Vaughan, Brian K. / Henrichon, Niko – Löwen von Bagdad, Die

_Story_

Es liegt etwas in der Luft in den Gehegen des Zoos in Bagdad. Die Tiere sind nervös, befürchten Schlimmes und lassen sich von der anhaltenden Ruhe mitreißen. Besonders die Löwin Safa lässt sich von dieser Laune anstecken und versucht erfolglos, die anderen Tiere zum Ausbruch aus den Käfigen zu motivieren. Kurze Zeit später erfolgt die Befreiung auf unerwünschte Art und Weise. Eine Schwadron von Kampfbombern umkreist und bombardiert die Stadt und trifft auch die Bestallungen im Zirkus. Safa, Noor, Zill und der kleine Ali entkommen als einzige Löwen dem kriegerischen Treiben und laufen fortan hilflos durch die Straßen der Stadt. Getrieben vom Wunsch, auch nur ein einziges Mal, so wie in Zills Beschreibungen, den Horizont zu sehen, kämpfen sie sich durch persönliche Aggressionen und Fehden, erlegen einen Bären und schaffen es tatsächlich auf die Spitze eines Daches. Dann jedoch bemerken sie die wahre Grausamkeit des Krieges …

_Persönliche Meinung_

Das neue Meisterstück von Starautor Brian K. Vaughan beruht in diesem Fall auf einer wahren Begebenheit, die sich im Jahre 2003 auf irakischem Boden zutrug. Nach einem verheerenden Angriff der amerikanischen Fliegerstaffeln wurde das Gelände des Zoos stark beschädigt und entließ die Tiere in die unsichere Freiheit. Unter den vielen Exemplaren, die nie zuvor in freier Wildbahn gelebt hatten, waren auch vier Löwen, die es schafften, dem Bombardement zu entkommen und sich vorerst in Sicherheit zu bringen. Kurz darauf wurden sie von den amerikanischen Truppen völlig ausgehungert entdeckt und schließlich erschossen.

Jene tragische Geschichte hat den Autor dazu bewogen, eine recht eigenwillige Erzählung zu kreieren, in der es weder tatsächliche Helden noch Recht und Unrecht in der uns bekannten Ausprägung gibt. Im Krieg gilt das Gesetz des Stärkeren, ebenso wie im Reich der Tiere, damit also auch in der Hierarchie der vier Protagonisten, die sich in ihrer zoologischen Umgebung ihren Mitinsassen überlegen fühlten. Dennoch wurde der Versuch gestartet, sich zusammenzurotten und vorzeitig das Weite zu suchen, da die Stimmung der letzten Tage nichts Gutes verhieß. Doch sinnbildlich für die menschlichen Rassenunterschiede konnten auch die Tiere keine Einigung erzielen und waren sich nach kurzen Annäherungsversuchen wieder spinnefeind. Hass und Verzweiflung machte sich folglich in den Gemütern der Löwinnen breit, die ihre letzte Hoffnung auf ein Leben in Freiheit nun wahrscheinlich aufgeben müssen, weil sie erneut durch den Einfluss der Menschheit in ihrem instinktiven Wunsch, in der heimischen Natur ausgesetzt zu werden, beeinträchtigt werden. Freiheit bedeutet in diesem Falle Flucht, ähnlich wie in so vielen Landstrichen in Nahost und Afrika, der Herkunft der Tiere, und wer sich dennoch der Konfrontation stellt, hat gegen die größeren Mächte, vertreten durch die Geschwader der Vereinigten Staaten, letztendlich doch keine Chance.

Natürlich schwingt eine ganze Menge Pathos in der Story mit, allerdings umschifft Vaughan die drohende Pseudo-Dramatik recht geschickt durch die hitzigen Dialoge zwischen den tierischen Protagonisten. Man ist sich selbst innerhalb der eigenen Rasse nicht friedlich gesonnen und neidet dem anderen Erfahrungen und Bedürfnisse, ist nicht bereit zu geben, aus Angst, man könne selber nicht ausreichend befriedigt werden. Infolge dessen sind Streitereien untereinander an der Tagesordnung; statt sich gegenseitig zu bestärken, heizt man den Krieg intern weiter an und gefährdet sich und seine Begleiter schlussendlich sogar selbst. Dies mag zwar in diesem Sinne nichts grundlegend Neues sein, jedoch wird es vom Autor von „Die Löwen von Bagdad“ derart außergewöhnlich und fantastisch inszeniert, dass es einem manchmal die Spucke verschlägt. Die Story hat gehörigen Symbolcharakter und ist bisweilen auch stark politisch motiviert, durch den versteckten Biss aber noch zusätzlich reizvoll und brisant. Echte Spannung will zwar im vorbestimmten Verlauf der Handlung nicht aufkommen, jedoch liegt hierin auch nicht die Intention des Autors. Vaughan beabsichtigt einen genaueren Fokus auf die unbewussten Nebenschauplätze der allgegenwärtigen Kriege und hat sich hierzu ein empfindliches Thema ausgesucht, um die enormen Auswirkungen in einer nüchternen, allerdings sehr bewegenden Ausarbeitung nahe zu bringen. Der Effekt ist bemerkenswert; die Geschichte um die vier Löwen geht unter die Haut und sensibilisiert auf eine Art und Weise, wie man Krieg noch nie erleben und erfahren musste. Vaughan bleibt ein Eigenbrötler und Individualist in der Comic-Welt; doch so gehaltvoll und tiefgreifend wie seine Geschichten immer wieder konstituiert sind, ist dieser Status nur absolut willkommen. „Die Löwen von Bagdad“ ist ein weiterer Geniestreich eines richtungsweisenden Comic-Autors.

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