Anja Reschke (HG.) – Und das ist erst der Anfang

Und das ist erst der Anfang: Deutschland und die Flüchtlinge

60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Ein kleiner Prozentsatz davon macht sich auf den gefährlichen Weg nach Europa. Einige werden mit Applaus am Bahnhof begrüßt, andere mit fremdenfeindlichen Parolen. Die aktuellen Ereignisse sind der Beginn einer nachhaltigen Veränderung unserer Gesellschaft, die aktiv und vorausschauend politisch und gesellschaftlich gestaltet werden muss.

Experten und Expertinnen informieren in diesem Buch über Fluchtursachen, die Wege der Flüchtlinge, die Situation in Deutschland und diskutieren die dringlichen Fragen: Warum kommen gerade jetzt so viele Flüchtlinge? Verändert sich dieses Land? Wie muss Europa auf die Herausforderung reagieren? Der Band gibt Orientierung und Hintergrundwissen zu einer Entwicklung, die wie keine andere die Politik und das Leben im 21. Jahrhundert prägen wird. (Verlagsinfo)

Inhalt und Eindrücke

Die Journalistin Anja Reschke, bekannt unter Anderem als Moderatorin des ARD-Magazins Panorama machte bereits im August 2015 mit einem provokanten Kommentar zu Wirtschaftsflüchtlingen in der ARD von sich reden. Das Thema „Flüchtlinge“ und die Auswirkungen von Einwanderung auf unsere Gesellschaft scheinen stark zu polarisieren: Hasskommentare im Internet neben gelebter Willkommenskultur, es vergeht kein Tag, an dem nicht in irgendeiner Gruppe darüber diskutiert wird. Allzu oft kommen dabei leider Stammtischparolen auf und es drängt sich der Eindruck auf, die Medien würden einseitig berichten. Aus dem Wunsch und Bedürfnis nach tiefergehenden Informationen zum Thema Migration habe ich das Buch von Anja Reschke gewählt. Sie fungiert hier als Herausgeberin und hat lediglich den einführenden Artikel verfasst. In „Und das ist erst der Anfang“ finden sich vielmehr 25 Beiträge von unterschiedlichen Autoren zu den Themen Fluchtursachen, Fluchtwege, Deutschland und Europa, Ausblick/ Perspektiven.

Folgende Autoren sind beteiligt:

Mohamed Amjahid, Stefan Buchen, Daniela Dahn, Pauline Endres de Oliveira, Naika Foroutan, Patrick Gensing, Gabriele Gillen, Kristin Helberg, Saskia Hödl, Jawad, Hasnain Kazim, Martin Lilkendey, Harald Löhlein, Norbert Mappes – Niediek, Peter Müller, Herfried Münkler, Bahman Nirumand, Jochen Oltmer, Bernd Parusel, Maximilian Popp, Heribert Prantel, Dusan Reljic, Anja Reschke, Simone Schmollack, Thomas Straubhaar und Ingo Werth.

Im Anhang findet sich eine Aufzählung der Autoren, in der jeweils in wenigen Sätzen kurz auf deren Hintergrund eingegangen wird. Von renommierten Journalisten und Autoren über Politikwissenschaftler und Professoren aus verschiedenen Herkunftsländern. Mindestens eines aber ist ihnen gemein – die Beschäftigung mit dem Thema Migration im weitesten Sinne. Die also zum Teil ganz unterschiedlichen Blickwinkel der kurzen Essays machen den Wert des Buches aus. Jedes Kapitel für sich ist lesenswert und schafft zum Teil denkwürdige Erkenntnisse über die Versäumnisse der Politik. Fundierte Hintergrundinformationen und interessante Zahlen aus seriösen Quellen öffnen die Augen und bringen den Leser wirklich ins Grübeln. Das Stichwort Neokolonialismus wird behandelt und erläutert auch die historische Verantwortung des Westens für die Flüchtlinge. Statt sich darauf zu konzentrieren und entsprechende Konsequenzen zu ziehen, widmen sich die westlichen Staaten unter Anderem aber oftmals eher der Kriminalisierung und Verfolgung der Schleuser oder arbeiten vermehrt daran, die „Festung“ Europas an den Außengrenzen mit Sicherheitszäunen immer mehr zu verbarrikadieren. Welche Herausforderungen die Arbeit der Initiative Seawatch.org tagtäglich mit sich bringt, berichtet Gründungsmitglied Ingo Werth. Auch das Thema sexuelle Gewalt wird behandelt, Probleme, die etwa durch mangelnde Privatsphäre in Sammelunterkünften begünstigt werden und der große Bedarf an entsprechenden Hilfsangeboten für Frauen werden aufgezeigt.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die oft von ihren Eltern in der Hoffnung auf eine Perspektive geschickt werden, sind ein weiteres Thema des Buches.

Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaft in Berlin, geht in seinem Beitrag „Die Satten und die Hungrigen“ nicht nur auf die lange Geschichte der Migration ein. Furcht und Feindlichkeit Fremden gegenüber sind laut Münkler nicht neu und er ermahnt zur freundlichen Aufnahme der Migranten, um deren Leistungsbereitschaft zuverlässig freizusetzen und auf eine gelungene Integration hinzuarbeiten. Nicht nur in diesem Beitrag halten die Quellenangaben eine Vielzahl weiterführender Literaturhinweise bereit. Wer nach der absolut informativen Lektüre also noch nicht „gesättigt“ ist, bekommt hier weitere Anregungen.

Im Mittelteil des broschierten Buches finden wir eine Reihe von Hochglanzfotografien. Es handelt sich um Flüchtlinge aus verschiedenen Herkunftsländern, deren Geschichten zum Teil in kurzen Berichten ab Seite 275 erzählt werden. Eine schöne Idee zur Auflockerung des Buches und wichtig, um sich zumindest eines in Erinnerung zu rufen: bei allen Flüchtlingen handelt es sich um Menschen. Bei aller Diskussion und Kritik bleibt diese Tatsache oftmals auf der Strecke und ich denke es hilft ungemein, einigen dieser Menschen „ein Gesicht zu geben“, indem man exemplarisch ihre persönliche Geschichte erzählt.

Fazit:

Seit dem Erscheinen des Buches im Dezember 2015 sind die Zuwanderungszahlen nicht nennenswert zurückgegangen und etwa die Ereignisse in Köln aus der Silvesternacht haben in ganz Deutschland vielfältige Diskussionen entfacht. Egal, welche Position Sie zu diesen Themen selber bekleiden: Grundvoraussetzung für Meinungsbildung und sachliche Diskussionen sollte immer fundierte Information sein. So unterschiedlich die Hintergründe der einzelnen Autoren dieses Buches sind, desto vielschichtiger und interessanter sind auch deren Blickwinkel auf Flüchtlinge und Migration. Historische Hintergründe werden beleuchtet und bringen Erklärungen und so manchen Denkanstoß mit sich. Auch aktuelle politische Entwicklungen wie etwa die Tendenz in die rechte Richtung werden in den Artikeln sachlich beleuchtet und liefern wiederum Argumente für Diskussionen. Die Zahlen und Fakten, auf denen die einzelnen Artikel beruhen, sind fundiert und anhand der angegebenen Quellen nachvollziehbar.

In unserer Gesellschaft sollte es selbstverständlich sein, sachliche Kritik und vorhandene Ängste äußern zu dürfen. Im Allgemeinen machen mir momentan aber eher die undifferenzierten Stammtischparolen Sorgen, die in so vielen Gruppen aufkommen und laut werden. Ich kann nur dazu raten, sich durch die Lektüre (u. a.) dieses Buches Hintergrundwissen aufzubauen und Aspekte von verschiedenen Seiten zu betrachten! Und damit nicht genug: Mit dem Kauf des Buches unterstützen Sie auch gleichzeitig die Flüchtlingshilfe – der Rowohlt-Verlag spendet für jedes verkaufte Exemplar einen Euro an ein Projekt in Reinbek bei Hamburg und setzt damit ein gutes Zeichen!

Broschiert: 336 Seiten
ISBN-13: 978-3499631849

www.rowohlt.de

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