Philip José Farmer – Das Tor der Zeit. SF-Roman

Actionreiche Abenteuer in der Alternativwelt

Der 2. Weltkrieg. Leutnant Roger Two Hawks, Pilot, und Sergeant O’Brien, Bordschütze, können sich als einzige retten, als ihr viermotoriger Bomber bei einem Angriff auf die Ölfelder von Ploesti, Rumänien, abgeschossen wird. Nach ihrem Absprung aus der brennenden Maschine finden die beiden US-Soldaten sich in einer völlig fremdartigen, phantastischen Umgebung wieder. Die Menschen, denen sie begegnen, sind primitiv gekleidet, tragen Gewehre sowie Pfeil und Bogen als Waffen und sprechen eine Sprache, die nur Two Hawks halbwegs bekannt vorkommt – eine alte Indianersprache?

Es gibt nur eine Erklärung für dieses Phänomen. Sie sind auf unbegreifliche Art und Weise in ein anderes Universum gelangt. (erweiterte Verlagsinfo)

Der Autor

Philip José Farmer wurde 1918 in North Terre Haute, Indiana, als Nachkomme von deutschen, niederländischen und irischen Vorfahren geboren. 1946 verkaufte er eine Kriegserzählung an das Magazin „Adventure“, sein erster Roman „The Lovers“ (Die Liebenden) erschien 1952 in „Startling Stories“ und brachte zum ersten Mal das Thema Sexualität in die (eher prüden) Science Fiction-Magazine seiner Zeit ein. Danach galt er als Tabubrecher. Viele seiner Werke zeichnen sich durch unterhaltende Themen und Erzählweise sowie durch Ideenreichtum aus. Das gilt auch für den fünfbändigen Flusswelt-Zyklus und den Zyklus „Die Welt der tausend Ebenen“. Er starb 2009. Mehr Info über den Autor.

Handlung

Leutnant Roger Two Hawks, Pilot, und Sergeant O’Brien, Bordschütze, sollen mit ihrem großen Bomber anno 1944 die Ölraffinerien von Ploesti in Rumänien angreifen, doch dazu kommt es nicht. Die riesige Anlage ist für die deutsche Wehrmacht und Luftwaffe von kriegsentscheidender Bedeutung und wird daher heftig verteidigt. Ein Messerschmitt-Jäger feuert auf die Bomber, ihr eigener wird ebenfalls getroffen. Two Hawks und O’Brien gelingt es, rechtzeitig aus der brennenden Maschine auszusteigen und unbeschadet, am Fallschirm den Erdboden zu erreichen.

Schon beim Herabschweben in einen der Wälder fällt Two Hawks auf, dass es hier keinerlei Telefonleitungen gibt. Ist Rumänien inzwischen derart unzivilisiert geworden? Nach einem oder zwei Momenten der verzerrten Wahrnehmung und Desorientierung, für die er ebensowenig eine Erklärung hat, versteckt er seinen Fallschirm und macht sich vorsichtig auf die Suche nach Menschen. Im Gegensatz zu dem nervösen Großstadtmenschen O’Brien fühlt sich der Indianer Two Hawks, der auf dem Lande aufwuchs, fast wie zu Hause. Dennoch: Sie befinden sich in Feindesland.

Der Widerstand

Schon beim ersten Bauernhof haben sie Glück: Obwohl oder gerade weil sie die hiesige Sprache nicht sprechen, lässt die Bäuerin sie ins Haus und versteckt sie in der unterirdischen Speisekammer, als feindliche Soldaten aufkreuzen. Doch was sind das für Soldaten? Gekleidet in Fantasieuniformen, die vor Totemsymbolen strotzen, sind sie nur mit leichten Vorderladern und Pistolen bewaffnet. Nachdem sie keinen Mann vorgefunden und das Federvieh geraubt haben, ziehen sie wieder ab. Auch ihre Sprache ist völlig unverständlich, unterscheidet sich aber deutlich von der der Bäuerin – es handelt sich um Besatzer.

Als der Bauer eintrifft, nimmt er nach reiflicher Überlegung mit in einen versteckten Raum hinter der Scheune. Hier sitzen weitere fünf Männer und eine Frau. Sie gehören, denkt Two Hawks, offenbar den Rebellen des Widerstands an. Sie sind ebenfalls mit uralten Vorderladern sowie mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Der Anführer nennt sich Dzikohses. Eine Verständigung ist immer noch unmöglich. Aber sie sind nicht feindselig, sondern wollen die beiden Ausländer offenbar zu ihrem Hauptquartier geleiten. Der Marsch dorthin dauert nicht weniger als zwei Wochen und erschöpft O’Brien völlig, wohingegen Two Hawks gut damit zurechtkommt.

Der Überfall

Ein Krieg tobt in dieser Region. Von ferne ist Kanonendonner zu vernehmen, und über ihren Köpfen schweben riesige Zeppeline, aber Flugzeuge gibt es keine. Als sie in einem trügerische friedlichen Tal von einem Auerochsen angegriffen werden, müssen sie das riesige Tier mit vielen Schüssen töten. Das verrät ihre Anwesenheit. Wenig später greift eine versteckte Gruppe von Schützen die Rebellen an, tötet einen Kämpfer und entführt die Frau. Sie heißt Ilmika Huskarle.

Bei dem anschließenden Scharmützel gelingt es Two Hawks und seinen Gesellen, alle Gegner entweder zu töten oder gefangenzunehmen sowie Ilmika zu befreien. Aus Dankbarkeit bringt sie Two Hawks ihre Sprache bei. Aus den rudimentären Brocken, die ihm aus dem Nordwesten der USA seltsam bekannt vorkamen, wird ein zusammenhängendes Repertoire von Wörtern und Sätzen.

In Hohtenosih

Wochen später erreichen die Rebellen eine Eisenbahnstrecke, die zur Hauptstadt von Hohtenosih, Estowka, führt. Dort verdächtigen die Soldaten die beiden Ausländer sofort der Spionage für das feindliche Perkunia, nicht jedoch Ilmika Huskarle, da sie die Tochter des Botschafters von Blodland (= England) ist. So kommt es, dass sie versorgt und gut behandelt wird, während die beiden Amerikaner wegen ihrer irrsinnigen Geschichte – „aus einem anderen Universum!“ – tagelang schmerzhaft gefoltert werden. Danach landen sie an ihrer logischen Endstation: in einer Irrenanstalt.

Flucht

Ilmika Huskarle besucht die Amerikaner just in dem Moment, als perkunische Luftschiffe die Stadt Estowka mit Bomben belegen. Das kommt Two Hawks ziemlich bekannt vor, und jeden Moment erwartet er, dass Bomben auch auf die außerhalb gelegene Irrenanstalt fallen. Ilmika bestätigt, dass die Perkunier von den ausländischen Spionen wissen, denn sie haben den deutschen Piloten des Jagdflugzeugs gefangengenommen und verhört, den es ebenfalls in die se Welt verschlagen hat. Jeden Moment können perkunische Truppen auftauchen, um sicherzustellen, dass die Amerikaner entweder ihre militärischen und technische Kenntnisse verraten – oder für immer verstummen…

Da macht Ilmika als Angehörige der Botschaft von Blodland zu Estowka das Angebot, die Amerikaner aus der Irrenanstalt herauszuschmuggeln und weit im Süden dessen, weil daheim Russland und die Ukraine waren, in ihre eigene Heimat Blodland zu bringen. Two Hawks stellt zwei Bedingungen: Erstens muss O’Brien unter allen Umständen mitkommen und zweitens werde er nur als freier Mann für die Blodländer arbeiten. Ilmika sagt dies vorerst zu, doch auch sie wird ausspioniert.

Als Ilmikas Helfer die beiden Amis aus der Irrenanstalt geleiten wollen, geraten sie in einen Kugelhagel. Die perkunischen Agenten sind bereits da, und wie vorhergesagt wollen sie die Ausländer für immer zum Schweigen bringen. Ein Hohtenosih-Agent nach dem anderen fällt, bis es Two Hawks seinerseits wiederum die Perkunier auszuschalten und mit deren Dampfauto das Weite zu suchen. Doch Estowka steht kurz vor dem Fall und der Weg zur Grenze ist weit…

Mein Eindruck

Hat der Autor hier eigene Kriegserfahrungen verarbeitet, fragte ich mich. Denn anno 1944, der erzählten Zeit im Roman, war er immerhin bereits 26 Jahre alt. Wie auch immer sich dies verhält, so sind seine Schilderungen der Kriegswirren und Agentenintrigen doch recht realistisch. Als der Krieg mit der perkunischen Invasion auch nach Blodland kommt, nimmt der eh schon alternative Kriegsverlauf einen unheimlichen Verlauf: Es ist, als wäre die deutsche Streitmacht des 3. Reiches eingefallen und würden das standhafte Albion erobern.

Der dritte Mann

Ganz richtig urteilt der Autor, dass es der Stand der jeweiligen Technik ist, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. An diesem Punkt kommen die drei Ausländer ins Spiel. Denn nicht nur O’Brien und Two Hawks hat es in dieses Paralleluniversum verschlagen, sondern auch den deutschen jenes Jagdflugzeugs, das die Bomber abschoss. Der Pilot heißt Raschke und hat sein Wissen an die perkunische Regierung weitergegeben. Die Maschinengewehre und Panzer mähen die Abwehr von Hohtenosih nieder. Nun hat Raschke Gelegenheit, den beiden gefangen genommenen Schicksalsgenossen einen Pakt anzubieten: Leben und relative Freiheit im Gegenzug für die Mitarbeiter an der Entwicklung der ersten Flugzeuge. Da Two Hawks in einem Flugzeug eine Fluchtmöglichkeit sieht, willigt er ein, für Raschke zu arbeiten. Die Konfrontation dieser beiden Männer begleitet den Rest des Romans.

Die Rückkehr

Nach mehreren wenig romantischen Begegnungen mit der schönen, aber allzu hochnäsigen Ilmika erfährt Two Hawks von einem „Fan“ von einem anderen Dimensionstor, durch das er wieder in seine eigene Welt zurückkehren. Dieser Fan ist ein blodländischer Lord, der eine Privatjacht sein Eigen nennt. Er hat alle Fakten über die „Ausländer“ zusammengetragen und will ihnen helfen. Ob Ilmika den Krieg in Blodland überlebt und mitkommen kann, muss sich noch erweisen, aber wenigstens befindet sie sich auf der gleichen Jacht. Der Weg führt in die Karibik, wo es einen Vulkan mit einer verbotenen Höhle gibt… Doch der rachsüchtige Raschke, der die gleiche Chance wittert, ist ihnen dicht auf den Fersen.

Abenteuer in der Alternativwelt

Die Alternativwelt ist detailliert mit ihrem eigenen Geschichtsverlauf entworfen. Aufgrund geographischer Hindernisse wanderten die asiatischen Stämme, die sonst als sogenannte „Indianer“ nach Nord- und Südamerika gezogen wären, nach Vorderasien und Europa. Hinter dem Wort „Hohtenosih“ verbirgt sich das bis heute existente Wort „Haudenoshaunee“, das die fünf Nationen der sogenannten Irokesen (Algonkin-Sprachfamilie) zusammenfasst: Oneida, Mohawk, Onondaga usw. Im Siedlungsgebiet dieser fünf Nationen spielen die Romane der „Lederstrumpf“-Reihe von James Fenimore Cooper. Das ist der Grund, warum Two Hawks, einem Irokesen, die Wörter, die die Hohtenosih-Rebellen benutzen, so bekannt vorkommen.

Ein weiterer faszinierender Aspekt ist der, dass die beiden Amerikas bis auf ein paar Inseln vollkommen unter dem Meer versunken sind. Dieses Schicksal droht ihnen auch in unserer Welt… Der Autor übt indirekt Kritik an dem Stammesdünkel der Blodländer. Diese stammen zwar von Dänen und Norwegern statt von Angeln und Sachsen ab, haben aber wie die Viktorianer strenge Klassenschranken errichtet. Der Stammesdünkel zeigt sich auf unselige Weise in Ilmika, die sich weigert, Two Hawks‘ Antrag anzunehmen, weil sie ja aus dem „Erbadel“ stamme und er nur ein dahergelaufener Ausländer sei. Nun, bald gibt es weder Blodland noch irgendetwas zu erben. Vielleicht ändert das ihre Einstellung.

Die Ereignis folgen sehr rasch aufeinander, so dass für viel Action, Romantik und Abwechslung gesorgt ist. Nur der Humor bleibt dabei etwas auf der Strecke. Für ein so schmales Buch bietet der Roman jedoch jede Menge Unterhaltung. Der Schluss hält noch eine Überraschung bereit: Two Hawks stammt nicht aus unserem geschichtsverlauf, sondern aus einem noch viel interessanteren…

Die Übersetzung

Diese deutsche Übersetzung von Walter Brumm ist höchstwahrscheinlich auf 142 Seiten gekürzt worden, denn das Original hat 176 Seiten. Das meint sogar die Internet SF Database. Eine weitere Ausgabe erschien 1985 in dem Sammelband Welten der Zukunft: Chroniken aus Raum und Zeit Band 6.

S. 84: „Wenn Sie den Treueeid leistet, wird Sie ein feines Leben haben…“ Da aber die Rede von Ilmika in der dritten Person ist, muss hier „sie“ statt „Sie“ stehen.

Die Fassung von 1966 wurde 1979 zu „Two Hawks from Earth“, erweitert und überarbeitet. Eine genehmigte Fortsetzung mit dem Titel „Man of War: A Two Hawks Adventure“ wurde von Heidi Ruby Miller 2017 veröffentlicht. Da es Ausgaben von 1966, 1974 (UK), 1979 (US), 1985 (US) und schließlich 2009 (US) gibt, kann man sagen, dass dieser Roman ungewöhnlich beständig präsent war.

Unterm Strich

Für ein so hoch verdichtetes Abenteuergarn bietet der Alternativwelt-Roman ein ganz Menge Unterhaltung. Neben allerlei Action findet sich auch eine romantische Nebenhandlung, die als roter Faden dient. Aber es gibt auch einige Clous, wie etwa den, dass der deutsche Pilot, der über Ploesti abstürzte, auch in dieser Parallelwelt gestrandet ist, sich dabei aber wesentlich besser schlägt als die Amis. Die Pointe kommt am Schluss: Two Hawks und O’Brien stammen gar nicht aus unserem Geschichtsverlauf. Mehr darf nicht verraten werden.

Die Kürzungen durch den Übersetzer – immerhin rund 34 Seiten – gehen auf Kosten der romantischen Liebesgeschichte und wohl auch zu Lasten der Beschreibungen eines ausgefeilten alternativen Geschichtsverlaufs. (Dazu liefert die englische Wikipedia detaillierte Angaben.)

Taschenbuch: 142 Seiten
Originaltitel: The Gate of Time, 1966/1979
Aus dem Englischen von Walter Brumm
www.heyne.de

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