Andy Weir – Der Astronaut. SF-Roman

Freunde im Weltall

Als Ryland Grace erwacht, muss er feststellen, dass er ganz allein ist. Er ist anscheinend der einzige Überlebende einer Raumfahrtmission, Millionen Kilometer von zu Hause entfernt, auf einem Flug ins Tau-Ceti-Sternsystem. Aber was erwartet ihn dort? Und warum sind alle anderen Besatzungsmitglieder tot? Nach und nach dämmert es Grace, dass von seinem Überleben nicht nur die Mission, sondern die Zukunft der gesamten Erdbevölkerung abhängt. (Verlagsinfo)

Das Buch soll mit Ryan Gosling in der Titelrolle verfilmt werden.

Der Autor

Andrew Weir, der Sohn eines Teilchenforschers, ist Informatiker. Er begann 2009, das Buch „Der Marsianer“ zu schreiben, das ihn berühmt und reich machte, denn er verkaufte die Rechte an Hollywood. Auch Ridley Scotts Verfilmung mit Matt Damon in der Titelrolle wurde ein Erfolg.

1) Der Marsianer
2) Artemis
3) Der Astronaut

Handlung

Der letzte Astronaut des Raumschiffs „Hail Mary“ erwacht ohne Erinnerung in der Koma-Abteilung. Der Med-Roboter will ständig seinen Namen wissen oder wieviel 2 + 2 ist. Der Astronaut entdeckt die zwei Leichen auf der Koma-Station wenig später. Aber wer ist er und vor allem: Wo ist er? Schon seine ersten Beobachtungen und Berechnungen liefern sehr ungewöhnliche Werte. Er ist an Bord eines Raumschiffs und er ist der letzte Überlebende. Doch es kann sich nicht in der Nähe der Erde oder der Sonne befinden. Wo also dann?

Der Bordcomputer will immer noch seinen Namen wissen, doch er muss sich anstrengen, seine Erinnerungen anzuzapfen. Er weiß alle möglichen Formeln und sonstiges Weltwissen, doch zu seiner Identität muss er sich durchringen: Ryland Grace, Naturkunde-Lehrer an einer Junior-Oberschule – und promovierter Molekularbiologe. Endlich gewährt ihm die KI Zugang zur Brücke.

Sonnenfresser

Die Bildschirmanzeigen der Brücke erweisen sich ebenfalls als recht gewöhnungsbedürftig. Da ist eine Angabe über sogenannte „Astrophagen“, also Sternenfresser. Und es gibt 20 Tonnen davon. Ist das der Treibstoff? Da fällt ihm ein, wie die Astrophagen, die nur 10 Mikrometer groß sind, entdeckt wurden: Sie befanden sich auf der Venus und saugten dem Zentralgestirn die Energie ab. Diese sog. Petrowa-Entdeckung versetzte die Regierungen der Welt in Aufregung: Wenn die Sonne an Energie verliert, spendet sie der Erde weniger Wärme. Binnen 30 Jahren würde die Erde zu einem Kühlschrank werden. Es wäre das Ende fast jeder Lebensform.

Die Brücke

Glücklicherweise hat eine Sonde über hundert Astrophagen aus der Petrowa-Brücke, dem Teilchenstrom zwischen Venus und Sonne, einfangen können. Weil sie sich als Lebensform erweisen, wendet sich eine niederländische Wissenschaftlerin namens Eva Stratt an keinen anderen als Ryland Grace. Er hatte einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er postulierte, dass Leben nicht nur auf Wasserbasis existieren könne. Er wurde verspottet und ausgestoßen. Jetzt soll er die Speerspitze der Forschung an Astrophagen bilden. Die Zeit, um auszudrücken, wie absurd er dies findet, hat er nicht: Das FBI entführt ihn kurzerhand. Er bekommt von Stratt sein eigenes Labor. Dieses ist mit giftigem Argongas gefüllt, um jede Lebensform abzutöten.

Entdeckungen

Astrophagen weisen in der Tat zahlreiche überraschende Eigenschaften auf, aber das interessanteste Ergebnis erzielt er, als er eines mit einer winzigen Nadel pikst: Seine Haut platzt auf und die Zellbestandteile werden sichtbar. Ironie der Geschichte: Die Winzlinge bestehen vor allem aus Wasser. Sofort entzieht ihm Stratt das Labor, und fast alle Astrophagen werden über die Labors der Welt verteilt. Er bekniet Stratt, ihm wenigstens ein oder zwei der Aliens zu lassen. Sie gewährt ihm huldvoll drei. Binnen kurzem hat er vier daraus gemacht. Er ist der erste, dem dies gelungen ist. Und es gibt noch mehr.

Treibstoff

Als Stratt davon erfährt, lässt sie Grace per Militärjets auf einen Flugzeugträger transportieren, der im Südchinesischen Meer ankert. Vor den versammelten Regierungsvertretern, die Stratt auf das Schiff geholt hat, berichtet Grace, was er getan hat. Seine Experimente mit der Energiesteuerung der Astrophagen erweisen sich als bahnbrechend: Die kleinen Dinger können sowohl Energie speichern, als auch kontrolliert abgeben. Sie eignen sich für einen Antrieb, der 92 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreichen könnte. Eine relativistische Geschwindigkeit, würde Einstein sagen, die die Zeit dehnt.

Verdunklung

Die Sterne verdunkeln sich nacheinander, zumindest die der lokalen Gruppe. Nur Amateurastronomen untersuchen solche Sonnen, und sie liefern alarmierende Werte: Die Strahlkraft lässt nach. Diese Sterne werden offenbar ebenfalls von den Astrophagen angezapft. Das heißt, dass die Menschheit, die binnen 30 Jahren auswandern muss, kein „Ausweichquartier“ mehr vorfinden wird.

Das Ticket

Unter den angezapften Sternen gibt es nur eine einzige Ausnahme: Tau Ceti. Also muss jemand hinfliegen und nachsehen, warum das so ist. Vier Astronauten sollen bei diesem Himmelfahrtskommando dabei sein, doch wieder einmal spielt Gott nicht mit: Eine gewaltige Explosion von Astrophagen blasen zwei der Astronauten ins Jenseits. Stratt behauptet, es gebe keinen kompetenteren und auch genetisch gegen Koma gefeiten Menschen auf Erden als ausgerechnet Ryland Grace. Ob er will oder nicht: Er fliegt mit. Es ist ein Freifahrschein ohne Rückticket.

Tau Ceti

Der Annäherungsalarm plärrt! Kaum hat es Grace geschafft, sein Radar zu aktivieren, ist auch schon die Hölle los. Der Bildschirm sagt ihm das gleiche wie der Blick aus einem der winzigen Gucklöcher im Cockpit: Ein fremdes Raumschiff nähert sich der „Hail Mary“. Aliens?! Aber könnte es nicht auch eines von der Erde sein? Wohl eher nicht: Das fremde Raumschiff ist dreimal so groß wie die „Hail Mary“. Die Frage ist: Kommen die Aliens in friedlicher Absicht oder nicht…

Mein Eindruck

John, Paul, George und Ringo heißen die heimlichen Helden dieses Astronauten-Epos. Sie sind die kleinen Sonden, die Grace nach Hause schicken soll, um die Erde zu retten. Ob ihm diese Mission gelingt, darf hier nicht verraten werden. Aber auch sonst kommen die Fab Four aus Liverpool vielfach zur Geltung: Ihre Songs sind Klassiker, kapiert das endlich mal jemand, fragt einer von Stratts „Experten“. Dem Leser juchzt das Herz und gibt dem Mann High Five!

Wer sich fragt, was denn die Fab Four an Bord eines Himmelfahrtskommandos verloren haben, der wird sofort auf der Risszeichnung fündig, die dem Text vorangestellt ist: Die „Beetles“ sitzen ganz oben auf der Spitze des raketenförmigen Raumfahrzeugs. Warnung an alle, die Technik für Erfindung des Teufels halten: Diese Risszeichnung sollte man sich intensiv einprägen, bis es einem das Hirn verknotet.

Alle Begriffe, die Ryland verwendet, um seine AKTUELLE Lage zu beschreiben, beruhen auf diesen Begriffen. Und dieser Umstand deutet bereits an, dass dies ein Buch ist, dass eine Situation herstellt, die jeder Schüler aus der Oberstufen-High-School (vulgo: „Gymnasium“) kennen dürfte. Der Leser sollte a) viel Neugier und b) eine gehörige Portion Aufnahmevermögen mitbringen. Was nach anstrengendem Astronomieunterricht klingt, ist aber alles andere als das: Es ist ein Abenteuer auf Leben und Tod. Kurz gesagt, wendet der Autor das gleiche Erfolgsrezept an, das schon bei „Der Marsianer“ funktioniert hat. Nur ist die Musik viel besser: Statt Disco-Scheiß gibt es edle Beatles-Klassiker.

Variationen

Im Grunde wendet der Autor einen effektvollen Trick an: Durch die Bekämpfung der Amnesie entdeckt Grace, was ihn bis zu diesem seltsamen, gefährlichen Ort geführt hat – und diese scheibchenweisen Rückblenden sind für den Leser ebenso spannend wie die Frage, wie es mit dem Helden weitergeht. Wird er sich mit gefräßigen Aliens herumschlagen müssen, die unbedingt in seinem bauch ihre Eier legen wollen?

Zum Glück vermeidet der Autor einen Abklatsch des „Alien“-Grundmotivs, sondern freundet sich mit dem letzten Überlebenden der Besatzung des Alienraumschiffs an. Er nennt ihn „Rocky“, weil dessen haut gepanzert ist und wie Mineral aussieht. Kein Wunder: Rockys natürliche Umgebung ist 210°C heißt und von giftigem Ammoniak bestimmt, so wie unsere Luft von 73 Prozent Stickstoff und 21 Prozent Sauerstoff. Die beiden Königskinder können erst einmal nicht zueinander kommen, doch Rocky ist ein Ingenieur, der buchstäblich brücken bauen kann.

Zu Graces Erstaunen befindet sich Rocky in der gleichen Lage wie er selbst: Sein Stern, Eridanus, wird von den Astrophagen aufgefressen und seine Welt, nennen wir sie Erid, kühlt allmählich ab. Folglich haben Grace und Rocky auch die gleiche Mission: Sie müssen das Gegenmittel finden. Und es gelingt ihnen, als sie Tau Cetis Umgebung genauer untersuchen. Leider vertragen sich diese „Tau-möben“ in keinster Weise mit dem Treibstoff, den Grace getankt hat: Astrophagen. Wie sehr das ins Auge gehen kann, wird er schon bald erfahren…

Freunde im All

Ein großes Team von Leuten hat Grace zur Sonne Tau Ceti gebracht, und Teamarbeit ist es, die ihn am Leben erhält. Rock erweist sich als genialer, vielseitiger Ingenieur, wohingegen Grace mehr für die Theorie und wissenschaftliche Überlegungen zuständig ist. nachdem die beiden eine gemeinsame, auf Tönen basierte „Sprache“ gefunden haben, retten sie einander mehrmals das Leben und bringen die gemeinsame Mission voran. Dieser Aspekt unterscheidet das Buch von „Der Marsianer“.

Bemerkenswert finde ich, wie Rocky dargestellt ist: Er ist keineswegs der dem Weißen untergebene Bimbo, der nur dazu da ist, Befehle auszuführen und die Drecksarbeit zu erledigen, für die sich der Weiße zu schade ist. Ganz im Gegenteil kann Grace vielfach nicht umhin, Rocky dafür zu bewundern, dass ihm immer wieder geniale praktische Lösungen einfallen. Sie ermöglichen es beiden, sowohl am leben zu bleiben, als auch das Leben des jeweils anderen nicht zu gefährden. Ammoniak und 210° Grad Hitze sind für Grace ebenso tödlich wie der Unterdruck und die „Kälte“, die Graces Teil der „Hail Mary“ herrschen – und doch können sich beide das gleiche Raumschiff teilen. Es fehlt nicht an ironischen Seitenhieben und Untertönen. Aber das ist der Leser schon von „Der Marsianer“ gewohnt.

Die Übersetzung

Jürgen Langowski ist schon seit langen Jahren als Übersetzer für die Heyne SF-Reihe tätig. Rein sachlich, stilistisch und orthografisch ist er sehr kompetent. Aber auch ihm können mal Fipptehler unterlaufen. Aber musste er deshalb gleich drei Wörter weglassen?

S. 69: „befinde[t] ich mich hier ganz vorne im Schiff.“ Das T ist überflüssig.

S. 78: „Ich st[r]ecke den Kopf in den unteren Raum…“ Der Erzähler scheint einen ungewöhnlich flexiblen Kopf zu besitzen. Das R dürfte wohl überflüssig sein.

S. 117: „Wir haben vor, ein ein Raumschiff zu bauen“. Ein „ein“ reicht völlig.

S. 127: Es geht um den ominösen Petrowa-Strahl, der Sonnenenergie absaugt. „Theoretisch müsste jeder mit den Astrophagen infizierte Stern eine[n] haben.“ Das N fehlt.

S. 233: Hier fehlt ein Wort. „Solche Vorlieben sind sehr persönlich und unterscheiden [sich] stark [sehr] von Person zu Person.“ Das Wörtchen „sich“ fehlt und das Wörtchen „sehr“ ist m.E. überflüssig (und steht zudem an falscher Stelle).

S. 238: „Kurz [gesagt], ist unser menschliches Gehirn ein einziges Chaos.“ Auch hier fehlt ein Wort, damit der Satz einen Sinn ergibt. Ich halte das Wörtchen „gesagt“ für bestens geeignet, um die Lücke zu füllen.

S. 252: „krimin[i]elle Fahrlässigkeit“: „Kriminell“ ist schon schlimm genug, aber „kriminiell“ klingt richtig übel.

S. 257: „Sie brauchen zwei Billionen QuadratMETER…“ „Die Sahara ist neun Billionen QuadratKILOMETER groß.“ Die Wikipedia weiß es anders: „Diese Niveaufläche hat (…) eine Oberfläche von 510 Millionen km², wovon rund 71 % von Meeren bedeckt sind.“ Am besten, man bleibt bei den Billionen Quadratmetern, denn sonst passt die Erde mehrfach in die Sahara…

S. 322: Schon wieder fehlt ein Wort. „Es [ist] schon toll, dass mir die Hand einen Becher gibt…“ Das Wörtchen „ist“ fehlt.

S. 354: „RAID„: Dieser Begriff wird nicht erklärt. Die Abkürzung steht für „Redundant arrray of independent disks“. Gemeint sind also Festplatten. Trotzdem werden sie an dieser Stelle als „Speicher“ bezeichnet. Das könnte man leicht mit dem Haupt- bzw. Arbeitsspeicher verwechseln.

S. 418: „was passiert, wen[n] man die Taumöben auf einen anderen Planeten bringt?“ Ein N fehlt. Die Taumöben fressen Astrophagen. Sie sind daher prinzipiell nützlich. Wen nur nicht der eigene Treibstoff aus Astrophagen bestünde…

S. 437: „Stück für Stick abbremsen“. Diesen Stick lassen wir mal stecken.

Hinweis: EVA wird ebenfalls nirgendwo erklärt. Die Abkürzung steht für „Extravehicular Activity“, also schlicht und ergreifend für „Außenbordeinsatz„.

Unterm Strich

Ich habe mehrere Wochen gebraucht, um diesen Roman zu bewältigen. Das Buch, das dem „Marsianer“ in vielerlei Hinsicht ähnelt, ist zwar abwechslungsreich aufgebaut, aber man muss schon viel Interesse an Technik und Astronomie aufbringen, um auch Spaß an der zweigeteilten Geschichte zu empfinden. Wer mit Ammoniak und Heliosphären nichts anfangen, der sollte vielleicht die Finger davon lassen. Wer die wissenschaftliche Despotin Stratt hingegen „cool“ findet, der könnte Spaß an den zahlreichen Rückblenden, in den sie die Hauptfigur ist.

Jeder Leser würde erwarten, dass die Hauptfigur nicht nur sich selbst rettet, sondern auch gleich die ganze Welt. Der Autor setzt noch einen drauf und macht auch Graces neuen Freund vom Eridanus zu einem Weltretter. Darin liegt – soviel darf verraten – auch der Kern für die Rettung der beiden. Die „Hail Mary“ ist kein Himmelfahrtskommando, wenn Grace solche Freunde hat.

Mir war der Roman etwas zu lang, und in der Mitte empfand ich einen Durchhänger. Aber der Autor rackert sich redlich ab, den Leser mit immer neuen Ideen und Krisen zu unterhalten. Das Abenteuer nimmt einen unerwarteten, aber guten Ausgang, was mich sehr zufriedenstellte. Und dass die Beatles den stillen Soundtrack („With a little help from my friends“ oder „Come together“ usw.) liefern, bringt dem Roman einen Sympathiepunkt ein.

Taschenbuch: 557 Seiten
Originaltitel: Project Hail Mary
Aus dem Englischen von Jürgen Langowski.
ISBN-13: 9783453321342

www.heyne.de

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