Sapkowski, Andrzej – Erbe der Elfen, Das (Geralt-Saga, 1. Roman)

_Die Geralt-Saga:_

Vorgeschichte: _1_ [Der letzte Wunsch 3939
Vorgeschichte: _2_ [Das Schwert der Vorsehung 5327

_Roman 1_: [Das Erbe der Elfen 5334
_Roman 2_: [Die Zeit der Verachtung 5751

_Nach den Ereignissen der letzten Kurzgeschichte_ in „Das Schwert der Vorsehung“ hat Geralt Ciri in die verborgene Burg der Hexer gebracht. Während draußen alle möglichen Gerüchte über den Verbleib des Löwenjungen von Chintra herumschwirren, wird die kleine Prinzessin in dem abgelegenen und verborgenen Tal zur Hexerin ausgebildet.

Obwohl die Ausbildung hart und anstrengend ist, ist Ciri mit großer Begeisterung bei der Sache, und man könnte meinen, es wäre alles in bester Ordnung. Doch Ciri hat auch gelegentlich unwillkürliche Aussetzer. Dann redet sie mit einer fremden Stimme, spricht wirres Zeug, aber auch Prophezeiungen und Drohungen aus. Die Hexer wissen sich nicht mehr zu helfen und bringen das Kind zu Mutter Nenneke in den Tempel der Melitele …

_“Das Erbe der Elfen“_ ist in der Entwicklung, die sich zwischen den beiden Erzählbänden des Hexer-Zyklus bereits abgezeichnet hat, noch einen Schritt weiter gegangen. Mit der Überschreitung der Grenze zwischen einer losen Geschichtensammlung und einem zusammenhängenden Roman kam zunächst eine wahre Flut an neuen Charakteren:

Der Erste ist Rience, der Zauberer. Er ist auf der Suche nach Ciri, und die Art und Weise seiner Nachforschungen ist nicht gerade besonders fein. Doch so sehr er auch den Befragten gegenüber seine Überlegenheit herauskehrt, allzu mächtig scheint er tatsächlich nicht zu sein. Jemand wie Yennefer könnte wohl problemlos mit ihm fertig werden – wenn er nicht über die Möglichkeit verfügte, Hilfe zu holen. Sehr schnelle Hilfe. Und sehr mächtige …

Ein weiterer Neuzugang ist Emhyr var Emreis, der König der Nilfgaarder. Die Nilfgaarder haben Chintra überfallen, die Stadt dem Erdboden gleich und Ciri zum Flüchtling gemacht. Sie haben alles niedergemetzelt, was ihnen an Lebewesen unter die Waffen geraten ist, bis sie an der Jaruga gestoppt wurden. Emhyr allerdings macht bisher nicht den Eindruck eines machtgierigen Despoten, auch nicht den eines irren Fanatikers. Tatsächlich wirkt er ausgesprochen vernünftig, ja geradezu sympatisch, allerdings auch streng bis zur Gnadenlosigkeit. Nicht von ungefähr ist sein Heer so schlagkräftig. Emhyr ist ein mächtiger Mann, und er ist sich dessen durchaus bewusst. Was allerdings bisher noch fehlt, ist eine Antwort auf die Frage, was ihn antreibt, warum er versucht, den gesamten Kontinent zu unterwerfen. Denn genau das tut er …

Dann wäre da noch der Zauberer Vilgefortz zu erwähnen, ein einflussreicher Mann, der das Kapitel der Zauberer dominiert. Allerdings ist Vilgefortz ein höchst undurchsichtiger Charakter, stets verbindlich lächelnd und höflich und ein echter Politiker: Er redet, ohne etwas zu sagen, und vor allem, ohne seine eigenen Gedanken und Absichten zu verraten. Er taucht nur in einer einzigen Szene kurz auf, aber ich wette trotzdem, dass dieser Mann für die zukünftigen Geschehnisse noch wichtig werden wird! Das Gleiche gilt für die Zauberin Philippa, die ganz offensichtlich nicht nur als Beraterin eines Königs und für dessen Geheimdienst arbeitet.

Dazu kommen noch eine Menge anderer Personen, so diverse Könige und Königinnen, ein Spionagechef und noch weitere Zauberinnen und Zauberer. Kein Wunder, dass die bisherigen Hauptfiguren, Rittersporn, Yennefer und selbst Geralt ein wenig in den Hintergrund zu treten scheinen. Eigentlich schade, zumal sich an Rittersporn ganz neue, ungeahnte Seiten offenbart haben. Die interessant angelegten Figuren Rience und Emhyr könnten das aber durchaus wettmachen.

_Die Handlung_ lässt sich grob in drei Teile gliedern. Im ersten wird hauptsächlich aus der Sicht der Zauberin Triss Merrigold erzählt, die die Hexer in ihren Schlupfwinkel gerufen haben, damit sie herausfindet, was es mit Ciris Visionen auf sich hat. Triss ist aber überfordert und empfiehlt Geralt, Yennefer um Hilfe zu bitten. Auf der Reise zum Tempel der Melitele verschiebt sich der Blickwinkel hin zu Ciri, sodass deutlich wird, wie das Mädchen darum kämpft, die Welt zu verstehen, aber auch, wie leicht beeinflussbar es noch ist.

Der zweite Teil ist davon durch einen Zeitsprung getrennt. Plötzlich ist Geralt allein. Er und Rience umkreisen einander wie zwei Gladiatoren in der Arena. Jeder will den anderen in die Finger kriegen, wartet auf eine Schritt des anderen. Doch jedes Mal, wenn es so weit ist, funkt jemand Drittes dazwischen!

Der dritte und kürzeste Teil ist vom zweiten wiederum eher räumlich getrennt, der Übergang dorthin nicht so scharf, sondern eher fließend. Er dreht sich um Ciris Ausbildung im Tempel und ihre Beziehung zu ihrer Ausbilderin Yennefer.

Natürlich hat Andrzej Sapkowski sich nicht allein darauf beschränkt. Auf dem Weg zum Tempel der Melitele geht natürlich bei weitem nicht alles glatt, und damit ist nicht nur die Action gemeint, die der Autor an dieser Stelle eingebaut hat. Ganz nebenbei, vor allem in den Gesprächen Geralts mit den Leuten, die ihnen begegnen, den Mitgliedern der Karawane, mit der sie reisen, entwickelt Sapkowski den Hintergrund für die Ereignisse um Geralt und sein Mündel Ciri: den aufflackernden Widerstand der Elfen, den Zwiespalt der Zwerge, die Unsicherheit unter den Menschen; die lauernde Bedrohung durch Nilfgaard, dessen Truppen am südlichen Ufer der Jaruga sitzen wie eine lauernde Spinne, deren billige Waren den Markt des Gegners überschwemmen und deren Münzen einheimische Währungen verdrängen; die brodelnde Gerüchteküche, einander widersprechende Informationen, die immer neuen Prediger einer neuen Zeit; und die uralte Weissagung einer Elfe …

Sicher scheint nur, dass Ciri eine wichtige Rolle zukommt bei dem, was der Welt bevorsteht, und dass alle möglichen bekannten und unbekannten Parteien und Mächte mit allen Tricks versuchen, ihrer habhaft zu werden. Dabei scheinen die einzigen unparteiische Personen, denen es allein auf Ciris Wohlergehen ankommt, Geralt und Mutter Nenneke zu sein, wobei Geralt noch immer verzweifelt versucht, seine Neutralität zu wahren, etwas, was ihm angesichts der Prophezeiung und Ciris besonderer Rolle darin kaum gelingen dürfte.

Das ist der wahrscheinlich gravierendste Unterschied zu den beiden vorangegangenen Erzählbänden. Die Leichtigkeit, die Gewissheit, dass es sich hier nur um kleine, unterhaltsame Abenteuer ohne gravierendere Folgen handelt, ist völlig verschwunden. Auch die bisherigen Anspielungen auf die Märchenwelt fehlen nun. Hier geht es nicht mehr allein um mehr oder weniger amüsante oder spannende Episoden aus dem Leben eines schrägen Sonderlings mit ein paar augenzwinkernden Seitenhieben auf ein verwandtes Genre. Diesmal geht es um tiefgreifende Umwälzungen, um das Ende einer Epoche.

Das zeigt sich nicht nur in der Form, in der steigenden Zahl von Charakteren und Handlungssträngen, sondern auch inhaltlich. Zum ersten Mal tauchen Details aus der Vergangenheit des Kontinents auf. Der Gegner ist nicht mehr ein stumpfsinniges Monster, sondern eine straff organisierte Masse gut ausgebildeter Kämpfer mit einem intelligenten, zielstrebigen Kopf an der Spitze. Und es ist beileibe nicht so, dass die Kontrahenten unter sich wären. Hier kochen die unterschiedlichsten Parteien jeweils an ihrem eigenen Süppchen, selbst dann, wenn sie vorgeben, mit ihren Nachbarn zusammenzuarbeiten, sodass aus dem schlichten Duell Held-Monster ein unüberschaubares Gewirr aus Interessen, Intrigen und Betrügereien geworden ist, in dem man niemandem mehr trauen kann.

_Mit anderen Worten:_ Der Übergang zum Romanzyklus ist abgeschlossen, und er ist vorbildlich gelungen. „Das Erbe der Elfen“ hat alles, was man von einem guten Fantasy-Roman erwartet: Geheimnisse, Verwicklungen, Intrigen, Verrat, einen unkonventionellen Helden und eine Heldin, die erst noch in die Schuhe hineinwachsen muss, welche die Geschichte für sie vorgesehen hat. Eine gesunde Mischung, zumal auch das Verhältnis zwischen den einzelnen Zutaten gut ausbalanciert ist. Mir persönlich hat trotzdem die Stimmung aus den Vorgängerbänden ein wenig gefehlt. Das gilt vor allem für Rittersporns unbekümmerte Leichtlebigkeit, auch wenn diese, zugegeben, zum jetzt herrschenden Grundtenor nicht mehr recht passen will.

Die Spannung hielt sich bisher noch in Grenzen. Die Kampfszenen sind anschaulich, aber kurz geraten. Sie bleiben zu sehr Zwischenspiel, um den Bogen ernsthaft zu straffen. Der Beschluss der am Geheimtreffen beteiligten Könige, Philippas ungewöhnliche Rolle im Kampf gegen Rience sowie der undurchsichtige Vilgefortz und der kühl berechnende König der Nilfgaarder tragen da wesentlich mehr dazu bei, dass die Spannung steigt. Ein Netz zieht sich um Ciri zusammen, und auch wenn der Zugriff nicht in diesem Band erfolgt, sind die Aussichten auf den nächsten ziemlich fesselnd – zumal die Tatsache, dass Yennefer Ciri zur Zauberin ausbildet, noch für saftigen Krach zwischen Yennefer und Geralt sorgen dürfte. Der Leser darf also auf den nächsten Band sehr gespannt sein.

_Andrzej Sapkowski_ ist Literaturkritiker und Schriftsteller und nebenbei Polens bekanntester Fantasy-Autor. Der |Hexer|-Zyklus diente bereits als Grundlage für einen Kinofilm und eine Fernsehserie sowie für das polnische Rollenspiel „Wiedzmin“. Auch das Computerspiel „The Witcher“ stammt von Sapkowski, ebenso die |Narrenturm|-Trilogie um die Abenteuer des jungen Medicus Reinmar von Bielau. Wann die Folgebände von „Das Erbe der Elfen“ auf Deutsch erscheinen werden, ist noch nicht bekannt.

|Originaltitel: Krew Elfów, 1994
Aus dem Polnischen von Erik Simon
368 Seiten, kartoniert|
http://www.der-hexer.de
http://hexer.wikia.com
http://www.dtv.de
http://www.sapkowski.pl
http://www.thewitcher.com

_Mehr von Andrzej Sapkowski auf |Buchwurm.info|:_

[„Der letzte Wunsch“ 3939 (Geralt-Saga, Band 1)
[„Das Schwert der Vorsehung“ 5327 (Geralt-Saga, Band 2)
[„Narrenturm“ 1884
[„Gottesstreiter“ 3367
[„Lux perpetua“ 4568

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