Ian Fleming – James Bond 007: Moonraker

Das geschieht:

Er ist ein Kriegsheld, einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner seiner Zeit, märchenhaft reich, ein Philanthrop, der mit Spendengeld um sich wirft. Jetzt finanziert und konstruiert Hugo Drax seinem britischen Heimatland sogar die modernste Rakete der Gegenwart, die Atombomben an jeden Ort der Erde tragen kann, wo Kommunistenpack oder anderer Abschaum sich gegen die freie Welt des Westens verschwören will.

„Moonraker“ ist für die auch in diesem Jahr 1955 notorisch klamme Regierung Ihrer Majestät ein Geschenk des Himmels. An der englischen Küste nahe Dover wird die Wunderrakete gebaut und in Stellung gebracht. Zwischenfälle sind unerwünscht. Umso peinlicher, dass ausgerechnet M, der die 00-Abteilung des Secret Service – zuständig für ganz besonders diffizile Geheimdienstaufgaben – leitet, den in seinem Lieblingsclub zockenden Drax als Falschspieler entlarvt. Guter Rat ist teuer, um einen Skandal zu vermeiden. So bittet M James Bond, Dienstnummer 007, um Hilfe.

Der mit allen Wassern gewaschene Bond versetzt Drax am Spieltisch eine Niederlage, die dieser niemals vergessen wird. Der gedemütigte Mann schwört Bond offen Rache. Dieser hält seinen Gegner für einen Geisteskranken am Rande des Cäsarenwahns. Damit liegt Bond richtig, wie er herausfindet, als er einigen mysteriösen Ereignissen in der „Moonraker“-Station nachgeht: Drax will sein Land nicht beschützen, sondern verraten. Die Wunderwaffe gehorcht nur seinem Befehl, und er ist ein Scherge der teuflischen Sowjets! London soll im Atomfeuer untergehen, damit sich die freie Welt den Roten unterwirft. James Bond ist der einzige, der den perfiden Plan vielleicht im letzten Moment zum Scheitern bringen kann. Das Problem ist, dass Drax ihn keineswegs vergessen hat und sich gern die Zeit nimmt, Bond ein ganz besonders übles Ende zu bereiten …

Thriller-Spannung mit Schlampereien

Das dritte James-Bond-Abenteuer gehört sicherlich nicht zu den Höhepunkten der Serie. In einzelnen Passagen zeigt sich zwar Flemings Meisterschaft, einen spannenden Thriller zu erzählen. Die Sequenzen in und um den „Moonraker“ gehören sicherlich dazu. Erhellend auch die Schilderung von Bonds üblichem Arbeitstag, der so gar nichts vom Alltag eines Super-Agenten hat. Das war’s aber schon.

Stattdessen irritiert „Moonraker“ durch außerordentliche strukturelle und inhaltliche Schwächen. Da ist natürlich vor allem das berühmte Kartenspiel-Duell, das fast ein Drittel des Romans in Anspruch nimmt. Fleming verstand sich aufs Spiel, das ist sicher, und es war ihm so wichtig, dass er mit der für ihn typischen Detailfreude nicht davor zurückschreckt, dem Leser vor Bonds letzter Attacke den Spielstand per Diagramm vor Augen zu führen. Das soll die Spannung erhöhen, dürfte aber wohl nur bei passionierten Kartenhaien funktionieren.

Dann gibt es eine nächtliche Autoverfolgungsjagd zwischen Drax, der die gefangene Gala Brand entführt hat, und Commander Bond, der dem Schurken hinterherjagt. Selten wird die Diskrepanz zwischen 007-Büchern und -Filmen deutlicher als hier: Mit einem Durchschnittstempo von 150 Stundenkilometern auf ansonsten völlig leerer Straße hält sich die Spannung heute, wo die Fetzen buchstäblich fliegen, in Grenzen. Ein zufällig des Wegs daherkommender Rennfahrer (!) muss flugs als Bauernopfer dienen, um die Gefahr dieser ‚Hetze‘ zu verdeutlichen.

Als die Deutschen noch verdächtig waren

Der (oder die?) „Moonraker“ ist ein MacGuffin reinsten Wassers: ein Element, das die Handlung legitimieren und in Gang bringen soll, sich bei näherer Betrachtung freilich als Schwachsinn entlarvt. Welche Regierung würde eine solche Superwaffe von einem Privatmann finanzieren und bauen lassen? Das Militär darf den „Moonraker“ offenbar nur bewachen. Ansonsten kann Drax nach Belieben schalten und walten.

Dabei lässt er sich ausgerechnet von Nazis zur Hand gehen. „Moonraker“, der Roman, entstand 1955. Die Erinnerung an die Schrecken des II. Weltkriegs und jene, die ihn vom Zaun gebrochen hatten, war noch frisch. Bei der Schurkenwahl half Fleming auch die bekannte Tatsache, dass deutsche Wissenschaftler wie Wernher von Braun, die Hitlers Raketenwaffe ermöglicht hatten, nach Kriegsende ohne Nachprüfung möglicher Kriegsverbrechen sowohl von den östlichen als auch den westlichen Siegermächten hofiert und weiterbeschäftigt wurden.

Der Kalte Krieg förderte diese eigenwillige Form der Integration. Trotzdem wirkt der Gedanke an eine Art Werwolf-Stoßtrupp, der zehn Jahre nach dem Ende des „Dritten Reiches“ in den Dienst der Sowjetunion tritt, wenig überzeugend, zumal Drax‘ Mannen genau jene „Dein-auf-ewig-mein-Führer!”-Knallchargen sind, mit denen uns die Angelsachsen in Buch und Film seit Jahrzehnten zu ärgern pflegen.

James Bond im Büro

James Bond ist nach Ian Fleming keineswegs der ständig die Welt rettende Supermann, sondern primär ein Beamter, der acht Stunden täglich Schreibtischarbeit leistet und nur zwei- bis dreimal pro Jahr außergewöhnliche Missionen zu erfüllen hat. Die ersten Seiten von „Moonraker“ schildern diesen ganz und gar nicht heldenhaften Alltag. Wieder bestätigt sich, dass der Bond des Kinos mit dem des Buches herzlich wenig zu tun hat.

007 bleibt dieses Mal zu Hause, d. h. in England. Dort hat er eigentlich nichts verloren; wenn er das Büro verlassen muss, er arbeitet normalerweise im Ausland. Dort sehen wir ihn ehrlich gesagt auch lieber, denn Bond erweist sich als erschreckend konservativer Charakter. Er liebt die feudale Kulisse ledersesseliger Clubs und hält es auch sonst gern mit den Mächtigen dieser Welt. Dazu gehört die totale Identifikation mit dem Job, der den bedingungslosen Krieg gegen die UdSSR beinhaltet. In seiner Zeit erregte Bond damit kein Aufsehen (außer bei den erwartungsgemäß erzürnten Sowjets). Heute wirkt sein Fanatismus angestaubt.

Bond ‚funktioniert‘ am besten, wenn er handelt. Der Kampf um und gegen die startende Atomrakete, die nächtliche Verfolgungsjagd, sogar das Gefecht am Spieltisch: Hier ist 007 in seinem Element, hier kann er noch heute begeistern. Auch seinen Elan als Womanizer wird nicht lächerlich überstrapaziert wie in den Filmen. Gala Brand fühlt sich von ihm durchaus angezogen, aber sie erliegt ihm nicht. Im Finale steht Bond mit leeren Händen da.

Kein Gentleman = ein Strolch

Mit Hugo Drax betritt ein weiterer der körperlich wie geistig dekorativ deformierten Bösewichte die Flemingsche Thriller-Arena. Dieses Mal übertreibt es der Autor freilich maßlos: Drax ist hässlich, grob, kein Gentleman. Daraus ergibt sich quasi automatisch, dass er ein irrer Schurke sein muss. Seine Überlebensgröße unterstreicht Fleming, indem er ihn als verkappten Nazi und Bundesgenossen der Sowjets gleichzeitig diffamiert: Kann ein Mensch tiefer sinken?

Drax‘ Größenwahn und seine Folgen werden medizinisch korrekt inszeniert. Auch Bond erkennt, dass der Schöpfer des „Moonraker“ ein kranker Mann ist. Fragt sich bloß, wieso dies die Spezialisten der Regierung Ihrer Majestät nicht erkannt haben, bevor sie einem Privatmann gestatteten, mit einer Horde deutscher Finstermänner in einer verschwiegenen Geheimstation eine Superrakete zu bauen …

Natürlich sollten die Bond-Thriller weniger ‚realistisch‘ als spannend sein. Fleming stellt sich freilich selbst immer wieder ein Bein, wenn er einerseits penibel über Mode und gute Küche referiert aber andererseits in den Action-Sequenzen schludert. „Moonraker“ gehört zu den Romanen, in denen Fleming kein Gleichgewicht fand. Die Nostalgie soll’s richten – eine Rechnung, die aber in diesem Fall trotz der schönen Gestaltung der Neuausgabe nur bedingt aufgehen dürfte.

Autor

Ian Fleming (1908-1964) war ein typisches Oberschicht-Gewächs des spätimperialistischen Großbritannien. Erstklassige Schulbildung (Eton) und die sprichwörtliche „steife Oberlippe“ zeichneten ihn aus, gleichzeitig war er ein Individualist, dessen Lebensweg gleich mehrere Skandale säumten. Im II. Weltkrieg lernte Fleming als Mitarbeiter des Marine-Geheimdienstes die geheimnisvolle Halbwelt kennen, die er später so effektvoll zu dramatisieren wusste. Einige wagemutige Kommandounternehmen im Mittelmeer werden ihm zugeschrieben.

Den Globus bereiste Fleming schon vor dem Krieg als Journalist (u. a. in Moskau) und nach 1945 als Auslandskorrespondent der „Sunday Times“. Er zog die Sonne dem englischen Regen vor und ließ sich an der Nordküste der damals noch britischen Inselkolonie Jamaica nieder. Dort begann er ab 1953 die James-Bond-Thriller zu schreiben; es wurden bis 1964 insgesamt zwölf (plus zwei Kurzgeschichten-Sammlungen).

Nach 1960 begann Flemings Gesundheit zu verfallen. Er weigerte sich, seinen Lebensstil zu ändern, d. h. seiner Herzkrankheit entsprechend zu leben. Folgerichtig erlag er am 12. August 1964 einem Infarkt, aber immerhin stilvoll auf dem Royal St. George‘s Sandwich-Golfplatz in Kent, der schon Goldfinger zum Verhängnis geworden war.

Über Leben und Werk informiert u. a. diese Website.

Taschenbuch: 320 Seiten
Originaltitel: Moonraker (London: Jonathan Cape 1955)
Übersetzung: Stephanie Pannen/Anika Klüver
http://www.cross-cult.de

eBook: 911 KB
ISBN-13: 978-3-86425-074-3
http://www.cross-cult.de

Hörbuch-Download: März 2013 274 min. (gekürzt; gelesen von Oliver Siebeck)
http://www.audible.de

Hörbuch-Download: 483 min. (ungekürzt; gelesen von Oliver Siebeck)
http://www.audible.de

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