Ken Follett – Die Tore der Welt

Höhen und Tiefen des Schicksals: Mittelalter-Seifenoper

England im Jahre 1327. Es ist der Tag nach Allerheiligen. In der Stadt Kingsbridge trifft sich im Schatten der Kathedrale das Volk. Vier Kinder flüchten vor dem Trubel in den nahe gelegenen Wald. Dort werden sie Zeugen eines Kampfes – und eines tödlichen Geheimnisses. Merthin, ein Nachfahre von Jack Builder, dem Erbauer der Kathedrale, hat dessen Genie und rebellische Natur geerbt. Sein starker Bruder Ralph strebt den Aufstieg in die Ritterschaft an. Caris, Tochter eines Wollhändlers, hat den Traum, Arzt zu werden. Gwenda, Kind eines Taglöhners, will nur ihrer Liebe folgen.

Und da ist noch Godwyn, Caris‘ Vetter, ein junger Mönch, der entschlossen ist, Prior von Kingsbridge zu werden. Koste es, was es wolle. Ehrgeiz und Liebe, Stolz und Rache werden den Weg dieser Menschen bestimmen. Pest und Krieg werden ihnen das Liebste nehmen, was sie besitzen. Glück und Unglück werden sie begleiten Doch sie werden die Hoffnung niemals aufgeben. Und immer wird der Schwur sie verfolgen, den sie an jenem schicksalhaften Tage leisteten. (Verlagsinfo)

Die Filmbuchausgabe, die ich hier bespreche, wartet mit dem Titelbild der TV-Serie (Sat1) auf. Mit 32 Seiten Filmfotos in Farbe und einer Leseprobe zu »Sturz der Titanen«. Mehr zur Verfilmung siehe unten.

Der Autor

Ken Follett, geboren 1949 im walisischen Cardiff, wurde durch die Verfilmung seines Spionagethrillers „Die Nadel“ bekannt, der laut Wikipedia rund 12 Millionen Mal verkaufte. Den internationalen Durchbruch erzielte er laut Verlag mit dem historischen Roman „Die Säulen der Erde“ (1990). Auch sein Roman „Der dritte Zwilling“ wurde verfilmt. Weitere historische Romane folgen regelmäßig, zuletzt „Der Sturz der Titanen“ (2010) und „Winter der Welt“ (2012).

Im Oktober 2009 wurde im Kosmos-Verlag ein gleichnamiges Brettspiel für zwei bis vier Spieler veröffentlicht, das 2010 den Preis Spiel des Jahres plus für anspruchsvolle Spiele erhielt. Autoren des Spiels sind Michael Rieneck und Stefan Stadler.

Die Verfilmung

Nach dem großen Erfolg von Die Säulen der Erde kündigte die Münchener Produktionsfirma Tandem Communications die Verfilmung des Nachfolgeromans Die Tore der Welt in einer achtteiligen Miniserie an. An der Produktion beteiligt waren Scott Free Films (d.i. Ridley und Tony Scott) und Galafilm, das Produktionsbudget betrug beachtliche 44 Millionen Dollar.

Drehstart war am 11. Juli 2011. Drehbuchautor war John Pielmeier, Regisseur Michael Caton-Jones („Der Schakal“). Die Hauptrollen übernahmen unter anderem Cynthia Nixon, Miranda Richardson, Ben Chaplin, Peter Firth, Charlotte Riley und Nora von Waldstätten. Ab dem 3. Dezember 2012 wurde der Vierteiler auf Sat.1 ausgestrahlt.

Hauptfiguren

1) Merthin Fitzgerald stammt von Jack Builder, dem Stiefsohn des Erbauers der Kathedrale von Kingsbridge, ab. Merthin hat Jacks Architektengene geerbt. Durch Geschick und Einfallsreichtum übertrifft er bald seinen Lehrherrn Elfric. Nachdem die alte Brücke von Kingsbridge eingestürzt ist, plant und beginnt er den Bau einer gänzlich neuen Brücke. Doch kurz vor Abschluss seiner Arbeiten wird ihm dieser Auftrag wieder entzogen. Als seine Geliebte Caris Nonne wird, um einen Hexenprozess aufgrund falscher Anschuldigungen abzuwenden, kehrt er England den Rücken.

2) Ralph Fitzgerald ist Merthins Bruder, aber von völlig anderem Charakter: stark, aggressiv, ungeduldig beim Lesen, ein vollendeter Reiter und Reiter. Er benutzt seine kriegerischen Fähigkeiten, um an die Spitze der mittelalterlichen Gesellschaft aufzusteigen. Als Knappe gerät er in Streit mit Wulfric und nutzt seine spätere Stellung als Herr von Wigleigh, sich an ihm zu rächen, indem er unter anderem auch Gwenda missbraucht. Wegen der Vergewaltigung von Annet Perkin schließlich zum Tode verurteilt, kann er sich jedoch retten, weil Graf Roland ihn als Junker im Krieg gegen Frankreich einsetzen will. Graf Roland stirbt im Krieg, sein Sohn William folgt ihm nach. Ralph kehrt 1346 erfolgreich aus der Schlacht von Crécy zurück und wird zunächst Herr von Caster und nach dem Tod des Grafen William während der Pest selbst zum Grafen von Shiring ernannt. Doch mit Gwenda ist noch eine Rechnung offen.

3) Caris ist die angriffslustige Tochter des Wollhändlers Edmund Wooler und Cousine von Godwyn. Sie stammt unmittelbar von Tom Builder ab. Ihre Schwester Alice ist mit Elfric, dem Lehrherrn von Merthin, verheiratet. Als Kind kündigt sie an, Heilerin werden zu wollen und geht bei der Kräuterfrau Mattie Wise in die Lehre – doch im Europa des Mittelalters dürfen Mädchen nicht Medizin studieren. Sie weigert sich, das Verbot zu akzeptieren. Ihre Entschlossenheit verwickelt sie in Konflikte mit der Kirche und vereitelt ihre Beziehung zu dem Mann, den sie liebt: Merthin. Nach ihrem erzwungenen Eintritt ins Kloster übernimmt sie die Verantwortung für das Hospital und wird schließlich sogar Priorin.

4) Gwenda ist die Tochter eines bettelarmen, rechtlosen Tagelöhners und eines von fünf hungernden Kindern. Die Sächsin (also keine Normannin) sieht gewöhnlich aus, will aber Wulfric heiraten, den schönsten und reichsten Jungen im Dorf Wigleigh. Wulfric aber ist mit der koketten Annet verlobt, der Tochter eines wohlhabenden Bauern. Gwenda weigert sich zu glauben, dass sie seine Liebe nicht gewinnen kann. Beim Einsturz der alten Brücke verliert Wulfric seine ganze Familie. Weil er dadurch die Erbschaftssteuer nicht zahlen kann, verliert er auch das Pacht- bzw. Lehnsrecht seiner Eltern. Annet wendet sich deshalb von ihm ab, heiratet einen anderen, und Gwenda gelingt es nun, Wulfric für sich zu gewinnen.

5) Bruder Godwyn, ebenfalls ein Abkömmling von Tom Builder, ist ein Cousin von Caris. Er wird sehr jung Mönch ist willens, Prior von Kingsbridge zu werden – und er ist nicht wählerisch bei der Auswahl der Mittel, die ihn dorthin bringen sollen. Seine kluge und hinterlistige Mutter Petronilla hilft ihm dabei nach Kräften. Trat er als Reformer an, entwickelt er sich schnell und immer mehr zu einem selbstsüchtigen und ultrakonservativen Dickkopf, dessen Ehrgeiz und Geltungssucht immer wieder Auswirkungen zuungunsten der Priorei und der Stadt haben. Er behindert den Brückenbau, vertreibt für lange Jahre Merthin aus der Stadt und veruntreut Gelder des Nonnenklosters, um sich selbst einen Priorspalast zu errichten.

6) Philemon: Der heuchlerische Bruder von Gwenda ist am Anfang Diener der Priorei. Mithilfe seiner Skrupellosigkeit verschafft er sich Zugang zur Priorei, indem er als Mönch aufgenommen wird. Durch ständige Schmeicheleien gegenüber Godwyn wird er zum Subprior erhoben. Nachdem Godwyn an der Pest stirbt, taucht Philemon auf und reißt den Priorentitel an sich. Zum Schluss macht er fast den Traum Merthins vom höchsten Turm Englands zunichte, indem er sich den älteren Klerus zum Verbündeten macht, während die Zeit für einen Bischofswechsel nicht weit ist. (Quellen: Wikipedia, Lübbe Audio)

Handlung

England im Jahre 1327. Es ist der Tag nach Allerheiligen. In der Kathedrale von Kingsbridge, die Jack Builder baute, ist viel Volk versammelt. Denn heute wird die Reliquie des hl. Adolphus gezeigt, die die Mönche der Priorei aufbewahren und nur während dieser Messe hereintragen. Die achtjährige Gwenda, Tochter eines Taglöhners und Diebes, hat von ihrem Vater den Auftrag erhalten, die prallgefüllte Börse von Sir Gerald zu stehlen.

Doch in der Kirche ist kaum Platz für sie selbst, geschweige denn für verstohlene Diebesaktionen. Ein Mädchen neben ihr hilft ihr, Caris. Und es ist Sir Gerald persönlich, der sie hochhält, damit sie von der Zeremonie etwas sehen kann. Nach erfolgreicher Tat kehrt sie zu ihren Eltern im Westflügel zurück. Erst beim nachfolgenden Frühstück bemerkt Sir Gerald seinen Verlust. Dieser führt dazu, dass er seinen Status als Ritter verliert und zum Mundling der Priorei wird, bei der er gerade seine Schulden abzahlen wollte. Im Zuge seiner Degradierung müssen sich seine Söhne Merthin und Ralph als Zimmermannslehrling respektive Schildknappe des Grafen verdingen. Dies entscheidet Graf Roland von Shiring.

Merthin, 11, und Ralph, 10, gehen in die Vorstadt jenseits der Brücke, um Bogenschießen zu üben. Merthin hat seinen Bogen selbst geschnitzt, doch ein Bogen ist nicht die Waffe eines Rittersohns, und schon bald sagt man ihm zudem, dass er zu jung fürs Üben sei. Caris Wooler und Philemon, gwendas Bruder, wundern sich über Merthin, doch die schlaue Caris weiß wie so oft einen Ausweg: Warum nicht einfach im nahen Wald üben? Der Haken ist nur, dass kein Kind in den Wald darf, denn dort leben die Geächteten. Macht nix: Sie nimmt die beiden Brüder mit und Gwenda, die ihren Hund Hobb sucht, ebenfalls.

Der Schwur im Wald

Merthin, der schwächere, aber intelligentere der beiden Brüder, erprobt seine Schießkunst vergeblich an einer stämmigen Eiche. Doch Ralph, der Kräftigere, schießt nicht nur erfolgreich auf die Eiche, sondern killt gleich auch ein lebendes Objekt, nämlich ausgerechnet Gwendas Hund Hobb. Gwenda und Merthin protestieren vergeblich und wirkungslos gegen Ralphs Grausamkeit.

Als sie Männer rufen hören, verstecken sich alle, denn sie dürfen ja gar nicht im Wald sein. Ein Ritter stoppt auf der Lichtung unter der Eiche und stellt sich zwei Soldaten, die die farben der Königin tragen. Zunächst ergibt er sich und nennt sich Thomas Langley. Als die Kinder entdeckt werden, gilt es offenbar ein geheimnis zu schützen: Langley greift die Soldaten an. Ralph Fitzgerald erschießt einen der beiden, und Langley tötet den Zweiten, hat aber eine Armwunde davongetragen. Merthin verbindet seine Wunde notdürftig, danach werden alle Leichen versteckt.

Langley bittet Merthin, ein wichtiges Dokument unter der Eiche zu vergraben. Er steckt es in eine wasserabweisende, schützende Hülle, und Merthin folgt der Bitte. Das Dokument enthält ein Geheimnis, das die Königin bedroht. Langley lässt Merthin schwören, nie ein Sterbenswörtchen davon zu verraten. Es ist ein Geheimnis, das Merthins Leben immer wieder beeinflussen wird.

Unterdessen in London

Langley ist vor den Folgen eines Geschehens von nationaler Bedeutung geflüchtet. Weil König Edward II angeblich ein Homosexueller ist, führt Lord Roger Mortimer, der Liebhaber von Königin Isabella von Frankreich, einen (zweiten) Putsch der Adeligen gegen ihn an. Er lässt Edward im November 1326 gefangennehmen und in den Tower werfen. Im Januar 1327 verzichtet Edward II auf den Thron, und im März folgt ihm sein 14-jähriger Sohn Edward III ins Regierungsamt. Doch wie kommt der König am 21. September 1327 zu Tode und auf wessen Befehl hin?

Das Volk bekommt alle mögliche Versionen zu hören: Erst heißt es, es sei ein Unfall gewesen. Doch die adelige Mutter Oberin Cecilia weiß anderes, und das verrät sie Caris mit ihren letzten Worten. Edward sei mit einer glühenden Eisenstange im Hintern gefoltert und getötet worden. Deshalb fand der Arzt an seinem Körper keine einzige Verletzung.

Doch wer führte diese grausige Tat befahl und wer sie ausführte, wissen nur die Königin, ihr Lover und ihr Henkersknecht. Im Jahr 1330 stürzt der König die beiden Regenten in einem Staatsstreich und lässt Mortimer hinrichten, die Königin aus London verbannen. Doch erst einmal muss er seinen Feldzug gegen den französischen König Philipp VI. überleben, den er 1337 vom Zaun bricht …

Mein Eindruck

Der nahezu 1300 Seiten lange Roman ist in sieben Zeiträume aufgeteilt, die insgesamt die Zeit zwischen 1327 und 1361 abdecken, also rund 34 Jahre. Natürlich stehen Beziehungs- und Liebesgeschichten der verschlungenen Handlungsstränge, doch im Mittelpunkt stehen stets die oben aufgeführten Hauptfiguren.

Anders als im Film treten die Königin und der König zu keiner Zeit auf, sondern stets bloß deren verschlagener Kronrat Gregory Longfellow. Überhaupt weicht die Verfilmung in fast allen Details vom Buch ab, streicht viele Figuren und führt abenteuerliche neue Handlungsstränge ein. Wer also über das Buch sprechen will, darf sich auf keinen Fall auf die TV-Serie stützen. Ich wundere mich, dass der Autor solche umfangreichen Änderungen genehmigt hat.

Immer wieder geht es um Neuerungen in Kingsbridge, um altes und neues Denken. Das zeigt sich zunächst in der Architektur, wenn der junge Merthin die eingestürzte Holzbrücke ersetzen und dabei ausländische Baumethoden anwenden will. Aber auch in der Heilkunst begegnen die Traditionalisten Schwester Caris, die als Ketzerin angeklagt ist, mit Misstrauen, ja, Unverstand. Dass sie ein Standardwerk der Medizin verfasst, können viele nicht glauben. Merthin und Caris, die Neuerer, sind das zentrale Liebespaar, doch sie sollen lange nicht zueinander kommen – sonst wäre der Roman ja schon viel zu früh zu Ende.

Beide haben ebenso wie die Tagelöhnerin Gwenda mit der Ständeordnung des Mittelalters zu kämpfen. Merthins Bruder Ralph steigt über die Jahre bis in den Rang eines Grafen auf. Er übt sexuelle Gewalt ebenso selbstverständlich aus wie körperliche Gewalt auf dem Schlachtfeld. Wenn ihm die Bauern davonlaufen, lässt er sie wieder einfangen und sie bestrafen. Sein Umgang mit Gwenda und Lady Philippa, einer adeligen Witwe, ist rücksichtslos und ohne Mitgefühl. Er findet ein verdientes und sehr blutiges Ende.

Neben diesem weltlichen „Adel“ gibt es noch den klerikalen. Immer wieder nimmt sich Prior Godwyn, was ihm nicht zusteht, bis die Nonnen endlich klug werden und all ihre Schätze verstecken. Sie werden dennoch Opfer eines brutalen Überfalls, den Ralph in Verkleidung begeht und der zwei Ziele hat: Er will sich seiner hinderlichen Frau Mathilda entledigen und dem König ein gewisses Dokument besorgen, das sehr wertvoll sein könnte.

Caris und Merthin durchschauen ihn, können aber nichts gegen ihn unternehmen. Überhaupt steht die Gerichtsbarkeit in der Regel auf der Seite von Adel und Klerus. Deshalb müssen Caris und Merthin äußerst klug agieren und Lobbyarbeit betreiben – also genau, was Ken und Barbara Follett jahrelang selbst gemacht haben.

Historische Hintergründe

Während der Hundertjährige Krieg 1346 mit der siegreichen Schlacht von Crécy einen actionreichen Höhepunkt findet, bildet die sich ausbreitende Pest ab dem zweiten Drittel des Buches einen dunklen Hintergrund für den ganzen Rest der Geschichte. Zum Glück hat Merthin in Italien schon erste Maßnahmen der dort viel fortgeschritteneren Ärzte gesehen, von denen er Caris erzählen kann. Indem sie zahlreiche Widerstände überwindet, etwa seitens Cousin Godwyns, gelingt es Caris, viele Leben zu retten, und als die Pest 1361 erneut zuschlägt, lässt sie Kingsbridge isolieren – und kann fast alle Bewohner vor dem Schwarzen Tod bewahren.

Der Autor zeigt sich also bewandert in den Künsten des Krieges wie der Heilung, in Handel und Architektur. Alle seine Kenntnisse lassen sich überprüfen. Das Mittelalter war eine unruhige Zeit des Umbruchs, in denen alte Strukturen aufgebrochen wurden, weil wirtschaftliche Erfordernisse – tote Bauern liefern nun mal kein Getreide – oder Erkenntnisfortschritte den Wandel im Denken und Urteilen notwendig machten.

Seifenoper

Nur das Fühlen bleibt sich offenbar immer gleich, und deshalb wirkt das Buch manchmal wie eine adrenalingeladene Seifenoper. Auf den konservativen Leser mögen die vielen Sexszenen befremdlich wirken, aber es sind häufig die Frauen, die die Initiative zu einvernehmlichem Sex ergreifen. Da wird munter so mancher Busen begrapscht und so wird so manches Kleid, so manche Kutte gelüpft, bevor man ans Eingemachte geht.

Brutale Machos wie Ralph sind die große Ausnahme. Dass sich eine unwillige Frau die Pulsadern aufschneidet, wie es Lady Philippa im Film tut, kommt überhaupt nicht infrage, denn Selbstmord ist für Katholiken eine große Sünde. Selbstmördern bekommen kein Beerdigung, keinen Segen und folglich auch nicht in den Himmel, ganz klar. An Lady Philippas TV-Ende kann man die Dreistigkeit der Drehbuchautoren ablesen.

Auch der finale Zweikampf zwischen König Edward III und seinem Vater findet nicht statt. Vielmehr wurde dabei der Kampf zwischen Ralph und seinem Sohn Samuel, den er mit Gwenda zeugte, auf die königliche Ebene übertragen. Vatermord ist natürlich ebenfalls eine Sünde, aber was soll’s, dachten sich wohl die Drehbuchautoren, jetzt sind wir schon mal dabei, alles über den Haufen zu werfen, da fällt ein kleiner Mord unter Vätern und Söhnen gar nicht mehr auf. Ganz besonders dann, wenn zugleich ein Geheimnis aus der Welt geschafft werden kann.

Bonusmaterial

Diese Filmbuchausgabe beeindruckt mit 32 Seiten Filmfotos in Farbe, die zahlreiche Szenen und Figuren des Romans präsentieren – selbst wenn sie so im Buch gar nicht vorkommen. Auch eine Leseprobe zu »Sturz der Titanen« ist hier zu finden, so dass diese Ausgabe knapp 50 Seiten länger ist als die bisherige Taschenbuchausgabe.

Unterm Strich

Der Käufer dieses Buches bekommt eine ganze Menge Unterhaltung für sein Geld. Wer danach an einer Kathedrale vorübergeht, kann sich ungefähr ausmalen, welche Kräfte und Menschen an der Errichtung dieses Bauwerks beteiligt gewesen sein mögen. Er bekommt aber auch vor Augen geführt, wie zerbrechlich solch ein Gebilde ist: Risse allenthalben, und wenn die Fehler nicht von Grund auf behoben werden, so besteht die Gefahr, dass das Gebäude komplett einstürzt. Die Kathedrale ist die perfekte Metapher für die menschliche Gesellschaft des Mittelalters. Nur wenn alle Teile zusammenhalten, kann das Ganze bestehen und überdauern. Bricht aber nur eine winzige Strebe weg, kann der gesamte Bau ins Wanken geraten.

Allein schon die Frage, wer eine achteckige Turmspitze auf ein rundes Fundament setzen kann, spaltet die Baumeister und die Gesellschaft von Kingsbridge in zwei Teile. Während die Konservativen mit ihren alten Methoden und ihrem veralteten Wissen an dieser Frage scheitern, ähnlich wie die alten Heilmethoden an der Pest scheitern, so müssen neue Ideen und Methoden größere Leistungen vollbringen. Und dazu gehört eben auch eine achteckige Turmspitze, die die höchste in ganz England werden soll. Ad maiorem gloriam dei!

Mir kam die Abfolge der Wechselfälle in den Schicksalen der fünf bis sechs Hauptfiguren (s. o.) manchmal wie eine Seifenoper vor. Und so manchem Leser dürfte die Szene, in der sich Caris gegen ihr Ungeborenes und für eine Abtreibung entscheidet, unangenehm auffallen, scheint diese Frau doch in erster Linie an sich und ihre Freiheit zu denken statt an die Liebe von Merthin. Was zu es zu bedenken gilt, ist eben der Sklavenstatus einer Ehefrau, der zu dieser Zeit Gesetz war: Sie war lediglich der Besitz ihres Gatten. Alle Figuren streben nach individueller Freiheit, aber auf ganz verschiedenen Wegen.

Freiheit, zumal Gedanken- und Glaubensfreiheit, ist auch der katholischen Kirche ein Gräuel, und keiner verkörpert diese Haltung besser bzw. schlimmer als Prior Godwyn. Statt Seelsorger seiner Schäfchen zu sein, quetscht er sie lediglich aus, denn ihm gehört ja die Stadt und ihre Brücke. Beim ersten Zeichen der Gefahr von Ansteckung mit dem Pesterreger, ergreifen er und seine Mönche die Flucht. Mit sich nehmen sie einen beträchtlichen Kirchenschatz.

Nun, König Heinrich VIII – der mit den sechs Frauen – ließ bekanntlich sämtliche Klöster enteignen und die „Papisten“ verjagen. Der Autor lässt aber die Frage offen, ob die Anglikaner besser sind als die Papisten: Es ist eine Herrschaft, und jede Herrschaft unterdrückt Freiheit, wenn sie nicht nach Harmonie der gesellschaftlichen Bestrebungen und Bedürfnisse strebt – genau wie in Gestalt einer Kathedrale. Es muss ja wohl einen guten Grund gehabt haben, dass im 17. Jahrhundert so viele Menschen anglikanischen Glaubens in die Neue Welt ausgewandert sind. Nicht etwa, weil dort das Gras grüner war, sondern weil dort die Gedanken freier waren.

Historische Romane

Manchen Leserinnen und Lesern kann so ein doller Schmöker nicht lang genug sein. Neun Monate wie für eine Schwangerschaft braucht man zwar nicht für die Lektüre von 1300 Seiten, aber es fehlt wohl nicht viel. Hauptsache, man kann in diese mittelalterliche Welt eintauchen und Schicksale mit allen Höhen und Tiefen erleben, ja, dabei sogar noch etwas über den Anfang der Neuzeit lernen.

Dass sich die Menschen in ihren Gefühlen und Bestrebungen (Liebe, Erfüllung, Glück, Wachstum) seitdem kaum verändert haben, rückt die dargestellten Figuren in nachbarliche Nähe, im Guten wie im Schlechten. Eingedenk dessen haben die Autoren dem Genre des historischen Romans einen ungeahnten Aufschwung verschafft.

Doch nach wie vor bleibt der Prüfstein für den Erfolg eines solchen Romans die Plausibilität der historischen Fakten. Dürfen grüne Marsmännchen in der Kathedrale von Reims Ringelpietz tanzen? Auf keinen Fall! Dürfen Neandertaler in den Gassen von München munter Mammuts jagen? Ebenfalls nicht. Wem solche Erfindungen spanisch vorkommen, sollte sich sofort per Facebook oder Twitter beim Verlag beschweren: No more bullshit!

Auf jeden Fall ist „Tore der Welt“ eine unterhaltsame Geschichte, die besonders in den Liebes- und Actionszenen ihren Zauber entfaltet. Beste Beispiele dafür ist die actionreiche Schlacht von Crécy sowie der brutale Überfall auf das Nonnenkloster von Kingsbridge. Da glänzt Kerzel ebenso wie in den ruhigen Szenen von Zärtlichkeit und Zuneigung.

Und einen Realismus dieser Art würde sich Hollywood (immer noch) kaum darzustellen trauen: homosexuelle Frauen (Caris und Maire) und Männer, Abtreibung (Caris), Ablasshandel (Godwyn), Frauenhandel (Gwenda), ja selbst Frauen, die sexuell die Initiative ergreifen und sich einem Mann zur Heirat anbieten, sind auf der Leinwand weiterhin bzw. schon wieder verpönt. Da freut man sich doch gleich wieder auf den nächsten Follett-Schmöker.

Gebunden: 1314 Seiten
Originaltitel: World Without End
Aus dem Englischen übersetzt von Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt
ISBN-13: 978-3785723166
www.luebbe.de