Ellery Queen – Der verschwundene Revolver

Queen Revolver Cover kleinDer alternde Star einer Western-Show wird vor 20.000 Fans niedergeschossen. Unter den Zuschauern: Ellery Queen, Kriminalschriftsteller und Amateurdetektiv. Es gibt kein Motiv und keine Mordwaffe, aber viele Verdächtige und bald die nächste Leiche … – Skurriler Großstadt-Krimi im Western-Milieu, besetzt mit den üblichen scheinbar Unschuldigen, auf die man als Leser besonders scharf achten sollte; die Lösung ist trotzdem kaum zu erraten und reichlich bizarr.

Das geschieht:

Buck Horne ist noch ein echter Westmann, ein Zeitgenosse Billy the Kids und anderer zweifelhafter Helden. Aber der Wilde Westen ist tot, und Buck ging ins Showbusiness. Filmstar ist er gewesen, doch nun wird er alt. Der Ruhestand liegt ihm freilich nicht; er hat seinen alten Freund „Wild Bill“ Grant gebeten, ihn in dessen berühmter Rodeo-Show auftreten zu lassen, die gerade im Kolosseum in New York gastiert.

Der alte Haudegen wird begleitet von seiner Pflegetochter Kit, die ein Auge auf ihn werfen soll. Das ist auch gut so, denn Hornes Auftritt an prominenter Stelle sorgt für viel Unmut im übrigen Ensemble, das sich zurückgesetzt fühlt. Besonders der einarmige Cowboy Woody wird dabei beobachtet, wie er wüste Drohungen ausstößt.

Kit ist abgelenkt, denn der schneidige Curly, Wild Bills Sohn, macht ihr den Hof. Ihm stellt wiederum die berühmt-berüchtigte Filmschauspielerin Mara Gay nach, die mit dem zwielichtigen Nachtclub-Besitzer Julian Hunter verheiratet ist. Buck Horne ist froh, den Wirren hinter den Kulissen ins Rampenlicht zu entkommen. Dort trifft ihn allerdings eine Kugel mitten ins Herz, als er eine 40-köpfige Horde wüst feuernder Cowboys anführt.

20.000 entsetzte Zuschauer haben es gesehen. Unter ihnen: Inspektor Richard Queen und sein Sohn Ellery, Kriminalschriftsteller und Amateurdetektiv, der dem Vater auch dieses Mal bei den Ermittlungen zur Seite steht. Diese bringen einige dunkle Punkte aus Old Bucks Vergangenheit ans Tageslicht. Das betrifft auch für die übrigen Verdächtigen. Ein Motiv findet sich aber ebenso wenig wie die Mordwaffe. Deshalb darf das Kolosseum erneut die Pforten öffnen – und wieder fällt ein Schuss aus der unsichtbaren Waffe. Jetzt fühlen sich die Queens bei der Ehre gepackt, und dieses Mal hat der Mörder einen Fehler begangen …

Der Leser sitzt im Publikum

1929 debütierte der Schriftsteller „Ellery Queen“ mit „The Roman Hat Mystery“. Dieser Roman war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers gleichen Namens, dem noch viele weitere folgen sollten. „Der verschwundene Revolver“ ist der sechste Band der sog. „ersten Periode“. Sie umfasst die neun Queen-Romane aus den Jahren 1929 bis 1935, die stets das Wort „Mystery“ im (Original-)Titel tragen.

Es sind klassische „Whodunit“, zum Mitraten konzipiert. „The American Gun Mystery“ macht da keine Ausnahme. Der Leser weiß stets genauso viel (oder wenig) wie Ellery Queen. Freilich sind dieses Mal einige der zu erschließenden Fakten – sie sollen hier natürlich nicht verraten werden – so bizarr, dass dieser beim besten Willen nicht darauf kommen wird. Der Purist mag das Finale deshalb sogar als unfair bezeichnen.

Ungewöhnlich ist auch die Kulisse: Der Wilde Westen, das scheinbar ursprüngliche Amerika, wird in die große Stadt transportiert. Doch selbst Buck Horne, der ihn noch real erlebt hat, weiß um sein Verschwinden. Alles ist nur noch Show und transportiert eine Historie, die Hollywood neu erschaffen hat. Trotzdem ist die gewählte Umgebung eine angenehme Abwechslung vom immer gleichen, einsamen Landhaus, in dem eine Gruppe Verdächtiger und Mörder aufeinander hocken und darauf warten, vom Detektiv sortiert werden.

Luftblasen im Krimi-Vergaser

Solche Zugeständnisse sind wichtig, da „Der verschwundene Revolver“ nicht zu den besten Ellery Queen-Werken gehört. Zwar steht es immer noch hoch über den meisten anderen Krimis dieser Zeit, aber es teilt das grundsätzliche Problem vieler früher Queen-Romane: Die Handlung kann dem Plot nicht das Wasser reichen, sie ist langsam, wirkt schematisch.

Veränderte Lesegewohnheiten mögen ihren Teil dazu beitragen. Irritierend (aber auch innovativ) wirkt heute der Schluss. Er erzählt nicht die typische finale Konfrontation von Detektiv, Verdächtigen und Schuldigen, sondern setzt plötzlich einige Monate später ein, als die Ereignisse bereits Vergangenheit sind. Ellery Queen erzählt die Auflösung einem Freund. Trotzdem gibt dieser Kunstgriff dem Leser die Möglichkeit zu vergleichen, ob er (oder sie) mit Hilfe der dargelegten Fakten zu denselben Schlüssen gekommen ist.

Kleider machen Charaktere

1933 ist Ellery Queen noch nicht der smarte Lebenskünstler späterer Jahre. Hier tritt er noch als „ausgestopftes Hemd“ auf, wie ihn die angelsächsische Kritik so reizvoll wie zutreffend charakterisierte. Ellery ist ein blasierter junger Mann mit Hausdiener und Monokel, der sich stets überlegen gibt und mit seinem Wissen bis zur triumphalen Offenlegung des Falls knausert. Allerdings kann es dabei zu unerwarteten Zwischenfällen kommen; auch hier siegt die Gerechtigkeit auf recht bittere Weise. Ellery ist das durchaus bewusst. Solche für einen Detektiv eher ungewöhnlichen Anwandlungen werden den ‚späten‘ Ellery Queen noch oft ankommen und ihn erst wesentlich menschlicher aber schließlich eher seifenoperlich wirken lassen.

Vater Richard Queen wird als ausgefuchster Polizist hingestellt, der sich nicht für dumm verkaufen lässt. Tatsächlich wirkt er eher wie ein netter, alter, meist ratloser Mann, dessen raunzige Freundlichkeit offenbar die behauptete Tüchtigkeit ersetzen soll. Vielleicht liegt es daran, dass wir ihn niemals bei normaler Polizeiarbeit sehen, sondern stets in Zusammenarbeit mit seinem Sohn Ellery, was einen vertrackten Kriminalfall außerhalb der Norm signalisiert.

Die übrigen Figuren entsprechen in ihrer charakterlichen Eindimensionalität den Standards des „Whodunits“, der primär auf den Fall und dessen Auflösung zentriert ist. Hier sind es immerhin anachronistische Cowboys, die auf Schritt und Tritt markige Naturverbundenheit verströmen und dabei auf erheiternde Weise lächerlich wirken. Nachtclub-Besitzer und Sportveranstalter sind stets so zwielichtig wie es ihre im realen Verbrechen wirkenden Berufskollegen ganz bestimmt nicht sind. Ein weiblicher Filmstar muss selbstverständlich auch außerhalb des Kameralichts wie die leibhaftige Sünde auftreten.

Der Vorwurf des billigen Klischees greift indes nicht bei einem Kriminalroman, der mehr als sieben Jahrzehnte alt ist. Ohne schlechtes Gewissen aufgrund literarischer Vorbehalte darf und sollte man sich deshalb diesem nostalgischen Lesevergnügen hingeben.

Autoren

Mehr als vier Jahrzehnte umspannt die Karriere der Vettern Frederic Dannay (alias Daniel Nathan, 1905-1982) und Manfred Bennington Lee (alias Manford Lepofsky, 1905-1971), die 1928 im Rahmen eines Wettbewerbs mit „The Roman Hat Mystery“ als Kriminalroman-Autoren debütierten. Dieses war auch das erste Abenteuer des Gentleman-Ermittlers Ellery Queen, dem noch mehr als zwei Dutzend weitere folgten.

Dabei half die gut ausgeprägte Fähigkeit, die Leserschaft mit möglichst vertrackten Kriminalplots angenehm zu verwirren. Ein Schlüssel zum Erfolg war aber auch das Pseudonym. Ursprünglich hatten Dannay und Lee erfunden es, weil dies eine Bedingung des besagten Wettbewerbs war. Ohne Absicht hatten sie damit den Stein der Weisen gefunden: Das Publikum verinnerlichte sogleich die scheinbare Identität des ‚realen‘ Schriftstellers Ellery Queen mit dem Amateur-Detektiv Ellery Queen, der sich wiederum seinen Lebensunterhalt als Autor von Kriminalromanen verdient!

Anfang der 1930er Jahre waren die Vettern jung und energisch genug, um mit „Barnaby Ross“ ein zweites Autoren-Alias aus der Taufe zu heben. Wie geplant rätselte die zeitgenössische Leserschar über die wahre Identität dieses neuen Rätselkrimi-Autors – und kaufte dessen Romane, was die eigentliche Absicht von Dannay & Lee gewesen sein dürfte. Dennoch schlossen sie die Reihe um den Gentleman-Schauspieler und Hobby-Detektiv Drury Lane nach vier Bänden ab und konzentrierten sich fortan auf den ungleich erfolgreicheren Ellery Queen.

In den späteren Jahren waren hinter den Kulissen zunehmend andere Verfasser tätig. Lee wurde Anfang der 1960er Jahre krank und litt an einer Schreibblockade, Dannay gingen allmählich die Ideen aus, während die Leser nach neuen Abenteuern verlangten. Daher wurden viele der neuen Romane unter mehr oder weniger straffer Anleitung der Cousins von Ghostwritern geschrieben.

Wer sich über Ellery Queen – den (fiktiven) Detektiv wie das (reale) Autoren-Duo – informieren möchte, stößt im Internet auf eine wahre Flut einschlägiger Websites, die ihrerseits eindrucksvoll vom Status dieses Krimihelden künden. Vielleicht die schönste findet sich hier: eine Fundgrube für alle möglichen und unmöglichen Queenarien.

155 Seiten
Originaltitel: The American Gun Mystery (New York : Grosset & Dunlap 1933)
Übersetzung: Heinz F. Kliem

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