Interview – Andreas Eschbach über seine Romane „NSA“ und „Perry Rhodan“


Buchwurm.org: In deinem Roman „NSA – Nationales Sicherheits-Amt“ geht es um die Bedingungen, unter denen Liebe in einem totalitären System der computerisierten Überwachung existieren kann; a) Helene: Liebe vs. Kontrolle; b) Lettke: Rache und Kontrolle. Sind das zwei Varianten, wie sich NSA-Kontrolle auswirken kann?

Andreas Eschbach : Totalitarismus ist eine Herrschaftsform, die dich in eine mechanische Gesellschaftsform einzwängt. Dagegen steht Liebe als Ausdruck des Menschseins an sich: das nicht Mechanisierbare, das nur existiert, wenn es echt ist. Man kann Liebe nicht synthetisieren und auf Flaschen ziehen, auch nicht vortäuschen. Dann ist es keine Liebe. Insofern hat der Totalitarismus nicht speziell mit Digitalisierung zu tun; die Digitalisierung erleichtert ihn nur, erweitert die Möglichkeiten, die dieser hat, um den Lebensimpuls abzutöten, prädiktiv, mit Gesichtserkennung und Vorauswissen, was der Beobachtete vorhaben könnte.

Lettke ist ein Vergewaltiger, der die technischen Möglichkeiten nutzt, um seine Opfer zu finden und zu erpressen.

Buchwurm.org: Die in NSA beschriebene Computertechnik existiert bereits. Die Warnung ist deutlich. Wie kann man die geschilderten Konsequenzen abwenden?

Eschbach: Indem wir keinen Totalitarismus an die Macht lassen. Der erscheint immer, nachdem er abgewählt worden ist, indem er nicht zurücktritt. Er sagt: „Der Staat bin ich.“ Er erscheint, wenn behauptet wird, der Staat sei nicht für den Einzelnen da, sondern der Einzelne für den Staat. Das ist eine Umkehrung der Verhältnisse. „Du bist dazu da, dem Staat zu dienen und zu gehorchen. Dein Leben gehört dem Staat.“

Der Missbrauch der KI und der Digitalisierung findet immer durch Menschen statt. Im System der NSA ist es Lettke, der auf unerlaubte Daten zugreift. Es ist der Staat, der missliebige Leute verfolgt. Mit Rasterfahndung, Vorratsdatensicherung, Schleppnetzfahndung.

Buchwurm.org: Zwei Schlüsse, die erschrecken: Helene wird per Chip ferngesteuert und liebt nur noch Adolf Hitler. Lettke ist zum Samenspender im Lebensborn degradiert. Wie bist du darauf gekommen?

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Von Martin KraftEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Andreas Eschbach auf der Frankfurter Buchmesse 2014

Eschbach: Ich habe einfach Dürrenmatts Ratschlag befolgt: „Eine Geschichte ist erst dann fertig erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ Der Rest bestand dann im Ausdenken von etwas, was noch schlimmer sein könnte als das, was ich mir schon ausgedacht hatte. Ich dachte: Wenn schon, denn schon. Und ein Happy-End hätte zu diesem Roman nun wirklich nicht gepasst.

Buchwurm.org: Warum musste dann Helene unbedingt ferngesteuert werden?

Eschbach: Ihr Thema ist ja die Liebe und die persönliche Freiheit. Der Chip ist ein Symbol der Potenz, die ein technisch hochgerüsteter totalitärer Staat hat. Er zeigt damit, dass er alles, was an ihr unerwünscht ist, vernichten kann und will. Totalitäre Staaten brauchen dafür allerdings nicht unbedingt Computer, sondern haben derlei in der Vergangenheit auch mit anderen Mitteln erreicht, mit Folter und Drogen usw.

Im Prinzip ist der ganze Roman eine Warnung vor dem Staat als Institution. (Der keine Schranken mehr kennt und den Einzelnen total vereinnahmt.)

Buchwurm.org: Bei Lettke ist das dann sehr ironisch formuliert: Lettke ist als Einzelner völlig unwichtig, aber als Sohn eines Kriegshelden und als Arier verfügt er über AAA-Samen, den er dann auch im halbbewussten Zustand spenden muss.

Buchwurm.org: Gibt es den ABM-Hack wirklich, den Helene verwendet, um sich in die Großrechner der Uni Berkeley einzuhacken?

Eschbach: Ach ja, das ist der mit den Passwortdateien. Den Hack habe ich mal in einem Buch über Datensicherheit gelesen und dachte: Das ist ja witzig. Das muss ich irgendwann in einem Buch verwenden. Der Trick funktionierte aber nur bis zu einer bestimmten alten Generation von IBM-Rechnern.

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: Ist Anne Franks Verhaftung im Kapitel, in dem Heinrich Himmler die NSA besucht, als Schocker gedacht?

Eschbach: Das war volle Absicht. Diese Demonstration der NSA vor Himmler ist ein Beispiel dafür, wie man Daten für Zwecke auswerten kann, für die sie ursprünglich nicht gesammelt worden sind, sondern jenseits des Kontexts.

Buchwurm.org: In den Datensilos müssen alle Arten von persönlichen Daten gespeichert werden: Bankkonten, und Kreditkarten, Mobilfunk, Patientendaten usw.

Eschbach: Das Verbot des Bargelds und die Vorgabe, dass man alles bargeldlos zahlen muss, ist natürlich wesentlicher Bestandteil dieses Unterdrückungssystems. Der Roman zeigt lediglich, was da an Potential drinsteckt. Das mit den Datensilos haben heute schon mit den Clouds. Jeder hat seine Daten bereits bei Amazon & Co. Man kann mir nicht erzählen, dass sich da nicht manche Administratoren die Passwörter besorgen und nachts, wenn ihnen langweilig ist, die Fotosammlung oder E-Mails der Kunden durchstöbern.

Buchwurm.org: Wird es eine Fortsetzung zu „SUBMARIN“ geben?

Eschbach: Ja, ULTRAMARIN kommt dieser Tage (also im Juli) auf den Markt. (Unsere Rezension folgt baldmöglichst auf BUCHWURM.ORG!)

Buchwurm.org: Gab es auf der Stuttgarter Tagung „Next Frontiers“ Anfang Juli einen anregenden Gedankenaustausch?

Eschbach: Es war auf jeden Fall interessiert, insofern man konfrontiert war mit Fakten, Einsichten und Ansichten. Ob was draus wird, muss sich noch herausstellen. Der BW-Datenschutzbeauftragte hat mir seine Ansichten zum NSA-Roman dargelegt. In einem anderen Beitrag ging es um die Lebensräume der Zukunft. Leider waren nur sehr wenige Besucher da, was wohl v.a. am exorbitanten Eintrittspreis lag. Dafür waren die Sprecher und Zuhörer entsprechend hoch motiviert.

Buchwurm.org: Warum hast du den Roman über Perry Rhodans Anfänge geschrieben?

Eschbach: Vor allem wegen der einmaligen Koinzidenz von 50 Jahre 1. Mondlandung (Sommer 1969) und dem 3000. Band der PR-Heftserie. Ich hab ein Prequel geschrieben, die Serie ist also schon die vorhandene Fortsetzung. Das war so: Fischer TOR kam auf mich zu, ob ich nicht ein Hardcover-Buch mit einem großen Perry-Rhodan-Abenteuer für sie schreiben möchte. Mein Vorschlag basierte dann auf dieser einmaligen Koinzidenz – „it was now or never“, nur eben mit Perry Rhodan als erstem Menschen auf dem Mond anstelle von Neil Armstrong. Das hat den Lektoren eingeleuchtet und so habe ich dann diesen Roman geschrieben. Und aus dem werde ich gleich in der Wittwer-Thalia-Buchhandlung vorlesen.

Buchwurm.org: Dann noch viel Spaß dabei!

Das Gespräch führte Michael Matzer.