Tierney, Richard L. – Im Haus der Kröte

James Kerrick ist zwar noch jung an Jahren, denkt aber trotzdem über den Ruhestand nach. Mit seiner geistigen Gesundheit steht es schon seit längerem nicht zum Besten; Kerrick hat Albträume, die ihn immer wieder mit der Vision eines blutigen Menschenopfers foltern. Auch sein Job ist recht riskant: Er ‚arbeitet‘ als Raubgräber, der archäologische Fundstätten plündert und seine Beute an reiche Privatsammler verkauft. Sein letzter Kunde soll der geheimnisvolle J. Cornelius Wassermann werden, der in seiner riesigen, einsam gelegenen Villa am Rande des Städtchens Riverton im ländlichen Illinois residiert. Für Wassermann hat er in Mexiko in einer vorzeitlichen Tempelanlage einige uralte Artefakte gestohlen und unter großen Schwierigkeiten in die USA geschmuggelt.

Der Auftraggeber ist zufrieden und möchte Kerrick gern für weitere Aufträge heuern. Dieser fühlt sich jedoch abgestoßen von dem geheimnisvollen Mann, dessen Gestalt an eine riesige Kröte erinnert. Dass Wassermann eine Ablehnung nicht zulassen wird, merkt Kerrick schnell: Dessen froschköpfige ‚Neffen‘ halten ihn unter strenger Beobachtung, des Nachts scheinen Eulen und Fledermäuse als Wach- und Horchposten zu dienen.

Kerricks Träume verschlimmern sich. Er glaubt seine Ex-Geliebte Susan, die er vor zwei Jahrzehnten verlassen hat, als willenloses Opfer zu sehen. Deshalb mag er nicht an einen Zufall glauben, als ihm plötzlich Karyn, Susanns Tochter, über den Weg läuft. Die junge Frau stellt Nachforschungen über ihre Mutter an, die vor einem Jahr spurlos in der Nähe von Wassermanns Anwesen verschwunden ist. Über Karyn lernt Kerrick Mitglieder eines geheimen Zirkels kennen, der Wassermanns Plan durchkreuzen will: Dieser bereitet die Rückkehr Ghantas auf die Erde vor. Das urzeitliche Wesen gehört zu den „Großen Alten“, die einst das Universum schufen. Die Erde dient ihnen als Weide, deren menschliches Vieh in regelmäßigen Abständen von Ghanta und dessen Brut abgeschlachtet wird.

Diese Apokalypse wollen Kerricks neue Verbündete verhindern, wobei dieser eine unbehagliche Hauptrolle übernehmen und in Wassermanns Haus eindringen soll, als dieser zu einer Party der besonderen Art einlädt. Obwohl er genau weiß, dass er sich in die Höhle des Löwen wagt, schlägt Kerrick ein, denn inzwischen steht fest, was Wassermann als Höhepunkt des Abends plant: die Opferung von Karyn …

Er hat es zwar zu Lebzeiten selbst angeregt, es jedoch stets als amüsantes literarisches Spiel betrachtet: Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) erhob nie einen Alleinanspruch auf seine größte Schöpfung, den |Cthulhu|-Zyklus. Zwar hat er ihn erschaffen und entwickelt, aber ihn nicht festgeschrieben: Lovecrafts alternative Geschichte der Welt blieb stets Fragment, weil ihr kluger Erfinder sich der Tatsache bewusst war, dass allzu große Klarheit die Faszination der Saga schmälern oder sogar vernichten könnte. Stattdessen entstand aus einer Reihe lose miteinander verknüpfter Novellen und Kurzgeschichten nach Lovecrafts Tod ein Mythos – das vage Bild eines Universums, das von unfasslichen Wesenheiten erschaffen und regiert wird. In dieser unendlich fremden Welt spielen die Erde und ihre menschlichen Bewohner eine wichtige, letztlich jedoch nie geklärte Rolle.

„Vage“ ist ein Zustand, welcher vor allem die dem rationalen Denken verhafteten Zeitgenossen gar nicht schätzen. Auch Schriftsteller gehören dieser Gruppe an. Lovecrafts Cthulhu-Kosmos reizt sie – positiv, denn sie spüren den Drang, ihn durch eigene Beiträge zu erweitern, aber auch negativ, weil sie die Gelegenheit nutzen, um zu ‚erklären‘ und zu ‚ordnen‘, was nach dem Willen Lovecrafts höchstens zipfelhaft erfassbares Chaos bleiben sollte.

Auch Richard Tierney kann der Versuchung nicht widerstehen. Er kennt ’seinen‘ Lovecraft, er weiß, aus welchen literarischen Quellen dieser schöpfte, ihm sind Lovecrafts Epigonen wohlbekannt. Wieso die Cthulhu-Saga so erfolgreich geworden ist, hat er andererseits entweder nicht verstanden oder es war ihm egal. Tierney wäre nicht der erste Autor, den der Ehrgeiz trieb, Lovecraft zu ‚korrigieren‘. „Das Haus der Kröte“ belegt, wie dies glücken und doch schiefgehen kann.

Beginnen wir mit dem Geglückten: Tierney hat verstanden, dass die Wiederkehr eines Gottes eines enormen logistischen Aufwands bedarf. Lovecraft hat diesen Aspekt stets ignoriert; er ließ die Anhänger der Großen Alten möglichst isoliert vom Rest der Welt schauerlichen Riten nachgehen. Dagegen stehen Ghantas Diener bei Tierney durchaus im Hier und Jetzt. Die Präparierung der Erde als gigantisches Büffet für außerirdische Ungeheuer ist ein Projekt, das nur mit viel Geld realisiert werden kann. Also haben Janus Wassermann und seine Schergen ihre Krötenfinger eng am Puls der Weltgeschichte. Sie schmieren Politiker, leiten Revolutionen ein, lenken Kriege, überschwemmen ganze Länder mit Drogen, sind immer dort zur Stelle, wo es Ordnung und Menschenrechte zu destabilisieren gilt: Die Heimat der Großen Alten ist das entropische Chaos, das hat Tierney begriffen. Nur: Ist es notwendig, diesen Aspekt so aufwändig zu erläutern? Interessiert das den Leser?

Nein. „Das Haus der Kröte“ ist wie so viele Pastiches ein Werk, das die Lovecraft-Storys als Steinbruch betrachtet, der nach Belieben geplündert werden darf. Lovecraft schrieb in einer Zeit, als sein Publikum in dieser Hinsicht weniger anspruchsvoll war. Oder war der Meister einfach souverän genug, sein Publikum vor den Kopf zu stoßen? Jedenfalls fällt auf, dass Tierneys Story vor allem dort zu lahmen beginnt, wo er ausführlich über die Hintergründe des Geschehens referiert. Da nützt es ihm wenig, allerlei literarische Insiderspäßchen einzubauen, die sogar über das Lovecraft-Universum hinausgreifen und sich bei Edgar Allan Poe, Robert W. Chambers und anderen klassischen Phantastik-Autoren bedienen.

Ich möchte es den fanatischen Fans des Meisters überlassen, die unzähligen Anspielungen oder Zitate zu enträtseln, und es bei einer persönlichen Bemerkung belassen: Die Kenntnis des Lovecraftschen Werkes und das womöglich sogar witzige Spiel damit ersetzt keinesfalls einen spannenden Plot und dessen gelungene Umsetzung! Tierney misslingt es, sich die Vorlage zu Eigen und etwas Neues daraus zu machen, wie es ungleich talentierteren Schriftstellern wie Ramsey Campbell, T. E. D. Klein oder Thomas Ligotti (Tierney nennt sie auf S. 169 übrigens selbst) gelungen ist. Daran ändert der Aufwand, mit dem der Verfasser sich müht, die Krisen dieser Welt zu einem Panorama Wassermannschen Machenschaften zu verleimen, herzlich wenig: Der Mensch der Jetztzeit weiß (hoffentlich) zu genau, dass er keiner außerirdischen Infiltration bedarf, sich sein Leben zu Hölle zu machen und seinen Planeten in eine Müllhalde zu verwandeln.

„Das Haus der Kröte“ ist also keine phantastische Offenbarung. Macht man sich als Leser frei von entsprechenden Erwartungen, darf man sich auf einen flott geschriebenen, mit pulpig-vordergründigen Horroreffekten gespickten und im positiven Sinne trivialen Roman freuen.

Die Figurenzeichnung ist der Story adäquat. James Kerrick ist ganz im Lovecraftschen Sinn ein Mann, der zunächst zufällig in den Bann unheiliger Umtriebe zu geraten scheint. Erst als die Handlung fortschreitet, stellt sich heraus, dass unser Held nicht ohne Grund in den Bann des Bösen geraten ist: Kerrick gehört zu einer ganzen Anzahl gleichaltriger Männer und Frauen, die bereits in ihrer Jugend sorgfältig von Wassermann so manipuliert wurden, dass sie ihm und seiner Sache als bessere Sklaven dienlich waren.

Ohne diese Vorgeschichte ist Kerrick ein reichlich unbedarfter Charakter, dessen Schicksal den Leser ziemlich kaltlässt. Er trägt die Handlung, prägt sie aber nicht. Dummerweise trifft dies auf die Mehrheit der anderen Figuren ebenfalls zu. „Das Haus der Kröte“ ist kein Roman, der durch seine Protagonisten in Schwung gehalten wird. Diese spielen sämtlich nur allzu bekannte Rollen. So würde man auf den uralten Twist von der Rettung der verfolgten Schönheit nur allzu gern verzichten. Auch sonst stützt sich Tierney gern auf Klischees, lässt beispielsweise plötzlich eine Anti-Ghanta-Truppe auftreten, deren Mitglieder viel erzählen und wenig sagen.

Ein Pluspunkt für den Verfasser: Er hat das Problem gelöst, wie sich die froschköpfigen Jünger der Großen Alten in die moderne Welt integrieren können. Lovecraft siedelte sie in streng isolierten Orten wie Innsmouth an, wo sie Fremdlinge zwar schnell vertrieben, aber auch ziemlich abgeschieden für sich konspirieren mussten. Tierney betont indes die menschliche Seite der Froschmänner. Sie zeigen sich in der Öffentlichkeit, steigen den Menschmädchen hinterher, kleiden sich modisch und sind auch sonst recht angepasst. Von sklavischer Gefolgstreue zur Oberkröte Wassermann ist wenig zu spüren; einige Mischmenschen fragen sich sogar, ob sie die große Apokalypse, auf die sie so fleißig hinarbeiten, als Erfüllung ihrer Wünsche betrachten sollen: Sie fühlen sich inzwischen recht wohl in der Menschenwelt.

Janus Wassermann selbst ist natürlich ein Bösewicht, wie er im Buche steht. Schon der Name signalisiert grell die verborgene Seite des Schurken: „Janus“ ist der Name eines doppelgesichtigen Gottes der römischen Mythologie, der Ein- oder Ausgänge bewachte. „Wassermann“ deutet auf die aquatische Herkunft hin. Keine Ahnung, wieso ein im Geheimen operierender Schurke sich einen so sprechenden Namen wählt, aber schließlich scheint Wassermann auch sonst ein gewisser Drang zum Größenwahn innezuwohnen. Leider tritt er so theatralisch auf, dass sich der filmhistorisch kundige Leser sogleich den späten Orson Welles in seiner Rolle vorstellen kann (die heute vermutlich Anthony Hopkins übernehmen würde). Das reale Vorbild für Wassermann ist nach Tierneys eigener Auskunft übrigens der „Magicker“, Okkultist und Schriftsteller Aleister Crowley (1875-1947).

Letztlich unterstreicht die Figurenzeichnung das zur Handlung Gesagte: „Das Haus der Kröte“ ist kein schlechter Roman. Verfasser Tierney unterhält, er treibt seine Spielchen mit dem Mythos, er spart nicht mit gruseligen Effekten. Dennoch gehört sein Buch zu jenen, die gelesen & vergessen werden, fast noch bevor man die letzte Zeile erreicht hat.

Richard Louis Tierney (geb. 1936) gehört eindeutig zu den Randgestalten des phantastischen Genres. Eine gewisse Bekanntheit verdankt er einem weiterem Pastiche-Projekt: Gemeinsam mit David C. Smith verfasste Tierney eine Serie neuer Abenteuer der „Red Sonja“, jener schwertschwingenden Amazone, die sich in den 1930er Jahren Robert E. Howard (1906-1936) einfallen ließ.

Als Lovecraft-Kenner zeigte sich Tierney in seinem Essay „The Derleth Mythos“ (1973). Hier schlüsselte er auf, wie stark sich Lovecrafts Sicht des Cthulhu-Universums unter seinem ‚Erben‘ und ‚Nachlassverwalter“ August Derleth (1909-1971) in einen simplen Kampf zwischen Gut und Böse verwandelte. Das Erstaunliche daran ist, dass Tierney sich in „Das Haus der Kröte“ eher an Derleth als an Lovecraft hielt und seine eigene Argumentation ad absurdum führte.

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