Olsberg, Karl – System, Das

_Der Profi und sein Fachgebiet._

Karl Olsberg ist einer jener Autoren, die der Kunst des Schreibens „nur“ parallel frönen, die ihre Ideen aus dem abschöpfen, was ihre berufliche Identität ausmacht. Dementsprechend strotzt das Roman-Debüt des Unternehmensberaters und promovierten IT-Profis nur so von Fachwissen um Computertechnologie und um die „New-Economy“. Auch Hamburg, Wohnsitz Olsbergs, spielt eine ständige Rolle in „Das System“.

_Von Morden und verrücktspielenden Computern._

Eigentlich ist Mark Helius sehr zuversichtlich. Seine Firma D. I. ist kurz davor, eine bahnbrechende Software anzubieten: DINA, eine künstliche Intelligenz, mit der man via Sprache kommunizieren kann. Leider scheitert DINA ausgerechnet am Tag ihrer Präsentation und sämtliche Geldgeber springen von dem Projekt ab. Als ob das nicht schon genug des Übels wäre, findet man den D. I. Chefprogrammierer ermordet auf und alle Indizien deuten auf Mark Helius. Dessen gesamtes Leben bricht zusammen, seine Frau verlässt ihn, seine Firma geht den Bach runter und er muss untertauchen, weil ihm die Polizei auf die Pelle rückt.

Letzteres fällt ihm aber nicht so einfach, wie er sich erhofft hatte, es scheint, als bekäme die Polizei von einem unsichtbaren Dritten ständig Hinweise auf den Aufenthaltsort von Helius, Hinweise, über die eigentlich niemand verfügen dürfte. Derweilen entwickeln auf der gesamten Welt Softwareprogramme ungewöhnliche Eigenarten, in Japan klingeln Handys gleichzeitig, KIs aus Online-Rollenspielen entwickeln beunruhigende Superkräfte, und die Software in der internationalen Raumstation ISS leidet unter Systemabstürzen, die es nicht geben dürfte und deswegen das Bordklima mit Sabotagevorwürfen und Paranoia vergiften.

Helius indes wird damit konfrontiert, dass der Mord an seinem Chefprogrammierer nur die Spitze eines Eisbergs war, an dem die gesamte Menschheit zerschellen könnte, er aber steht alleine da, die Polizei auf seinen Fersen, ein bösartiger Cyberterrorist ebenfalls, während die einzige Frau, die ihm helfen könnte, sich lieber den Arm abhacken würde, als das zu tun …

_Cyberthrill Made In Germany._

Seit einer gewissen Enttäuschung aus den Hallen des |Gmeiner|-Verlages bin ich etwas skeptisch geworden, was Computerthriller aus deutscher Feder angeht, und umso mehr erfreut mich die Tatsache, das Karl Olsberg hier einen echten Pageturner gezaubert hat!

Deswegen will ich das Gemecker auch als Erstes loswerden: Die Figuren haben manchmal etwas Schablonenhaftes an sich. In der Raumstation gibt es den paranoiden Russen, der überall nur unpatriotische Saboteure und Feiglinge wittert, es gibt die blonde Luxusschnepfe, die beleidigt zu Mamma und Papa stöckelt, weil ihre schlechtere Hälfte den Job verloren hat, die psychisch Kranke, die schweigend in ihrer Gummizelle hockt, um das Zimmer mit dunklen Wasserfarben-Fratzen zu tapezieren, und den fiesen Antagonisten in schwärzestem Schwarz, unsympathisch, gewalttätig, ehrlos, Frauen vergewaltigend und ohne eine einzige gute Eigenschaft.

Aber erstens tut das der spannenden Story keinen Abbruch und zweitens gibt es auch eine Menge Figuren, die von der ersten Sekunde an lebendig und dreidimensional sind: Protagonist Mark Helius zum Beispiel, die IT-Spezialistin Lisa Hogert oder auch Kommisar Unger, dessen Kollegen ihm seine Unschuldsvermutungen nicht abnehmen, weil sie ihn wegen der vergangenen Verhaftung eines Unschuldigen für vorbelastet halten. Auch manche Nebenfiguren sind toll getroffen, wie der philosophische Dr. Weisenberg zum Beispiel oder der nervige Nerd Dr. Christian Tobler – zwar wieder ein picklig bebrilltes Stereotyp reinsten Wassers, aber dennoch unterhaltsam und lebendig in Szene gesetzt.

Die Story selbst ist überaus kompakt und spannend, man kann nicht aufhören, weil der Spannungsbogen den Leser von Szene zu Szene zerrt, mit toll getimten Cliffhangern und Informationshäppchen, die gerade groß genug sind, damit man weiterliest, die aber nie den Hunger nach mehr stillen. Dazu kommt, dass Olsberg nicht nur ganze Register fachlichen Computer-Wissens gezogen hat, um sein „System“ bedrohlich aufzubauen, er hat es auch meisterlich geschafft, den Computerlaien in die fremdartige Welt der Cracker einzuführen, der Source Codes, Kernel-Server, oder in die Praxis von Anti-Viren-Firmen. Dementsprechend spielt sich „Das System“ auf hohem technischen Niveau ab, ohne den Leser jemals zu überfordern – nachdem man dieses Buch gelesen hat, ist man also nicht nur um ein hochspannendes Erlebnis reicher, sondern auch um eine Menge Wissen!

Auch sonst hat Olsberg handwerklich alles richtig gemacht, seine Actionszenen sind spannend, er verbeugt sich via Erwähnung vor Inspirationsquellen ([„Der Schwarm“ 731 von Schätzing zum Beispiel) und auch seine Bilder sind manchmal überaus gelungen, sodass eine Wohnung schon mal „sauber wie ein neu gekaufter Kühlschrank“ sein kann.

Nicht zu vergessen die philosophischen Streifzüge. So gibt es eine Stelle, an der sich Mark Helius mit Professor Weisenberg über das mathematische Prinzip der Evolution unterhält, über den erschreckenden Mangel an individuellen Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung unserer Gesellschaft – brrr, da krieg ich jetzt schon wieder Gänsehaut, wenn ich nur daran denke! Nebenbei sind diese Streifzüge ein sehr effektives Mittel, um die Spannung weiter anzustacheln und „Resonanz“ mit dem Leser zu erzeugen, der seinen Rechner nach diesem Buch definitiv mit anderen Augen sehen wird …

Was uns zum Finale bringt, über das ich hier natürlich nichts Entscheidendes verraten werde. Nur so viel: Es ist spitze. Klar gibt es diverse romantische Unausweichlichkeiten, aber alles andere sitzt auf dem Punkt, hat einen Nachhall, der im Leser ordentlich weiterarbeitet, obwohl die Buchdeckel schon längst wieder zugeklappt sind. Auch wenn Olsbergs System meine persönlichen Cyberthrill-Lieblinge nicht vom Olymp jagen kann („Mailstorm“ und „Intrigenspiel“ von Per Helge Sorenson), befindet es sich bei ihnen doch in sehr guter Gesellschaft. „Das System“ ist dabei kein Buch nur für Computerfreaks, sondern sei hiermit jedem Freund gepflegter Hochspannung ans Herz gelegt! Nur Paranoiker und Technophobe sollten die Finger von dieser kitzligen Abfahrt lassen, es sei denn, man möchte sich für eine ordentliche Weile um den Schlaf bringen lassen.

Ich denke, man liest es schon zwischen den Zeilen, aber trotzdem noch einmal explizit: Kaufen!

Ach ja, es gibt ein Interview mit Karl Olsberg als [Audio-File]http://www.earpaper.de/loudblog/index.php?id=549 und es gibt eine Website zum Buch:
http://www.system-dasbuch.de.

Beides ist allerdings ein Alptraum für Analog-Modem-Dinosaurier wie mich …

http://www.aufbauverlag.de