Seifenfabrikant Luke Bigwood ist ein Kapitalist der alten Schule. Lieber lässt er es auf einen Streik ankommen als eine einmal getroffene Entscheidung zu revidieren. Weil er drei unbotsame Arbeiterinnen gefeuert hat, gärt es im Werk. Neffe Gilbert, der dem kinderlosen Bigwood nachfolgen wird, versucht Frieden zu stiften, doch er ist abgelenkt: Gern würde er endlich die liebliche Bobbie Easton heiraten, wovon der Onkel nichts wissen will. Außerdem steht ungeladener Besuch ins Haus. Edgar Denham, Bigwoods zweiter Neffe, ist das schwarze Schaf der Familie. Nach diversen Eskapaden wurde er vor einigen Jahren enterbt und nach Brasilien abgeschoben, doch nun kehrt er – erneut gescheitert – nach England zurück.
Gilbert konnte Edgar, dem er sich unterlegen fühlt, nie leiden. Nun muss er erleben, wie der Cousin um seine Braut scharwenzelt. Er weiß nicht, dass Edgar gleichzeitig die alte Beziehung zur schönen Witwe Peggy Hepburn aufleben lässt. Ungemach droht ihm ohnehin aus ganz anderer Richtung: Eine der Arbeiterinnen, die Onkel Luke entlassen hat, ist Pamela James, mit der Gilbert vor Jahren eine kurze Affäre hatte. Die droht sie aufzudecken, wenn sie nicht wieder eingestellt wird. Gilbert fürchtet den Zorn des strengen Onkels und der sittsamen Bobbie.
Während Gilbert in Nöten schwebt und Edgar sich ein amouröses Wochenende mit Peggy gönnt, wird Luke Bigwood mit einem Dolch im Herzen in seinem Bett gefunden. Den Fall übernimmt Inspektor Passmore. Die Zahl der Verdächtigen ist klein, und Gilbert steht ganz oben auf der Liste, weshalb er festgenommen und angeklagt wird. In ihrer Not erinnert sich Bobbie an ihre alte Freundin Ruth. Sie hat Major Roger Bennion geheiratet, der sich schon mehrfach als Privatdetektiv hervorgetan hat. Er soll Gilberts Unschuld beweisen – eine Herausforderung, die Bennion annimmt, was den wahren Mörder in hektische und tödliche Aktivität versetzt …
Erbonkel ist ein gefährlicher Job
Unter reichen Zeitgenossen, die einerseits ihr Geld und die damit verbundene Macht nicht teilen möchten und andererseits mit junger, lebenslustiger Verwandtschaft geschlagen sind, ist die Todesrate im Kriminalroman recht hoch. Das ist sicherlich keine unerwartete Erkenntnis: Der Alte brütet auf dem Nest mit den goldenen Eiern und hält die Jungen kurz, weil sie sich Wohlstand und Luxus erst verdienen sollen; so hat es ein Selfmademan wie Luke Bigwood auch erfahren, und es hat ihm – aus eigener Sicht – nur genützt.
Ein sturer Charakter stellt die letzte Weiche auf seinem Weg zum Friedhof: „Der Schlaftrunk“ spielt zwar kurz nach dem II. Weltkrieg, doch in Bigwoods kleinem Imperium ist davon wenig zu spüren. Er hat es in der guten, alten Zeit erschaffen, als Fabrikanten noch nicht durch das Finanzamt geschröpft oder von Betriebsräten gegängelt wurden. Bigwold ist nicht knausrig, doch sieht er sich ganz und gar nicht als Leiter eines gutgehenden Betriebes, sondern als strengen aber gütigen Herrscher, der für seine Untertanen – die Arbeiter – sorgt, die ihm dafür Respekt und Gehorsam schulden.
Simpler Fall mit Fallstricken
Die sich daraus quasi automatisch entwickelnden Konflikte lassen einen Handlungsstrang entstehen, der geschickt für zusätzliche Verwirrung in einem nur auf den ersten Blick simplen Kriminalroman sorgt. „Der Schlaftrunk“ ist ein „Whodunit“, der seine Leser zur zeitgleichen Ermittlung an der Seite des Detektivs auffordert. Routinier Herbert Adams, ein schnell schreibender und den Geschmack seines Publikums stets einkalkulierender Autor, entwirft einen doppelzügigen Plot, von dem sich erst im letzten Drittel der eigentliche Kriminalfall löst.
Damit kann Adams eine Handlung strecken, die sonst kaum über die gesamte Buchdistanz tragen würde. Als Amateurdetektiv Bennion die Szene betreten hat – die Handlung ist da beinahe zur Hälfte vorbei –, benötigt er nur kurze Zeit, das ‚Rätsel‘ zu lösen; kein Wunder, denn nachträglich ist der Fall ziemlich simpel strukturiert.
Dass dem Leser dies nicht bewusst wird, verdankt er den Tricks des Verfassers (was der Rezensent uneingeschränkt positiv meint). Zwar ahnen er und sie, wer der Mörder ist, weil er oder sie es eigentlich sein ‚muss‘, doch zerstreut Adams geschickt entsprechende Hinweise und legt diverse falsche aber überzeugende Spuren.
Detektiv mit Nervensäge
Nicht nur in der Figurenzeichnung macht sich das Alter des Romans bemerkbar. Das Geschehen wäre so heute nicht mehr nachvollziehbar, was einer deutlichen Veränderung der Sitten bzw. des moralischen Regelwerks geschuldet ist: Junge Bräute lassen sich nicht mehr durch das Wissen in die Flucht schlagen, dass der Zukünftige schon andere Frauen kannte (um es im Stil des besprochenen Romans auszudrücken), und Erbonkel vom Schlage eines Luke Bigwood sind wohl endgültig ausgestorben. Übereifrige Gattinnen, die sich wie Ruth Bennion vom väterlich besorgten Ehemann mit kleinen Tricks der Detektivarbeit fernhalten lassen, fanden sicherlich primär die zeitgenössischen Leser witzig.
Das Motiv des Täters ist jedoch klassisch, und Adams kombiniert es mit einem Charakter, der gleichermaßen anziehend wie raffiniert und skrupellos ist. Dass ausgerechnet der farblose Major Bennion ihn durchschaut, ist trotzdem keine Überraschung, da er als Ermittler ebenso einfallsarm wie gründlich ist. „Der Schlaftrunk“ ist immerhin so routiniert geplottet und geschrieben, dass zumindest diejenigen Leser, die keinen Klassiker erwarten, solide unterhalten werden.
Autor
Herbert Adams (1874-1958) gehört zu den heute weitgehend vergessenen Verfassern von Kriminalromanen. Zu seinen Lebzeiten war er jedoch ungemein fleißig und erfolgreich: Zwischen 1924 und 1958 veröffentlichte er mehr als 50 „Whodunits“ der klassischen Art – Rätselkrimis im heimeligen aber isolierten Ambiente, wobei er sich auf eine exotische aber sehr britische Nische spezialisierte und mehr als ein halbes Dutzend Krimis schreib, die auf dem Golfplatz spielten.
Viele Adams-Krimis lassen sich zwei Serien zuordnen. Jimmy Haswell, ein Anwalt aus London, löste zwischen 1924 und 1933 neun Fälle. Ihn löste 1936 Roger Bennion ab, ein privat ermittelnder Adelsspross mit sachter Lord-Peter-Wimsey-Attitüde.
In Deutschland veröffentlichte der Goldmann-Verlag viele Romane von Adams. Sie passten gut in ein Umfeld, das durch die simpel gestrickten Kriminalromane von Edgar Wallace und Victor Gunn geprägt wurde. Allerdings sank Adams‘ Stern bereits kurz nach seinem Tod 1958. Seine Romane wurden nicht mehr aufgelegt. Heute ist sein Name auch hierzulande nur noch Kennern der Krimi-Historie bekannt.
Taschenbuch: 176 Seiten
Originaltitel: The Sleeping Draught (London : Macdonald 1951)
Übersetzung: Ruth Kempner
www.randomhouse.de/goldmann
Der Autor vergibt: