch ihren geliebten Bruder Lano sowie zweitausend Krieger verloren. Sie ist jetzt die unumschränkte Herrscherin des Hauses Acoma, die Letzte ihres Geschlechts.

Schuld an dem Gemetzel auf Midkemia, so erfährt sie von ihrem Truppenkommandeur Keyoke, ist der Verrat des Hauses Minwanabi. Lord Jingu sollte eigentlich der Acoma-Armee zu Hilfe eilen, um den Feind an der Flanke anzugreifen. Als die Hilfe ausblieb beziehungsweise zu spät gewährt wurde, war von den Acoma nichts mehr übrig außer einem kleinen Häuflein, das sofort zur Heimatwelt zurückkehrte, um die letzte Angehörige der Herrscherfamilie zu ihren Pflichten zu rufen.

Mara ist zunächst von Trauer und Schmerz überwältigt. Sie begehrt als Erstes, die Trauerfeier abzuhalten. Dazu geht sie in den heiligen Hain des Anwesens und ehrt den Heimstein ihres Geschlechts, das auf eine weitaus längere Geschichte als das der Minwanabi zurückblicken kann. Prompt wird sie in diesem unbewachten Augenblick Opfer eines Mordanschlags. Nur die Gesetzesübertretung ihres getreuen Kämpfers Papeweio bewahrt sie vor dem frühzeitigen Tod. Sie schickt den Minwanabi das Zeichen der Blutfehde.

Angesichts der geringen Zahl ihrer Soldaten muss sie rasch etwas unternehmen, bevor der Angriff der Feinde – die Minwanabi sind nicht die einzigen – erfolgt. Ihre Amme und Beraterin Nacoya, die sie an Mutter statt aufgezogen hat, drängt sie dazu, möglichst bald zu heiraten. Sie wählt ein mächtiges Haus: die Anasati, eigentlich Feinde der Acoma. Sie hofft, ihren Gemahl kontrollieren zu können, sobald sie ihm einen Erben geschenkt hat. Sie wird bitter enttäuscht.

In den zweiten Hälfte (bisher „Stunde der Wahrheit“ betitelt) führt Mara nach der Geburt des Erben unmerklich, aber stetig den Untergang ihres treulosen und unfähigen Gatten Buntokapi herbei. Er hat in der nahen Stadt Sulan-Qu ein Haus bezogen, um dort mit seiner Mätresse Teani zusammen zu sein, ein Liebesnest. Zu ihrem Schrecken erfährt Mara, dass Teani eine Spionin der Minwanabi ist. Sie muss etwas unternehmen, bevor die Feinde entscheidende Vorteile erlangen …

Doch die richtige Prüfung ihres Könnens folgt erst noch. Das gesamte letzte Drittel des Romans ist dem Besuch der Burg ihrer Todfeinde gewidmet. Dorthin wurde sie zur Geburtstagsfeier des Kriegsherrn Almecho eingeladen (aber die Anasati nicht). Es ist klar, was Lord Jingu von den Minwanabi beabsichtigt: das Haus Acoma ein für alle Mal auszulöschen. Mara nimmt ihren Leibwächter Papewaio mit, doch sie hat nicht mit den Intrigen Teanis gerechnet.

Mein Eindruck des Gesamtbandes

In einer Gesellschaft, die Frauen als Menschen zweiter Klasse und Eigentum ihres jeweiligen Ehemanns – der sie verstoßen kann – ansieht, und ohne mächtige Verbündete muss sich Mara durch ihre Intelligenz, ihr Einfühlungsvermögen, ihren Ideenreichtum, aber auch durch ihr Durchsetzungsvermögen behaupten. Viele Ratgeber wollen sie in unterschiedliche Richtungen lenken. Ihre zunächst wichtigste Tat, um das Haus Acoma vor dem Untergang zu bewahren, ist jedoch etwas sehr Unkonventionelles.

Wie im alten Japan verlieren die Soldaten und Samurai ihre Ehre, sobald ihr Herrscher, durch ihr Verschulden oder nicht, getötet worden ist. Sie werden zu Grauen Kriegern (oder Ronin), die von den Herrscherfamilien als umherstreifende Banditen ohne Ehre und Loyalität betrachtet werden. Dies trifft auch für Maras ersten Gatten Buntokapi Anasati zu. Sie benötigt jedoch dringend Soldaten, Bauern, Handwerker als Ersatz für die verlorenen Krieger. Mit einer genial inszenierten Überraschungstaktik gelingt es ihr jedoch, eine Bande von über dreihundert Grauen Kriegern für sich zu gewinnen, vor allem durch Einfühlungsvermögen, Überredungskunst – und ein wenig Glück. Buntokapi hätte diese Ronin einfach abgeschlachtet.

Diese Aufgeschlossenheit und unkonventionelle Verhaltensweise führt dazu, dass sich weitere Ronin bei ihr melden, um durch den Eintritt in ihr „Haus“ wieder Ehre zu erlangen – und natürlich um ein Dach überm Kopf und eine warme Mahlzeit zu erhalten. Unter den Ronin befindet sich zu Maras Erstaunen auch der Geheimdienstchef eines eroberten und untergegangen Adelshauses. Seine Verbindungen erweisen sich als unschätzbar wertvoll. Anakasi ist es auch, der sie mit den Aliens, den Cho-ja, auf Kelewan bekannt macht.

Starker Anfang

Ich habe die erste Hälfte des Romans, die unter dem Titel „Die Auserwählte“ veröffentlichten wurde, in nur einem Tag gelesen, und in der gleichen Zeit die restlichen Kapitel, die als „Die Stunde der Wahrheit“ veröffentlicht wurden.

Die Handlung ist ebenso mitreißend wie die interessanten Figuren, mit denen uns das Autorengespann bekannt macht. Allerdings muss ich zugeben, dass ich die ersten zwei Drittel – bis etwa Seite 230 – wesentlich actionreicher und interessanter fand als den ganzen Rest des ersten Bandes. Vor allem die darauffolgende Hochzeit mit dem stiernackigen Kämpfer Buntokapi fand ich ziemlich öde. Diese Dumpfbacke dient hauptsächlich dazu, unserer lieben und tapferen Mara blaue Flecken zu verpassen und ein Kind zu machen. Mara dürfte nicht die Einzige sein, die Mordgedanken hegt.

Starkes Finale

Das letzte Drittel des zweiten Bandes ist ein Meisterstück von kalkulierter Handlungsführung, die ein Maximum an Spannung erzeugt. Mara sieht sich dem bevorstehenden sicheren Tod gegenüber, und die listig-verführerische Teani tut das Ihre, um für einen baldigen Tod der „Acoma-Hexe“ zu sorgen. Der Plan hätte auch Erfolg gehabt und der gastgebende Lord Jingu wäre mit einem blauen Auge davongekommen, wenn es nicht einen Joker im Spiel gäbe: zwei Magier, die der Kriegsherr Almecho vom kaiserlichen Hof mitgebracht hat. Dieses Finale ist nicht gut für die Fingernägel, die unweigerlich dran glauben müssen. Ich konnte diesmal auch keine Übersetzungsfehler feststellen, im Gegensatz zum ersten Band.

Alter Fehler

In diesem letzten Drittel des ersten Halbromans stieß ich frustiert auf einen alten Fehler, den Autoren machen, um die Handlung zu beschleunigen: Sie berichten statt zu erzählen. Das Buch liest sich dann wie eine langweilige Chronik der laufenden Ereignisse statt wie ein Roman, der aus einer Folge von Szenen gebildet wird. Chroniken sind jedoch sterbenslangweilig, weil im Grunde nichts passiert. Zum Glück hält sich diese Passage in Grenzen und endet mit der Geburt des ersten männlichen Erben der Acoma.

Die Übersetzung …

… von Susanne Gerold ist zu 99,9 Prozent gelungen. Doch auf Seite 203 stetht ein dicker Fehler, den man zunächst vielleicht überliest. Hier heißt es: „[…] Ihr seht alle so fremd aus – beängstigend.“ Sie [die Alienkönigin] wandte sich an Mara. „Allerdings seht Ihr weniger beängstigend als auch die Männchen.“ Was gemerkt? Es müsste heißen: „… weniger beängstigend aus als die Männchen.“

Ein weiterer Fehler entging auf Seite 265 der Qualitätskontrolle. Es geht darum, dass die Klosterschülerin Mara bislang keine Erfahrung mit Männern im horizontalen Nahkampf gesammlt hat. Nacoya hatte ihr vorgeschlagen, einen sanften Mann zwecks Unterweisung kommen zu lassen, doch Mara hatte das Angebot abgelehnt. „[…] daß Mara ihren Rat abgeschlagen und sich geweigert hatte, sich durch eine sanfte (Achtung!) Bewegung mit einem Mann aus der Ried-Welt [= Gigolo] Kenntnisse über Männer zu verschaffen.“ Statt „Bewegung“ müsste es eigentlich „Begegnung“ heißen. Das dürfte wohl mehr Sinn ergeben.

Unterm Strich

Die Kelewan-Saga ist erstklassiges Fantasyfutter für Leser, die Abenteuer, Action, große gesellschaftliche Szenerien und eine sehr lange Handlung mögen. Das Buch liest sich recht schnell, unter anderem deswegen, weil die Handlung flott voranschreitet, die Spannung nur selten – außer bei Hochzeiten – nachlässt, ständig neue Figuren eingeführt werden und die Leseabschnitte kurz sind. Hier bewährt sich die Erzählkunst des routinierten Raymond Feist. Das Finale des zweiten Bandes – also des ersten Romans – sucht in punkto Komplexität und Spannung seinesgleichen.

Während Feist offensichtlich für die klar und übersichtlich gestalteten Auseinandersetzungen zuständig war, widmete sich seine Ko-Autorin offenbar den weiblicheren Themen in Maras Leben, nämlich Haushalt, Kloster, Wirtschaft und vor allem die Hochzeit sowie alles, was damit verbunden ist.

Insgesamt kommt auch der Humor nicht zu kurz, und zwar vor allem in Form von leiser Ironie. Maras unkonventionelles Verhalten überrascht doch etliche Leutchen in der Hierarchie der Tsurani. Andererseits bringt es ihr ungewöhnliche Freunde wie etwa die neue Königin der Cho-ja-Aliens ein.

Wer farbige Abenteuer mit einem Touch Sozialkritik und einer tapferen, intelligenten Frauenfigur im Mittelpunkt mag, liegt bei der Kelewan-Saga genau richtig. Angeblich ist der letzte Band der beste.

Taschenbuch: ca. 630 Seiten
Originaltitel: Daughter of the Empire, 1987
Aus dem US-Englischen übertragen von Susanne Gerold.
ISBN-13: 9783442243136

https://www.penguinrandomhouse.de/Verlag/Blanvalet/1000.rhd

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