Tad Williams – Otherland 2: Fluss aus blauem Feuer (Hörspiel)

Käptn Fledderjans Attacke auf den Eisschrank

Das Hörspiel um die virtuelle Welt „Otherland“ geht in die zweite Runde. Der Hessische Rundfunk (hr2) hat es in Zusammenarbeit mit dem Münchner |Hörverlag| produziert. Regisseur und Hörspielbearbeiter Walter Adler ist ein alter Kämpe dieses Metiers und konnte die Crème de la Crème der deutschen Bühnenschauspielergeneration vors Mikro holen, von Rufus Beck und Dietmar Mues bis Nina Hoss und Sophie Rois. Aber ist das Ergebnis der Mühen auch spannend und unterhaltsam? Mal sehen …

Der Autor

Tad Williams, 1957 in San José geboren, hat sowohl mit dem Osten-Ard-Zyklus, seiner Antwort auf Tolkiens „Herr der Ringe“, als auch mit seinem Otherland-Zyklus Millionen von Lesern gewonnen. Davor schrieb er aber schon kleinere Werke wie etwa „Die Stimme der Finsternis“ und „Die Insel des Magiers“. Sein erster Bestseller hieß „Traumjäger und Goldpfote“. Sein Hauptwerk ist die vierbändige „Otherland“-Saga, sein vorletzter Roman trägt den Titel „Der Blumenkrieg“ danach kam letztes Jahr „Shadowmarch“. Fast alle seine Bücher wurden bei |Klett-Cotta| verlegt. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von San Francisco.

Rezensionen bei Buchwurm.org:

Otherland-Zyklus

Otherland
Fluss aus blauem Feuer (Otherland 2)
Berg aus schwarzem Glas (Otherland 3)
Meer des silbernen Lichts (Otherland 4)
Der glücklichste tote Junge der Welt (Otherland 5)

Der Blumenkrieg
Die Stimme der Finsternis
Die Insel des Magiers
Die Drachen der Tinkerfarm

Osten-Ard-Zyklus

1) Der Drachenbeinthron
2) Der Abschiedsstein
3) Die Nornenkönigin
4) Der Engelsturm
5) Der brennende Mann

Die wichtigsten Sprecher / Produktion

Sophie Rois spricht Renie Sulaweyo (s. u.)
Ulrich Matthes spricht Erzähler Nr. 4 (von 6)
Nina Hoss spricht Erzählerin Nr. 2
Sylvester Groth spricht Paul Jonas (s. u.)
Hans Peter Hallwachs spricht Erzähler Nr. 1
Ernst Jacobi spricht Patrick Sellars (s. u.)
Matthias Habich spricht Osiris, den Chef der Bruderschaft sowie den Alten Mann (s.u.)
Andreas Fröhlich: spricht den Nachrichtensprecher beim Undergroundsender „Netfeed“.

Die meisten dieser Sprecher sind dem deutschen Publikum aus TV- und Kinofilmen bekannt, viele lediglich als Synchronsprecher, wie etwa Joachim Kerzel. Es würde zu weit führen, sie alle einzeln vorzustellen. An die 250 Sprechrollen sind zu besetzen gewesen, vierzehn der Sprecher werden im Booklet zum 3. Teil (CD 5+6) genauer vorgestellt. Dabei stellt man erfreut fest, dass auch die beiden jüngsten Sprecher, die erst 12 Jahre alt sind, eine angemessene Darstellung erhalten, die genauso umfangreich ist wie die der „alten Hasen“.

Produziert hat das gesamte Hörspiel von 24 Stunden Umfang der Hessische Rundfunk – gut angelegte Steuergelder, wie ich meine. Der Regisseur Walter Adler und der Komponist Pierre Oser sollen eingehender vorgestellt werden.

Walter Adler

… ist einer der bekanntesten Hörspielregisseure hierzulande. 1947 geboren, besuchte er die Schauspielschule in Bochum und arbeitete als Regieassistent beim Hörspiel des SWF Baden-Baden. Seit 1971 ist er freier Autor und Regisseur. Er hat am Schauspiel Frankfurt/M., Schauspiel Köln und dem Düsseldorfer Schauspielhaus Regie geführt und bis heute sage und schreibe über 200 Hörspiele inszeniert. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter 1976 mit dem traditionsreichen Hörspielpreis der Kriegsblinden für „Centropolis“. Mit dem Hessischen Rundfunk hat er 1995 den ersten Radiotag realisiert: eine 16-stündige Sendung von W. Kempowskis „Der Krieg geht zu Ende“. Adler lebt in Köln. In den Booklets sind mehrere Fotos von ihm abgedruckt.

Von Pierre Oser

… stammt die Musik zum „Otherland“-Hörspiel. Er lebt und arbeitet als Komponist, Musiker und Produzent in München. Der Schwerpunkt seines Schaffens liegt dabei in den Bereichen Spielfilm – v. a. auf Werken aus der Stummfilmzeit – sowie Dokumentar- und Experimentalfilm. Außerdem komponiert er Stücke für Theaterstücke wie „Merlin“ von Tankred Dorst und war Gründer und Leiter des Tympano Hörbuch-Verlags in München. Gemeinsam mit Walter Adler realisierte er zahlreiche Hörspiele, u.a. „Radio Romance“ von Garrison Keillor (SDR/WDR 1998), „Esau“ von Philip Kerr (BR 1999), „Caruso singt nicht mehr“ von Anne Chaplet (BR 2003) und zuletzt [„20.000 Meilen unter den Meeren“ 518 von Jules Verne (MDR 2003).

FIGUREN

Im Folgenden liste ich die wichtigsten Figuren des Buches und Hörspiels auf. Die Informationen sind der Website http://www.tadwilliams.de entnommen. Nicht alle Figuren sind bereits in Band 1 aufgetreten, so etwa Olga Pirofsky und Calliope Skouros.

|Herr Sellars|

Patrick Sellars ist ein sonderbarer Mann in einem Rollstuhl. Er verlässt nie das Haus, aber er weiß mehr über Otherland als andere. Er erzählt Geschichten. Er isst Seife. Und er hält das Schicksal der Menschheit in seinen Händen. Seine beste Freundin ist die kleine Christabel.

|Orlando|

Orlando Gardiner ist der unbezwingbare Barbar „Thargor“, ein richtiger CONAN-Typ. Er ist ein schwerkranker Junge, der unter Progerie leidet: vorzeitiger Alterung des Körpers. Er ist der größte unter den Netboys, die je im VR gekämpft haben, aber in seinem Zimmer kann er kaum vom Bett zur Tür gehen. Und er wurde für ein Abenteuer auserwählt, das nur er allein bestehen kann – wenn er lange genug lebt. Im Netz ist sein treuer Gefährte „Pitlith“, über den er allerdings Überraschendes herausfindet. „Pitlith“ ist ein Mädchen namens Salome Fredericks. Ihr Agent Ramsay kann Kontakt mit Orlandos Agent Beezle (s. u.) aufnehmen.

|Felix Jongleur|

Felix Jongleur ist unermesslich reich und mächtig. So konnte er sich die besten Köpfe kaufen, die ihm die VR-Welt |Otherland| bauen. Dort wird er in einem neuen virtuellen Körper ewig leben können – so meint er. Er würde alles und jeden opfern, um sein Lebenswerk zu vollenden: das Gralsprojekt, doch er hat die Rechnung ohne Dread gemacht. — Er verbirgt sich hinter der Gestalt des ägyptischen Gottes Osiris. Der Osiris-Mythos, der in „Otherland“ eine bedeutende Rolle spielt, besagt, dass der Gott von seinem Bruder Seth getötet wurde, doch seine Schwester Isis erweckte ihn wieder zum Leben und gemeinsam zeugten sie Horus, den falkenköpfigen Sonnengott. In „Otherland 2“ wird dieser Mythos umgedreht.

|Dread|

Dread, ein durchgeknallter Mörder, ist die rechte Hand Osiris‘. Er würde jeden töten, der Otherland, dem Gralsprojekt schaden will. Am Ende von Teil 1 des Hörspiel schickt Osiris Dread mit einer geheimen Mission aus. Aber Dread hat eigene Pläne, von denen selbst sein Meister nichts weiß. Denn Dread leitet seinen Namen von MOR-DRED ab, dem illegitimen Sohn von König Artus und dessen Nemesis.

|!Xabbu|

!Xabbu ist der letzte noch lebende Buschmann, und er zieht in die Stadt, um die Geheimnisse der Zivilisation zu lernen. Diese führen ihn in eine noch fremdere, noch gefährlichere Welt, nach Otherland, wo Technik und alte Menschheitsträume zusammen etwas völlig Neues, etwas Furchteinflößendes hervorbringen. Er wird zu Renies wichtigstem Gefährten.

|Paul Jonas|

Paul Jonas – die Figur, der wir als erster begegnen – scheint ein gemeiner Soldat in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs zu sein. In Wirklichkeit ist er mehr, viel mehr. Er besitzt ein Geheimnis, das die Welt retten kann, aber er hat es vergessen. Jemand verfolgt ihn durch die zahllosen Welten von Otherland. Er kämpft nicht nur ums Überleben, er muss auch herausfinden, wer er ist.

|Renie Sulaweyo|

Renie Sulaweyo ist Lehrerin in Südafrika. Als ihr kleiner Bruder Steven von einer unerklärlichen Krankheit heimgesucht wird, verändert sich ihr Leben, und sie gerät in eine Geschichte hinein, die bizarrer nicht denkbar ist. Alle Spuren dieses Geheimnisses führen zurück nach Otherland.

|Christabel|

Christabel Sorensen ist ein achtjähriges Mädchen, das in einem Militärlager aufwächst, wo sie zufällig auf ein Geheimnis stößt. Ein Geheimnis, das nicht nur ihr Leben verändern soll, sondern das aller Menschen der Erde. Mr. Sellars, dieser seltsam verunstaltete Mensch, ist ihr bester Freund, denn er kennt tolle Geschichten. Christabel spielt gerne „Otterland“.

|Beezle|

Beezle, der spinnenbeinige Agent Orlando Gardiners, ist eine Such-Software. Er spricht wie ein New Yorker Taxifahrer und kennt alle Tricks im VR. Ohne ihn hätten sie den Zugang zu Otherland nie gefunden.

|Martine Desroubins|

Martine ist eine französische Rechercheurin, und sie ist gut. Seit ihrer Kindheit ist sie blind, aber sie kann Dinge fühlen, die andere nicht wahrnehmen. Im Alter von acht Jahren nahm sie an einem Experiment mit sensorischer Deprivation (Aussperren aller Sinneswahrnehmungen) teil: Tagelang war sie allein in einem dunklen Raum. Damals verlor sie ihr Augenlicht (aber nur psychisch, nicht physisch). In Otherland erinnert sich Martine nach und nach an ein seltsames Kind, mit dem sie damals im Dunkeln sprach.

|Die Zwillinge|

Schon im Prolog zu Teil 1 tauchen die Zwillinge als albtraumhafte Verfolger von Paul Jonas auf. Hier heißen sie Finch und Mullet, der eine dick, der andere dünn. In Teil 2 treten sie im Kontext des Buches „Der Zauberer von Oz“ als Blechmann (Tin Man) und Vogelscheuche (Scarecrow) auf.

|Calliope Skouros|

… ist eine Polizistin in Australien, die sich mit merkwürdigen Vorkommnissen im australischen Busch befasst. Sie fährt zu den Ureinwohnern und erfährt, wie es zu dem Mord an einem fünfjährigen Mädchen namens Merapanui kommen konnte. Ihren Chef Stan Chan interessiert das nicht die Bohne. Sollte es aber – Dread stammt aus Australien.

|Dulcinea Anwin|

… ist eine Auftragsmörderin und Agentin. Sie arbeitet u.a. für Dread.

|Olga Pirofsky|

Olga Pirofsky, 56, ist eine unscheinbare Person, doch hat sie eine interessante Leidengeschichte hinter sich – seit ihr Sohn Alexander starb, setzt sie sich für Kinder ein. Da gibt es jemanden, der ihr sehr nahe steht und der ihre Hilfe braucht. Dazu muss sie in Jongleurs streng bewachten Wohnturm eindringen. Nur Peter Sellars kennt ihr Geheimnis. Und der Andere.

|Der Andere| (nicht in Teil 1)

Der Andere ist die geheimnisvolle Macht im Zentrum des Gralsprojekts. Er ist verrückt, er ist mächtig, und nur Osiris kann ihn zähmen. Aber selbst er fürchtet seine monströse, seine unbegreifliche Gegenwart.

Weitere Figuren: Neanderthaler, Azteken, Piraten, Häuptling Starke Marke, Mutanten, Rieseninsekten, Klone, drei blinde Mäuse, ein ägyptischer Werwolf namens Upu-aut und viele andere.

Vorgeschichte

50 Jahre in der Zukunft schaut die Welt auch nicht viel anders aus als heute, sieht man einmal davon ab, dass ein Teil der Menschheit einen großen Teil seiner Zeit in virtuellen Welten verbringt. Ein großer Teil der Menschheit? Nein, nur die, die es sich leisten können, natürlich, also etwa zehn Millionen. Wie gesagt, viel hat sich nicht geändert. Nicht jeder Bereich des weltumspannenden Datennetzes steht jedem Benutzer offen, nur wer das virtuelle Äquivalent eines teuren Anzugs trägt und die Online-Gebühren bezahlen kann, wird überhaupt erst in die besseren Gegenden eingelassen. Einen der wichtigsten Zugänge bieten die Filialen von Mister J, der auch als Mr. Jongleur bekannt ist (s.o.).

Renie (kurz für ‚Irene‘) Sulaweyo ist nicht so privilegiert, obwohl sie an einer südafrikanischen Hochschule den Umgang mit der virtuellen Realität lehrt. Als ihr kleiner Bruder während eines Ausflugs in für ihn eigentlich gesperrte Bereiche der Datenwelt aus unerklärlichen Gründen ins Koma fällt, bleibt ihr nichts anderes übrig, als auf unkonventionelle Hilfsmittel zurückzugreifen, um nach einer Rettung für ihn zu suchen. Ihr Schüler, der Buschmann !Xabbu, einer der letzten Vertreter der Ureinwohner Südafrikas, hilft ihr dabei. Seine legendenhaften Geschichten aus der Kalahari liefern ihr einen wichtigen Hinweis. Bei ihrer Suche haben sie die Vision einer fabelhaften goldenen Stadt, die für kurze Zeit in der virtuellen Realität erscheint. Diese Vision erscheint nicht nur ihnen, sondern auch anderen Menschen, die ebenfalls versuchen, das Rätsel der goldenen Stadt zu lösen.

Unterdessen teilen immer mehr Kinder das Schicksal von Renies Bruder Steven. Womit wir bei der Weltverschwörung wären, dem Zentralen Bösewicht und Kern der Handlung. OTHERLAND – ein multidimensionales Universum, ein gigantisches Simulationsnetzwerk, errichtet von den fähigsten Köpfen des 21. Jahrhunderts und das am besten gehütete Geheimnis der Welt. Eine mächtige Organisation der rücksichtslosesten und reichsten Männer der Welt, die sich selbst die Gralsbruderschaft nennen, hat es geplant, um ihre eigene Unsterblichkeit zu erreichen – und dafür benötigen sie unter anderem die Kinder, die realiter im Koma liegen, deren Geist aber in Otherland gefangen ist.

Otherlands virtuelle Welten wirken dermaßen realistisch, dass Benutzer sie praktisch nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden können – es sei denn, ein Benutzer entscheidet sich dagegen. Die Ziele der Verschwörung werden nicht explizit benannt, aber der Leser kann es sich leicht zusammenreimen: uneingeschränkte Macht und Unsterblichkeit, das Übliche eben. Den Weltuntergang planen sie ebenfalls.

Immer mehr Kinder werden Opfer Otherlands, und ein Grüppchen Abenteurer findet sich zusammen, das dem Geheimnis auf die Spur kommen will. Zu ihnen gehören neben Renie und !Xabbu auch Orlando alias Thargor und sein Gefährte Pitlith. Am wichtigsten sind aber wohl Paul Jonas und sein Begleiter, der Junge Gally. Denn die Gralsbruderschaft hat Paul in Otherland „eingespeist“, kann ihn aber nun nicht mehr finden – diese potenzielle Bedrohung möchte sie ausschalten, koste es, was es wolle.

Herr Sellars, ein merkwürdiger Gefangener und Christabels Freund (s. o.), ist ihr unsichtbarer Beschützer. Aber plötzlich sind sie selbst Gefangene, dazu verurteilt, im Netzwerk von Otherland umherzuirren, ständig bedroht von tödlichen Gefahren, unfähig, die virtuelle Welt zu verlassen. Sie haben nur eine Chance: Sie müssen ins Zentrum von Otherland vordringen.

Handlung

Die mehrsträngige Handlung wird ebenso breit angelegt fortgesetzt, wie man das aus dem [ersten Teil kennt. Die Abenteurer sind weiterhin in der gefährlichen virtuellen Welt Otherland gefangen. Alle Gruppen erfahren, was es mit dem „Fluss aus blauem Feuer“ auf sich hat. Er ist Verbindungsstelle, Grenze und Brücke zwischen einzelnen Simulationen, aus denen sich Otherland zusammensetzt. Jede Simulation hat zwei Gateways, an denen der Fluss ein- und wieder austreten kann. Es kommt also häufig darauf an, diese Gateways oder Pforten zu finden, beispielsweise um rechtzeitig einer Gefahr zu entkommen.

Die Schicksalsgemeinschaft, die Herr Sellars nach Otherland gerufen hat, wird schon bald getrennt und muss sich vielen Prüfungen stellen, ähnlich wie es im „Herr der Ringe“ geschieht – ein Werk, das mehrere Male zitiert wird, so etwa von Orlando. Unerkannt befindet sich unter ihnen der Serienkiller mit dem passenden Namen Dread. Er will die Meister seiner Grals-Bruderschaft stürzen und sucht zu diesem Zweck Informationen.

Renie und !Xabbu kämpfen mit riesenhaften Insekten und seltsamen Kreaturen in einer pervertierten Version der Welt des „Zauberers von Oz“. In einem tragischen Kampf wird einer der Gefährten als der maskierte Dread entlarvt (ich werde mich hüten zu verraten, um wen es sich handelt). Er flieht, nachdem er einen der Freunde getötet hat. Übrig bleiben außer Martine Desroubins noch Florimel, eine deutsche Frau, und der junge T4b (englisch ausgesprochen: ti for bi).

Paul Jonas gewinnt zunehmend mehr von seinem verlorenen Gedächtnis zurück. Er fühlt sich auf der Reise der Gruppe durch Otherlands zentralen Fluss von zwei unheimlichen Wesen verfolgt (siehe „Die Zwillinge“). Ein gewisser Nandi Paradivasch verschafft ihm Gewissheit über seine Geschichte. Nandi gehört zu einer Organisation, die sich „Der Kreis“ nennt und gegen die Gralsbruderschaft kämpft. Paul ist ein Gefangener in den Simulationen oder Sims, und der Mensch, der ihm das angetan hat, sei Felix Jongleur. Jongleur sei so alt, dass er wie Paul selbst den Ersten Weltkrieg erlebt habe. Er lebe in einem Anwesen in Louisiana und strebe das ewige Leben an. Paul erhält einen wichtigen Hinweis: Er muss zum Haus des Irrfahrers gehen und dort die Weberin befreien. Gemeint ist der Ort Ithaka, und dreimal darf man raten, welche Figuren gemeint sind.

Doch nicht alles ist bierernst. Unterdessen bestehen Orlando alias Thargor und seine Freundin Fredericks die Gefahren, die sie in einer Comic-Küchenwelt erwarten: Comic-Indianer, Suppenterrinen-Piraten und wild gewordenes Gemüse. Den Höhepunkt dieser Episode bildet der heroische Angriff auf den Eisschrank, wo sie im Tiefkühlfach eine unheimliche Entdeckung machen. Ein Hinweis schickt sie zu „den Mauern Ilions“. Dies meint das alte Troja (Ilium).

Nach der Eisschrank-Heldentat gelangen sie in eine Sim des alten Ägypten, wo ein Werwolf sie aufs Kreuz legt und sie in der Wüste zurücklässt. Wieder erscheint ihm die Vogelfrau, und sein Software-Agent bildet einen unsicheren Kontakt zur realen Welt. Orlando erlaubt Beezles Kontakt, dem Agenten von Fredericks (Ramsay), dass seine, Orlandos, passwortgeschützte Dateien geöffnet werden. Der Anwalt Decatur Ramsay macht die Bekanntschaft von Olga Pirofsky, die als Darstellerin einer Netz-Show für Kinder arbeitet. Allerdings verursacht ihr die Tätigkeit in letzter Zeit rasende Kopfschmerzen, und sie beschließt, den Ursprung der Krankheit, der die Kinder zum Opfer fallen, aufzuspüren.

Immerhin verdichten sich die Informationen, die man als Leser/Hörer über die Grals-Bruderschaft erhält, und aus den bislang anonymen „bad guys“ schälen sich einzelne Personen und deren Motive heraus. Weiterhin bleiben eine Menge Fragen offen, etwa jene nach der Identität und Eigenart der schwarzen Pyramide (die wohl der „Berg aus schwarzem Glas“ des 3. Bandes ist). Für Kenner der Literatur ist jetzt schon abzusehen, dass im 3. Teil der Trojanische Krieg eine zentrale Rolle spielen dürfte.

Netfeeds

Wer meint, all dies sei viel zu abgefahren, der sollte sich mal die NetFeeds reinziehen. Diese Untergrund-Nachrichten aus der „realen“ Welt beleuchten schlaglichtartig, wie bizarr die Entwicklungen sein können, die wir bereits heute im Ansatz erkennen können, zum Beispiel die Frage: „Was ist echt und authentisch, wenn sich alles simulieren lässt?“ Außerdem ist die Rede von einer AIDS-ähnlichen Seuche, die „Bukavu“ genannt wird. NetFeeds dienen als Pausenfüller und trennen wichtige Kapitel voneinander.

Mein Eindruck

Es bestehen keine Zweifel hinsichtlich der literarischen Qualität von Williams‘ erzählerischen Fähigkeiten: Sein Stil ist lyrisch bis humorvoll, seine Charaktere äußerst detailliert wiedergegeben und entwickelt. Nur der Plot könnte noch ein wenig straffer gehandhabt werden. So aber kommt der Eindruck auf, als ob die virtuellen Landschaften, mit denen sich die Gruppe auseinandersetzen muss, nach einer Weile beliebig werden – man weiß zudem schon im Voraus, dass die Leute gerettet werden, natürlich nur in letzter Sekunde. Dieses Muster wird zu sehr strapaziert. Und der Plot hat eine gefährliche Ähnlichkeit mit den auch nicht so realen Welten in Stephen Kings Zyklus um den [„Dunklen Turm“. 822

Immerhin stellt Williams in der Verkleidung seiner Geschichte ein paar ernste Fragen, u. a. „Was sind die ethischen Überlegungen einer Künstlichen Intelligenz (KI)?“, „Was ist Wahrnehmung?“, „Was ist das Wesen von Gut und Böse in einer virtuellen Welt?“, „Was ist hier ein Leben wert?“ Und so schnell, wie sich die Computertechnologie und das Internet Richtung Cyberspace entwickeln, erscheinen die Fragen durchaus relevant. Philip K. Dick hat sie zum Teil bereits gestellt (vgl. „Total Recall“ und [„Blade Runner“). 197 Insofern geht Williams in den Gefilden des Existentialismus weiter als Dick und in Sachen Cyberspace weiter als Gibson. Schon jetzt lässt sich daher sagen, dass der Otherland-Zyklus – Williams empfiehlt, ihn als vier Teile eines einzigen Buches zu lesen – ein bedeutendes Werk des Science-Fiction-Genres ist. Man muss ja nicht gleich einen Klassiker daraus machen, wie das bereits manche Leser zu sagen wagen.

Die Sprecher

Es wäre relativ sinnlos, die Leistung einzelner Sprecher herausheben zu wollen. Das würde bedeuten, die Leistung anderer Sprecher abzuwerten, obwohl sie ebenso ihr Scherflein dazu beigetragen haben. Die Versuchung ist groß, prominente Sprecher herauszuheben, so etwa Rufus Beck (als „Häuptling Starke Marke“) oder Andreas Fröhlich (NetFeed-Nachrichtensprecher).

Ich finde es angebrachter, die Leistung der jüngsten Mitglieder der Sprecherriege hervorzuheben. Die Sprecher des Jungen Gally, Till Werner und des Mädchens Christabel Sorensens, Nora Hickler, sowie von Cho-Cho, Philip Heilmann-Ramirez, standen meist zum ersten Mal vor einem Mikrofon. Ich hätte an ihrer Stelle vor lauter Bammel keinen Ton herausgebracht, aber sie schaffen es bravourös, ihrer jeweiligen Figur Leben einzuhauchen.

Wie schon beim ersten Teil des Hörspiels wurde mir klar, dass gigantische Mengen von Text in der Endfassung des Hörspiels fehlen. Dass aber wichtige Sätze praktisch wortwörtlich übernommen wurden. Und dass die Abfolge der Szenen umgestellt wurde. Über all diese dramaturgischen Maßnahmen ließe sich endlos streiten. Im Endeffekt bleibt aber nur die Frage: Hat es sich gelohnt, diese Änderungen vorzunehmen?

Ganz ehrlich: Das Ergebnis klang richtig, weil dadurch nämlich die Aufmerksamkeit ebenso wie das Verständnisvermögen des Hörers unterstützt wurde. Allerdings ist es ratsam, nach jeder CD, die etwa 50-55 Minuten dauert, eine kleine Pause einzulegen (sonst bestraft einen das Kopfweh). Der Informationsgehalt des Hörspiels – Text, Musik, Geräusche, Szenenwechsel – ist nämlich so hoch, dass die Aufmerksamkeit ständig gefordert ist. Mit der Zeit kann das ganz schön ermüden.

Unterm Strich

Walter Adler hat den berühmten roten Faden für vier verschiedene Handlungsstränge mit radikalen Kürzungen herausgearbeitet. Dadurch fällt es dem Hörer leichter, den vier Geschichten zu folgen: Orlando & Fredericks; Renie & !Xabbu, Christabel & Mr. Sellars sowie Paul & Gally. Dazwischen sind wieder Szenen der unheimlichen Gralsbruderschaft sowie der NetFeed aus der Realwelt geschaltet.

Doch folgt man Renie Sulaweyo und dem Buschmann !Xabbu, so ergibt sich ein Krimi, der genügend Spannung liefert, um den Hörer durch die gesamte Handlung voranzutragen. Paul Jonas‘ Geschichte hingegen ist eine Tragödie, deren Ausmaße sich nur ganz allmählich enthüllen und die viel mit Kindern zu tun hat. Die anderen Geschichten sind mal humorvoll, mal dienen sie der Erkenntnis, wieder andere sind so absurd-komisch wie „Alice im Wunderland“, so etwa der witzige Angriff auf den Eisschrank.

Ausblick

Allerdings bleiben am abrupten Schluss viele Fragen offen – ein klassischer Cliffhanger. Denn dies ist nur das zweite Viertel des gesamten Kunstwerks. Die Fortsetzung soll im Juni veröffentlicht werden. Sie verspricht nach allem, was ich darüber gelesen habe, sehr dramatisch zu werden. Denn nun macht Felix Jongleur alias Osiris Ernst: Er will Otherland als sein Herrschaftsgebiet übernehmen und sich und seinen „Brüdern“ das ewige Leben verschaffen. Wenn er sich da mal nicht getäuscht hat.

329 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Otherland – Book 2: River of Blue Fire, 1998

Mehr Infos unter: http://www.hoerverlag.de

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