Patrick Hemstreet – Die Gotteswelle (God Wave 1)

Einem Forscherteam gelingt es, Hirnwellen zur ‚drahtlosen‘ Steuerung von Maschinen einzusetzen. Was vor allem die Medizin revolutionieren sollte, fällt in die Hände einer geheimen Militärgruppe, deren Anführer von der Weltmacht träumt. Spät erkennen die Wissenschaftler die Wahrheit und beginnen sich zu wehren … – Mit Science-Fiction-Elementen angereicherter „Science Thriller“. Die Story ist simpel und wird nicht gerade wortgewandt präsentiert, die Figurenzeichnungen sind schlicht. Als dennoch spannendes Lesefutter genießbar sowie bereits fortgesetzt.

Das geschieht:

Sie haben einander zwar nicht gesucht, aber schließlich gefunden: Charles „Chuck“ Brenton, der findige Neurowissenschaftler, und Matt Streegman, der geniale Mathematiker. Gemeinsam können sie ein Problem lösen, das den Durchbruch in eine neue Dimension der Technik bisher verhinderte: Zwar ist es schon lange möglich, Maschinen durch Menschen fernzusteuern. Dabei geht jedoch viel Zeit verloren, und die Lenkung ist ungenau, da Hard- und Software Mensch und Maschine miteinander verknüpfen muss.

Ist das wirklich notwendig? Brenton und Streegman gründen „Forward Kinetics“. Gemeinsam mit wenigen, aber ausgesuchten Wissenschaftlern, Künstlern und ‚richtigen‘ Arbeitern arbeiten sie an ihrem Traum, Maschinen ausschließlich kraft des menschlichen Geistes zu steuern.

Viele Rückschläge später gelingt die Realisierung – und dann das scheinbar Unmögliche: Die Arbeit mit der neuen Generation geistesgesteuerter Maschinen lässt die Gehirne der Probanden buchstäblich mutieren. Sie setzen die „Gotteswelle“ frei, eine Kraft, die es ihnen ermöglicht, Maschinen ohne jede technische Unterstützung quasi zu ‚besetzen‘ und zu steuern!

Das eröffnet „Forward Kinetics“ buchstäblich neue Welten. Während Brenton idealistisch das Wohl der Menschheit im Auge hat, denkt Streegman an den Profit. Er holt General Leighton Howard an Bord, Dieser leitet angeblich „Deep Shield“, eine Abteilung der „Homeland Security“. Nur allmählich erkennen die Wissenschaftler, dass sie einem skrupellosen Machtmenschen in die Falle getappt sind: Howard baut heimlich eine Armee von Kampfrobotern, die er seine Schergen steuern sollen, um damit die Herrschaft über die Vereinigten Staaten an sich zu reißen …

Wissenschaft, die Spannung schafft

Zwar ist uns die Tatsache, dass „Fortschritt“ ein Prozess vieler kleiner Schritte darstellt, mehrheitlich bewusst. Nichtsdestotrotz hängen wir weiterhin an einem Bild, das naturwissenschaftliche und technische Evolution mit Individuen wie Thomas Alva Edison, Robert Koch oder Steve Jobs gleichsetzt. Der komplizierte, zeitaufwändige, von Rückschlägen und Irrwegen geprägte, kurz: langweilige Alltag, der großen Entdeckungen vorausgeht, benötigt „Gesichter“, um sich dem Laien mitzuteilen.

Nun sind auch Wissenschaftler vor allem außerhalb des Labors (nur) Menschen. Das ermöglicht es, sie von langweiligen, in weiße Kittel gekleideten und unverständliche Formeln murmelnden Nerds in aktive, dem Diesseits zugewandte Zeitgenossen zu verwandeln, die gleichzeitig eine (mindestens) welterschütternde Entdeckung machen, sich gegen fiese Schurken und Verschwörer wehren sowie eine schöne Frau/einen schneidigen Mann an ihre Seiten ziehen können.

Die Unterhaltung setzt verständlicherweise auf diese Sicht des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts. Sie sorgt für Spannung, deren Erzeugung Primärzweck auch der „Science Thriller“ ist, die Michael Crichton selig zwar keineswegs erfunden aber lukrativ perfektioniert hat. Seit „Jurassic Park“ & Co. fühlen sich viele Forscher und Entwickler berufen, ihr Fachwissen als Basis für eine Geschichte zu nutzen, die faktisch mit uralten Ideen und Klischees aufwartet, was jedoch durch Techno-Babbel = auf allgemeinverständliches Maß heruntergebrochene bzw. erfundene aber zumindest glaubwürdig klingende ‚Fakten‘ aufgewertet wird.

Soft-Wissen und Hochgeschwindigkeits-Action

Zu ihnen gesellt sich nun also Patrick Hemstreet, seines Zeichens Neurologe bzw. Neuro-Ingenieur und als solcher quasi das Alter Ego für Charles Benton und Matt Streegman, für die der Autor seinen Charakter spaltet: Benton ist der wahre Forscher, d. h. ein Idealist, der den Allgemeinnutzen seiner Erkenntnisse nicht für schnöden Mammon, sondern zum Wohl der Menschheit zu Verfügung stellen will. Streegman ist da realistischer = menschlicher = mieser, denn er spuckt keineswegs auf Reichtum und Ruhm, weshalb er sich – schlimmer geht’s im modernen Trivial-Thriller nimmer! – sogar mit einem Geheimdienst verbandelt, der „zum Wohle der Allgemeinheit“ in einer Zeit, die bedauerlicherweise von ruchlosen Terroristen geprägt wird, außerhalb von Gesetz und Moral agiert.

Schon diese wenigen Zeilen verraten, dass Hemstreet mit „Die Gotteswelle“ nicht gerade tiefgründige Literatur geschaffen hat. Dies ist ein leichtes, immerhin schnelles und in Sachen Techno-Babbel (s. o.) geschickt unterfüttertes Garn, das ausschließlich Unterhaltungsqualitäten aufweist, wobei sich diese – so urteilt jedenfalls dieser Rezensent – in Grenzen halten. Schwarz und Weiß sind Hemstreets ‚Farben‘. Wo er sich an Zwischentönen versucht, fällt er garantiert auf die Nase. Bereits die Figurenzeichnung orientiert sich weitgehend an jenen „Netflix“-Serien, die zwischenmenschliche Dramatik behaupten, statt sie zu formen und zu entwickeln. Ausschließlich Pappkameraden bevölkern diese Seiten; sie sämtlich als solche vorzustellen, wäre die Mühe nicht wert.

Beispiele genügen. So ist Streegman aus Hemstreets Sicht kein Schuft, sondern eine von ihrer tragischen Vorgeschichte gebeutelte Figur, die letztlich erkennt, dass sie von Howard getäuscht und geblendet wurde. Die Darstellung solcher Ambivalenz gelingt dem Verfasser immerhin besser als seine Bemühungen, einen Haufen Nerds in Amateur-Agenten zu verwandeln, die erfolgreich Hightech-Finsterbolde aufs Kreuz legen, die zuvor als allmächtige, allgegenwärtige Kontrahenten eingeführt wurden.

Science Fiction? Was ist das …?

Beinahe zwei Drittel verwendet Hemstreet darauf, Benton und Streegman ihre gotteswellenbewegte Wundermaschine basteln zu lassen. Hier legt er deutlich mehr Talent an den Tag als bei der Entwicklung des Plot-Komplotts, das durch Michael-Bay-inspirierte Action in Schwung gebracht werden soll. Der Lösung eines Problems wohnt eine Faszination inne, die Hemstreet heraufzubeschwören weiß. Er vereinfacht und kürzt ab, doch er vermittelt, was vor allem Benton und sein Team antreibt.

Nicht gerade neu, aber immer aktuell dabei ist die Diskussion der Frage, ob ein Fortschritt wie der, den Hemstreet hier vorstellt, überhaupt wünschenswert ist: Den vielen Vorteilen weiß der Autor glaubhaft die möglichen Zweckentfremdungen gegenüberzustellen. Beinahe jede Erfindung taugt auch als Waffe – und stets wird es jemanden geben, der diese Möglichkeit erkennt und nutzt. Zwar entpuppt sich Howard als James-Bond-Bösewicht, doch Hemstreet stellt klar, dass eine geheimdienstliche Aneignung von Wissen in einer Welt, die inzwischen ganz selbstverständlich außerhalb geschriebener Gesetze funktioniert, keineswegs aus der Luft gegriffen ist.

Für den regelmäßigen Leser von Science Fiction ist die Konsequenz, mit der Hemstreet die Tatsache ignoriert, dass dort die von ihm vorgestellte Hightech bereits seit Generationen ‚Alltag‘ ist, sowohl amüsant als auch bekannt. „Science Thriller“ wenden sich an ein Publikum, dem SF-Genrekenntnisse fehlen, weshalb viel heiße Luft in solche Beschreibungen gepumpt werden kann.

Drama in drei Teilen

Wer sich als Autor heutzutage die Mühe macht, einen Roman zu schreiben, denkt gern ökonomisch. Weiterhin muss vorab recherchiert, müssen Schauplätze entworfen und Figuren erfunden werden. Da liegt der Gedanke nahe, solchen Aufwand nicht für nur eine Geschichte zu treiben. Normalerweise folgt einem Erfolg eine Fortsetzung bzw. ein neues Abenteuer mit bekannten Gestalten. Mehr und mehr Autoren setzen seit einiger Zeit jedoch darauf, ihre Werke gleich mehrbändig anzulegen.

Wenn „Die Gotteswelle“ zwar aktionsreich aber ohne echte Auflösung endet, so liegt dies nicht am Mindertalent des Verfassers, sondern ist als klassischer „Cliffhanger“ gedacht: „Die Gotteswelle“ bezeichnet nicht nur diesen Roman, sondern ist auch Obertitel einer Trilogie, deren zweiter Band „The God Peak“ (dt. „Die Gottesformel“) heißt. Letztlich dürfen/müssen wir Leser uns auf ein Garn einstellen, das weit über 1000 Seiten laufen wird. Entsprechende Leimruten sind ausgelegt: Wer ist Kristian Lorstadt, und welche Gruppe vertritt er? Wie werden Howards düpierte Verschwörer sich aus ihrem sabotierten Schlupfwinkel befreien und zurückschlagen?

Verkraftet der Plot das? Ja, wenn man davon ausgeht, dass Hemstreet die hölzerne Hit-and-Run-Struktur, die er in Band 1 bevorzugt, beibehält. Bedrohung, Flucht bzw. Verfolgung, trickreiche Problemlösung, ‚überraschendes‘ Auftauchen einer neuen Krise: Solche Elemente lassen sich praktisch endlos aneinander flanschen. Nein, wenn man auf Lektüre steht, die tiefer gründelt, d. h. ihr Publikum ein wenig raffinierter an der Nase herumführt. Damit ist – mit dieser Prognose lehnt sich der Referent furchtlos aus dem Fenster – nicht zu rechnen. Dies mag ein Grund dafür sein, dass der TV-Sender „Syfy“ – Garant für billig produzierte, unterdurchschnittliche Phantastik – die Rechte an Hemstreets Trilogie erworben hat.

Autor

Noch ist über Patrick Hemstreet wenig bekannt. Immer wieder liest man deshalb jene ‚interessante‘ Kurz-Vita, nach der Hemstreet Unternehmer, Erfinder, Militär-Sanitäter, Standup-Komiker und Schauspieler ist oder war. Ansonsten ist er Familienvater und lebt in Houston, Texas.

Taschenbuch: 448 Seiten
Originaltitel: The God Wave (New York : Harper Voyager/HarperCollins Publishers 2016)
Übersetzung: Fred Kinzel
www.patrickhemstreet.com
http://www.harpercollins.de

E-Book: 1173 KB
ISBN-13: 978-3-95967-971-8
www.harpercollins.de

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