David Baldacci – Im Bruchteil der Sekunde . Ein King & Maxwell-Thriller (Lesung)

„Sean King ist Agent des Secret Service und soll einen Präsidentschaftskandidaten schützen. Doch im entscheidenden Moment versagt er. Sein Schützling wird vor seinen Augen erschossen. – Acht Jahre später: Die junge Agentin Michelle Maxwell in ihrem ersten großen Einsatz. Auch ihr Auftrag ist der Schutz eines Kandidaten. Auch sie lässt sich täuschen. Doch sie sieht noch eine Chance – Sean King. Denn solche Dinge geschehen nicht zweimal. Nicht aus Zufall!“ (Verlagsinfo)

Der Autor

David Baldacci ist der Verfasser u. a. von „Der Präsident“, das Clint Eastwood unter dem Titel „Absolute Power“ verfilmt hat. Der frühere Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist lebt in Virginia, USA, in der Nähe von Washington, D.C. Weitere Baldacci-Hörfassungen bei |Lübbe|: „Das Labyrinth“, „Der Abgrund“, „Die Versuchung“, „Das Versprechen“, „Die Verschwörung“ und „Die Wahrheit“, „Das Geschenk“.

Die Sprecherin

Franziska Pigulla, die deutsche Stimme von Akte-X-Star Gillian Anderson („Scully“) und Demi Moore, hat bereits u. a. mit Joachim Kerzel Ken Folletts Hörbuch „Die Leopardin“ und Stephen Kings „Das Mädchen“ gesprochen. Während ihrer Schauspielausbildung in Berlin trat sie als Sprecherin im Hörfunk hervor. Inzwischen ist sie auch bei der Wissenschaftssendung „Galileo“ regelmäßig als Kommentatorin der Berichte zu hören.

Ihre Tonaufnahme ist von erstaunlicher Präsenz und sehr klar. Sie verfügt über ein beeindruckendes Gespür für Dramatik: Ganz gleich, ob sie sanft und weich Liebeserklärungen haucht, mit knurrendem Grollen droht oder mit größter Lautstärke Befehle oder Flüche brüllt – stets kommt sie völlig glaubwürdig und lebendig herüber.

Die Hörbuchfassung wurde von Dr. Arno Hoven gekürzt und redigiert.

Handlung

26. September 1996: Sean King, Agent des Secret Service, ist mal wieder für den Personenschutz eingeteilt. Diesmal ist es seine Aufgabe, den Präsidentschaftskandidaten Clyde Ritter vor möglichen Anschlägen zu schützen. Deshalb hält er sich mit seinem Team stets in unmittelbarer Nähe seines Schutzbefohlenen auf.

Dennoch lenkt ihn für wenige Sekunden ein bestimmter Anblick ab. Es muss ein ziemlich bemerkenswerter Anblick sein, vielleicht auch ein Geräusch – in seiner Erinnerung ist das inzwischen alles miteinander verschmolzen. Doch wir erfahren perfiderweise lange Zeit nicht, was es eigentlich ist.

Ein Knall ertönt, sein Mittelfinger wird weggeschossen, Clyde Ritter stürzt, ins Herz getroffen, Panik bricht unter den jubelnden Anhängern im Saal des |Fairmount Hotel| aus. Der Todesschütze steht Sean King hilflos, irgendwie überrascht gegenüber, und King hat keine andere Wahl, als den Mann mit einem gezielten Schuss ins Jenseits zu befördern. In diesem Moment stirbt auch in Sean King etwas. Er hat versagt, im entscheidenden Augenblick.

Acht Jahre später findet in Virginia eine ganz andere Szene statt, die zu einem ähnlichen Ausgang führt. Wieder ist ein Mitglied des Secret Service involviert: Michelle Maxwell, eine attraktive Frau Anfang dreißig, leitet den Einsatz, um den Besuch des Präsidentschaftskandidaten John Bruno bei der Bestattung seines Freundes Bill Martin zu sichern. Der sozialdarwinistisch eingestellte Anwalt und ehemalige Fernsehprediger hat viele Feinde.

Es geht ihr daher mächtig gegen den Strich, dass er die Leichenhalle ganz allein besuchen möchte, um mit der Witwe ein privates Gespräch zu führen. Nach einer gründlichen Durchsuchung der Leichenhalle gibt Michelle widerwillig ihr Okay. Als die Minuten verstreichen, ohne dass Bruno wieder auftaucht, wird Michelle sehr nervös. Als sie den Saal betritt, liegt Bruno tot auf dem Boden, wie es scheint, und von der Witwe findet sich keine Spur. Auch mit dem Sarg scheint etwas nicht zu stimmen …

Wenig später erhält Sean Kings Anwaltskanzlei in Rydesburg, Virginia, ungebetenen Besuch. Doch da sich King auf seinem allwöchentlichen Einsatz als Hilfspolizist befindet, bekommt er nichts davon mit. Erst als King, der morgens im TV von dem Zwischenfall mit John Bruno erfahren hat, seine Kanzlei betritt, bemerkt er den Toten: Howard Jennings arbeitete für ihn. Doch was King nicht hätte wissen sollen, aber ahnte, macht die Sache brisant: Jennings war im Zeugenschutzprogramm des FBI. Wer also hat seinen Aufenthaltsort verraten? For Deputy Marshal Parks ist der Fall klar: King muss darin verwickelt sein.

Wenig später erfährt Michelle von dem Mord an Jennings und findet, dass die Sache sehr merkwürdig ist. Ihr fallen die Parallelen zwischen dem Mord an Clyde Ritter und dem Anschlag auf John Bruno auf. Obwohl sie von ihrem wütenden Chef Bishop beurlaubt worden ist, stellt sie auf eigene Faust Ermittlungen an. Als sie das Überwachungsvideo von dem Mord an Ritter sieht, fällt ihr auf, dass Agent King seinerzeit durch ein seltsames Geräusch abgelenkt worden war: ein PING, wie man es von einer sich öffnenden Fahrstuhltür kennt. Wer kam damals aus dem Fahrstuhl?

Sie beschließt, sich an King zu wenden, um mit ihm die beiden möglicherweise zusammenhängenden Anschläge aufzuklären und ihrer beider Namen reinzuwaschen sowie die Verbrechen aufzuklären. Unterdessen hat King alle Hände voll zu tun, die amourösen Annäherungsversuche seiner füheren Kollegin Joan Dillinger abzuwehren. Sie legt sich doch tatsächlich halb entkleidet auf seinen Frühstückstisch …

Mein Eindruck

Wie schon „Der Abgrund“ ist auch „Im Bruchteil der Sekunde“ ein Thriller über die Leute, die sich von Amts wegen um den Schutz von wichtigen Leuten oder um deren Befreiung kümmern. In „Der Abgrund“ war es der Angehörige eines Geiselbefreiungsteams des FBI, in „Sekunde“ sind es zwei Secret-Service-Agenten, die von Unbekannten als unfähig bloßgestellt werden. Und wie Michelle Maxwell richtig erkannt hat, gibt es mehrere Verbindungen zwischen den Fällen Clyde Ritter, Howard Jennings und John Bruno. Wie sich der erfahrene Leser leicht zusammenreimen kann, steckt eine groß angelegte Verschwörung dahinter. Deren Zweck ist ziemlich eindeutig: Vergeltung. Doch wofür?

Eine der Schlüsselfiguren ist der Mann, der Clyde Ritter erschoss. Der College-Professor Arnold Ramsey war Politologe an einem unbedeutenden College in der Provinz, dabei hatte er einen guten Uni-Berkeley-Abschluss. Wie sich nach längeren Nachforschungen zeigt, war Ramsey politisch engagiert und demonstrierte 1974 in Washington, D.C., gegen Nixon (der Vietnamkrieg endete 1973, aber Nixon stürzte über die Watergate-Affäre). Und in dieser Zeit, die 30 Jahre zurückliegt, befindet sich der Schlüssel zu der Verschwörung. Da sind sich Sean King und Michelle Maxwell zunehmend sicher.

Im Labyrinth der Verschwörer

Bis aber der Drahtzieher gefunden ist, vergehen schier unendlich lange Kapitel, in denen sich ein rätselhafter Zwischenfall an den nächsten reiht, so dass es den beiden Berufskollegen schwer fällt, zwischenmenschliche Gefühle zueinander aufzubauen. Ständig werden sie schikaniert, eingeschüchtert, verfolgt, überwacht, entführt, wieder befreit, so dass sich der Hörer allmählich fragt, wohin das alles denn führen soll.

Dieser Zickzackkurs dient dazu, zahlreiche Spuren aufzudecken und Zusammenhänge herzustellen. Die Verschwörung ist – allein schon wegen des 30 Jahre umfassenden Zeitraums – derartig gut versteckt, dass erst nach langen Ermittlungen für King feststeht, wer dahinter stecken muss. Und natürlich werden King und Maxwell auf falsche Fährten gelockt und von falschen Identitäten getäuscht – der reinste Informationsdschungel. Wenn man lange genug nachgraben würde, könnte man vermutlich den einen oder anderen Logikfehler zutage fördern. Dieses unterschwellige Gefühl der Unsicherheit, ob das alles so hinhaut, trug ebenfalls zu meinem Frust bei.

Irgendwas ist immer

King wundert sich mehrmals, warum man ihn noch nicht verhaftet hat – wir auch. Schließlich hat er einen Toten in seinem Büro und die vermisste Tatwaffe von Arnold Ramsey seit neuestem in seiner Verwahrung. Nun, wenigstens wird sein Haus abgefackelt und er selbst hurtig von Finsterlingen entführt. Das ist doch schon mal was. Es ist immer was los.

Auch das Finale ist nicht von schlechten Eltern. Der Schurke inszeniert jenen verhängnisvollen 26. September 1996 noch einmal. Nur setzt dieser „begnadete“ Regisseur diesmal eine etwas andere und reichlich bunt zusammengewürfelte Truppe ein, um Sean King sein damaliges Versagen mit absolut tödlicher Konsequenz deutlich zu machen. Es ist eine Exekution von höchster Raffinesse.

Ein langer Weg zum Ziel

„It’s a long road to Tipperary“, sangen die irischen Soldaten, wenn sie aus einem der vielen Kolonialkriege ihrer englischen Eroberer nach Hause trotteten. Die irische Stadt liegt auf einem lange sacht ansteigenden Hügel, und man braucht zu Fuß fast eine Ewigkeit, um den Gipfel zu erreichen.

So ähnlich erging es mir mit diesem Hörbuch. Selbst noch in der gekürzten Fassung wollten die undurchsichtigen Verwircklungen, in denen sich Michelle und King gefangen sehen, kaum ein Ende nehmen. (Ich behielt den Überblick für die obige Zusammenfassung nur durch meine Notizen, die ich mir standardmäßig bei einem Hörbuch mache.)

Schließlich war ich froh, dass das Finale mit einer gehörigen Portion Action zu den entsprechenden Entscheidungen führte, wer überlebt und wer nicht. Ich verrate natürlich nicht, ob die Guten davonkommen oder nicht und welcher der Bösewichte ins Gras beißen muss. Aber es ist interessant, wie der Autor seine Entscheidungen verteilt hat, wenn er Schicksal spielt.

Die Sprecherin

Franziska Pigulla, die Synchronstimme von Gillian Anderson, verleiht den Figuren eine ziemlich unverwechselbare Charakteristik. Sie lassen sich relativ leicht auseinanderhalten. Das ist bei einer so großen Riege von Figuren auch dringend notwendig. Am besten gelingen ihr Frauen, die ein wenig vom Durchschnitt abweichen, so etwa die alte Gin-Säuferin Millie Martin (hat sie ihren Mann umgebracht oder nicht?) und die scheinbar einfache Putzfrau Loretta Baldwin, die sich nebenberuflich als Erpresserin betätigt. Jedenfalls bis zu ihrem vorzeitigen Ableben.

Pigulla erhält Gelegenheit, ihren gesamten Stimmumfang einzusetzen, und das schließt auch die Lautstärke mit ein. Gerade beim Showdown im Hotelsaal wird ordentlich geschrien, und wenn’s bloß „In Deckung!“ ist. Den Lärm der Schüsse – so eine .357er verursacht in der Realität (im Film nie!) ein irres Getöse – muss man sich dazudenken. Auch das Tempo wird von der Sprecherin feinfühlig reguliert, mal schnell bei Action, mal langsam bei einem intensiven zwischenmenschlichen Kontakt.

Es ist immer schön festzustellen, dass ein Sprecher seinen Vortrag geübt hat. Man kann zwar mit Recht annehmen, dass Versprecher und Patzer an der Tagesordnung sind und sofort rausgeschnitten werden, aber das ist nur die halbe Miete. Wenn die Betonung eines Satzes nicht hinhaut – war das jetzt eine Frage oder eine Feststellung? – oder eine Satzeinheit nicht richtig betont wird, so verunsichert das den Hörer. Und zusätzlich zu der Komplexität der Handlung erhöht dies nur den Frust. Das verhindert Pigulla durch ihren erstklassigen Vortrag.

Unterm Strich

Ich fand das erste Drittel recht spannend, das actionreiche Finale steigerte diese Spannung und belohnte das lange Warten. Doch in der Mitte muss der Hörer eine lange Durststrecke überwinden. Es ist zwar, wie gesagt, immer was los, auch Verschnaufpausen verleihen der Handlung einen gewissen Rhythmus. Doch was so viel Mühe bereitet, ist die Vielzahl an Spuren, welche die beiden Hauptfiguren abklappern müssen, um der Verschwörung auf den Grund zu gehen. Gute Idee also, wenn man sich Notizen macht, um den Überblick zu behalten.

Humor habe ich meistens vergeblich gesucht, und es ist einigermaßen bemerkenswert, dass vor allem die Frauen dafür zuständig sind. Sean King als gebrochener Charakter ist eh nicht so der Wonneproppen, und die Frauen kümmern sich der Reihe nach liebevoll um den geknickten Kämpen. Man könnte glatt den Glauben an die Menschheit zurückgewinnen. Sean King zumindest fällt dies äußerst schwer. Offenbar hat die Verschwörung auf ihn abgefärbt und er sieht hinter jeder liebevollen Geste einen versteckten Anschlag. Selbst Joan Dillinger auf dem Präsentierteller kann ihn nicht vom Gegenteil überzeugen. Recht hat der Mann. Vielleicht einmal zu oft.

Die Sprecherin

Franziska Pigulla hat mich wieder einmal von ihren Sprecherfähigkeiten überzeugt. Sie haucht der Handlung und den Figuren Leben ein, kann allerdings nur wenig gegen die strukturellen Schwächen der Story ausrichten. Es bleibt ein Verschwörungsthriller nach Schema F. Der Preis dürfte deshalb auch nicht höher sein.

CD: 468 Minuten
Originaltitel: Split Second, 2003
Aus dem US-Englischen von Till R. Lohmeyer und Christel Rost.
ISBN-13: 978-3785713921.

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