Jonathan Rabb – Die Eisenreich-Verschwörung

Rabb Eisenreich Cover TB 2004 kleinDas geschieht:

In Washington wurde vor einiger Zeit eine streng geheime Untersuchung beschlossen. Diverse ultra-reaktionäre und rechtsradikale Gruppen sollen darauf überprüft werden, ob sie dem Staat gefährlich werden könnten und aus dem stets verdächtigen Ausland Unterstützung erfahren. Dahinter steckt der „Aufsichtsausschuss“, eine der Öffentlichkeit nicht bekannte Abteilung des US-Außenministeriums, die einst gegründet wurde, um jenseits der lästigen Knechtschaft durch niedergeschriebene Gesetze die Bösen dieser Welt zu strafen und auszuschalten.

Agentin Janet Trent taucht hinab in den Sumpf selbst ernannter Tugendwächter und fanatischer Seelenretter, in dem es seit einiger Zeit gefährlich brodelt: Eine Welle äußerst brutaler, dabei militärisch präzise organisierter Terroranschläge erschüttert die USA. Der Aufsichtsausschuss rätselt, ob es der fundamentalistische TV-Demagoge Jonas Tieg ist, der Furcht und Schrecken säen lässt, um die USA innenpolitisch zu destabilisieren und so die Herrschaft an sich zu reißen.

Hinter dem modernen Terror steckt uralte Methode. Der Historiker Alexander Jaspers informiert Trent über das Manuskript des Mönches Eusebius Eisenreich, der 1531 Papst Clemens VII. ein brillantes Strategiepapier vorlegte, wie sich mit Hilfe gezielten Terrors ganze Länder ruinieren ließen. Der entsetzte Clemens sorgte für Eisenreichs Hinrichtung und die Vernichtung seines Manuskriptes. Doch mindestens ein Exemplar blieb erhalten und dient nun als Vorlage für eine Verschwörung gegen die US-Regierung.

Inzwischen ist der noch gesichtslose Feind aufmerksam geworden. Als es Trent und Jaspers in Europa eine bisher unbekannte Kopie des Eisenreich-Manuskriptes entdecken, fällt der Startschuss zu einer gnadenlosen Hetzjagd, während die böse Saat des toten Mönches aufzugehen beginnt und die Welt in Krieg und Chaos stürzt …

Demagogen-Jagd rund um die Welt

Wieder einmal hat in ferner Vergangenheit ein allzu kluger Kopf etwas zu Papier gebracht, was Jahrhunderte später für Wirbel, Mord und Totschlag sorgt. Dieses Mal ist es nicht schon wieder ein fünftes (oder sechstes usw.) Evangelium, das Jesus Christus als Außerirdischen und/oder Gründer des Templerordens entlarvt, sondern ein imaginärer Leitfäden für angehende Diktatoren, der wie eine Mischung aus Machiavellis “Il Principe” (1513) und dem Testament des Dr. Mabuse anmutet (das zufällig genau 400 Jahre nach dem Eisenreich-Manuskript niedergeschrieben wurde – ein netter Gag am Rande der Geschichte).

Noch besser: Eisenreich spukt nicht persönlich in der Handlung umher, sondern ist und bleibt tot. Sein explosiver Nachlass spielt für die eigentliche Geschichte ebenfalls nur eine marginale Rolle, denn wir lesen ein rasantes und gänzlich der Gegenwart verhaftetes Thriller-Garn um finstere Verschwörer und mehr oder weniger freiwillige Agenten, die in der Not über sich selbst hinauswachsen. Für des Lesers Kurzweil ist auf diese Weise gesorgt, solange sich irgendwo irgendwas ereignet. Gefährlich wird es nur, wenn die Handlung eine Pause einlegt und von den Protagonisten reflektiert oder gar ‚begründet‘ wird.

Dann ist es vorbei mit der Magie des Eisenreich-Manuskriptes, dessen politische Brisanz sich dem Publikum aus der Schilderung einfach nicht erschließen mag: Es gibt (glücklicherweise) kein Patentrezept für organisierten Terror, was mit der Natur destruktiver Kräfte begründet werden könnte, die nur Chaos hervorbringen und in Selbstzerstörung enden. Den Rest erledigt früher oder später das menschentypische Unvermögen, ein Geheimnis auf Dauer geheim zu halten. Vor einem realen Eisenreich-Manuskript müssen wir uns also nicht fürchten, und der „Aufseher“ des Originaltitels ist nur ein weiterer Munkelmann, der in bewährter Manier und mit den üblichen explosiven Konsequenzen nach der Weltherrschaft greift sowie sich im Finale zuverlässig in Gestalt der garantiert bisher unwichtigsten Nebenfigur manifestiert.

Handeln ersetzt Nachdenken

Die Figurenzeichnung ist nicht innovativ aber solide. Autor Rabb überrascht hier allerdings angenehm mit dem Verzicht auf allzu penetrante Schwarzweiß-Klischees. Janet Trents Vorgesetzte werden als kaltherzige Schachspieler bloßgestellt, die aus der sicheren Ferne ihre Entscheidungen treffen, mit deren Konsequenzen sie niemals direkt konfrontiert werden (wollen).

Eines ihrer Opfer ist Trent selbst, die der verkorksten Nahost-Politik des Aufsichtsausschusses einige Monate der Gehirnwäsche und Folter zu verdanken hat, die sie bis heute (und leider ein wenig zu plakativ) zeichnen. Ihre Reflexe haben allerdings nicht unter Albträumen und Angstattacken gelitten. Regelmäßig muss sich Trent der Mordattacken ihrer Gegner stellten, die mit zufriedenstellender Brutalität – es erwischt ja nur Bösewichte! – zurückgeschlagen worden, denn Agentin Janet entpuppt sich in die Enge getrieben als echte Kampfmaschine.

Erschreckend plastisch ist Rabb die Figur des Jonas Tieg gelungen. Hier hat er sich erkennbar intensiv mit dem Phänomen jener modernen Rechten beschäftigt, deren Anhänger zwar rückständig denken, ihre Ziele jedoch mit Hilfe modernster Methoden verfolgen. Tiegs imaginäre Ansprachen an sein Publikum, das die Freiheit des selbstständigen Denkens fürchtet, lassen schaudern, weil Rabb sie so kundig aus Zitaten allzu realer Streiter für Zucht und Ordnung zusammenstellt.

Während hierzulande noch immer der kurze Blick in das Programm der bayrischen CSU genügt, um eine Definition der Vokabel „konservativ“ zu erhalten, werden in den USA ganz andere Geschütze aufgefahren. Dort, wo das Gesetz auch Eiferer, Fanatiker und Idioten ausdrücklich schützt, treten die christlichen Taliban vor ein Millionenpublikum und propagieren offen und ungeniert Visionen einer fundamentalistischen Diktatur, die ihren Bürgern zum scheinbaren Wohl alles verbieten will, was sich nicht kontrollieren lässt sowie für die scheinbare Anarchie in der Welt verantwortlich gemacht wird. Die ‚Argumente‘ sind durchsichtig und wiederholen sich stets: Fremdes ist verdächtig, Kritik an der Obrigkeit und freier Sex sind die Schlüssel zum Untergang der Zivilisation etc.

Europa aus zweiter bis dritter Hand

Zu einem überdurchschnittlichen Thriller reicht es aber doch nicht. Rabb geizt nicht mit den für das Genre typischen Verfolgungsjagden, Schießereien und Brutalitäten, aber diese Elemente kommen recht vordergründig und (was fatal ist) hausbacken daher. Zum fein ausgetüftelten Psycho-Plot wollen sie sich nicht harmonisch fügen und wirken recht aufgesetzt. Natürlich sollte Action plus Mord & Totschlag nie Maßstab für die Qualität einer Geschichte sein, aber wenn man sich ihrer narrativ bedienen will, dann bitte konsequent und ohne Zimperlichkeit. Hinzu dominieren verstaubte Klischees, die der scheinbaren Weltgewandtheit des Verfassers hohnsprechen. (Wer wissen möchte, was gemeint ist, labe sich an Jaspers Reise durch Deutschland, für die er offenbar im Euro-Disneyland recherchiert hat.)

Nebenbei ermöglicht Rabb einen plausiblen Rückblick in die seltsame Welt des frühen 16. Jahrhunderts, die dem modernen Zeitgenossen nicht minder fremdartig anmutet als ein von grünen Männchen bewohnter Mars. Natürlich orientiert sich Rabb eng an der Rezeptionsgeschichte des weiter oben genannten Machiavelli-Werkes, dessen Brisanz und Wirkung er um des Effektes willen tüchtig überzeichnet. Trotzdem weiß der Verfasser, der sich in der Welt der Geschichtswissenschaften auskennt, die Sprengkraft scheinbar harmloser Worte deutlich zu machen – es müssen nur die richtigen sein.

Rabb konnte übrigens der Versuchung nicht widerstehen, seinen Lesern das heiß umkämpfte Eisenreich-Manuskript als 50-seitigen (!) Anhang zu präsentieren – eine unkluge Entscheidung. Der Historiker freut sich über das formal wie inhaltlich kunstvoll dem 16. Jahrhundert angeglichene Traktat, der Übersetzer zeigt sich der Herausforderung gewachsen, aber der nüchterne Realist fragt: Das sollen die Worte sein, die in den falschen Köpfen die Welt in den Abgrund stürzen können? So magisch sind sie nicht geraten. Ein guter Geschichtenerzähler verrät nicht alle seine Tricks – und er weiß, wann er den Mund zu halten hat!

Autor

Jonathan Rabb wurde 1964 in New York geboren. Offensichtlich ist Alexander Jaspers sein Alter Ego, denn auch Rabb studierte an der Columbia University sowie in Yale. Schon Vater und Großvater waren Historiker.

Darüber hinaus betätigte er sich als (Theater-) Schauspieler; in der (sehr kurzlebigen) Off-Broadway Show „Fermat‘s Last Tango“ agierte Rabb im Winter 2000 sogar in der Titelrolle. Inzwischen hat er weitere Romane verfasst. Dabei ist er thematisch bei seinem Leisten und geblieben und schreibt Historien-Thriller.

Mit seiner Familie lebt Jonathan Rabb in Savannah, US-Staat Georgia.

Taschenbuch: 688 Seiten
Originaltitel: The Overseer (New York : Crown Publishers, Inc. 1998)
Übersetzung: Renate Zeschitz u. Henning Thies
http://www.droemer.de

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