Vaughn, Osanna – Im Auge des Falken (Das Erbe der Runen)

Band 1: [„Der Schrei des Falken“ 2136

_Story_

Zwei Jahre nach der Errettung der Nebelsängerin Kirstie ist Alduin mit sich und seiner Welt endgültig ins Reine gekommen. Der junge Falkner wächst an der Seite seines majestätischen Gefährten Rihscha langsam aber sicher zu einer echten Persönlichkeit heran und genießt den Sommer in Nymath. Eines Tages jedoch soll sein Leben ein weiteres Mal die geordneten Bahnen verlassen; Alduin findet vor den Toren seiner Heimatstadt einen völlig desolaten Mann, der sich nur noch mit Mühe und Not hat dorthin schleppen können. Doch wie der Jugendliche alsbald feststellen muss, scheint diese mysteriöse Person sein vermisster, totgeglaubter Vater Cal zu sein.

Geschockt von dieser Gewissheit, beschließt Alduin, die Ursache für den Zustand seines offensichtlichen Erzeugers zu erforschen und nach Methoden zu suchen, die ihn aus seiner Trance befreien können. Seine Reise ist jedoch nur von kurzer Dauer; Alduin wird am Kopf verletzt und verliert sein gesamtes Gedächtnis. Allerdings ist ihm hierbei eine Gabe geblieben: Er kann nach wie vor durch die Augen des Falken sehen. So schöpft er aus den Visionen von Krath, dem Falken seines Vaters, Mut, wird jedoch gleichzeitig immer mehr eins mit Cal. In dieser geistigen Umnachtung eröffnet sich dem jugendlichen Falkner schließlich ein unfassbares Geheimnis. Alduin erfährt von der potenziellen Unsterblichkeit seines Geschlechts – und beginnt mit einem Mal die tatsächlichen Hintergründe für die Ereignisse der letzten Tage zu begreifen.

_Persönlicher Eindruck_

Während Monika Felten vor nicht allzu langer Zeit an ihrer Geschichte aus der Welt Nymaths weiterbastelte und nach der etwas enttäuschenden Anfangshandlung ihre Geschichte um „Das Erbe der Runen“ überaus zufriedenstellend ausbauen konnte, befand sich ihre Kollegin Osanna Vaugh von Beginn an auf der inhaltlichen Überholspur. Nach dem durchweg überzeugenden Auftaktband ihrer Serie legt Vaughn jetzt mit einem weiteren eindrucksvollen Roman nach und zieht ihre Leser einmal mehr in die Welt Alduins, den man wohl jetzt schon als einen der sympathischsten Charaktere der phantastischen Jugendliteratur bezeichnen kann – und der sich in „Im Auge des Falken“ einmal mehr bemerkenswert präsentieren darf. Kein Wunder also, dass auch im zweiten Band der unabhängigen Geschichte zügig wieder Begeisterung beim Leser einkehrt.

Dabei sind die Motive, welche die Autorin im aktuellen Falken-Roman unterbringt, auf den ersten Blick gewöhnlich und im weiteren Verlauf, so glaubt man jedenfalls, vorhersehbar. Die Zweifel an Cals tatsächlicher Existenz scheinen insofern ebenso unbegründet wie diejenigen an Alduins Geschick und Potenzial, sich und das Schicksal seines Vaters zum Guten zu wenden. Zu häufig liefert Vaughn ihren Lesern nämlich Gelegenheit zur übermäßigen Zuversicht, was sich besonders im Mittelteil des Buches, in der die dezenten Konflikte anwachsen, als nicht allzu kluger Schachzug herausstellt.

Ähnliches lässt sich auch zum Entschluss einwenden, eine relativ große Anhäufung grundverschiedener Elemente in die Story einzubauen. Allein schon das plötzliche Auftauchen von Alduins Vater hätte als Basis für ein potenziell starkes Buch völlig ausgereicht, ganz zu schweigen vom etwas künstlich aufgebauschten Gedächtnisverlust, der schließlich auch ein Stück weit das Tempo aus der Handlung nimmt. Aus der Draufsicht betrachtet, scheint die Geschichte also schon von einigen äußeren Konflikten bestimmt zu sein, an denen die Entwicklung bisweilen sogar zu scheitern droht. Dass dem aber bei weitem nicht so ist, verdankt sich dem Geschick der Autorin, all diese differenzierten Aspekte harmonisch unterzuordnen und der befürchteten Überfrachtung der Teilelemente mit raschen, teils auch unerwarteten Wendungen vorzubeugen. Zwar scheint auf inhaltlichem Level die grundsätzliche Tendenz klar vorgegeben, doch lässt Osanna Vaughn sich innerhalb dieser Begrenzung einen doch relativ großen Spielraum, in dessen geweitetem Feld die einzelnen Bruchstücke homogen zusammenwachsen können. Letztendlich findet damit auch der zunächst nicht vollends akzeptierte Gedächtnisverlust seinen Platz im übergeordneten Puzzle und wird – so empfindet man es zumindest rückblickend – als ein wichtiger, vorab jedoch völlig unterschätzter Part sogar begrüßt.

Unterdessen werden auch die Entwicklungsfreiräume in den übrigen Handlungsebenen genutzt, überdies sogar mit einer ausgesprochenen Detailverliebtheit gefüllt. Die fortgesetzte Beziehung zwischen den Falken und dem komplett verwirrten Alduin ist hierbei zum Beispiel ein wirklich wunderschön inszenierter, wechselseitiger Vorgang, der Vaughns Hingabe fürs Phantastische mitunter auch am besten beschreibt und das gesamte Potenzial der Autorin sowie der Geschichte präzise auf den Punkt bringt – und dabei handelt es sich hierbei wirklich nur um einen Bruchteil dessen, was „Im Auge des Falken“ respektive Osanna Vaughns Beiträge zu „Das Erbe der Runen“ tatsächlich ausmacht.

In diesem Sinne kann man der Autorin also zur sehr schön gelungenen Fortführung des Projektes gratulieren, auch wenn es sicherlich noch einige wenige ausbaufähige Punkte im Bezug auf die strukturelle Strategie des Romans gibt. An sich ist „Im Auge des Falken“ jedoch ein sehr angenehmes, jugendlich frisches Fantasy-Buch, das sich einerseits harmonisch in die bereits bestehende Serie eingliedert, andererseits aber völlig unabhängig vom Vorgänger und den übrigen Beiträge zu „Das Erbe der Runen“ funktioniert. Gerade jüngere Leser sollten die sich hier bietende Gelegenheit nutzen!

http://www.arena-verlag.de

|Ergänzend dazu:|

[„Die Nebelsängerin“ 635 (Das Erbe der Runen 1)
[„Die Feuerpriesterin“ 2017 (Das Erbe der Runen 2)
[„Die Schattenweberin“ 3729 (Das Erbe der Runen 3)
http://www.daserbederrunen.de/

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