Interview mit Jutta Weber-Bock anlässlich des Erscheinens ihres historischen Romans „Das Vermächtnis der Kurfürstin“

Die Stuttgarter Schriftstellerin Jutta Weber-Bock hat am 13. April 2022 ihren zweiten historischen Roman „Das Vermächtnis der Kurfürstin“ vorgestellt.

Vorab zum Inhalt

„Nach dem Tod von Christianes Ziehvater liegt das Sorgerecht bei dessen Schwester, der Bergrätin Elisabeth Hehl. Um ihrem Einfluss zu entgehen und eine gute gesellschaftliche Stellung zu erlangen, flieht Christiane. Doch eine standesgemäße Heirat wird ihr von Elisabeth verwehrt. Als Christiane herausfindet, dass Kurfürstin Mathilde ihr eine ansehnliche Geldsumme vermacht hat, schmiedet Elisabeth einen teuflischen Plan, wie sie nicht nur an das Vermögen herankommen, sondern Christiane für immer zu ihrem Mündel machen kann.“ (Verlagsinfo)

Der neue Roman scheint die Lebensgeschichte von Christiane fortzusetzen. Was ist diesmal anders?

Weber-Bock: Am Anfang dieses zweiten Bandes „Das Vermächtnis der Kurfürstin“ ist Christiane eine junge Frau von beinahe neunzehn Jahren. Es dauert in ihren Augen noch so unendlich lange, bis sie mit fünfundzwanzig endlich volljährig wird und selbst über ihren Aufenthaltsort bestimmen darf. Sie ist kein Kind mehr und kann doch nicht frei für sich entscheiden. Ihr Vormund, Elisabeth Hehl, bestimmt, wo sie sich aufzuhalten hat. Christiane aber will nicht akzeptieren, was für sie als Frau vorgesehen ist und stellt sich mit allen Mitteln dagegen. Sie flieht von Schloss Brandenburg (das nicht mehr existiert) im unteren Illertal über Ulm bis nach München.

Die Handlung spielt in der Zeit zwischen 1823 und 1832 in Württemberg und München. Das Schicksal der historischen Christiane Ruthardt, die als uneheliche Tochter unter Vormundschaft und falschem Namen aufwächst, spiegelt dabei die Situation der Frauen Anfang des 19. Jahrhunderts wieder. In Württemberg stand eine Frau bis zur Vollendung des 25. Lebensjahr unter Vormundschaft. Galt ein Mündel jedoch als geisteskrank oder verschwendungssüchtig, stand es weiter unter Kuratel. Letzteres hat der Geschichte einen unerwarteten Twist gegeben.

Wieder scheint es sich um einen historischen Krimi zu handeln. Was macht die Geschichte für Krimifans so interessant?

„Das Vermächtnis der Kurfürstin“ ist der zweite Roman zum Leben der Giftmörderin Christiane Ruthardt (s.o.). Eckpunkte ihres Lebens sind überliefert, aber viele Fragen offen geblieben, was mich gereizt hat, Christianes Geschichte en detail zu beleuchten, sie zu hinterfragen und neu zu erfinden.

Streng genommen, handelt es sich nicht um einen historischen Krimi im Sinne eines Ermittlerplots, aber es gilt für Christiane trotzdem, die Geheimnisse um den Tod verschiedener Personen zu hinterfragen und aufzudecken. Dabei steht eine Intrige Elisabeth Hehls im Mittelpunkt. Welche Möglichkeiten sich dabei für Christiane ergeben, durfte ich von meinen Mörderischen Schwestern lernen. Vielen Dank dafür!

Schon im Vorgängerroman „Das Mündel des Hofmedicus“ durfte sich Christiane zu einer liberal erzogenen jungen Frau entwickeln, die dann in einem repressiven Haushalt schwer zu leiden hatte. Was hat sich nun für sie geändert?

„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden … werden“, sagt Søren Kierkegaard. Diesen Weg zurück bin ich mit meiner Romanfigur gegangen. Ich bin ihr im ersten Band „Das Mündel des Hofmedicus“ gefolgt, um zu zeigen, was sie prägt und formt und habe im zweiten Band ihr Leben weiter vorwärts entworfen.

Obwohl Christiane bei Elisabeth Hehl mit Schlägen erzogen wird, entwickelt sie sich im ersten Buch zu einer resilienten Persönlichkeit, die sich immer wieder kleine Freiräume erkämpft, zum Beispiel heimlich einen Roman zu lesen oder sich unerlaubt mit den Freundinnen zu treffen.
Im zweiten Band stellt sie sich bewusst gegen ihr vorherbestimmtes Schicksal. Sie will sich durch eigene Arbeit selbst unterhalten, das heißt, ihr Leben eigenständig finanzieren.

Eine unverheiratete Frau konnte, auch wenn sie großjährig war, nur durch ausdrückliche Erklärung aus der vormundschaftlichen/ elterlichen Gewalt entlassen werden (gültig bis 1875) und brauchte für eine Heirat die Erlaubnis des Vormundes bzw. der Eltern. Wurde diese verweigert, war es zwar möglich, dagegen Klage einzureichen, aber man musste vermutlich Clara Wieck heißen, um eine Heirat gerichtlich durchzusetzen (1840 in Sachsen).

Im Gesinderecht war niedergelegt, dass man mit dem Abschluss eines Dienstvertrages in eine Abhängigkeit vom Willen und den Befehlen der Herrschaft geriet. Aus dieser totalen Unterwerfung folgerten die Dienstherrschaften besondere Aufsichts- und Erziehungsrechte. Zudem hatte die Herrschaft ein (mäßiges) Züchtigungsrecht, das letztlich nicht kontrolliert werden konnte. Erst 1918 wurden sämtliche Gesindeordnungen, die in den einzelnen deutschen Staaten existierten, abgeschafft.

Die spannenden Fragen lauten also: Kann sich Christiane aus diesem verhängnisvollen Dreieck von Vormundschaft, Heiratserlaubnis und Gesinderecht befreien?

Hat es Kurfüstinnen wirklich gegeben oder ist das deine Erfindung?

Selbständig regierende Kurfürstinnen hat es meines Wissens nicht gegeben. Das Kurfürstenkollegium zur Wahl des römisch-deutschen Kaisers präsentiert sich als eine reine Männerwelt. Doch vielleicht wäre es für einen Roman mal interessant, eine Reichsfürstin, eine Kurfürstin, zu erfinden? Wie „Die Päpstin“?

Kurfürstinnen waren Gattinnen, haben aber ihren Titel durchaus zu nutzen gewusst, wie zum Beispiel Sophie von Hannover oder Dorothea von Brandenburg.

In Württemberg war der spätere König Friedrich I. von 1803 bis 1806 Kurfürst und damit wurde seine Gattin, Charlotte Auguste Mathilde von England, die Kurfürstin. An ihrem Witwensitz in Ludwigsburg wird sie später nur „Mathilde“ genannt, wie sie auch im Roman heißt.

Sie war sehr mildtätig und hat unter anderem die Schuljugend unterstützt. Armen Leuten warf sie nicht ein Almosen hin, sondern machte sich mit ihren Bedürfnissen bekannt, am liebsten bezahlte sie ihnen den Mietzins oder verschaffte Arbeitern eine Anstellung. Sie kümmerte sich auch um die Erziehung verwaister Kinder und zahlte Lehrgelder für die Söhne armer Eltern. Ausdrücklich verbot sie, ihre Wohltaten öffentlich zu rühmen oder auch nur davon zu sprechen.

In ihrer Jugend wurde sie auch im Sticken unterrichtet, das in England eine besondere Tradition hat. Besonders bewandert war sie in der sogenannten Nadelmalerei, einem ineinandergreifenden Plattstich. So entstanden naturalistische Pflanzenbilder. Heute kennt man vor allem noch ihre Porzellanmalerei.

Gibt es eine Liebesgeschichte?

Natürlich braucht eine junge und bildhübsche Frau nicht nur eine Liebesgeschichte und selbstverständlich müssen sich all diese Verheißungen ganz anders entwickeln, als Christiane es für möglich hält. Herz und Verstand liegen im ständigen Widerstreit, wie könnte es in der Jugend anders sein. Zu allererst gibt es da August, an den sie sich seit frühester Kindheit mit widersprüchlichen Gefühlen gebunden fühlt, der aber unerreichbar für sie ist. Aber sie kann nicht von ihm lassen, fragt sich trotzdem, soll sie einen anderen heiraten, einen Adeligen, weil es vernünftig wäre und obwohl ihr Herz nicht dabei hüpft? Und schließlich verliebt sie sich in einem nicht unvermögenden Kaufmann, der Witwer ist, und schließt auch seinen kleinen Sohn ins Herz. Ein perfektes Arrangement, wenn nicht Elisabeth Hehl eigene Vorstellungen vom Leben ihres Mündels hätte.

Was macht dir an historischen Romanen so viel Spaß? Ist die Recherche in verstaubten Archiven nicht besonders mühevoll?

Abtauchen, eintauchen und vollkommen verwandelt wieder auftauchen, das liebe ich bei meinen Recherchen in Bibliotheken und Archiven. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren auch so manches von meinen Kolleg:innen bei Homer Historische Literatur gelernt.

Der Geruch einer alten Akte oder eines alten Buches öffnet mir so manche Tür nicht nur in vergangene Zeiten, sondern auch fremde Lebenswelten, wobei ich immer wieder erstaunt bin, wie vieles doch bis heute überlebt hat. Sind wir nicht in der heutigen Situation wieder mitten im Biedermeier gelandet?

Besonderen Spaß macht es mir, bei Recherchen etwas zu entdecken, was meiner Geschichte eine unerwartete Wendung gibt. Da lese ich schon mal fünfhundert Seiten einer Dissertation, um einen Satz zu entdecken, der mich auf eine neue Spur führt, die in der Geschichtsschreibung nicht dokumentiert ist.

Glückliche Momente gibt es manchmal, wenn ich etwas finde, was sich quasi wie von selbst nahtlos in die Handlung einfügt. So habe ich auf einem Gemälde aus dem Jahr 1836 vom Münchner Schrannenplatz, dem heutigen Marienplatz, meine Hauptfigur Christiane entdeckt, die dort herumspaziert.

Und Kurfürstin Mathilde hat mir durch ihre Stickereien die Möglichkeit eröffnet, bestickte Servietten mit den Teilen des kurfürstlichen Wappens zu ersinnen und ein Vermächtnis daran zu knüpfen.

Was weißt du über deine Leser:innen? Und was erhoffst du dir von ihnen?

Zum zweiten Mal biete ich mit Unterstützung des Gmeiner-Verlags eine Leserunde bei LovelyBooks zum Roman an, eine gute Gelegenheit, mehr über meine Leser:innen und ihre Vorlieben zu erfahren.

Wie kommt zum Beispiel das Cover an, wobei es da nicht unbedingt eine einhellige Meinung gibt. Oder wie sind die Leser:innen in die Geschichte hineingekommen, wie gefällt ihnen der Schreibstil? Ein guter Hinweis bei diesem Band: Die Geschichte ist sehr detailreich, schreibt eine Leserin, aber die Details würden das Lesen manchmal auch erschweren. Das ist von mir durchaus so beabsichtigt, weil die Leser:innen nicht wegschauen sollen. Ich sehe allerdings ein, dass es gut ist, ihnen auch mal ein wenig Erholung zu gönnen. Das werde ich beim nächsten Band beherzigen.

Besonders umgetrieben hat die Leser:innen auch, wie sehr die Gesindeordnung doch das Leben der Dienstboten eingeschränkt hat. Ähnliches gilt für das Vormundschaftsrecht. Ich freue mich, dass es gut ankam, wie stark Christiane bleibt. „Wie oft kann man neu anfangen?“, fragt eine Rezensentin, was den Kern sehr gut trifft, wie ich finde.

Auf welche Weise hat dir der Verlag diesmal geholfen?

Besonders beeindruckt mich beim Gmeiner-Verlag, dass die Mitarbeiter:innen immer gute Laune haben und bei allen Fragen stets schnell und hilfsbereit zur Stelle sind. Ein wirklich sympathisches tolles Team, das eine große Autoren:innenfamilie betreut. Und die Lektor:innen sind in ihrer Arbeit äußerst gründlich und lassen den Autor:innen nicht die kleinste Kleinigkeit durchgehen.

Dürfen deine Fans auf eine Fortsetzung von Christianes Geschichte hoffen?

Unbedingt! Ich recherchiere bereits zum dritten Band und plotte die Geschichte. An ersten Szenen habe ich auch schon gefeilt. Christiane stellt mir gerade ihre große Liebe vor, soviel sei verraten.

Hinweis: Das Interview führte Michael Matzer.

Taschenbuch: 480 Seiten
ISBN-13: 9783839201138

www.gmeiner-verlag.de