Walters, Minette – Im Eishaus

Dieser Roman wurde 1992 ausgezeichnet mit dem |John Creasey Memorial Dagger|. In diesem Jahr erschien die Originalausgabe unter dem Titel „The Ice House“. Die deutsche Ausgabe erschien erstmals 1994 bei |Goldmann|. Die Übersetzung ins Deutsche stammt von Mechtild Sandberg-Ciletti.

|Handelt es sich bei der Leiche im Eishaus des englischen Landsitzes Streech Grange um die sterblichen Überreste des Hausherrn David Maybury? Seit zehn Jahren fehlt von ihm jede Spur und für die Dorfbewohner gibt es nur eine Erklärung: Phoebe Maybury hat ihren Mann umgebracht. Dass sie sich seit damals mit zwei Freundinnen zu einer geheimnisvollen Lebensgemeinschaft auf dem Landsitz zurückgezogen hat, erhöht das Misstrauen der Leute noch zusätzlich. Und auch Inspector Walsh ist überzeugt, Phoebe endlich den Mord von damals nachweisen zu können. Doch schon bald stellt sich heraus, dass der Fund der Leiche nicht genügt, um das dunkle Geheimnis von Streech Grange zu lüften.|

Minette Walters bewies bereits in diesem Debütroman „Im Eishaus“ ihre Fähigkeit, mehrdimensionale Charaktere zu erschaffen, und lässt darüber hinaus immer wieder geschickt Überraschungsmomente einfließen. Die Lebendigkeit ihrer Texte wird auch durch die Dialoge untermauert, die humorvoll immer eine Prise Ironie erkennen lassen.

„Im Eishaus“ war – nach [„Die Bildhauerin“ 1908 – der zweite Krimi von Minette Walters, den ich las, und hatte daher nach dem großartigen Bildhauerin-Band einen schweren Stand. So gut „Im Eishaus“ auch ist, er hat mich nicht gleichermaßen gefesselt. Dabei fängt er routiniert an:

Ein geheimnisvoller Leichenfund im alten Eishaus raubt den Bewohnern des Landsitzes Streech Grange die Ruhe. Ist der bis zur Unkenntlichkeit verweste Tote etwa David Maybury, der Gutsbesitzer, der vor zehnn Jahren spurlos verschwand und nie mehr auftauchte? Der seinerzeit ermittelnde Inspektor Walsh vermutete, dass die Ehefrau, Phoebe Maybury, ihren Gatten ermordete, konnte ihre Schuld aber nicht beweisen – eben weil keine Leiche gefunden wurde. Nun aber scheint er Phoebe Maybury endlich überführt zu können. Zur Seite steht ihm sein Assistent Sergeant Andy McLoughlin, der gerade von seiner Frau verlassen wurde.

Die Gerüchte um Mrs. Maybury werden immer weitgreifender. So soll sie nicht nur ihren Ehemann, sondern auch ihre Eltern beseitigt haben und mit ihren Freundinnen, der Innenarchitektin Diana Goode und der Journalistin Anne Cattrall, die seit knapp zehn Jahren mit in ihrem Haus leben, eine lesbische Beziehung haben. Auch gottlose Praktiken wie Hexenrituale und Satanskult werden den Frauen nachgesagt.

Einer Vorverurteilung steht also nichts im Wege. Die Dorfbewohner glauben allzu bereitwillig das, was sie glauben wollen. Nur die Aussage des Dorfplayboys passt nicht in das konstruierte Bild. McLoughlin beginnt an der Schuld der Verdächtigten zu zweifeln. Zu undurchsichtig ist das Gutachten des Gerichtsmediziners und zu einseitig sind die Ermittlungen seines Vorgesetzten Walsh. Als wäre das nicht genug, verliebt sich der Sergeant auch noch in die eigenwilligste der drei Frauen. Doch er behält den Überblick. Mit Verstand und Spürsinn gelingt es ihm in letzter Sekunde, einen Mord zu verhindern, und er entdeckt, welches Geheimnis Streech Grange verbirgt.

Dieser spannende, psychologisch vielschichtige Roman enthält alles, was der Leser von einem Krimi erwarten kann. Minette Walters weiß es vortrefflich zu unterhalten und den Leser auf falsche Fährten zu locken. Mal webt sie Indizien ein, die zu beweisen scheinen, dass der Tote der verschollene Maybury ist. Dann aber kommen Fakten ans Tageslicht, die genau das Gegenteil beweisen. Das hält den Spannungsbogen des Romans weitgehend konstant. Und das ohne bluttriefende Knalleffekte.

Die Charaktere sind interessant und mehrdimensional, besonders die Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten! Ihre Stärken und Schwächen beleben den Roman zusätzlich. Aber auch McLoughlin ist ein wandlungsfähiger Charakter. Anfangs verspürt man noch ständig Lust, ihm die spitzen High-Heels in den Allerwertesten zu rammen, so verquer ist sein Auftreten. Und er hat den Spitznamen, den ihm Diana Goode gibt, redlich verdient. Er ist in der Tat ein „Muffel Macho“ – doch dem „Schrumpfhirn“ steht er tapfer entgegen. Denn gerade der Sergeant entpuppt sich als besonders gelungene Schlüsselgestalt der Handlung und wird immer mehr zur Hauptfigur, was dem Plot außerordentlich gut bekommt – besonders als McLoughlin beginnt, Walshs Arbeit kritisch zu beäugen, auch dessen Versuch, ihn zu manipulieren.

Minette Walters zeigt deutlich die menschlichen Abgründe auf, die wohl in jedem von uns schlummern – mehr oder weniger. Auch, wie schnell der „gute“ Nachbar von nebenan mit Verleumdungen und Vorurteilen bei der Hand ist. Ebenso bekommt die Yellowpress ihr Fett weg. Was mir bei Minette Walters immer wieder gefällt, ist die Tatsache, dass sie sich einer leicht verständlichen, wortwitzigen, aber nicht wortverliebten Sprache bedient. Dafür haben es ihre Handlungen und Charaktere umso mehr in sich. Und so sollte es sein.

Wer intelligente Krimilesekost konsumieren möchte, ist bei Minette Walters und somit auch bei diesem Titel an der richtigen Adresse!

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