Clive Cussler – Höllenjagd (Isaac Bell 1)

In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts jagt ein Detektiv einen Räuber und Serienkiller. Unter Nutzung zeitgenössischer Hightech liefern sich die Gegner ein unbarmherziges Duell, das sie kreuz und quer durch die USA führt … – Sicher der beste Abenteuerroman, den Cussler seit Jahren geschrieben hat; von den Zwängen seiner Dirk-Pitt-Serie befreit, entwirft der Veteran des technikorientierten Abenteuer-Thrillers ein altmodisches, rasantes, mit historischen Fakten geschickt aufgepolstertes Spektakel, das einfach Spaß macht!

Das geschieht:

Im Jahre 1906 treibt der „Schlächter“, ein ebenso genialer wie psychopathischer Bankräuber, in den südwestlichen Staaten der USA sein Unwesen. Penibel bereitet er seine Überfälle vor, rafft gewaltige Summen zusammen – und tötet sämtliche Zeugen per Kopfschuss; ein Vorgehen, das für den Täter die vergnügliche Krönung des Raubzugs darstellt.

Nachdem jede Fahndung bisher erfolglos blieb, bittet die Regierung in ihrer Not die legendäre Van Dorn Detective Agency zu Hilfe. Joseph Van Dorn setzt seinen besten Mann auf den Fall an: Isaac Bell hätte es als wohlhabender Erbe eigentlich nicht nötig, sein Leben als Verbrecherjäger aufs Spiel zu setzen, doch er zieht die Aufregung seit jeher dem Müßiggang eines reichen Mannes vor.

Dieses Mal scheint er seinen Meister gefunden zu haben. Der „Schlächter“ hat wie beschrieben sämtliche Spuren verwischt, die zu ihm führen. Auch über seinen Verfolger ist er bereits informiert und setzt einen Killer auf Bell an, der dem Anschlag nur knapp entkommt. Verletzt bleibt er dem „Schlächter“ auf den Fersen. Endlich zahlt sich seine Hartnäckigkeit aus; Bell lüftet das Geheimnis, wie es dem Mörder gelingen kann, quasi spurlos von den Stätten seiner Untaten zu verschwinden. Nun setzt der Detektiv das Gerücht einer umfangreichen Lohngeldtransaktion in die Welt, dem der „Schlächter“ in der Tat nicht widerstehen kann.

Aber die Falle schnappt nicht richtig zu, das Unternehmen endet als tödliches Fiasko. Immerhin hat Bell die Identität des „Schlächters“ aufdecken können. Die Jagd geht weiter und scheint in San Francisco endlich ihr Ende zu finden, als ein gewaltiges Erdbeben für eine dramatische Fortsetzung sorgt …

Mr. Cussler schreibt sich frei

Damit war nicht zu rechnen: Ausgerechnet Clive Cussler, 1931 geborener Autor der seit 1973 (!) fest in der Unterhaltungsliteratur etablierten Dirk-Pitt-Serie, löst sich (kurzfristig) von seinem erfolgreichen Helden und schreibt einen Stand-Alone-Thriller. Immerhin gab es Vorzeichen; so brachte Cussler 2006 mit „The Adventures of Vin Fiz“ ein Jugendbuch auf den Markt. Offenbar denkt der schon bejahrte Schriftsteller nicht an den Ruhestand.

Wieso auch nicht? Die Dirk-Pitt-Romane weiß Cussler bei seinem Sohn Dirk in guter Schreiberhand. Das Pitt-Universum gedeiht prächtig mit diversen Sub-Serien („Numa-Akten“, „Oregon-Chroniken“, „Fargo-Abenteuer“), die von anderen Autoren geschrieben werden. Cussler sen. setzt nur seinen kassenträchtigen Namen über den jeweiligen Titel, damit der Rubel besser rollt. Ansonsten könnte er sich seiner prächtigen Oldtimer-Sammlung, der Suche nach berühmten Schiffswracks oder einfach des Ruhestands erfreuen.

Stattdessen schreibt er einen Roman, was ihm offensichtlich großen Spaß bereitet hat – ein Vergnügen, das sich auf den Leser überträgt. Nicht mehr von der Chronik vieler, vieler Pitt-Geschichten erdrückt, konnte Cussler einfach sein Garn spinnen. Das Ergebnis ist sicherlich kein Meisterwerk, sondern die vielleicht bestmögliche Alternative: ein Buch, das sich über die gesamte Distanz schnell und spannend liest.

Am Morgen einer neuen Zeit

70 Jahre hat Clive Cussler im 20. Jahrhundert verbracht – kein Wunder, dass es ihm vertrauter ist als sein Nachfolger. Sollte Cussler an den letzten Pitt-Romanen überhaupt noch aktiv mitgeschrieben haben, verdanken wir ihm sicherlich vor allem die ausführlichen Szenen um Produkte einer versunkenen Technik-Geschichte: alte Autos, alte Flugzeuge, Dampflokomotiven, die Cussler so liebt.

Für eine Handlung, die im Jahre 1906 spielt, ist die Kenntnis moderner Supertechnik überflüssig. Cussler kann sich auf Wissen beschränken, das er besitzt und zu beschreiben vermag. Das befreit ihn von der Notwendigkeit einer Recherche, die über die Realität des frühen 20. Jahrhunderts hinausgeht. Stattdessen kann Cussler seine Energie in eine Geschichte investieren, die im positiven Sinn altmodisch geraten ist.

„Höllenjagd“ verschafft ihm die Gelegenheit, ehrwürdige Technik als Nonplusultra in Szene zu setzen. Seine Schilderung einer Aufholjagd über Land am Steuer eines „Locomobile“-Automobils – das sicherlich bis in die letzte Schraube so existiert/e, wie Cussler es beschreibt – ist nicht nur im Rahmen der erzählten Geschichte spannend, sondern wirkt auch aufgrund der offenkundigen Begeisterung des Verfassers ungemein lebendig.

Männer (und Frauen) der Tat

Dabei hat Cussler das Rad wahrlich nicht neu erfunden. Ein Zug stürzt schon im fünften Pitt-Abenteuer „Night Probe“ (1981; dt. „Im Haaresbreite“) eindrucksvoll in die Seefluten. Isaac Bell könnte der Großvater von Dirk Pitt (oder eine frühere Inkarnation) sein. Beide sind typische Tatmenschen. Ihre Arbeit ist ihnen nicht Beruf, sondern Berufung. Der schnöde Mammon ist Bell nur Mittel zum Zweck; er verschmäht ihn nicht, sondern setzt ihn dort ein, wo ihm ansonsten Grenzen gesetzt wären. Im brutalkapitalistischen Amerika von 1906 ist er damit ein glücklicher Mann, wie Cussler deutlich macht: Als ein Detektiv-Kollege im Einsatz stirbt, bedeutet dies für seine Familie den Absturz ins Armenhaus, denn ein soziales Netz gibt es in diesem Land der Tüchtigen & Rücksichtslosen nicht. (Natürlich springt der edelmütige Bell ein.)

„Höllenjagd“ ist wie schon angedeutet eine naive aber unwiderstehliche Hymne an die Geschwindigkeit. Gleichzeitig erstaunt Cussler mit einem Handlungsstrang, der alle Anforderungen des klassischen „Whodunit“-Krimis erfüllt. Bell ist kein Glücksritter, der in Indiana-Jones-Manier seinem Jagdziel hinterher ist. Er bedient sich kriminologischer Methoden, sucht und sichert Indizien, recherchiert systematisch und fügt Puzzlestein auf Puzzlestein zum Mosaik zusammen, das ihm verrät, wer der „Schlächter“ ist und wie er seiner habhaft werden kann. Natürlich ist Cussler Profi genug, um Bell umgehend einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen. Der „Schlächter“ hat die Arbeitsmethoden der Gesetzeshüter sorgfältig studiert und kann sich deshalb auf diese einstellen. Auch der Zufall bzw. die Tücke des Objekts spielt eine Rolle.

Schon früh setzt Cussler uns, seine Leser, darüber in Kenntnis, wer sich hinter der Maske des „Schlächters“ verbirgt, während er Bell noch im Dunkeln tappen lässt. Der Zweikampf zwischen Gut und Böse verliert darüber keineswegs an Spannung. Wir verfolgen, wie Bell dem „Schlächter“ unter Nutzung einschlägigen Wissens und langjähriger Erfahrungen näher rückt. Dass sein Gegner längst im Bilde ist, verleiht den Bemühungen des diesbezüglich lange ahnungslosen Bell eine besondere Note. Zwar sind wir sicher, dass ihn der „Schlächter“ nicht erwischen wird, aber Cussler macht ihm trotzdem das Leben sehr sauer.

Die Frauen an ihren Seiten

Cussler ist ein leichtfüßiger Autor, wenn es gilt, seinen Helden in atemberaubende Abenteuer zu verwickeln. Das verflüchtigt sich, sobald er einhält oder gar gefühlvoll wird. Diese literarische Ebene bleibt ihm eindeutig verschlossen. So wirken die Komplizin des „Schlächters“ in der Rolle der schönen aber bösen Frau – immerhin ist sie rot- und nicht schwarzhaarig – wie die ebenso schöne aber gute Dame, an die Bell sein Herz verliert, lieblos dem Klischee-Katalog entnommen. Cussler vermag sich ein wenig in Zeitkolorit zu flüchten, wenn er seinen weiblichen Figuren schematische Gefühlsäußerungen diktiert; Anno 1906 ist die Gleichberechtigung noch ein abstrakter Begriff. Dennoch wirkt vor allem Bells Werbung einerseits pennälerhaft und andererseits einem Publikum geschuldet, das angeblich auf eine Liebesgeschichte nicht verzichten mag.

Apropos Zeitkolorit: Wesentlich wohler fühlt sich Cussler, wenn er in historischen Fakten schwelgen und sie ein wenig zu Gunsten seiner Geschichte umformen kann. So sorgt er dafür, dass Jäger und Gejagter San Francisco genau dann in San Francisco aufeinandertreffen, als die Stadt am 18. April 1906 durch ein Erdbeben vernichtet wird; ein Ereignis, das Cussler mit gebührender Wortgewalt darzustellen weiß. Als Statisten treten darüber hinaus einige prominente Persönlichkeiten wie der Sänger Enrico Caruso oder der Schriftsteller Jack London auf.

Das alles fügt sich zu einer Lektüre, die nie etwas anderes als Unterhaltung sein möchte und diesem Zweck gerecht wird. Als geschäftstüchtiger Mann hat Clive Cussler das Potenzial seines neuen Helden erkannt und startet folgerichtig eine Isaac-Bell-Serie, die er – auch dieses Verfahren hat er perfektioniert – nicht selbst schreibt, sondern schreiben lässt: „The Wrecker“ verfasste 2009 Justin Scott, der die Reihe seitdem kontinuierlich fortsetzt.

Autor

Geboren 1931 in Alhambra, US-Staat Kalifornien, zog Clive Eric Cussler mit der Airforce in den Koreakrieg (wenn auch als Mechaniker und Bordingenieur, nicht als Kampfpilot, wie uns mancher Klappentext weismachen möchte …). Seinen Hang zur biografischen Ausschmückung sowie die Entwicklung eines lukrativen Franchises konnte Clive Cussler in den Jahrzehnten entwickeln, die er an der Spitze zweier Werbeagenturen verbrachte.

1973 versuchte er sich als Schriftsteller. Fast unbemerkt erlebte Dirk Pitt in „The Mediterranean Caper“ (dt. „Der Todesflieger“) sein erstes Abenteuer. Doch erst Opus Nr. 3 brachte den eigentlichen Durchbruch, nachdem Cussler sich seiner Erfahrungen aus der Werbebranche bediente und Hightech mit Spektakel zum Hochgeschwindigkeits-Thriller mischte: „Hebt die Titanic!“ war 1976 ein Bestseller (der 1980 sogar verfilmt wurde, aber zu Cusslers Kummer einen oberen Rang auf der Liste der schlechtesten Filme aller Zeiten belegt; seit 2005 macht ihm „Sahara“, ebenfalls nach einer Vorlage Cusslers entstanden, diesen Rang streitig); Cussler wurde zum reichen Mann.

Die Dirk-Pitt-Serie baute er zum Franchise aus. Inzwischen liefert Cussler primär ‚Ideen‘ für Thriller-Klone, die von anderen Autoren umgesetzt werden. In der Hauptserie geht ihm Sohn Dirk zur Hand. Die „Numa-Akten“ verfasst (seit 1999) Paul Kemprecos, für die „Oregon-Chroniken“ zeichnen seit 2003 Craig Dirgo bzw. Jack Du Brul. Um die Fans bei der Stange zu halten, gibt es Gastauftritte der jeweiligen Helden in den Serien der ‚Kollegen‘. 2007 gesellte sich Isaac Bell zu den genannten Haudegen; seine Abenteuer finden im frühen 20. Jahrhundert statt und werden seit Band 2 von Justin Scott geschrieben. 2009 ging das Schatzsucher-Paar Sam und Remi Fargo in den Einsatz.

Taschenbuch: 447 Seiten
Originaltitel: The Chase (New York : G. P. Putnam’s Sons 2007)
Übersetzung: Bernhard Kempen
www.randomhouse.de/blanvalet

E-Book: 1463 KB
ISBN-13: 978-3-641-15190-4
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