Kirsten Wulf – Sommer unseres Lebens

Miriam, Claude und Hanne – seit vielen Jahren hatten sie nichts mehr voneinander gehört. Und doch waren sie einst beste Freundinnen gewesen – verrückte, beste Freundinne für einen Sommer lang, als ihnen die Welt noch offen stand und die Zukunft völlig ungewiss war. Jetzt – ein Vierteljahrhundert später – stand das große Treffen an, welches sie sich am Strand in Portugal gegenseitig versprochen hatten: Kippe, Kaffee und Cognac und dann mal sehen, was sie im Leben erreicht haben würden.

Allerdings ist es zunächst nur Hanne, die das dringende Bedürfnis fühlt, das an ihrem zum gemeinsamen 25. Geburtstag erklärten Tag gegebene Versprechen einzulösen. Als alleinerziehende Yogalehrerin und Mutter von vier Kindern nimmt sie zudem ein Geheimnis mit auf die Reise, dass nicht nur die sich langsam wieder einstellenden Freundschaftsgefühle, sondern auch die Beziehung zu ihrer Familie und ihr persönliches Selbstwertgefühl auf eine harte Probe stellen.

Die anderen beiden sind hingegen wenig begeistert. Miriam ist inzwischen die Karriereleiter hinaufgeklettert und in einem Werbebüro erfolgreich. Claude hat ein Restaurant in Hamburg, das sie im Sommer eigentlich nicht geschlossen lassen dürfte. Trotzdem finden sich alle drei irgendwann in Lissabon wieder, wo nicht nur eine Reise zum Weststrand, sondern plötzlich auch eine unfreiwillige Reise zu sich selbst antreten müssen.

Die Themen in Kristen Wulfs viertem Roman „Sommer unseres Lebens“, mit dem sie ihre Leserinnen statt wie bisher auf Apuliens kriminelle Pfade ins quirlige Portugal entführt, sind wunderbar weiblich und vielfältig. Die drei Protagonistinnen kokettieren auf der einen Seite mit Männern, ihrem fortgeschrittenen Alter und den Eitelkeiten ihrer vergangenen Jugend. Auf der anderen Seite wird deutlich, dass sie bereits ein Leben hinter sich haben, das jeder von ihnen ihr eigenes Päckchen zu tragen gegeben hat und in der Zukunft nicht mehr alle Wahlmöglichkeiten lässt. Die erfolgreiche Miriam muss feststellen, dass man zwar den Beruf, seine Karriere und die Familie unter Kontrolle haben kann, jedoch den eigenen Körper nicht immer. Claude hat zwischenmenschlich versagt und das geerbte Restaurant in den Ruin gesteuert. Hanne fühlt sich als Mutter und Mensch unzulänglich, obwohl sie es schafft, vier Kinder mit nur wenig finanzieller Unterstützung durchzubringen.

Auf ihrem Roadtrip durch Portugal treffen die verschiedenen Ansichten der drei Frauen auf- und reiben sich aneinander. Bei vielen Problemen gelangen sie gemeinsam zu überraschenden Einsichten und schließlich verschlägt es sie in ein versteckt gelegenes Kloster, wo ihnen klar wird, dass sie noch einmal neu entscheiden müssen, was sie mit ihrem Leben anfangen möchten. Sie spüren, dass ihnen im Gegensatz zum ersten gemeinsamen Geburtstag in Portugal keine Zeit mehr bleibt, um sich treiben zu lassen und ihr Leben dem Zufall zu überlassen. Dieses Mal – an ihrem gemeinsamen 50. Geburtstag – werden die Entscheidungen bewusster gefällt werden. Als großer Vorteil am Älterwerden erweist sich nämlich, dass man gar nicht mehr alle offenen Türen des Lebens braucht, aber sehr viel besser weiß, durch welche man gehen möchte. Und 50 ist nicht zu alt, um noch einmal neu anzufangen, anderen Lebensentwürfen oder auch anderen Männern, Ländern, Berufen … eine Chance zu geben. In diesem Sinne kann man den Titel ruhig doppeldeutig verstehen – vielleicht beginnt der Sommer unseres Lebens und damit für viele auch die schönste Jahreszeit ja erst mit 50.

Jedenfalls ist „Sommer unseres Lebens“ ein optimistischer Roman in einem lockeren Plauderton, aus dem man die Sehnsucht nach Portugal deutlich herausliest. Die Autorin lässt die portugiesische Lebensfreude, die Wärme und die Weite des Landes ganz lebhaft vor den Augen der Leserinnen erstehen. Man taucht in laue Sommernächte mit sehnsüchtigem Fado ein und fühlt sich fast, als stünde man persönlich mit Almeida hoch über dem Tejo, um auf Lissabon hinabzublicken. Man streift durch heimelige, portugiesische Örtchen, lernt originelle Typen kennen, die ebenfalls Mitten im Leben stehen und ihre oftmals abenteuerlichen Geschichten einbringen. Zum Schluss ist man direkt erleichtert, dass das Happy End ausbleibt und es dennoch irgendwie happy endet – ganz wie im richtigen Leben.

Vom Verlag ursprünglich als sommerliche Urlaubslektüre gedacht, ist Wulfs neuer Roman auch das perfekte Buch für einen herbstlichen Regentag und eine Tasse Tee. Zum Beispiel, wenn die beste Freundin gerade nicht erreichbar ist.

Hardcover: 368 Seiten
ISBN: 978-3462048896

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