Rainer M. Schröder – Das geheime Wissen des Alchimisten

Köln im Oktober 1705: Die fünfzehnjährige Johanna hat ein hartes Leben. Nach dem Unfalltod ihres Vaters vor sieben Jahren hat ihre Mutter aus Angst vor Armut den Irrenhausbesitzer Heinrich Hackenbroich geheiratet. Der brutale Stiefvater führt dort ein strenges Regiment und behandelt Johanna nicht besser als eine Magd; ihre Mutter ertränkt ihren Kummer im Alkohol. Zudem muss Johanna sich vor den ständigen Übergriffen seines jungen Gehilfen Frieder erwehren.

Eines Abends geschieht etwas, das ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellt: Ein schwer verletzter Mann auf der Flucht vor Verfolgern bittet sie um ihre Hilfe und verspricht ihr, sie dafür reichlich zu entlohnen. Zögernd versteckt Johanna den Fremden auf ihrem Wagen. Der Verfolger entpuppt sich als vornehmer Mann mit einer grässlichen Entstellung auf einer Gesichtsseite. Johanna lockt ihn und seine Begleiter auf eine falsche Fährte. Anschließend bringt sie den Fremden zu sich nach Hause.

Dort hat sie alle Mühe, den Schwerverletzten unter dem Dach ihres Stiefvaters zu beherbergen, doch in Aussicht auf die Entlohung lässt Hackenbroich sie gewähren. Aufopfernd pflegt Johanna den alten Mann, bis er nach einigen Wochen schließlich wieder bei Kräften ist.

Nach seiner Genesung erzählt der Fremde seine Geschichte. Sein Name ist Kopernikus Quint und er arbeitet als Alchimist. Sein Verfolger, Benedikt von Rickenbach, war einst sein bester Freund, ehe sie vor vielen Jahren zu Rivalen und Blutsfeinden wurden. Kaum ist Kopernikus Quint wieder gesund, nimmt er sich eine andere Bleibe. Die dankbare Johanna darf ihm als Gehilfin zur Hand gehen. In den Morgenstunden verrichtet sie wie gewohnt ihre Arbeit bei Hackenbroich, ehe sie den Rest des Tages gemeinsam mit Kopernikus Quint arbeitet. Das kluge und wissbegierige Mädchen lernt schnell und dringt immer tiefer in die Geheimnisse der Alchimie ein. Das Ziel der beiden ist nichts anderes als die Erschaffung des Steins der Weisen …

Eines Tages wird ein neuer Insasse in Hackenbroichs Irrenhaus eingeliefert. Es ist der junge Leander, der aus einer reichen Familie stammt. Angeblich ist er schwachsinnig, doch Johanna spürt bald, dass das nicht die Wahrheit ist. Heimlich unterlässt sie es, dem Jungen die von Hackenbroich gebraute Medizin unterzumischen. Tatsächlich handelt es sich dabei um Gift, das seine Sinne verwirren soll. Kurze Zeit später ist Leander wieder bei klarem Verstand und bittet Johanna um Hilfe. Seine Stiefmutter hat durch eine Intrige dafür gesorgt, dass er eingeliefert wurde, während sein Vater auf einer langen Reise in Russland weilt. Gemeinsam mit Kopernikus Quint entwirft Johanna einen Fluchtplan für Leander. Doch dies ist nur der Anfang des Abenteuers, das Johanna und ihre Freunde in Lebensgefahr bringen wird …

Rainer M. Schröders Jugendromane bilden ohne Frage die ideale Lektüre an historischen Romanen für junge Leute. Sie sind aufregend, mit lustigen Stellen, verständlich geschrieben und lehrreich zugleich. Auch dieser Roman besitzt alle Zutaten für einen packenden Schmöker: eine spannende Handlung in längst vergangenen Zeiten, sympathische Charaktere, finstere Bösewichter, der Kampf von Gut gegen Böse, Wendungen und ein befriedigendes Ende. Was will man mehr?

Sympathische Hauptfiguren

Der wichtigste Charakter ist natürlich die fünfzehnjährige Johanna. Sie ist für jüngere Leser eine ideale Identifikationsfigur. Johanna ist zwar ein Mädchen, kennt aber keine Zier, sondern ist eher burschikos. Daher können sich sicher auch Jungen mit ihr identifizieren. Bereits nach den ersten Seiten fühlt man sich mit dem Mädchen verbunden. Sie meistert ihr hartes Schicksal mit viel Mut und Durchsetzungskraft. Immer wieder muss sie sich gegen die Ungerechtigkeiten ihrs Stiefvaters wehren, Schläge fürchten und niedere Arbeiten verrichten. Johanna hat das Herz auf dem rechten Fleck. Sie setzt sich für Kopernikus Quint ein, noch ehe sie sicher sein kann, dass er kein Halunke ist, sie hat Mitleid mit den armen Gefangenen im Irrenhaus und sie ist mit dem allseits nur für dumm gehaltenen Dominik befreundet. Gleichzeitig aber ist Johanna keine Heilige, sondern kennt durchaus ein gesundes Maß an Eigennutz. So rettet sie Kopernikus Quint zunächst vor allem wegen des Geldes, das er ihr verspricht und scheut sich auch nicht, ihm das später zu verraten.

Kopernikus Quint ist zunächst ein geheimnisvoller Geselle, über den der Leser nicht mehr weiß als die unsichere Johanna. Aber schnell ahnt man, dass hinter dem alten Mann ein vertrauensvoller Charakter steckt, der Johanna helfen wird, ihrem elendigen Leben zu entfliehen. Seine alchimistischen Erklärungen sind leicht verständlich dargestellt, so dass sowohl Johanna als auch der Leser mühelos folgen können. Auf spielerische Weise wird einem so das dunkle Kapitel der Alchimie ein klein wenig näher gebracht.

Abwechslungsreiche Handlung

Für Spannung sorgen nicht nur die Verfolgungsjagden und die alchimistischen Prozesse, sondern auch die zuweilen traurigen Ereignisse wie Tod und Freundesverrat. Der Leser kann sich dadurch nicht hundertprozentig sicher sein, dass alles ein gutes Ende nimmt und fiebert daher dem weiteren Verlauf entgegen.

Auch eine kleine Liebesgeschichte darf natürlich nicht fehlen, denn erwartungsgemäß entwickelt sich zwischen Johanna und Leander im Verlauf mehr als bloße Freundschaft. Diese zart aufkeimende Liebe bleibt aber dankenswerterweise dezent im Hintergrund. Wie oft erlebt man die unsägliche Situation, wenn in diversen Historienromanen die Charaktere trotz aller Verfolgungsjagden Zeit für ausgedehnte Romanzen finden und es nur allzu offensichtlich ist, dass die plakativen Liebesszenen billige Unterhaltung liefern sollen. Hier dagegen finden Johanna und Leander kaum Zeit, um ihre Beziehung zum Erblühen zu bringen – was angesichts der Ereignisse um sie herum nur realistisch ist.

Spannung für alte und junge Leser

Das Schöne an dem Buch ist, dass es von Erwachsenen und Kindern gleichermaßen gelesen werden kann. Die alchimistischen Begriffe und naturwissenschaftlichen Erklärungen sind so einfach beschrieben, dass man auch ohne jede Vorkenntnis etwas damit anfangen kann und nicht überfordert wird. Der Stil ist sehr einfach gehalten, ohne dabei anspruchslos zu wirken.

Als Kölnerin war für mich natürlich besonders reizvoll, dass die Geschichte in meiner Heimatstadt spielt. Man spürt, dass Rainer M. Schröder sehr genau für seine Bücher recherchiert und somit eine authentische Kulisse der damaligen Welt abbildet. Die Atmosphäre des 18. Jahrhunderts wird gut wiedergegeben. Der Leser fühlt sich von der ersten Seite an versetzt in eine Zeit der Goldkocher und Taschenspieler, der Grabräuber und der Vagabunden. Vor sich sieht man das düstere Irrenhaus mit den finsteren Kerkern, man hört die Schreie der geistig Umnachteten und man spürt die Kälte in den undichten Kammern. Der Anhang mit dem Nachwort und den vielen Erläuterungen rundet diese Informationen perfekt ab.

Minimale Schwächen

Zu bemängeln gibt es, wenn überhaupt, nur zwei Dinge: Das eine ist die Zusammensetzung der Handlung aus allseits bekannten Vesatzstücken. Kopernikus als weiser Lehrmeister, Johannas zeitweilige Verkleidung als Junge, einstige Freundschaft, die sich in Rivalität und Feinschaft wandelt, Verrat und Intrigen – das alles sind aus anderen Abeneuerromanen bereits bekannte Episoden, die hier unverändert aufgegriffen werden. Die Handlung an sich ist also nicht besonders innovativ, ebensowenig wie die Charaktere. Trotzdem kommt keine Langeweile auf, weil der Autor es versteht, diese altbekannten Versatzstücke anschaulich und lebendig zu präsentieren.

Der andere leichte Kritikpunkt ist das zu schnell abgehandelte Ende. Bei ein paar Nebenfiguren, denen man im Lauf der Geschichte begegnet, wünscht man sich, dass ihr Schicksal nochmal aufgegriffen wird und man etwas über sie erfährt. Da es für die Gesamthandlung nicht weiter wichtig ist, tut es dem Roman aber keinen weiteren Abbruch.

_Unterm Strich_ ist „Das geheime Wissen des Alchimisten“ ein spannender Historienroman, der von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Die Geschichte ist für junge wie erwachsene Leser gleichermaßen geeignet. Das Köln des frühen 18. Jahrhunderts wird vor dem Auge des Lesers lebendig und das Schicksal der Charaktere, allen voran Johanna und ihr Lehrmeister Kopernikus Quint, lädt zum Mitfiebern ein. Der perfekte Schmöker für alle Leseratten, die in die dunkle Welt der Alchimisten eintauchen wollen …

_Rainer Maria Schröder_ wurde 1951 in Rostock geboren. Seit 1977 arbeitete er als Schriftsteller und veröffentlicht vor allem Kinder- und Jugendromane. Einige Werke erschienen zunächst unter dem Pseudonym „Ashley Carrington“. Für seine Recherchen begibt er sich eigenhändig an die Orte, über die er schreibt. Seine zahlreichen Reisen brachten ihn bereits rund um die Welt. Weitere Werke sind u. a.: „Der geheime Auftrag des Jona von Judäa“, „Abby Lynn“, „Das Geheimnis des Kartenmachers“, „Das Geheimnis der weißen Mönche“, „Die wundersame Weltreise des Jonathan Blum“ und die Falken-Quattrologie sowie neu seine Trilogie um „Die Bruderschaft vom Heiligen Gral“.

Taschenbuch: 496 Seiten
www.rainermschroeder.de
www.arena-verlag.de