Connie Willis – Impossible Things. Erzählungen 1986-1992

Classic SF Stories: humorvoll mit Biss

Connie Willis ist eine Erzählerin, die im phantastischen Genre zahlreiche Preise und Auszeichnungen gewonnen hat, nicht nur für Romane, sondern auch für ihre zahlreichen Erzählungen. Dieser Story-Band umfasst elf ihrer Stories, die sie seit den achtziger Jahren (1986-1992) veröffentlichen konnte.

Die Autorin

Constance Elaine Trimmer Willis wurde am Silvestertag des Jahres 1945 in Denver, US-Staat Colorado geboren. Sie studierte Englisch und Erziehungswissenschaften am dortigen Colorado State College (heute University of Northern Colorado), wo sie 1967 ihren Abschluss machte und als Lehrerin zu arbeiten begann.

Ihre erste Kurzgeschichte („The Secret of Santa Titicaca“) veröffentlichte Willis im Dezember 1970. Bekannt wurde sich durch ihre pointierten Storys. Ein Debütroman (Water Witch; dt. „Die Wasserhexe“, zusammen mit Cynthia Felice) folgte erst 1982. Der Erfolg ermöglichte es Willis, ihren Beruf aufzugeben und sich auf die Schriftstellerei zu konzentrieren.

Die 1945 geborene Lehrerin und US-Schriftstellerin ist seit den achtziger Jahren eine der besten und originellsten Science Fiction-Autorinnen. Die Stories, die dies beweisen, sind in dem Band „Brandwache“ gesammelt (deutsch bei Luchterhand). Sie hat bereits zahlreiche Preise eingeheimst, darunter den HUGO und den NEBULA für ihren Zeitreiseroman „Die Jahre des Schwarzen Todes“ (1992, dt. bei Heyne).

„Lincolns Träume“ war 1987 ihr Romandebüt als Solo-Autorin, davor schrieb sie als Ko-Autorin mit Cynthia Felice. Für „Die Farben der Zeit“ wurde Connie Willis mit dem Hugo Gernsback- und dem Locus (Magazine) Award für den besten SF-Roman des Jahres 1997 ausgezeichnet.

Seither hat Willis mehr Auszeichnungen – darunter elf Hugo Gernsback Awards und sieben Nebula Awards – eingeheimst als jede andere Science-Fiction-Autorin. Dabei fühlt sie sich dem Genre keineswegs verpflichtet. Willis setzt ihre Hauptfiguren gern den Attacken karrieresüchtig stromlinienförmiger, politisch überkorrekter, humorloser Zeitgenossen aus, die sie auf diese Weise anprangert.

Mit ihrem Gatten, einem ehemaligen Physikprofessor, lebt Connie Willis heute in Greeley, Colorado.

Die Erzählungen

1) The Last of the Winnebagos (1988)

Die USA im Jahr 2008. Eine Seuche hat alle Hunde auf der Welt ausgerottet. In der Folge bemüht sich die sogenannte „Humane Gesellschaft“ relevante Taten zu verfolgen, die mittlerweile als Verbrechen eingestuft sind. Zu solchen Verbrechen gehört beispielsweise das Überfahren eines nahen Verwandten der Spezies Hund, nämlich eines Schakals oder Kojoten. Deshalb ist es die Pflicht eines Bürgers, entsprechende Vorkommnisse sofort der „Humanen Gesellschaft“ zu melden, damit die Schuld, falls es eine gibt, festgestellt wird.

Als der Fotoreporter McCombe auf der Schnellstraße einen überfahrenen Schakal sieht, fährt er erst noch ein paar Meilen weiter, um dann die „Gesellschaft“ anzurufen. Dieses Zögern und seine Unterlassung, Name und Adresse anzugeben, lassen ihn tatverdächtig erscheinen. Schon bald wird er Besuch erhalten.

Nach dem Anruf besucht er einen kleinen Zoo in Arizona, wo als Nebenattraktion das letzte Exemplar der Wohnmobile namens „Winnebago“ ausgestellt wird. Darüber soll er seiner Zeitung berichten. Zuerst knipst er mit dem Teleobjektiv, dann dreht er einen Videofilm und schließlich kramt er noch seine Geheimwaffe aus: die Eisenstadt, eine vollautomatische Kamera, die in einer Aktentasche versteckt ist.

Erst Stunden später entdeckt er beim Entwickeln der Tele-Fotos, dass er den Besitzer des Winnebago, Mr. Ambler, dabei aufgenommen hat, wie er seine Stoßstange abwischte…. McCombe könnte nun hergehen, Mr. Ambler zu melden, doch er unterlässt es, sich dadurch zu entlasten. Die Gründe dafür sind vielfältig und haben mit einem Vorfall aus dem Jahr 1989 zu tun, als es noch kein Verbrechen war, einen Hund zu töten. Damals kam McCombes Schäferhund Aberfan zu Tode, überfahren von einer Fahranfängerin namens Katie, die gerade mal 16 Jahre alt und später McCombes Freundin wurde…

Mein Eindruck

Alle Dinge beginnen und enden, wie es schon in der Bibel steht, doch manchmal überdauert der Schmerz über Verlust und Schuld Jahrzehnte. So geht es auch McCombe, dem schuldbewussten Besitzer von Aberfan und unschuldigen, aber höchst verdächtigen Melder eines überfahrenen Schakals. Alle Hunde sind verschwunden, und die Menschen vermissen sie. Doch auch der letzte der Winnebagos wird bald verschwunden sein, wenn McCombe nichts deswegen unternimmt. Es ist eine elegische Erzählung, die die vielfach ausgezeichnete Autorin auf ihre unnachahmliche Weise vor dem geistigen Auge des Leser entwickelt – ähnlich wie ein Foto, das Tiefen- und Unschärfe aufweist.

Zu dem menschlichen Drama gesellt sich der kleine Krimi um die Strafverfolgung durch die „Humane Gesellschaft“. Wie verdächtig schon allein dieser bemüht unschuldig klingende Name ist! Tatsächlich entpuppt sich die „Gesellschaft“ als ein Verein von Datenschnüffler, der nicht davor zurückschreckt, die Privatsphäre und den Datenschutz mit Füßen zu treten. McCombe, schlau wie er ist, macht sich einen Spaß daraus, diese agentenähnlichen Typen, die er völlig durchschaut, aufs Kreuz zu legen und ihnen über die Redaktion eins auszuwischen. Es ist das tragikomische Szenario einer Endzeit.

2) Even the Queen (1992; Nebula 1992, HUGO 1993)

Die Emanzipation der Frauen hat globalen Erfolg gehabt, das Matriarchat wurde überall eingeführt. Wie wurde dieser Siegeszug möglich? Durch das Medikament Ammenerol, das die Monatsblutung der Frauen verhindert. Weg sind die Stimmungsschwankungen durch Hormone, weg auch PMS und ungewollte Schwangerschaft, weg ist der Pillenstress und sogar die Unterbezahlung der Frau für die gleiche Arbeit. Und alles auf freiwilliger Basis, ermöglicht durch ein Implantat!

Deshalb trifft es die weibliche Sippe der Richterin Traci wie ein Donnerschlag, als sie erfährt, dass Tracis Tochter Perdita den Verfechterinnen der Monatsblutung beitreten will, den Zyklistinnen. In wenigen Stunden der gegenseitigen Vorwürfe wird ein Familientreffen organisiert, das in einem kuriosen Restaurant voller Blumen- und Gemüsebeete stattfindet. Endlich wird mal Tacheles geredet, und sogar Tracis Großmutter ist aus Bagdad angereist, wo sie eigentlich Verhandlungen mit Palästinensern führen sollte.

Doch statt der vorgeladenen Angeklagten, Perdita, erscheint ihre Dozentin, um sie in Abwesenheit zu verteidigen. Sogar die Königin hätte ihre Blutung gehabt, verteidigt Großmutter Karen die Zyklistinnen. Traci ist empört. Hinterher hagelt es dann wieder Vorwürfe: Traci hätte ihr, Perdita, sagen müssen, dass Menstruation eklig ist und wehtut. Stöhn! Es muss immer einen Sündenbock geben.

Mein Eindruck

Die Story besteht fast nur aus Dialogen, und die Autorin erklärt kaum etwas. Deshalb ist es dem Leser überlassen herauszufinden, was hier nicht stimmt. Die fünf Frauen, um die es geht, stellen fünf Generationen dar, die in einer völlig veränderten Welt leben. Diese sehen sie natürlich als etabliert an, aber nun wird sie durch die Zyklistinnen („nein, Großmutter, das ist KEIN Fahrrad-Club“) bedroht. Das wäre der Rückfall in die patriarchalische Welt vor der Emanzipation. Die Zyklistin sieht das genau umgekehrt. Sie wirft den Frauen Unterdrückung der Weiblichkeit und Wiederholung männlicher Repression und Ideologie vor. Also ironischerweise genau das Gleiche, was die Emanzen den Unemanzipierten vorwarfen!

3) Schwarzschild Radius (1987)

Ein gieriger US-Akademiker will über Schwarze Löcher schreiben, um damit seine Karriere zu fördern. Er befragt einen uralten Deutschen, der einst Einstein und insbesondere Karl Schwarzschild gekannt haben soll. Karl Schwarzschild ist der Entdecker des Schwarzschild-Radius, jener imaginären Linie, an der es für Informationen und Lichtteilchen kein Entkommen mehr gibt, wenn ein Stern in sich zusammenstürzt. Sie bezeichnet den Punkt, an dem es keine Wiederkehr gibt.

Doch statt ihm höflich und ehrlich zu antworten, ergeht sich der alte Mann in Gemeinplätzen, Lügen und verwirrenden Sätzen. Denn er erinnert sich daran, wie er seinerzeit in den Schützengräben an der Ostfront des Ersten Weltkriegs Karl Schwarzschild kennenlernte. Es gab bereits eine Art Schwarzschild-Radius, einen Punkt ohne Wiederkehr. Er trug die Bezeichnung „Front“. Und dorthin wollte absolut niemand: Niemand kehrte von dort zurück. Aber Rottschieben, wie der Fernmelder damals hieß, geriet immer mehr in Gefahr, dorthin abgeschoben zu werden.

Bis dann eines Tages die Front zu ihnen in die Gräben kam…

Mein Eindruck

Die eindringlich geschilderte Geschichte lebt von dem bitteren Gegensatz zwischen dem ehrgeizigen Informationssammler Travers und seinem verzweifelten Opfer Rottschieben, der diese Informationen unter Einsatz seines nackten Lebens vor den Klauen der Front in Sicherheit gebracht hat. Das Grauen des Lebens in den Schützengräben und klapprigen Unterständen, unter Bedingungen sibirischen Frostes (nahe Bialystok), steigert sich zunehmend.

Man glaubt es kaum, aber es wird immer schlimmer, was Rottschieben erlebt. Die Bombardierung ist nur noch das i-Tüpfelchen, um sinnfällig zu machen, was eigentlich ein „Schwarzschild-Radius“ in Wahrheit ist: ein Kreis der Dante’schen Hölle, vor dem es nur für die Wenigsten ein Entrinnen gibt. Diese imaginäre Linie (die sich übrigens mit der Relativitätstheorie genau berechnen lässt) befindet sich nicht in den Tiefen des Kosmos, sondern im Hier und Jetzt. Die Pointe: Schwarzschild hatte keine Ahnung von der Existenz Schwarzer Löcher. Was nur das emotionale Grauen umso stärker belegt.

4) Ado (1988)

Die Englischlehrerin ist unsere Chronistin, vor Ort in einem Skifreizeitort in Colorado (z.B. Aspen). Leider liegt kein Schnee, so dass der Unterricht in englischer Literatur NICHT ausfällt. Vielmehr brennt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel auf die Schülerin Delilah, die gegen alles protestiert, was auch nur im entferntesten nicht politisch korrekt (PC) ist. Da jetzt Shakespeare auf dem Stundenplan steht, hält sie ein Schild hoch: „Shakespeare war ein Fürsprecher des Satans.“

Auch sonst hat Shakespeare, sein Lebenswandel und erst recht seine Theaterstücke sehr wenig Chancen, unbeschadet die Flut der Petitionen, Gerichtsbeschlüsse, Einwände und Einsprüche aller möglichen Verbände, Vereine und Assoziationen zu überstehen. „Hamlet“ hat das zweifelhafte Glück, dass zwei Zeilen des Stücks zitierfähig sind, ohne dass irgendjemand Schaden daran nimmt. Wendy, die den Rekorder obligatorisch anschaltet, wenn ihre Lehrerin loslegt, ist irgendwie enttäuscht. Da war doch was mit Ophelia und einem Geist, oder nicht?

Mein Eindruck

Die Autorin zeigt, wohin die Flut von PC-basierten Einwänden und Einschränkungen führt: Das Werk des größten Autors in englischer Sprache wird auf zwei Zeilen reduziert, die gerade noch so zitierfähig sind. Das rächt sich, indem die Protestierer nicht mehr in der Lage sind, englische Wörter korrekt zu schreiben. Und Delilah wird selbst von Gender-Gleichheit-VerfechterInnen verklagt, weil sie „Spokesman“ auf ihr Schild geschrieben hat anstelle des politisch korrekten „Spokesperson“. Wie man „person“ schreibt, weiß sie allerdings nicht. Wenn es nicht zum Lachen wäre, müsste man heulen.

Der Titel „Ado“ verweist auf den Titel von Shakespeares Theaterstück „Much ADO About Nothing“, was hierzulande stets als „Viel Lärm um nichts“ übersetzt worden ist. Eine weitere Shakespeare-Story ist „Winter’s Tale“.

5) Spice Pogrom (1986)

Auf der künstlichen L5-Siedlerkolonie Sony, die von Japanern erbaut wurde, geht es mittlerweile ziemlich eng zu, seit 400 Aliens gelandet sind. Sie mussten ja im begrenzten Wohnraum untergebracht werden. Weil sie sich zu einer Attraktion für terranische Touristen entwickelt haben, wird es noch enger für die Siedler. Das Gerücht, dass Steven Spielberg hier Statisten für einen neuen Film suche, zieht junge Mädchen wie Betsy und die lispelnde Molly magnetisch in Scharen an.

Chris ist die Verlobte des NASA-Agenten Stewart und verfügt über eine Mietwohnung, die einen wichtigen Vorteil aufweist: Ihre Decke ist vier Meter hoch. Gerade hoch genug für einen der Aliens. Und weil Stewart bei den außerirdischen Besuchern einen Vertrag über ein angeblich versprochenes „Space Program“ (siehe Titel) aushandelt und für gut‘ Wetter sorgen will, soll doch Chris bitte so nett sein und einem der Aliens Obdach gewähren.

Das wäre kein Problem, doch Mr. Okeefenokee – oder wie auch immer sein Name lautet – ist erstens ein großer Fan des Shopping und müllt die Wohnung mit Krimskrams zu, zweitens hat er einen Agenten namens Hutchins, der ebenfalls ein Zimmer erwartet. Er bekommt die obere Hälfte von Chris‘ Hälfte: in einer Hängematte. Da bleibt für Chris kaum noch Platz. Von den Leuten, die draußen auf der Treppe und dem Außengang übernachten, ganz zu schweigen. Weil die keine Toilette haben, sind sie der Ansicht, dass sie das Klo von Chris benutzen können, auch fürs Schminken. Chris versucht, die Nerven nicht zu verlieren, v.a. aus Rücksicht auf Stewart. Aber es ist schwer!

Dieser Hutchins-Typ ist einerseits nervig, andererseits hilfreich: Er gibt ihr zwei kleine Geräte, mit denen sie wie mit einem Kehlkopfmikrofon lautlos zu ihm sprechen kann, und er mit ihr. Das klingt harmlos, aber als sie sich mit Stewart trifft, mischt sich Hutchins per Receiver ein. So findet Chris mit gezielten Fragen heraus, worauf die Verhandlungsprobleme der NASA und der Japaner mit den Aliens beruhen: auf sprachlichen Missverständnissen. Und daraus ergeben sich weitere: Hutchins offenbart Chris, dass ihr Mr. Okeefenokee kein gewöhnlicher „Passagier“ sei, wie ihn die Japaner eingestuft haben, sondern der Sprecher der Alien-Delegation. Quasi ihr „Häuptling“! Was hat er nur in Chris‘ Mietwohnung vor?

Nun wird auch klar, dass Hutchins kein harmloser Assistent sein muss, sondern der Undercover-Agent der US-Marine. Ist er ein Spion, weil er dauernd lügt? Chris konfrontiert ihn, und er muss die Karten auf den Tisch legen; das ist sehr erhellend. Stewart hat ihr kürzlich ein paar Tage Zeit gegeben, dann soll sie zu ihm und seiner Mutter ziehen, weil ja Wohnraum extrem knapp sei. Alles bloß das nicht, sagt sich Chris in Panik. Da sie mit Hutchins, pardon: Pete bereits intensiv Tuchfühlung aufgenommen hat, kommt er doch als nächstliegende Alternative zu Stewart infrage. Und als ihr Vermieter sie rauswerfen will, weil sie den Mietvertrag verletzt habe, bleibt Chris nur ein Ausweg: Sie muss Hutchins per Ferntrauung ehelichen. Ob das wohl hilft? Als sie sich an mehreren Orten wiederfindet und an der Seite von Hutchins, ahnt sie, was Okeefenokee mit „Raum“ wirklich gemeint hat..

Mein Eindruck

Die Autorin liebt Screwball-Komödien, wie sie mehrfach in ihren Einleitungen bekennt. Und wie in den klassischen Screwball-Komödien, in denen Cary Grant („Die Schwester der Braut“), Katharine Hepburn („Leoparden küsst man nicht“) oder Spencer Tracy („Der Vater der Braut“) mitspielten, geht es auch hier turbulent zu. So turbulent, dass Chris geschlagene 100 Seiten braucht, um zu verstehen, was hier eigentlich los ist. Ganz besondere aber mit ihrem Alien-Untermieter. Er beherrscht Teleportation sowie Telekinese und kann die Zukunft vorhersagen. Und vermutlich hat er noch weitere Tricks drauf.

Wegen der Überbevölkerung herrscht die ganze Zeit eine Stimmung wie in J.G. Ballards Kurzgeschichte „Billennium“: Die Menschen kämpfen um jede Treppenstufe vor Chris‘ Mietwohnung, um zu übernachten. Die Vermieter machen einen Reibach und kommen auf dumme Gedanken. Zwei kleine Mädchen namens Molly und Bess dringen in der Annahme, sie wären dazu berechtigt, in Chris‘ Wohnung ein, um sich zu waschen und zu schminken: Sie wollen als Steptänzerinnen in einem Spielberg-Film auftreten.

Dass Molly durchgehend lispelt, ist ein Slapstick-Effekt, der zumindest den etwas beschränkten Stewart verwirrt: „thekth“ ist die Lispelform von „Sex“. Auch der Titel „Spice Pogrom“ ist so eine Verzerrung: „spice“ steht für „space“ und „pogrom“ für „program“, ergo: „Space program“, also Raumfahrtprogramm. Das wollen die Erdlinge unbedingt von den Aliens haben, befinden sich damit aber wohl schwer auf dem Holzweg.

Doch wo ist wahre Liebe, mag sich Chris fragen. Stewart jedenfalls ist nur auf ihren Wohnraum aus, sobald er sie einmal geheiratet hat. Wahrscheinlich bekommt er auch ihr Vermögen. Es ist ein Kuhhandel, mit Chris als Kuh: Sie wird wie Eigentum behandelt. Hutchins warnt sie mehrfach, und schon bald weiß sie, wer ihrer Liebe würdig ist. Zwar muss sie ihn notgedrungen per Ferntrauung – wie es im Zweiten Weltkrieg üblich war („Ich war eine männliche Kriegsbraut“) – heiraten, doch das ist ihr gar nicht so unrecht. So findet endlich Herz zu Herzen, wie man bei Shakespeare sagen würde.

6) Winter’s Tale (1988)

Anne ist die Frau von Will, doch Will weilt seit 20 Jahren wegen seines Berufs als Theatermanager, Autor und Regisseur in London, weit weg von Stratford upon Avon. Anne hat ihm einen Sohn, John, und zwei Töchter geschenkt, Judith und Susannah. Eine der beiden hat den Medicus John Hall geheiratet und selbst bereits eine Tochter namens Elizabeth. Alle vier Frauen sind an diesem Wintertag in Aufregung, denn Will hat seine Ankunft für den zwölften Dezember angekündigt. Zu allem Überfluss kommt auch noch Wills Schwester, Tante Joan, zu Besuch, um bei diesem seltenen Ereignis dabei zu sein. Sie hat sich in Schale geschmissen, um alle zu beeindrucken.

Vier Reiter scheinen vor Annes Haus, sehr adrett und modisch gekleidet, wie man es von einem Mann aus der Hauptstadt erwarten würde. Doch Anne hat nur Augen für ihren Mann: Will ist dick geworden! Und was für edle Kleider! Sie bekommt offenbar kein Wort heraus, so dass Joan gerne einspringt. Da eilt Anne zu ihrem Gatten, um ihn zu begrüßen, willkommen zu heißen und ins Haus einzuladen.

Drei Jahre später. Will liegt mit Fieber im Bett und Anne pflegt ihn. John Hall ist gekommen und empfiehlt Bettruhe, denn Will habe hohes Fieber, dann verabreicht er ihm einen grässlich schmeckenden Heiltrank. Sie erinnert sich an den Tag seiner Ankunft und was daraus folgte. Denn etwas stimmte mit Will ganz und gar nicht. Dies war nicht der Will, der vor 20 Jahren auf und davon ging und sie mit drei kleinen Kindern zurückließ. Dies war ein ganz anderer Mann, auch wenn er ihm glich…

Mein Eindruck

Der des elisabethanischen Englischen mächtige Leser nimmt zunächst an, dass es sich bei Will um keinen anderen als William Shakespeare handeln könne. Falsch gedacht! Die drei Begleiter, Fox & Frill sowie der aufschneiderische Schauspieler Drayton – sind die Komplizen eines Hochstaplers, der sich 20 Jahre lang als William Shakespeare ausgegeben hat. Anne erfährt nie seinen früheren Namen, was aber auch nicht relevant wäre, sondern Anne (Hathaway) interessiert vielmehr, was aus „ihrem“ William geworden ist. Nun, um es kurz zu machen: Mord.

Dieser „Will“ erklärt es Anne schon beim ersten Mal, als sie alleine sind. Er musste den Mord ausführen lassen, um seinerseits dem Geheimdienst Ihrer Majestät zu entgehen. Nun unterwirft er sich ihrer Gnade und deponiert sämtliche Stücke, für die „William Shakespeare“ berühmt ist, in einer Truhe in ihrem Schlafzimmer. Als sie Fox & Frill bei Überlegungen belauscht, die lästige Zeugin ebenfalls zu beseitigen, willigt sie ein, Will bleiben zu lassen. Nicht für sie selbst, sondern für ihre Töchter und die Enkelin.

Drei Jahre später liegt dieser Will mit hohem Fieber im Sterben. Er fragt, ob sie alle Stücke verbrannt habe und sie sagt ja. Doch in Wahrheit hat sie alle Manuskripte aufbewahrt und an einem unauffälligen Ort versteckt: in der Bettdecke. Den Manuskripten nicht so ergehen wie Kit Marlowes Manuskript „Dr, Faustus“, das vor ihren Augen verbrannt wurde. Und so kommt es, dass „William Shakespeare“ dank der Schlauheit und Tapferkeit einer Frau ewiger Ruhm zufiel, man aber von seiner Frau Anne Hathaway nur das Allernötigste weiß.

(Der Verweis auf Christopher „Kit“ Marlowe, der ermordet wurde, könnte ein versteckter Hinweis sein, dass es sich beim falschen Will um den wahren Kit handelt. Diese Theorie wurde bereits aufgestellt, denn es ist gesichert, dass Marlowe im Geheimdienst Ihrer Majestät als Agent arbeitete und sich dadurch bei ihren und seinen Gegnern nicht gerade beliebt machte.)

Hinweis

Der Text ist nur für Leser verständlich, die mit dem elisabethanischen Englisch vertraut sind, in dem Shakespeare seine Stücke abfasste. Eine Eigenart: „Thou“ bedeutet „Du“, aber „You“ bedeutet „Ihr, Euch“. Das war also vor einer sprachlichen Entwicklung, bei der das „Thou, thee, thine“, das so germanisch klingt, in regionalen Dialekten verschwand. Mehrfach grübelte ich über die Bedeutung des Wortes „sack“ nach, mit dem offenbar „Bier“ oder etwas ähnliches bezeichnet wurde. John Lennon meinte jedenfalls mit „to hit the sack“ etwas ganz anderes.

7) Chance (1986, deutsch als „Chancen“ in „Hiroshima soll leben“, Heyne 06/4740)

Elizabeth Wilson hat den ehrgeizigen Paul geheiratet, der unbedingt einen Job an der Uni als Dozent ergattern möchte. Es war ihr Wunsch, an diese Uni zu ziehen, wo sie vor 15 oder 17 Jahren selbst Studentin war. Weil die Wohnung teurer ist als die alte, sollte Elizabeth eigentlich einen Job annehmen, doch irgendwie schafft sie es nicht einmal, die Bewerbung auszufüllen und abzugeben. Denn ständig kommt ihr die Zeit von früher dazwischen, und zwar buchstäblich.

Die Kommilitonen von damals laufen ihr ständig über den Weg, doch es sind keine Geister, sondern Leute aus Fleisch und Blut, wie es scheint. Da ist Phillip „Tupper“ Hofwalt, der sich für Elizabeth interessiert hatte, doch sie hatte ihn abgewiesen, sie weiß nicht mal, aus welchem Grund eigentlich. Vielleicht wegen seiner unsäglichen Tupperpartys. Oder weil sie dachte, er würde sich um Tib bemühen statt um sie. Aus Gekränktsein weist sie Tuppers Kontaktversuche ab.

Von ihrer Nachbarin ist Elizabeth zu einer Tupperware-Party eingeladen worden, und auf Pauls Geheiß geht sie dorthin, allerdings etwas beklommen. Was für seltsame Spiele diese Leute treiben! Hier lernt sie ihre ehemalige Mitschülerin Sandy Oberhausen kennen, die als „Alum Rep“, also Redakteurin der Ehemaligen-Zeitung, nachverfolgt, was aus den früheren Klassen geworden ist. Von ihr erfährt sie, dass die gute alte Zimmergenossin Tib, die einen Anwalt geheiratet hat, nun vor der Scheidung steht und eine Trinkerin geworden ist. Und wie Elizabeth von Sandy erfährt, hat sich Tupper fünf Jahre zuvor umgebracht.

Doch die Geister der Vergangenheit geben nicht auf und holen Elizabeth immer wieder ein. Janice Brubaker war ebenfalls auf der nachbarlichen Tupperware Party und entpuppt sich nun als bibelfeste christliche Zeugin (Zeugin Jehovas). Da merkt Elizabeth endlich, dass sie von Schuldgefühlen gegenüber Tib und Tupper zerfressen ist, doch nun erfasst sie, dass Jesus alle Schuld auf sich genommen hat. In einem intensiven Gefühlsausbruch schockiert sie das Ehepaar Brubaker und ihren Mann Paul. Die für sie arrangierte Sekretärinnenstelle kann sie vergessen, und Paul will sie an einen Psychiater überweisen.

Dass ihr Ausbruch in Wahrheit ein Durchbruch war, merkt Elizabeth, als sie erneut Tib und Tupper begegnet, aber diesmal auch die frühere Elizabeth Wilson mitkommt: Alle helfen ihr nach einem Sturz wieder auf die Beine. Aus der Entzweiung ist Versöhnung geworden. Doch als sie nach Hause zurückkehrt, schaut sie seelenruhig zu, wie sich Eis auf ihrer Haut bildet…

Mein Eindruck

Erst allmählich, in der nahtlosen Verschränkung und Überlagerung von Vergangenheit und Gegenwart, erkennt Elizabeth, dass sie Tupper wirklich geliebt hat. Dass ihre Ehe mit Paul ein Käfig aus emotionaler und seelischer Kälte ist, in dem sie buchstäblich erfriert… Sie hat die schuldbeladene Dissoziation von ihrem früheren Selbst und der gescheiterten Liebe zu Tupper zwar überwunden, doch im Laufe der Versöhnung mit der früheren Elizabeth ihr gegenwärtiges Ich in der Vergangenheit verloren. Nun ist sie selbst eines der Gespenster geworden.

Connie Willis ist eine Spezialistin für realistisch geschilderte, psychologisch sehr glaubwürdig geschilderte Zeitreisen des Geistes. Für die Novelle „Brandwache“ etwa bekam sie ebenso einen Preis wie für ihren Roman „Die Farben der Zeit“. Auch in „Chancen“ zeigt sie auf, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflusst und praktisch in Elizabeth fortlebt. Die emotionale Wirkung ist schmerzhaft und traurig – ebenso wie die der Erzählung an sich.

8) In the Late Cretaceous („In der späten Kreidezeit“, 1991)

Dr. Sarah Wright ist Dozentin der Fakultät für Paläontologie, aber sehr skeptisch, was die Zukunft der Fakultät wie auch ihre eigene Stelle geht: Beide sind wie der T. Rex vom Aussterben bedroht, denn die Regierung ihres Bundesstaates hat soeben eine Kürzung des Budgets um 19 Prozent veranlasst. Das heißt, es werden Köpfe rollen.

Sie organisiert eine Art Widerstand, doch die Dekanin der Fakultät hat andere Pläne: Ein Dr. Jeremy King soll frischen Wind in die Methoden und Themen der Universität bringen. Allein schon das überkandidelte Vokabular, das dieser Dr. King verwendet, macht Sarah stutzig. Ihr Assistent findet heraus, dass King an der Oberschule nicht Baseballtrainer war, wie sie vermutet, sondern ein Ringer. Sie will wissen, wo er seinen Doktortitel erworben hat, sicher nicht an einer Uni. Dr. Albertson hingegen weiß, woher der Wind weht und äfft King bei jeder Gelegenheit nach.

King hat seinen Wagen auf dem Parkplatz abgestellt, der für die Dozenten reserviert ist. Angeblich habe ihm einer von ihnen die Erlaubnis dazu gegeben. Sarah Wright erfasst den Ernst der Lage: Denn die Polizei verteilt eifrig Strafzettel auch an jene, die einen Parkerlaubnisaufkleber angebracht haben, der jedesmal an die 70 Dollar kostet. Widerstand ist auch an dieser Front zwecklos. Und die Beschwerdestelle verfolgt eine durchsichtige Hinhaltetaktik. Am nächsten Tag wird sie vermisst. Ihr Assistent hat lediglich die Auskunft, dass sie ohne Vorwarnung gekündigt habe.

Mein Eindruck

Die Autorin zieht eine ironisch-bissige Parallele zwischen den Raub- und Beutetieren in der späten Kreidezeit, als der T. Rex die wehrlosen Hadrosaurier riss, zu den Verhältnissen an einer modernen Universität, wo exakt die gleichen Machtstrukturen herrschen. Unter dem Druck ständiger Kürzungen entwickeln die Dozenten Methoden, um zu tarnen, zu tricksen und zu täuschen. Dieser Doktor King, der so viele falsche Vokabeln im Mund führt, ist die nächste Generation: Ein Täuscher, dem man die Macht gegeben hat, alte Saurier wie Dr. Othniel abzuservieren: Der alte Knacker schreibt ja noch mit Kreide an eine Tafel – unhaltbar! Dabei ist es „irrelevantisch“, dass Dr. Othniels Lehrstoff völlig korrekt ist.

Ein weiterer Kontrast besteht in dem, was die Studenten, die durch dieses Pseudosystem getrieben werden, entweder ungerechte Strafzettel wegen Falschparkens im Kopf haben, eine neue Beziehung oder völlig durcheinander gewürfelte Infos niederschreiben: „Der TRX hatte fünf Beine.“ Alles in allem zieht die Autorin ein desaströses Fazit des desolaten Uni-Betriebs.

9) Time Out (1989, in Heyne Nr. 06/4906 = IASFM #39)

Dr. Max Young hat die Theorie aufgestellt, dass sich die Zeit in kleine Quanten aufteilen und neu arrangieren lasse. Dafür hat er einen Temporaloszillator gebaut. Diese Theorie findet Dr. Lejeune, die er zu seiner Projektleiterin macht, „irrwitzig“. Den Temporaloszillator bezeichnet sie als „Zeitmaschine“, wogegen er sich verwahrt. Doch er hat offenbar die Bundesregierung dazu bringen können, sein Projekt zu finanzieren und es an einer Volksschule durchzuführen.

Heute holt er mit Dr. Lejeune den etwa 42 Jahre alten Forscher Andrew Simons vom Flughafen ab. Andrew hat fünf Jahre in einem tibetanischen Lama-Kloster verbracht. Leider hat er die Projektbeschreibung nicht rechtzeitig gelesen und folglich keine Ahnung, auf was er sich eingelassen hat. Aber er hält verzweifelt Ausschau nach dem – stets fehlenden – Notausgang. Da Dr. Youngs Porsche nur zwei Sitze aufweist, muss Andrew ein Taxi nehmen. Dr. Lejeune schweigt eisern anderthalb Wochen lang. Sie ahnt Schlimmes.

An der Volksschule hat der „Bürohengst“ Mr. Paprocki, der den Duft von Dollars liebt, das Musikzimmer freiräumen lassen. Die Musikschüler üben jetzt in der Turnhalle. Das Musikzimmer ist eng und verfügt nur über einen Lichtschalter und eine einzige Steckdose, wie Andrew schnell herausfindet. Sämtliche elektronischen Geräte muss er daran anschließen. Carolyn Hendricks, die Mutter von zwei Schülerinnen und die Elternsprecherin für Notfälle, soll ihm assistieren. Sie ahnt sofort, dass alles von einer gut funktionierenden Sicherung abhängt.

Tatsächlich fällt wenig später das Licht aus. Es ist seltsam, findet Andrew, aber er kann Carolyn irgendwie erspüren, obwohl er nichts sieht. Diese Situation könnte in einer Beziehungskatastrophe enden, ahnt er zudem, und vermeidet es, Carolyn in eine peinliche Lage zu bringen, indem er sie umarmt. Er tastet sich zum Lichtschalter durch… Carolyn hat genau die gleichen Empfindungen und ist später froh, dass er so rücksichtsvoll war.

Während Dr. Lejeune misstrauisch wird, als sie hört, dass Dr. Young hier in Henley schon einmal ein Psycho-Experiment durchgeführt hat, bricht eine Windpocken-Epidemie aus. Sie wirbelt einige Kontakte durcheinander. Ausgerechnet jetzt (nach der Beinahe-Katastrophe mit Carolyn) verlässt Andrew Simons sowohl Experiment als auch Schule, um nach Tibet zurückzukehren. Doch dorthin schafft er es nicht, denn die Uni in L.A. hat nur ein winziges Übernachtungsquartier für ihn.

Hier erlebt er einen unerklärlichen Transfer durch Raum und Zeit an die Nebraska State School (NSC), und zwar in kein anderes Zimmer als das der 19-jährigen Carolyn Hendricks, die jetzt allerdings noch Rutherford heißt. Und diese Nacht zusammen erklärt auch, dass sie als einzige im Frauentrakt der NSC die Windpocken bekommt – und warum sie sie Jahre später in Henley nicht mehr bekommen kann, weil sie durch Andrew immunisiert worden ist.

In der Gegenwart: Dr. Lejeune kommt Max Young auf die Schliche und beschließt, ihm mit gleicher Münze den Schaden, den sein Experiment angerichtet hat, heimzuzahlen. Sie hat bereits die einsame Sekretärin Sherri mit Mr. Paprocki, dem Bürohengst, im Musikzimmer zusammengesperrt. Wäre ja gelacht, wenn sie nicht auch Max Young bekehren könnte…

Mein Eindruck

Zwischen Carolyn Hendricks, Andrew Simons und zwei Orten und Zeiten besteht also eine kausale Schleife. Sie ist möglicherweise sogar eine Zeitschleife. Es dauert eine Weile, bis auch Dr. Lejeune Andrew Simons und Max Young auf die Schliche kommt, doch dann spielt sie selbst den Advocatus diaboli und beginnt mit der Verkuppelung von Männlein und Weiblein.

Des öfteren nutzt die Autorin die Anziehungskraft zwischen Mann und Frau – keine Homosexuellen – um entweder Chaos oder Ordnung zu stiften. Zumindest führen ihre resoluten Protagonistinnen wie Dr. Lejeune eine neue Ordnung herbei, die hoffentlich gerechter und hoffnungsvoller als die vorhergehende ist. Siehe dazu auch die Story „In the Late Cretaceous“.

10) Jack (1991)

London Mitte 1940. Die deutsche Luftwaffe fliegt jede Nacht Bombenangriffe auf die britische Hauptstadt. Die Angriffe werden von zahlreichen Luftschutzpatrouillen beobachtet und gemeldet. Im Stadtteil Chelsea, nahe der U-Bahnstation Sloane Square, zwischen Hyde Park und Themse, befindet sich der Posten, in dem Jack Harker mit seiner Gruppe Freiwilliger Dienst tut. Mrs. Lucy, der das vierstöckige Haus gehört, leitet die Personalverwaltung. Sie ist in Sorge um Violet Westen, deren Schicht gerade begonnen hat, die aber nicht aufgetaucht ist.

Mrs. Lucy stellt als Ersatz einen neuen Teilzeitrekruten ein: Jack Settle, der offenbar aus dem sehr ländlichen Yorkshire stammt. Das erklärt, dass er den angebotenen Tee ebenso ablehnt wie die angebotene Sahnetorte, die Violet mitbringt, als sie endlich eintrifft. Die leckere Erdbeertorte ist im Handumdrehen ihrer natürlichen Bestimmung zugeführt, und Jack Harker, unser Chronist, schnappt sich das letzte Stück. So etwas Seltenes wie eine Sahnetorte dürfte es in hundert Meilen Umkreis nicht geben, denn Zucker, Milch und vor allem Erdbeeren sind streng rationiert. Umso merkwürdiger, wenn so eine Köstlichkeit verschmäht wird.

Aber ein Auge hat Harker erst dann auf Jack, als dieser behauptet, unter den Trümmern eines zerbombten Hauses gebe es noch ein Lebenszeichen und dementsprechend danach graben lässt. Zum Vorschein kommt Colonel Godalming, der aber angibt, er habe keineswegs um Hilfe geschrien, wie alle behaupten. Harker wundert sich daher, wie es Settle möglich war, den Oberst zu orten. Als dies immer wieder passiert, beschließt er, Settle zur Rede zu stellen. Weil aber die Konkurrenz in Gestalt von Luftschutzwart Nelson ständig Leute abwirbt, um sie in riskanten Noteinsätzen zu verheizen, will er Settle nicht verpfeifen. Vorerst kommt es nicht dazu, denn es gibt viel zu tun.

Als dann aber zwei gerettete Frauen, darunter das Mädchen Mina, erst gerettet werden, dann aber dennoch an Blutverlust sterben, kommt Harker auf einen ganz anderen Gedanken: Ist dieser merkwürdige Settle, der weder isst noch schläft und auch keine Adresse hat, am Ende ein Vampir? Dieser finstere Verdacht verleitet Harker dazu, Settle subtil an Luftschutzwart Nelson zu verraten. Nicht mal eine Woche später ist er tot. Harker hat zwar Gewissensbisse, aber er ist inzwischen derart übermüdet, dass er alles in seinen Erinnerungen durcheinanderbringt. Nach einem Einsatz in Nordafrika 1941 (Tobruk) findet er endlich wieder Ruhe und kann über Settle nachdenken.

Mein Eindruck

Wer schon mal den Roman „Dracula“ von Bram Stoker gelesen oder die Verfilmung von Francis Ford Coppola gesehen hat, dem sind die Namen, die die Autorin hier verwendet geläufig: Jonathan Harker heißt im Roman der junge Anwalt, der nach Transsilvanien reist, und Mina Harker ist seine Verlobte, später seine Frau. Beide geraten durch Vampire in höchste Gefahr. Man könnte also sagen, dass diese Erzählung eine Variation auf das Thema „Dracula“ ist.

Gleichzeitig nimmt die Autorin den Hintergrund aus „Brandwache“ wieder auf: die deutschen Luftangriffe auf die britische Hauptstadt und andere Städte wie etwa Coventry. Diese in allen Details geschilderten Szenen sind sehr bedrückend, doch der Durchhaltewille und das Engagement der Luftschutzwarte – Späher, Patrouillen, Retter – ist phänomenal. Es gibt drei verschiedene Bomben: Sprengbomben zerstören Dächer und Fenster, was es den nachfolgenden Brandbomben vereinfacht, Gebäude in Brand zu setzen. Bomben mit Verzögerungszünder sind die fiesesten Waffen der Deutschen: Sie fordern die meisten Opfer unter den Nothelfern. Der Anblick von Leuchtkörpern – „Christbäume“ genannt – über den Dächer der Stadt verwandet das Häusermeer in eine Phantasmagorie von Hieronymus Bosch.

Wie also könnte ein Vampir hier nicht sein Unwesen treiben? Es gibt Leichenschänder und Plünderer, da fällt ein Blutsauger kaum auf. Man muss schon ein Auge dafür haben. Und wer weiß: Vielleicht halluziniert Harker ja wegen Übermüdung all diese Dinge und irrt sich gründlich. Aber wenn es keine Blutsauger gibt, so gibt es doch garantiert den Horror der Bürokratie. Diese rund 60 Seiten lange Novelle ist mit der eindrücklichste Beitrag zu dieser Sammlung.

11) At the Rialto (1989)

Das Rialto ist ein Hollywood-Hotel, dessen Säle alle nach Filmfiguren benannt sind, was ja irgendwie naheliegt. Der Walk of Fame liegt gleich vor der Tür und Grauman’s Chinese Theater praktisch um die Ecke. Dieses Bermuda-Dreieck der Attraktionen erweist sich als verhängnisvoll für den Ablauf der Internationalen Konferenz für Quantenphysiker (ICPQ).

Dr. Ruth Baringer will ins Rialto einchecken, doch an der Rezeption sitzt ein Mädchen, das lediglich die Rolle einer Rezeptionistin spielt: Sie sei eine Schauspielerin/Modell, das diesen Job bloß mache, um XYZ finanzieren zu können. Sie kann weder Reservierungen noch Gäste noch Räume finden. Nach ein paar Stunden hat Ruth das Prinzip durchschaut und wartet, bis eine echte Rezeptionistin die Darstellerin ablöst. Weder Telefon noch Klimaanlage funktionieren, aber dass ein Handwerker sie repariert, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ebenso wie das Vorhaben, Dr. Gedanken wegen seines neuen Forschungsprojekts sprechen zu können.

Die Präsentationen erweisen sich als Tricks und Täuschung, was in Hollywood sicher nicht weiter auffällt. Aber es gibt ein Alternativprogramm: Männerjagd. Ruth Baringer hat von Doreen Mendoza den Tipp bekommen, dass „David“ einer der beiden letzten charmanten Männer im Universum sei. Am Schluss sieht Ruth, dass David in der Tat unentrinnbar wie ein Elektron ist, das durch Wände und Tunnel geht – und womöglich sogar eine Einstein-Rosen-Brücke für ein Wurmloch bilden kann. Schließlich finden alle gewünschten Personen in einem Kinosaal von Grauman’s Chinese Theater zusammen, und Ruth findet endlich Ruhe – und Gedanken.

Mein Eindruck

Was für eine verkehrte Welt: Während sich Quantenphysiker wie Hollywood-Schauspieler aufführen, nähert sich die Realität der Quantenphysik an. Deren Theorien werden allesamt durchgespielt, mit entsprechend chaotischen Ergebnissen, denn „niemand weiß, wie Quantenphysik funktioniert“. Für den Leser ist das erzählte Resultat dieses Umkehrungsverfahrens jedoch höchst unterhaltsam und amüsant.

Und ein bisschen Romantik wie in den alten Screwball-Komödien (die die Autorin so liebt, wie sie in einer Einführung gesteht) kommt ebenfalls auf: Werden Ruth und David wie ein Elektronen-Duo als Welle und Partikel zueinander finden? Hier darf nichts verraten werden.

Unterm Strich

Dies sind anspruchsvolle Erzählungen und Kurzromane für den denkenden, mitfühlenden Leser. In den achtziger und neunziger Jahren entstanden, greifen die Geschichten vielfach satirisch Entwicklungen auf, die schon damals zu beobachten und heute zu spüren sind, so etwa das Artensterben und die Überbevölkerung. Frauenthemen sind ein Standard, den man von einer weiblichen Autorin erwarten würde, so etwa in „Even the Queen“.

Weitere Themen sind Standards aus der Phantastik, allerdings mit einem neuen Dreh: Ein Vampir während des Londoner „Blitz“, eine Zeitschleife in der Provinz, Quantenphysik in Hollywood und einiges mehr. Die Geschichte „Winter’s Tale“ ist hingegen eine stilecht in elisabethanischem Englisch erzählte Kriminalgeschichte inklusive Mord, Identitätsschwindel und Bücherverbrennung. Sie sticht in vielfacher Hinsicht aus der Auswahl heraus, doch auch hier spielt die weibliche Sichtweise bzw. Anne Hathaways Blickwinkel eine bedeutende Rolle.

Kurzum: Die mittlerweile fast achtzig Jahre alte Autorin sammelte in dieser Collection einige ihrer besten und einfallsreichsten, aber auch bissigsten Erzählungen. Dem deutschsprachigen Leser wurden einige dieser Texte in IASFM-Auswahlbänden und Anthologien zugänglich gemacht. Aber bei Heyne und den anderen Verlagen gibt es solche Sonderausgaben heute nicht mehr.

Taschenbuch: 463 Seiten
O-Titel: Impossible Things, 1993.
Bantam Spectra, New York City
ISBN-13: 9780553564365

Bantam Spectra

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