Brian Keene – Tief begraben

Inhalt:

Tief begraben (Entombed, 2011), S. 7-196: Als in New York City untote Ratten aus der Kanalisation krochen und über die entsetzten Bürger herfielen, waren die Tage der Menschheit gezählt. „Hamelns Rache“ oder „Rattenfängerseuche“ nannte man die seltsame Krankheit, die nicht nur Menschen, sondern auch Tiere in Zombies verwandelte, die auf der Jagd nach frischem Fleisch bald die gesamte Erde verheerten.

Im US-Staat West Virginia konnte eine Handvoll noch lebendiger Menschen in einen Museumsbunker flüchten, der während des Kalten Krieges gebaut wurde. Hinter dicken Betonwänden und Stahltüren ist man zwar vor den Untoten sicher. Allerdings gibt es dort unten keine Lebensmittel. Da die Untoten sämtliche Ausgänge belagern, drohen die Überlebenden zu verhungern.

Nach einigen Wochen ist es soweit: Der selbst ernannte Anführer Chuck beschließt, einen der ihren zum Wohle der übrigen schlachten zu lassen. Freilich will Museumsführer Pete, den es treffen soll, sich seinem Schicksal keineswegs fügen. Da Appelle an die Vernunft nichts fruchten, beginnt im Gewirr der Bunkergänge und -kammern eine grausige Verfolgungsjagd, die rasch an Dynamik und Gewalt zunimmt. Pete erweist sich unerwartet als harter Gegner, zumal er allmählich Geschmack am Überlebenskampf entwickelt und sich zum begeisterten Serienkiller mausert.

Im Tal der verrückten Bären (An Occurrence in Crazy Bear Valley, 2010/12), S. 201-283: Im Wilden Westen nistet sich eine Bande flüchtiger Banditen in einem Holzfällerlager ein, wo sie in der Nacht Besuch von riesigen, dicht behaarten und keineswegs dummen Waldbewohnern bekommen.

Die vergessene Schlucht der Verdammten (The Lost Canyon of the Damned, 2010/12), S. 285-313: Wiederum im Wilden Westen flüchtet eine kleine Gruppe vor Zombies durch die Wüste. Als man auf ein grünes Tal stößt, fühlt man sich gerettet, bis unverhofft ebenfalls ungemein hungrige Dinosaurier auftauchen.

Unverhofft kommt schrecklich/oft

Vermutlich ist der selbst Plan, nur jene seit dem Millennium erschienenen Romane und Storys aufzulisten, in denen die Menschheit von Zombies dezimiert und belauert wird, ebenso sinnvoll wie der Versuch, Sandkörner an einem Strand zu zählen. Der Vergleich ist auch deshalb gut, weil Zombie-Attacken sich in der Beschreibung wie Sandkörner ungemein ähneln: Die Untoten kommen – meist nach einer ominösen ‚Seuche – aus dem Grab zurück, vermehren sich durch Bisse, fressen die Lebenden und terrorisieren die Überlebenden, die gleichzeitig gegen selbsternannte ‚Führer‘ und ihre Schergen kämpfen, die in der regierungs- und rechtlos gewordenen Welt private Kleinkönigtümer errichten wollen.

Auch Brian Keene hält sich in „Tief begraben“ an diese Vorgaben – grob zumindest, denn in einem Punkt geht er einen Schritt weiter: Sobald die Zombies ihren Auftritt hatten und die Bunkertür sich hinter den Überlebenden geschlossen hat, werden die Untoten buchstäblich aus dem Geschehen eliminiert. Man erwartet als Leser, dass sich irgendwann irgendwo eine übersehene Klappe auftut und daraufhin Zombies durch den Bunker tappen. Doch sie bleiben außen vor.

Stattdessen konzentriert Keene sich auf die Flüchtlinge, die vom Regen in die Traufe geraten sind: Vor den Untoten sind sie zwar sicher, nicht aber vor den Mitmenschen, die in der Krise wesentlich gefährlicher als jeder Zombie werden. Während diese den Verstand verloren haben und nur vom Instinkt zum Töten und Fressen getrieben werden, schreiten die Menschen im Bunker planvoll zu ihren mörderischen Taten.

Die Unterschiede verwischen sich

„Entombed“ nannte Keene seinen Kurzroman. Zur angenehmen Abwechslung übernimmt die deutsche Übersetzung das darin enthaltene Wortspiel: „Tief begraben“ sind nicht die (Un-) Toten, die sich aus der Erde wühlen müssen, sondern die Überlebenden, die quasi den umgekehrten Weg gegangen sind. In dem Bunker, der ihnen einerseits Schutz bietet, haben sie sich andererseits selbst begraben.

Die Türen bleiben geschlossen. Isolation, Hoffnungslosigkeit aufgrund der Erkenntnis, dass Rettung nicht kommen wird, die Abwesenheit von frischer Luft und Tageslicht sowie nagender Hunger: Der Bunker wird zur isolierten Petrischale, in der sich die Insassen allein auf sich selbst konzentrieren können.

Keene steigt zu einem Zeitpunkt in die Haupthandlung ein, als die Solidarität der Anfangszeit dem nackten Überlebenswillen zu weichen beginnt. Jede und jeder ist sich selbst die und der Nächste. Die soziale Evolution entlarvt sich als Produkt günstiger Lebensumstände und löst sich in der Krise auf. Aus der Gruppe wird die Rotte, die sich um einen ‚starken Mann‘ als Anführer versammelt. Das Individuum – hier verkörpert durch Pete – wird zum Außenseiter und damit zum Objekt der Begierde.

Der Rückschritt zum Höhlenmenschen macht freilich auch vor Pete nicht Halt. Er entdeckt eine andere Art von Ur- oder Unmensch in sich. Selbst als Pete seine unmittelbaren Feinde erledigt hat, kann und will er nicht mehr aufhören zu morden. Als er sich einmal zufällig im Spiegel sieht, kann er keinen Unterschied mehr zwischen sich und einem Zombie entdecken. Der Mensch ist zur Bestie geworden, und diesen Weg geht Pete konsequent bis zum Ende, das Keene ausspart, obwohl der Leser sich denken kann, was geschehen wird.

Ganz nach unten

Die Kürze des Romans kommt der Handlung deutlich zugute. Keene neigt in seinen längeren Werken zu ärgerlichen Abschweifungen. Vor allem schwelgt er gern und geschwätzig in ebenso ausführlichen wie für das Geschehen unnötigen Figurenbiografien. Hier beschränkt und konzentriert er sich auf Pete als Hauptfigur. Dessen Flucht und allmählichen Weg in den Wahnsinn schildert Keene anschaulich und gut getimt. Es gibt keinen großen Bruch. Stattdessen stürzt Pete von Klippe zu Klippe und immer tiefer. Angst und Hunger setzt Keene geschickt als treibende Kräfte ein.

Pete ist dem Verfasser so anschaulich gelungen, dass die übrigen Figuren im Vergleich profilflach bleiben. Vor allem Chuck ist der typische Möchtegern-Diktator-Schrägstrich-Haremswächter, der seinem bisher ereignis- und machtlosen Leben einen anarchischen Neustart erzwingen will.

Auch die Jagd durch den Bunker bietet keine neuen = originellen Elemente, wird aber zügig und spannend in Szene gesetzt. Keene scheut vor drastischen Effekten nicht zurück, die aber nicht Selbstzweck sind, sondern den Verfall sinnvoll unterstreichen. „Tief unten“ ist damit eindeutig eines der besseren Keene-Werke.

Böse Überraschungen für Pech- & Galgenvögel

Da „Tief unten“ nur 200 Druckseiten füllt, werden dem Leser zusätzlich zwei Kurzgeschichten präsentiert: eine angenehme Überraschung, zumal sich bestätigt, dass der ‚kurze‘ Keene sich diszipliniert auf sein Thema konzentriert und dabei selbst Trash in solide Unterhaltung verwandelt.

Der Originaltitel von „Im Tal der verrückten Bären“ ist eine Reminiszenz an die klassische, immer wieder in Anthologien abgedruckte Grusel- und Mystery-Story „An Occurrence at Owl Creek Bridge“, die Ambrose Bierce (1842-1913/14) im Jahre 1890 erstmals veröffentlichte. Allerdings existiert weder inhaltlich noch formal ein Zusammenhang; Keene begreift den Titel wohl vor allem als Gag.

Mit Vorsicht sollte man (wie üblich) den Hinweis genießen, dass diese Story auf einer „wahren Geschichte“ basiert. Der Autor bekräftigt dies in einem Nachwort, ohne ins Detail zu gehen, was bereits nach kurzer Eigenrecherche nicht wundert: Angeblich haben Goldgräber, die unweit des Vulkans Mount St. Helens im US-Staat Washington schürften, im Sommer 1924 einen „Bigfoot“ – auch „Sasquatch“ genannt – erschossen, worauf das Lager in der kommenden Nacht von wütenden Gefährten der Kreatur belagert und attackiert wurde; eine zentrale, von Krypto-Zoologen (sowie Spinnern), die nicht nur den Bigfoot, sondern auch den Yeti oder das Ungeheuer von Loch Ness für real halten, immer wieder zitierte (und dabei nach Belieben ausgeschmückte) Legende.

„Die vergessene Schlucht der Verdammten“ ist reiner, fröhlicher, wunderbarer Mumpitz. Keene schildert in einem Nachwort, dass genau dies von ihm verlangt wurde. Er lieferte eine kunterbunte Horror-Fantasy-Mystery-Story, die den Leser über das abrupte Ende trauern lässt: Dies ist ein Stoff, der eine romanlange Ausgestaltung vertragen könnte, aber auf jeden Fall das gelungene Finale einer kleinen, feinen, gut übersetzten Sammlung vergnüglicher Garne, die Brian Keene von seiner besten Seite zeigen.

Autor

Brian Keene (geboren 1967) wuchs in den US-Staaten Pennsylvania und West Virginia auf; viele seiner Romane und Geschichten spielen hier und profitieren von seiner Ortkenntnis. Nach der High School ging Keene zur U.S. Navy, wo er als Radiomoderator diente. Nach Ende seiner Dienstzeit versuchte er sich – keine Biografie eines Schriftstellers kommt anscheinend ohne diese Irrfahrt aus – u. a. als Truckfahrer, Dockarbeiter, Diskjockey, Handelsvertreter, Wachmann usw., bevor er als Schriftsteller im Bereich der Phantastik erfolgreich wurde.

Schon für seinen ersten Roman – „The Rising“ (2003), ein schwungvoll-rabiates Zombie-Garn – wurde Keene mit einem „Bram Stoker Award“ ausgezeichnet. Ein erstes Mal hatte er diesen Preis schon zwei Jahre zuvor für das Sachbuch „Jobs In Hell“ erhalten. Für seine Romane und Kurzgeschichten, ist Keene seitdem noch mehrfach prämiert worden. Sein ohnehin hoher Ausstoß nimmt immer noch zu. Darüber hinaus liefert er Scripts für Comics nach seinen Werken. Außerdem ist Keene in der Horror-Fanszene sehr aktiv. Sein Blog „Hail Saten“ gilt als bester seiner Art; die Einträge wurden in bisher drei Bänden in Buchform veröffentlicht.

Brian Keene hat natürlich eine Website, die sehr ausführlich über sein Werk und seine Auftritte auf Lesereisen informiert. Über den Privatmann erfährt man allerdings nichts; es gibt nicht einmal die obligatorische Kurzbiografie.

Taschenbuch: 317 Seiten
Originalausgabe = dt. Erstausgabe
Übersetzung: Michael Krug
Cover: Clinton Lofthouse
www.festa-verlag.de

eBook: 616 KB
ISBN-13: 978-3-86552-313-6
www.festa-verlag.de

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