Susan Hill, Jahrgang 1942, ist seit beinahe 50 Jahren als Schriftstellerin aktiv. Ihr erster Roman wurde 1961 verlegt und legte den Grundstein für eine Laufbahn, die vor allem in den Siebzigern richtig ins Rollen kam. Nach einer längeren Pause kehrte sie zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts zurück, um sich verstärkt dem Krimi/Thriller-Segment zu widmen. Ihre Passion für Kinder- und Jugendbücher ist ihr jedoch immer geblieben. Mit „Der Kampf um Gullywith“ hat Hill wieder diese alte Leidenschaft befriedigt und eine absolut familientaugliche Story konzipiert, die ihr universelles Talent auch nach nahezu fünf Dekaden immer noch unterstreicht.
Story:
Für den jungen Olly bricht eine Welt zusammen, als er erfährt, dass seine Eltern von London in den ländlichen Lake District ziehen wollen. Und seine Vorahnung soll ich nicht täuschen: Das frostige Haus in Gullywith, das seit Jahren unbewohnt ist, macht überhaupt nicht den Eindruck, als könnte es jemals eine Heimat für Olly und seine Angehörigen werden. Als dann auch noch die ersten merkwürdigen Ereignisse die Szenerie erschüttern, drängt Olly darauf, die Gegend zu verlassen. Doch das geheimnisvolle rote Buch, in dem ständig irgendwelche Kapitel verschwinden und wieder auftauchen, strahlt eine unheimliche Faszination auf den Jungen aus. Als sich schließlich auch noch einige Steine in Bewegung setzen und mit ihren Runen offenbar eine Botschaft übermitteln wollen, ist Olly sicher, dass er das Rätsel von Gullywith lösen möchte.
Gemeinsam mit seiner Freundin KK und dem eigenartigen Nonny Dreever geht er den Geheimnissen auf die Spur und entdeckt ein uraltes Mysterium, das von einem fürchterlichen Racheplan kündet. Der Steinkönig, der vor ewigen Jahren mit seiner Burg untergegangen ist, wittert wieder Morgenluft und will sich nun endlich das zurückholen, was ihm seiner Meinung nach zusteht. Und jetzt, wo Olly in seiner neuen Umgebung doch noch Fuß gefasst hat, setzt er alles daran, Gullywith zu verteidigen und den Frieden zu wahren.
Persönlicher Eindruck:
Susan Hill versteht sich darauf, phantastische Geschichten zu schreiben, einfach nur zu erzählen und den Leser in den Fluss der Dinge eintauchen zu lassen. Auch wenn „Der Kampf um Gullywith“ in seiner Präsentation schlichter ist als der klassisch ausgelegte, moderne Fantasy-Roman, so sind die atmosphärische Dichte und die Darstellung des Mysteriösen auf einem unheimlich hohen Niveau, welches in erster Linie von der schlichtweg begabten Wortwahl und der Kunst, bedingungslos zu unterhalten, herrührt – beste Voraussetzungen also für eine fabelhafte Erzählung.
Doch leider ist „Der Kampf um Gullywith“ nicht ohne Fehl und Tadel, gerade was die Prioritäten im Storyboard angeht. Hill ist sehr stark auf die Szenerie fixiert und will den Ort Gullywith ständig im Fokus halten. Es geht um die alten Geschichten, die mysteriöse Vergangenheit, das tragische Drama um den Steinkönig und all die Folgen für die Jetztzeit, aber eben nur relativ selten um die Entwicklung des Protagonisten und der Figuren im Allgemeinen. Olly bekommt nur selten ein echtes Forum, um sein Charakterprofil mal ein Stückchen weiter auszubauen und als Handelnder innerhalb der Erzählung Akzente zu setzen. Er ist die wichtigste Person, zweifelsohne, aber Hill versäu,t es, ihm etwas mehr Individualität zu verpassen, ihn als eingängigen Charakter zu etablieren und – gerade im Jugendbuchsektor ein wichtiger Aspekt – ihn als Helden und Identifikationsfigur zu stärken. Sicher, er ist stets präsent, er führt den aktiven Part der Geschichte an, aber er ist nicht die Person, die die Handlung zusammenhält und die Verantwortung übernimmt, die ein solcher Roman auf sicheren Schultern verteilt wissen will.
Dem gegenüber steht mit dem Standort Gullywith und all seinen verborgenen Geheimnissen ein echtes literarisches Glanzstück, welches mit viel Liebe zum Detail aufbereitet wird. Die Story ist einerseits düster, andererseits aber auch wieder sehr sympathisch ausgearbeitet, so dass die geringe Tendenz zu jedwedem Horror-Thema schnell wieder unter den Tisch fällt – auch wenn sich bei einem vergleichbaren Flair derlei Dinge in der Behausung der Familie zutragen. Hinzu kommen viele gängige Elemente, deren erfrischend modifizierte Verwendung ein weiteres lobenswertes Charakteristikum dieses Buchs ist. Hill stützt sich auf einige bekannte Inhalten, kopiert aber zu keiner Zeit. Insbesondere die Story um die versunkene Burg des Steinkönigs wirkt originell und dank ihrer wendungsreichen Ausführung und der bis zuletzt gut versteckten Details bis in die Haarspitzen spannend.
Spannung – das ist schließlich auch das entscheidende Stichwort: Die kleinen Schwächen der Story würden sicherlich deutlicher zum Tragen kommen, wäre Susan Hill keine so brillante Erzählerin und wäre das Ganze nicht so spannungsvoll in Szene gesetzt. Denn auch wenn die Zielgruppe eher im Bereich der Anfänge der weiterführenden Schulen liegt, also eher die Altersgruppen von 10-14 Jahren, so empfinden auch geübte Semester hier das Prickeln wieder, welches eine überzeugende Handlung vorweisen sollte, und das infolge einer abwechslungsreichen, nicht zu durchsichtigen Geschichte als logische Konsequenz erscheint. Als Letztes gesellt sich noch so manch unkonventioneller Ansatz dazu, weil Hill nicht gegen Drachen kämpft, keine Fantasy-Epigonen verwendet und sich in kürzester Zeit ihre eigene Idee einer phantastischen Welt öffnet.
„Der Kampf um Gullywith“ ist daher eine ganze Menge, an vorderster Front aber ideenreich und kreativ in seinem Grundarrangement. Und trotz leichter Einschränkungen bei den Charakterzeichnungen ist die finale Empfehlung für diesen Roman eine Selbstverständlichkeit, die sich gewissermaßen schon im ersten Kapitel manifestiert!
350 Seiten, gebunden
Originaltitel: The Battle for Gullywith
Deutsch von Leonard Thamm
ISBN-13: 978-3499214943
www.rowohlt.de