Michael Swanwick – Bones of the Earth

Anthropologen-Thriller mit Dinos

Die Szene kommt einem aus Ray Bradburys berühmter Dinojäger-Story „A Sound of Thunder“ vertraut vor: Ein Mann, der nicht daran glaubt, dass man Dinosaurier finden und jagen könne, wird vom Gegenteil überzeugt. „Bones of the Earth“, entstanden aus der Novelle „Scherzo with Tyrannosaur“, ist aber nicht nur ein Zeitabenteuer junger Paläontologen im Dinoparadies à la „Jurassic Park“. Der Roman öffnet ein Panoramafenster auf das Leben auf der alten Erde während einer guten Milliarde von Jahren. „Bones of the Earth“ ist Swanwicks Variante von Crichtons „Jurassic Park“ – eine sehr gute obendrein – aber weitaus anstrengender zu begreifen.

Dieser Roman ist leider noch nicht übersetzt worden. Er war nominiert für den Nebula Award, 2002, sowie für HUGO, Locus und Campbell Award, 2003.

Der Autor

Michael Swanwick (* 18. November 1950 in Philadelphia, Pennsylvania), der einen vom hinteren Umschlag wie ein verurteilter Finsterling ablickt, ist in Wahrheit einer der intelligentesten Science Fiction-Autoren der Gegenwart. Allerdings ist er schon wieder so intelligent und gebildet, dass seine Bücher zwar die Kritiker regelmäßig in Ekstase versetzen, sich die Verkaufszahlen weiterhin im Keller bewegen. „Bones of the Earth“ ist Swanwicks Variante von Crichtons „Jurassic Park“ – eine sehr gute obendrein – aber weitaus anstrengender zu begreifen.

Andere Romane von Swanwick: „In Zeiten der Flut“, „Die Tochter des stählernen Drachen“, „Vakuumblumen“ (Cyberpunk) und „Jack Faust“. Er hat drei Storysammlungen veröffentlicht.

Romane

The Iron Dragon’s Daughter

1 The Iron Dragon’s Daughter, Millennium 1993, ISBN 1-85798-080-8 (Nominiert für den Clarke, den Locus Award in der Kategorie Fantasy und den World Fantasy Award, 1994)
Die Tochter des stählernen Drachen, eyne-Science-Fiction & Fantasy #5377 1996, Übersetzer Alfons Winkelmann, ISBN 3-453-09479-4
2 The Dragons of Babel, Tor 2008, ISBN 978-0-7653-1950-0 (nominiert für den Locus Award, 2009)
3 The Iron Dragon’s Mother, Tor 2019, ISBN 978-1-250-19825-9

Darger and Surplus

Dancing With Bears, Night Shade Books 2011, ISBN 978-1-59780-235-2
Chasing the Phoenix, Tor 2015, ISBN 978-0-7653-8090-6
The Postutopian Adventures of Darger and Surplus, Subterranean Press 2020, ISBN 978-1-59606-936-7 (Sammlung)

Weitere Romane

In the drift, Ace Books 1985, ISBN 0-441-35869-1
Die Todesschneise, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5002 1993, Übersetzerin Irene Holicki, ISBN 3-453-06229-9
Vacuum Flowers, Arbor House 1987, ISBN 0-87795-870-X
Vakuumblumen, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #4636 1990, Übersetzer Peter Robert, ISBN 3-453-03898-3
Griffin’s Egg, Legend / Century 1991, ISBN 0-7126-4578-0
Eines Greifen Ei, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5094 1993, Übersetzerin Irene Bonhorst, ISBN 3-453-07257-X
Stations of the Tide, William Morrow SFBC 1991, ISBN 0-688-10451-7 (Gewinner des Nebula Award, 1991, nominiert für den Hugo Award und den Campbell Award 1992, sowie den Clarke Award 1993)
In Zeiten der Flut, Heyne-Science-Fiction & Fantasy #5890 1997, Übersetzer Norbert Stöbe, ISBN 3-453-12669-6
Jack Faust, Avon Books 1997, ISBN 0-380-97444-4 (nominiert für den BSFA Award, 1997, sowie den Hugo und Locus, 1998)
==> Bones of the Earth, Eos / HarperCollins 2002, ISBN 0-380-97836-9 (nominiert für den Nebula Award, 2002, sowie Hugo, Locus, und Campbell Award, 2003)
City Under the Stars, Tor.com 2020, ISBN 978-1-250-75658-9 (mit Gardner Dozois)

Handlung

Der weltbekannte Paläontologe Richard Leyster erhält eines Tages Besuch von einem mysteriösen Mann namens Griffin. Der macht ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Der Beweis, den Mr. Griffin, zurücklässt, überzeugt Leyster: In dem Tiefkühlbehälter befindet sich der vollständige Kopf eines kürzlich getöteten Stegosaurus! Die ganze Nacht hindurch untersucht Leyster dieses Wunder bis ins kleinste Detail: alles echt. Aber wie?

Mr. Griffin verfügt über die ausgefeilte Technik der Zeitreise, die ihm Alien-ähnliche Wesen überlassen haben, um die Geschichte der Erde zu studieren. Und um den Zeitraum, in dem die Dinosaurier die Erde beherrschten, studieren zu können, erbittet Mr. Griffin die Mitarbeit von Richard Leyster. Für den Professor scheint ein Traum in Erfüllung zu gehen: die Ära seiner Lieblingsstudienobjekte in deren eigenem Lebensraum und unter natürlichen Bedingungen studieren zu können. Und er könnte herausfinden, warum sie ausstarben.

Paradoxa, hä?

Aber Momentchen mal: gab es da nicht so etwas wie die Gefahr eines Zeitparadoxes, wenn man mit der Zeitmaschine reist? Bei Bradbury gehen die Zeitreisenden auf Dinojagd und als tatsächlich ein T. Rex dran glauben muss, sind die Folgen verheerend. Don’t worry, be happy, meint Mr. Griffin und nimmt Leyster auf eine kleine Spritztour mit. Seine Organisation hat bereits mehrere feste Stationen an interessanten Punkten des Mesozoikums (248-65 Mio. Jahren v.Chr.) eingerichtet, so etwa auch eine, die sich an dem Zeitpunkt vor 65 Mio. Jahren befindet, als die Dinos auszusterben drohten. Leyster bekommt eine Klasse von Generation-3-Studenten der Paläontologie anvertraut, um sie auf eine Langzeit-Expedition in die Kreidezeit mitzunehmen.

Die Konkurrenz schläft nicht

Doch es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es der neidischen Kollegin nicht gefällt: Dr. Gertrude Salley ist eine ehrgeizige Paläontologin, die sich von Leyster ungerecht behandelt fühlt. Nicht nur, dass sie Leysters Ergebnisse klaut und ihn selbst diskreditiert, nein, sie unterwandert auch Griffins Organisation und erforscht, was diese mysteriösen Leute ticken lässt.

Sie stößt auf einen Saboteur, der einer fanatischen Gruppe angehört und Leysters Expedition scheitern lassen will. Während Leyster und Salley an Darwins Evolutionstheorie glauben, bestehen die „Kreationisten“ darauf, dass die Bibel Recht hat: Die Erde ist demnach höchstens 6600 Jahre alt, und Dinos kann es eigentlich nicht geben. Da die Heilige Schrift nicht umsonst so heißt, ist Leysters Expedition Gotteslästerung: Der Saboteur schmuggelt eine Bombe in Leysters Expeditionsausrüstung, die gezündet wird, sobald die Zeitreise vollendet ist.

Wird es Salley gelingen, den Saboteur zu stoppen? Und wer steckt in Wahrheit hinter Mr. Griffins Organisation, die offenbar aus ferner Zukunft gesteuert wird?

Mein Eindruck

Die Konfrontation zwischen Kreationisten und Evolutionsverfechtern scheint an den Haaren herbeigezogen oder fiktiv zu sein. Das Gegenteil ist der Fall: In den Vereinigten Staaten ist es an einigen Schulen bestimmter Staaten verboten, Darwins Lehre zu verbreiten oder zu unterstützen. Entsprechende Literatur ist verboten. Fernsehprediger wettern gegen die Evolutionslehre als ketzerischer Irrglaube. Zustände, von denen man sich hierzulande keine Vorstellung macht.

Wie auch immer, wichtiger ist die Frage, welche Qualitäten für den Roman – außer seiner gesellschaftlichen Relevanz – noch sprechen. Für mich und die meisten Leser ist natürlich vor allem Lexsters Expedition in die Kreidezeit am unterhaltsamsten. Sie dauert wider Erwarten insgesamt zwei Jahre, und aus dem kurzen „Scherzo“ wird angesichts der Tyrannosaurier blutiger Ernst. Die Expedition ist in der Zeit gestrandet, mit geringer Hoffnung auf Überleben.

Doch um genau diese Rettung der Gestrandeten zu erreichen, muss Gertrude Salley ebenso Erfolg haben wir Mr. Griffin und dessen Organisation. Salley gelangt bis zu den mysteriösen Eignern der Zeitreisetechnik: Wesen, die in 500 Mio. Jahren die Erde beherrschen, aber keine Außerirdischen sind, obwohl sie fast so aussehen. Und wenn Salley und Griffin keine vernünftigen Begründungen einfallen, wird ihnen die Zeitreisetechnik weggenommen – Leyster & Co. säßen endgültig fest.

„Extrem langweilig“?

Wie man, wie bei Amazon.de geschrieben, dien Roman als extrem langweilig erleben kann, ist mir völlig schleierhaft. Denn nicht nur Leysters Abenteuer sind unterhaltsam und seine Erkenntnisse für die Paläontologie interessant. Auch die Zeitreise Salleys in die Zukunft ist spannend, genauso wie Griffins Kampf gegen die Kreationisten.

Das Problem liegt wie so oft nicht im Inhalt, sondern in der Form, in der dieser dargeboten wird. Wie gesagt, ist Swanwick zuweilen intelligenter als es seinen Büchern gut tut. Das Buch ist nicht langweilig, sondern anstrengend: Die Sprache, die der Autor benutzt, ist dem gegenstand angemessen, will heißen: wissenschaftlich und gebildet. Folglich ist dies kein Buch für Zwölfjährige, wie es der Großteil der heute veröffentlichten Science Fiction ist, sondern für Erwachsene, die mit den Fachbegriffen auch etwas anfangen können.

Unterm Strich

„Bones of the Earth“ lässt sich am ehesten als Dino-Thriller für gebildete Fachleute würdigen: spannend, unterhaltsam, zuweilen witzig, aber auch anspruchsvoll, wenn es um das Begreifen der zeitlichen Bewegung geht. Ein klarer Kandidat für ein zweites Lesen. Crichton-Fans seien gewarnt: Dies ist kein Fastfood-Dino-Abenteuer.

Taschenbuch: 383 Seiten
Originaltitel: Bones of the Earth, 2002
ISBN-13: 9780380812899

www.harpercollins.com

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)