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[Feature] Jutta Weber-Bock über die Recherche von historischen Texten

Versteckte Flaschenpost
Von Jutta Weber-Bock

Über die Recherche von historischen Texten

Jutta Weber-Bock

„Nur ein kleiner Teil von dem, was einem Roman an Recherchen vorausgeht und was der Autor dabei lernt, zeigt sich am Ende im Text. Und all das Verborgene ist nicht weniger aufregend und kostbar als das Sichtbare“, hat Pascal Mercier 2020 über seinen Roman „Das Gewicht der Worte“ gesagt.

Von so mancher Kostbarkeit konnte ich mich nicht trennen und habe sie als Flaschenpost im Text versteckt. Bei den Recherchen hat sich mir eine Tür nach der anderen geöffnet. Es war verblüffend, wie Orte eine Handlung in Gang gesetzt haben, die ich mir vorher nicht hätte ausdenken können. Plätze wurden so zu Schauplätzen.

Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir bei meinem ersten historischen Roman „Das Mündel des Hofmedicus“ der Pfarrgarten in Metzingen. In einer Ecke stand eine Schubkarre. Im meiner Phantasie sah ich Kinder miteinander spielen und hatte sofort das berühmte Gedicht vom roten Schubkarren von William Carlos Williams im Kopf. Der rote Schubkarren ist in der Handlung gelandet und tatsächlich haben mich einige Leser auf die versteckte Flaschenpost angesprochen.

Das Mündel des Hofmedicus

Auf das Schicksal meiner Hauptfigur, der Giftmörderin Christiane Ruthardt, bin ich zufällig bei Recherchen im Landesarchiv Baden-Württemberg gestoßen. Eckpunkte ihres Lebens sind durch die Gerichtsakte überliefert, aber viele Fragen sind offen geblieben und haben mich gereizt weiterzudenken.

Søren Kierkegaard hat gesagt, dass man das Leben nur rückwärts verstehen kann. Diesen Weg zurück bin ich mit meiner Romanfigur gegangen. Ich bin ihr gefolgt in ihre Kindheit, um zu zeigen, was sie prägt und formt. Ich wollte aber nicht ihr Leben nacherzählen, sondern habe mich gefragt, wie es ihr in den einzelnen Lebensphasen, vor allem in der frühen Kindheit, ergangen ist. Welchen Einfluss hatte die frühkindliche Erziehung auf ihr späteres Leben?

Bei Recherchen stieß ich auf das Stichwort »Fatschen« und dachte an ein historisches Phänomen. Die meisten von uns kennen die Abbildungen vom Jesuskind aus Gemälden oder in Skupturen, das wie ein Engerling eng eingeschnürt, das heißt gewickelt ist. Leider musste ich feststellen, dass das Fatschen hoch aktuell ist. Der Kinder- und Jugendpsychologe Ralph Frenken hat die Auswirkungen des strammen Wickelns untersucht, das heute unter dem englischsprachigen Ausdruck »Pucken« bekannt ist. Ich konnte mich also nicht bequem zurücklehnen, sondern musste Stellung beziehen. So wurde die Erziehung zum zentralen Thema im „Mündel des Hofmedicus“.

Erstaunt hat mich bei den Recherchen, wie mobil die Menschen schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor Einführung der Eisenbahn waren. Für Stuttgart habe ich in der Landesbibliothek einen detaillierten Fahrplan gefunden für die ankommenden und abgehenden Postkurse. Detailliertere Recherchen aber erzählten mir – damals wie heute – von überfüllten Kutschen und überfülltem Nahverkehr.

In der Kutsche durch Europa

Bei der Handlung des „Mündels“ habe ich mich inspirieren lassen von Geschichten aus dem Sammelband „In der Kutsche durch Europa“. Zwar haben Reisende sich auch damals beklagt – überfüllte Kutschen und Verspätungen waren an der Tagesordnung – aber manches scheint besser organisiert gewesen zu sein als heutzutage. Magistralen, also Hauptverkehrswege, durch Stuttgart gab es einige, zum Beispiel nach Salzburg, Basel, Berlin oder Prag. Und auch die Verbindung Stuttgart–Paris ist keine neue Erfindung, sondern durch die Carlsruher Diligence (Expresspostkutsche) en detail historisch verbürgt. Ich konnte mich nicht zurückhalten und habe bei der Schilderung der Kutschfahrten eine weitere Flaschenpost versteckt….

Interview mit Jutta Weber-Bock anlässlich des Erscheinens ihres historischen Romans „Das Vermächtnis der Kurfürstin“

Die Stuttgarter Schriftstellerin Jutta Weber-Bock hat am 13. April 2022 ihren zweiten historischen Roman „Das Vermächtnis der Kurfürstin“ vorgestellt.

Vorab zum Inhalt

„Nach dem Tod von Christianes Ziehvater liegt das Sorgerecht bei dessen Schwester, der Bergrätin Elisabeth Hehl. Um ihrem Einfluss zu entgehen und eine gute gesellschaftliche Stellung zu erlangen, flieht Christiane. Doch eine standesgemäße Heirat wird ihr von Elisabeth verwehrt. Als Christiane herausfindet, dass Kurfürstin Mathilde ihr eine ansehnliche Geldsumme vermacht hat, schmiedet Elisabeth einen teuflischen Plan, wie sie nicht nur an das Vermögen herankommen, sondern Christiane für immer zu ihrem Mündel machen kann.“ (Verlagsinfo)
Interview mit Jutta Weber-Bock anlässlich des Erscheinens ihres historischen Romans „Das Vermächtnis der Kurfürstin“ weiterlesen

Interview mit Jutta Weber-Bock

_Buchwurm.info:_
Was machst du gerade? Bist du zu Hause? Fühlst du dich wohl in deinem Wohnort – wo ist das überhaupt?

_Weber-Bock:_
Gerade komme ich zurück von der Stuttgarter Karlhöhe. Der Blick hinunter auf die Stadt bringt mir im Sommernieselregen einen Hauch Norwegen, in der Sommerhitze hingegen erinnern mich Stuttgarts Hügel an San Francisco. Als Schriftstellerin fühle ich mich sehr wohl in Stuttgart. Ich wohne in der Nähe des Stuttgarter Schriftstellerhauses und genieße es, schnell in der Stadt zu sein und im Heusteigviertel, in dem ich wohne, eine Atmosphäre vorzufinden, die mich jeden Tag aufs Neue inspiriert.

_Buchwurm.info:_
Du hast am 24. Mai in Stuttgart aus deinem Roman „Liebesprobe“ vorgelesen. Wie war die Veranstaltung für dich persönlich? Und warum machst du überhaupt Lesungen?

_Weber-Bock:_
Die Lesung zusammen mit Jana Jürß in der Gedok Stuttgart hat sehr viel Spaß gemacht, weil es so möglich war, das Thema „Liebe und andere Radikalitäten“ aus zwei ganz verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Und die Einbindung der Lesung in die Veranstaltungsreihe der Autorinnenvereinigung zum Thema „Das Land der Dichterinnen und Denkerinnen – Poesie und Radikalität“ hat mir bei der Auswahl der Textpassagen einen neuen Blick auf meinen eigenen Roman eröffnet.

Bei Lesungen gefällt mir der unmittelbare Kontakt zu meinen Lesern, dieses Herüberschwingen der Worte ins Publikum hinein. Und das möchte ich mit meinen Lesungen: die Leserinnen und Leser persönlich erreichen.

_Buchwurm.info:_
Worum geht es denn in diesem Roman überhaupt?

_Weber-Bock:_
Mein Roman „Liebesprobe“ erzählt vor dem Hintergrund eines Mountainbike-Urlaubs auf Gran Canaria von einer heimlichen Liebe, von einer Frau, die als Geliebte eines verheirateten Mannes lebt. Ich verknüpfe dabei den Mythos der Insel, also diese romantische Sehnsucht nach den Elysischen Gefilden, mit dem Ideal einer Verschmelzung von Ich und Du, das sich in der Landschaft Gran Canarias widerspiegelt. Die Frau macht sich Hoffnungen auf Erfüllung ihrer Liebe, und ihr Geliebter hat Angst vor einer Entdeckung ihres Verhältnisses.

In diesem Spannungsfeld bewegen sich die beiden radelnd über die Insel. Er will sich mit ihr nicht öffentlich zeigen und möchte, dass sie sich unter falschem Namen vorstellt. Sie fordert ihn zu einer Entscheidung auf und setzt ihm eine Frist. Er geht darauf ein, sie schöpft Hoffnung, dass nun alles gut wird, stellt ihn aber auf die Probe und entdeckt dann, dass die Dinge noch sehr viel schlimmer sind, als sie es sich hat vorstellen können.

_Buchwurm.info:_
Ich kenne dich ja auch als Lyrikerin. Ziehst du jetzt, nach Jahren der Lyrik, die erzählende Prosa dem Gedichteschreiben vor? Worin liegt der Unterschied für dich? Möchtest du unterschiedliche Ziele erreichen?

_Weber-Bock:_
Begonnen habe ich mein Schreiben tatsächlich mit Gedichten, aber schnell festgestellt, dass ich die Prosa brauche, um auch Geschichten erzählen zu können. So ist es phasenweise verschieden, ob ich mich mehr auf das Erzählen oder das Dichten konzentriere. Außerdem kommt es natürlich auf den Stoff, auf das Thema an, das ich bearbeiten möchte. Und da kann ich sehr schnell erkennen, welche Gattung ich brauche. Die Ziele sind bei Prosa und Lyrik die gleichen, nur die Mittel verschieden.

_Buchwurm.info:_
Was sind deine Themen, mit denen du dich in Lyrik und Prosa befasst? Spielt auch dein Wohnort Stuttgart eine Rolle?

_Weber-Bock:_
Im übergeordneten Sinne sind immer Menschen mein Thema und die Kommunikation zwischen ihnen. Oft helfen mir auch Themen wie zum Beispiel das Reisen, das Joggen oder das Wandern, um klarer formulieren zu können, was ich sagen möchte. Allerdings sind diese Sub-Themen mehr als bloße Kulisse – so ist die Insel Gran Canaria zwar ein Ort, an dem sich die Personen meines Romans befinden. Der Mythos der Insel aber wird erst virulent durch die Landschaft und die besondere Atmosphäre in den Bergen und löst seinerseits bei den Personen bestimmte Gefühle aus. Ähnlich geht es mir mit Stuttgart. Zurzeit arbeite ich an einem Roman, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Stuttgart spielt. Und wenn ich heute durch die Stadt laufe, versuche ich dieser historischen Atmosphäre nachzuspüren und meinen Figuren dann diese Gefühle mitzugeben.

_Buchwurm.info:_
Deiner Webseite entnehme ich, dass du auch eine pädagogische Ader hast. Ich habe selbst an den von dir organisierten Schreibseminaren und Literaturwerkstätten teilgenommen. Siehst du in diesem Zweig deiner Tätigkeiten einen wichtigen Teil deiner Persönlichkeit verwirklicht, oder warum machst du das?

_Weber-Bock:_
Von meiner Ausbildung her bin ich Lehrerin. Es gab zu einem gewissen Zeitpunkt, 1989 war das, den Wunsch, zu schreiben und gleichzeitig meinem Beruf auch wieder näher zu kommen. Ich merke immer wieder, dass ich meine Teilnehmerinnen und Teilnehmer „beflügeln“ kann. Umgekehrt erhalte ich von ihnen aber auch viele Inspirationen zum eigenen Schreiben. Insofern folge ich einer doppelten Berufung und erfahre, das dies gut bei Lesern und Seminarteilnehmern ankommt.

_Buchwurm.info:_
Wer interessiert sich für deine Seminartätigkeit? Hoffentlich viele werdende Schriftsteller – aber vielleicht auch Kulturämter?!

_Weber-Bock:_
Vor allem haben natürlich Schreibende, die sich fortbilden und professionalisieren wollen, Interesse an meinen Seminaren. Dazu biete ich inzwischen einige Themen als „inhouse-Seminare“ für kleine Gruppen an, in denen dann sehr intensiv gearbeitet wird und ein Projekt bis zur Veröffentlichungsreife gebracht werden kann. Es interessieren sich natürlich auch Kulturveranstalter für meine Angebote, wie etwa Volkshochschulen oder Fortbildungsakademien. Doch in diesem Bereich würde ich meine Tätigkeiten gerne noch ausweiten. Ich verstehe mich als Schriftstellerin und Literaturvermittlerin – für den Schriftstellerverband, den Förderkreis, die Gedok, die Autorinnenvereinigung oder den Volkshochschulverband.

_Buchwurm.info:_
Wie bist du zum Schreiben gekommen?

_Weber-Bock:_
Die Frankfurter Vorlesungen von Paul Nizon „Am Schreiben gehen“ haben bei mir als Initialzündung gewirkt. Seitdem gehe ich am Schreiben, wie Paul Nizon sagt. Schreiben ist „matière, die ich schreibend befestigen muss, damit etwas stehe, auf dem ich stehen kann.“ Ich bilde mich ab im Schreiben und vergegenwärtige mich darin. So bekomme ich mein Leben in den Griff, Stück für Stück. Ich schreibe, also bin ich.

_Buchwurm.info:_
Wer sind deine schriftstellerischen Vorbilder, denen du nacheiferst?

_Weber-Bock:_
In der Prosa sind es Isabel Allende und Philippe Djian, in der Lyrik Hilde Domin und Werner Dürrson. Zu nennen wären natürlich noch mehr Kolleginnen und Kollegen, aber ich denke, die vier umspannen ganz gut das Feld, auf dem ich mich bewege.

_Buchwurm.info:_
„Liebesprobe“ war meines Wissens dein Romandebüt. Würdest du es als erfolgreich bezeichnen? Wie konnte es dir überhaupt gelingen, den Roman zu veröffentlichen?

_Weber-Bock:_
Von meinen Lesern habe ich, soweit sie mir zugänglich sind, durchweg sehr positive Rückmeldungen erhalten. Es gibt zwei Buchrezensionen bei Amazon.de, außerdem hat die „Stuttgarter Zeitung“ im letzten Jahr anlässlich meiner Lesung im Stuttgarter Schriftstellerhaus im Rahmen des Literatursommers „Im Spiegel der Romantik“ über das Buch berichtet. Aber ich würde den Roman natürlich gerne noch mehr bekannt machen. Gerade bin ich dabei, die drei Haupt-Zielgruppen Frauen (in den besten Jahren), Liebhaber (nicht nur) der Kanarischen Inseln sowie Radfahrer/Mountainbiker gezielter auf das Buch aufmerksam zu machen. Wichtig war es mir bei der Auswahl des Verlags, dass das Buch langfristig am Markt verfügbar ist.

_Buchwurm.info:_
Kannst du vom Scheiben leben? Oder hast du noch andere berufliche Tätigkeiten?

_Weber-Bock:_
Zurzeit verkauft sich mein autobiographisches Buch [„Wir vom Jahrgang 1957 – Kindheit und Jugend“ 3882 ganz gut, und so lebe ich quasi von meiner Kindheit. Beim Schreiben bin ich mir mit der Zeit immer mehr auf die Spur gekommen und kann heute sagen und zugeben, dass alle meine Geschichten natürlich vor meinem eigenen Lebenshintergrund spielen. Ich nenne das „autobiographische Matrix“. Darauf baue ich beim Schreiben auf. Eine Konsequenz ist mein Handbuch „Autobiographisches Schreiben“, das eine Anleitung für Schreibende und Kursleitende bietet. Vom Schreiben und Unterrichten zusammen kann ich gerade einigermaßen gut leben, aber sowieso ist beides für mich untrennbar miteinander verbunden.

_Buchwurm.info:_
Mit welchen Projekten können wir in Zukunft von dir rechnen?

_Weber-Bock:_
Derzeit arbeite ich, wie gesagt, an einem historischen Roman, der in Stuttgart spielt, und an einem Lyrikband, wobei die Gedichte thematisch in der Wüste Namib angesiedelt sind. Geplant ist außerdem zum Frühjahr 2008 ein Handbuch „Reisen und Schreiben“, mit dem ich das Thema Reisen aus meinem Roman „Liebesprobe“ wieder aufnehme.

|Das schriftliche Interview führte Michael Matzer im Juni 2007.|

_Kurzbiografie_

* geboren 1957 in Melle/Niedersachsen, lebt seit 1983 in Stuttgart

* Studium Philosophie und Deutsch an der Universität Osnabrück; abgeschlossene Lehrerausbildung

‚ Arbeit als Schreibkraft, Chefsekretärin, Direktionsassistentin und Sachbearbeiterin an einem Forschungsinstitut

* seit 2004 freie Schriftstellerin, Dozentin und Lektorin in Stuttgart; schreibt Romane, Erzählungen und Gedichte

* seit 1990 Dozentin in Schreibwerkstätten

* seit 1997 für den Volkshochschulverband in der Fortbildung von Schreibwerkstättenleiter-/innen tätig

* Stellvertretende Vorsitzende des Schriftstellerverbandes (VS) in Baden-Württemberg, Mitglied in der GEDOK Stuttgart und in der Autorinnenvereinigung e. V.

* Projektleiterin des „Basisnetzwerks: Schreibwerk- und Autorenförderung in Baden-Württemberg“ (http://www.schreibwerkstaetten.de )

* Eintrag im 65. Jahrgang von Kürschners Deutschem Literaturkalender 2006/2007

* im Juni 2006 Aufenthaltsstipendium des „Internationalen Schriftstellerzentrums Three Waves“ auf Rhodos, Griechenland

Internet: http://www.weber-bock.de

Weber-Bock, Jutta – Wir vom Jahrgang 1957. Kindheit und Jugend

_Doch schon so alt, aber jung geblieben_

„Jahrgang 1957 – das war die Generation der Kurzschuljahre, Hula-Hoop-Reifen und des Apfelshampoos. Die Großmütter dufteten noch nach 4711, viele Mütter verrichteten Heimarbeit und die Vätern arbeiteten auch samstags. Als Jugendliche erlebten wir die 70er Jahre mit Anti-Atomkraftprotesten, Frauenbewegung, ABBA und Disco-Fieber. Wir trugen fast alles: Mini und Plateauschuhe, Boots und Röhrenjeans, Bundeswehrparka und Palästinensertuch.“ (Verlagsinfo)

Die Stuttgarter Schriftstellerin Jutta Weber-Bock, selbst Jahrgang 1957, nimmt den Leser und Betrachter mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Eingebettet in die weltpolitischen und gesellschaftlichen Geschehnisse der damaligen Zeit, begleitet sie den Leser durch eine Welt aufregender Kindheit und hoffnungsvoller Jugendträume.

_Die Autorin_

Jutta Weber-Bock – natürlich Jahrgang 1957 – ist schon seit den achtziger Jahren Leiterin von Schreibwerkstätten, insbesondere an der Uni Stuttgart, und bildet mittlerweile selbst solche Seminarleiter aus. Sie schreibt Romane, Gedichte und Erzählungen, die zum Teil veröffentlicht wurden. Der Erzählband „Herbsüß mit Bitterstoffen“ erschien 2002 im |Alkyon|-Verlag, Weissach. Die Autorin informiert über sich auf ihrer Homepage http://www.weber-bock.de.

|Veröffentlichungen:|

Laufen Leben, Geschichten und Gedichte, Passagen 15, |de scriptum| Verlag, Rottweil 2001

Herbsüß mit Bitterstoffen, Erzählungen, |Alkyon| Verlag, Weissach i. T. 2002 (Bezug nur noch über die Autorin)

Wir vom Jahrgang 1957 – Kindheit und Jugend -, |Wartberg| Verlag, Gudensberg-Gleichen 2005

Liebesprobe, Roman, |demand| Verlag Waldburg 2005.

Die Autorin arbeitet an ihrem nächsten Roman.

_Inhalte_

Wie bereitet man die Vergangenheit auf? Wie erinnert man sich an die frühesten eigenen Tage? Am besten stützt man sich auf Dokumente und ordnet diese bestimmten Lebensabschnitten zu. Die Chronik dieses 1957er-Lebens deckt demgemäß die Jahre von eins bis 18 mit zahlreichen Chroniken und Bildern – eigenen und fremden – ab. Die Chronik-Rubrik verknüpft die persönliche Biografie der Autorin mit den Weltereignissen, angefangen von „Sputnik 2“ (Hündin Laika an Bord) bis zu den autofreien Sonntagen im Jahr 1973.

Nicht nur das Essen zwischen deutscher Markenbutter und Schweizer Käse spielt eine Rolle, sondern natürlich auch die Mode, sei es nun das Babylätzchen, die Helanca-Strumpfhose oder die erste eigene Jeans. Emanzipation war nämlich nun von Gesetzes wegen erlaubt, weil am 1. Juli 1958 das erste deutsche Gleichstellungsgesetz in Kraft trat. Es erlaubte Frauen, ohne die Zustimmung ihres Ehegatten einen Beruf auszuüben, ein eigenes Vermögen zu besitzen und – jedenfalls ein Jahr später – allein über die Erziehung der Kinder zu entscheiden. In der Steinzeit davor war der Ehegatte noch „Herr im Haus“. Aus und vorbei. Mit der Verfügbarkeit der Pille war es auch mit der Herrschaft des Paschas im Bett endgültig vorüber. Sofern überhaupt einer da war: Viele Kriegsgefangene kehrten nicht aus Sibirien zurück.

Nach dem Kindergarten kam die Dorfschule, in der jüngere und ältere Kinder noch gemeinsam unterrichtet wurden. Der erste Schultag begann stets mit einer Schultüte. Und die wurde damals noch nicht geklaut. Auf dem Nachhauseweg kam man an Kaugummiautomaten vorbei, an denen man nach dem Einwerfen eines Groschens (= zehn Pfennige) einen Hebel drehen musste, um an die begehrten Kügelchen zu gelangen. Zu Hause vertrieben sich die Jungs entweder mit Fußballspielen oder Mopedreparieren die Zeit, die Mädchen mussten oftmals der Mutter im Haushalt helfen, denn es gab noch sehr wenige Maschinen, die Muttern die Arbeit abnahmen.

Die sechziger Jahre waren einerseits schrecklich bieder, andererseits eine Zeit des Auf- und Umbruchs. Lief im Fernsehen jede Menge amerikanische Serienware von „Bonanza“ bis „Raumschiff Enterprise“, so tat sich auf den Straßen etwas völlig anderes: Die Studenten protestierten gegen: Vietnam, die USA, den Schahbesuch und „den Muff aus tausend Jahren in den Talaren“. Schließlich gingen Anfang der 70er Jahre auch Nichtstudentinnen auf die Straße, um gegen den Paragraphen 218 zu demonstrieren, der die Abtreibung verbot. Kommunen, Rocker, Ökos, Anti-AKWler – es war jede Menge in Bewegung gekommen, und als die 1957er volljährig wurden, schauten sie zuversichtlich auf ihre zukünftigen Lebensjahre. Weiter geht die Sicht nicht, denn der Untertitel des Bandes lautet ja „Kindheit und Jugend“.

_Mein Eindruck_

Diese hohe Zahl der Nebenaspekte handelt die Autorin in Textkästen ab, die jeweils mit einem oder zwei Fotos illustriert sind. Die Wirkung ist die eines Zusammensetzspiels, das sich beim Leser erst in der Erinnerung zu einem Ganzen zusammenfügen will. Aber darauf kommt es nicht an. Viele Leser wollen sich in dem Buch in erster Linie wiedererkennen, und je mehr Teile sie vorgesetzt bekommen, desto mehr Teile ihrer Identität können sie wiedererkennen.

|Persönlich|

Nun fragt man sich vielleicht zu Recht, wo denn bitteschön hier die eigenen Eindrücke vom Leben der Autorin bleiben. Diese Textpassagen gibt es durchaus und in nicht geringer Zahl. Sie bilden häufig kleine Szenen aus dem Alltag ab und die Autorin kann dabei ihren ausgeprägten Sinn für Ironie nicht verbergen. Diese Szenen stellen in der Gesamtschau die subjektive Sichtweise dar, wohingegen die Chronik und die Schlaglichter eher die objektive(re) Sichtweise beitragen. (Wobei bereits die Auswahl der objektiven Informationen eine subjektive Wahl ist.)

|Politisch|

Die Bände der Reihe „Wir vom Jahrgang“ sind nicht politisch geprägt, insofern als die Autoren keine politische Richtung erkennbar werden lassen. Natürlich kann es jedoch nicht ausbleiben, dass denkende Menschen eine kritische Sicht auf gewisse Phänomene entwickeln und diese äußern. Die Frage ist also, in welcher Form dies hier geschieht. Das Mittel der Wahl ist leise Ironie. Sie ergibt sich nicht nur aus der zeitlichen Distanz zu jenen heute als absonderlich empfundenen Phänomenen der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre (die ich selbst erlebte, da ich Jahrgang 1960 bin), sondern auch aus einem kritischen Blick aus der Perspektive einer Frau.

|Frauen|

Wie schon erwähnt, erlebten Frauen ab 1958 eine ungeahnte Ausweitung ihrer persönlichen Freiheit von Gesetzes wegen und weil die Fortschritte der Medizin ihnen in die Hände spielten. Emanzipation, Pillen, Abtreibung – alles war auf einmal möglich – und meistens sogar legal! Frau musste nicht mehr zum Abtreiben nach Holland fahren oder nach einer Vergewaltigung ein ungewolltes Kind austragen. Aber ebenso wie die 68er-Generation bedeutete diese Umwälzung nur den Start zum „langen Marsch durch die Institutionen“, der bis heute nicht beendet ist, wenn man bedenkt, dass Versicherungen und Renten Frauen immer noch ungleich behandeln. (Das Wort vom Langen Marsch geht auf Maos Guerillakrieg gegen die chinesische Regierung anno 1949 zurück.)

|Authentizität|

Wo dickleibige Welt-Chroniken und die Wikipedia gehalten sind, größtmögliche Objektivität der Darstellung zu wahren – in den Jahrgangsbänden ist sie zugelassen, aber nicht immer erwünscht. Der Eindruck der Authentizität wird nicht von Fakten erzeugt, auch nicht von durch „Experten“ bewerteten Informationen, sondern von erlebtem Wissen, von Erfahrungen. Dieser Aspekt sowie der persönliche Blickwinkel sind die großen Stärken der Jahrgangsbände. Walter Kempowski, der große deutsche Chronist der Kriegsgeneration (Echolot-Projekt) würde sich bestimmt darüber freuen.

_Unterm Strich_

Die Frankfurter Vorlesungen des Schriftstellers Paul Nizon mit dem Titel „Am Schreiben gehen“ haben bei der Autorin nach eigenen Angaben als Initialzündung gewirkt. „Seitdem gehe ich am Schreiben, wie Paul Nizon sagt.“ Schreiben ist „matière“, die sie schreibend befestigen müsse, damit etwas stehe, auf dem sie stehen könne. „Ich bilde mich ab im Schreiben und vergegenwärtige mich darin. So bekomme ich mein Leben in den Griff, Stück für Stück.“

Das vorliegende Buch bedeutet biografisches Schreiben im besten, weil gebrauchsfertigen Sinne. Alle Erinnerungs-Stücke sind häppchenweise angerichtet und aufbereitet, auf dass sie ein Gesamtbild ergeben mögen. Doch was heißt schon „gesamt“? Man kann sehr vieles ausblenden, um schließlich, wie vom Verlag verlangt, eine „nostalgische Reise“ zu gestalten. Zum Glück wird aber sehr wenig verschwiegen, weder der zunehmende Terrorismus (Textkasten) noch der Vietnamkrieg (zwei Chronikmeldungen von 1965 und 1969). Und von einem Zahlenkrieg kann erst recht nicht die Rede sein, denn erstens sind Statistiken langweilig und zweitens muss man sie meist selbst fälschen, um etwas zu belegen – das muss nun wirklich nicht sein.

Unterm Strich bleibt ein lebendig erzähltes und illustriertes Geschichtsbuch, das durch die persönliche Sichtweise der Erzählerin ein hohes Maß von Authentizität erreicht. Es eignet sich als persönlich gemeintes Geschenk zu allen möglichen Jubiläen.

Nach Verlagsangaben hat die Reihe großen Erfolg und kann Ende 2006 bereits 44 Bände vorweisen, zu denen anno 2007 acht weitere hinzukommen sollen.

|Mehr Informationen über die Autorin und ihr Werk findet ihr im [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=78 vom Juni 2007.|

Interview mit Jutta Weber-Bock anlässlich der Veröffentlich ihres Romans „Das Mündel des Hofmedicus“

Die Stuttgarter Schriftstellerin Jutta Weber-Bock hat am 8. September 2020 im Hospitalhof Stuttgart ihren ersten historischen Roman „Das Mündel des Hofmedicus“ vorgestellt.

Kurz zum Inhalt:

Stuttgart 1804. In einem Stuttgarter Gasthof bringt eine adelige Dame heimlich das Mädchen Christiane zur Welt. Der Hofmedicus nimmt es seiner Mutter weg und unterwirft es einem Erziehungsexperiment. Die Spielkarten Herzsieben und Ecksteinsieben spielen dabei eine geheimnisvolle Rolle. Bis zu ihrem achten Lebensjahr wächst Christiane kindgerecht in einer Pfarrersfamilie auf, dann wird sie von der Schwester des Hofmedicus nach Stuttgart geholt. Diese gibt sich als Christianes wahre Mutter aus. Beim geringsten Vergehen züchtigt sie das Kind. Christiane lernt, sich zu wehren. Der Hofmedicus unterstützt das Mädchen heimlich. Christianes Versuch, mit der Mutter Frieden zu schließen, nutzt ihr nichts, ihre Zeit bei der Schwester des Hofmedicus endet dramatisch. Mit siebzehn Jahren tanzt Christiane auf einem Maskenball und verliebt sich unglücklich. Aus Verzweiflung isst sie eine ganze Schokoladentorte, doch diese ist vergiftet. Zufall oder Mordversuch?
Interview mit Jutta Weber-Bock anlässlich der Veröffentlich ihres Romans „Das Mündel des Hofmedicus“ weiterlesen

[NEWS] Jutta Weber-Bock – Das Vermächtnis der Kurfürstin

Nach dem Tod von Christianes Ziehvater liegt das Sorgerecht bei dessen Schwester, der Bergrätin Elisabeth Hehl. Um ihrem Einfluss zu entgehen und eine gute gesellschaftliche Stellung zu erlangen, flieht Christiane. Doch eine standesgemäße Heirat wird ihr von Elisabeth verwehrt. Als Christiane herausfindet, dass Kurfürstin Mathilde ihr eine ansehnliche Geldsumme vermacht hat, schmiedet Elisabeth einen teuflischen Plan, wie sie nicht nur an das Vermögen herankommen, sondern Christiane für immer zu ihrem Mündel machen kann. (Verlagsinfo)


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