Read, Bill – Dylan Thomas. Bildmonographie

_Waliser, Säufer, Dichter, Genie: Dylan Thomas_

Dylan Marlais Thomas (* 27. Oktober 1914 in Swansea/Wales, + 9. November 1953 in New York City/USA) war einer der wichtigsten Dichter und Dramatiker in englischer Sprache. Nicht nur wegen seiner einzigartigen poetischen Sprache wurde er in Großbritannien und den Vereinigten Staaten bekannt, sondern auch wegen seiner gewagten Prosa und des überragenden Hörspiels/Theaterstücks „Unter dem Milchwald“. Er schrieb Gedichte, Essays, Briefe, Drehbücher, autobiographische Erzählungen und ein „Stück für Stimmen“: „Under Milk Wood“ (Unter dem Milchwald), das 1954 posthum mit dem Prix Italia ausgezeichnet wurde.

_Inhalte_

Mittelpunkt einer Autoren-Monografie ist natürlich die Biografie des betreffenden Autors.

Dylan Thomas war das zweite Kind von David John Thomas und Florence Williams. Mit elf Jahren veröffentlichte er einige Gedichte in der Schülerzeitung seines Gymnasiums, das er 1931 vorzeitig verließ, um sich zwei Jahre als Journalist bei einer Tageszeitung zu verdingen. Anschließend widmete er sich dem Londoner Bohèmeleben und seiner Leidenschaft, dem Alkohol.

1934 erschien seine erste Gedichtsammlung in London: „18 Poems“.

1937 heiratete er die Eurhythmie-Tänzerin Caitlin MacNamara, mit der er drei Kinder haben sollte. Er war ein überzeugter Kriegsgegner und entging dem Kriegsdienst, indem er volltrunken zur Musterung erschien und krankheitshalber freigestellt wurde. Als Dichter und Schriftsteller sehr erfolgreich, war Dylan Thomas völlig unfähig, mit Geld umzugehen. Während es seiner Familie ständig am Nötigsten fehlte, opferte er alles Geld seinem Alkoholismus.

Auf seiner dritten Vortragsreise mit eigenen Gedichten durch die USA plante er 1953 ein Libretto für eine Oper von Igor Strawinsky, der einen Text von dem „besten lebenden Schriftsteller“ haben wollte. Dazu sollte es nicht mehr kommen; Thomas starb an einer Lungenentzündung, die er wegen seiner Alkoholexzesse nie auskurieren konnte.

Strawinsky komponierte im folgenden Jahr sein Stück „In memoriam Dylan Thomas“.

**Werke

* Collected Poems 1934-1952. Dent, London 1952

* Selected Letters. Dent, London 1966

* Dylan Thomas reading. (Unter diesem Titel veröffentlichte Caedmon einige Lesungen eigener Werke von 1952/53.)

Anschließend möchte ich auf die Eigenart dieser Monografie eingehen.

Es handelt sich um eine so genannte „Rowohlt Bildmonographie“ in „Selbstzeugnissen und Bilddokumenten“. Das bedeutet, dass wir Dylan Thomas‘ Konterfei in einer Vielfalt von Darstellungen – Fotos, Zeichnungen, Karikaturen und Gemälde – begutachten dürfen, ebenso wie die Porträts seiner Frau, seiner Kinder, Freunde und Partner. Außerdem ist die Landschaft als Inspiration von großer Bedeutung für ihn gewesen.

Fotos von Wales und anderen Wohnorten sind sowohl in dokumentarischer wie auch illustrativer Absicht abgedruckt. Illustrativ nämlich in dem Fall, wenn sie eines seiner Gedichte begleiten. In jedem Fall machen die – mitunter seltenen – grafischen Motive die Monografie zu einem lebendigen Bilder-Buch, das auch die Zeit des Dichters dokumentiert.

Diese Gedichte gehören zu dem weiten Feld der „Selbstzeugnisse“. Thomas‘ Gedichte verraten sowohl einen strengen Formwillen als auch eine wilde Vorstellungs- und Ausdruckskraft – eine rare und spannungsreiche Kombination. An manch einem Gedicht arbeitete Thomas Monate oder gar Jahre, bevor er es zum Abdruck freigab. In der vorliegenden Monografie haben wir das Glück, sowohl das englische Original als auch eine angemessene deutsche Übertragung begutachten zu dürfen. Diese Übertragung stammt von keinem Geringeren als Erich Fried, der selbst ein geachteter Dichter und Shakespeare-Übersetzer war. Manchmal, so habe ich festgestellt, ist die deutsche Fassung notwendig, um sich das Original in dessen Vielschichtigkeit überhaupt erschließen zu können. Den Abschluss des Haupttextes bildet das wunderbare Gedicht „Fern Hill“.

Im Anhang sind wichtige Lebensdaten aufgelistet sowie sämtliche Anmerkungen belegt. Zum Glück für Nicht-Waliser gibt es eine Anleitung, wie bestimmte walisische Namen auszusprechen sind. Darauf folgt eine Reihe von Zeugnissen bekannter Autoren wie etwa von Erich Fried oder Robert Ranke Graves („Ich, Claudius, Kaiser und Gott“). Die Bibliographie allein nimmt sieben klein bedruckte Seiten ein, befindet sich auf dem Stand von 1988 und stellte seinerzeit sicherlich ein wertvolles Hilfsmittel für die literaturwissenschaftliche Forschung dar. Den Abschluss bilden vier Seiten Namensregister mit Bildhinweis sowie ein Quellennachweis der Abbildungen.

_Mein Eindruck_

Dylan Thomas erscheint uns nicht immer als sympathisch, und so können wir davon ausgehen, dass der Biograf hier keine Heiligenverehrung betreibt. Vielmehr erscheint uns Thomas als ein ganz normaler walisischer Mann, der nur eben über eine einzigartige Gabe verfügt: die des ehrgeizigen Poeten. Ob sich nun Thomas ewigen Ruhm erhofft hat oder beim Dichten und Redigieren unter einem inneren Zwang oder Drang stand, das sei der Spekulation anheimgestellt. Letzteres hat auf jeden Fall eine wichtige Rolle gespielt, denn sonst hätte er nicht so viel geschrieben und so hart daran gearbeitet.

Der Biograf arbeitet die alltäglichen wirtschaftlichen Sorgen des Autors ebenso heraus wie die ganz privaten Dinge, solange sie nicht intim sind. So erklärt er beispielsweise, wie es kam, dass sich Thomas und die Dichterin Pamela Hansford nicht das Ja-Wort gaben, sondern in Freundschaft auseinander gingen. Dies wiederum ermöglichte es, dass Thomas und Caitlin Macnamara einander kennen lernten und 1937 heirateten. In diesen Herzensangelegenheiten hält sich der Biograf mit Vermutungen vornehm zurück, ohne jedoch die genauen Umstände der Entwicklung dieser Beziehungen zu verschweigen.

Er unternimmt auch keine Versuche, irgendwelche Gedichte auf seine subjektive Weise zu interpretieren, sondern weist nur dezent auf bestimmte Formmerkmale hin, die das jeweilige Gedicht einzigartig machen, oder auf thematische Hintergründe, die es in den Lebenszusammenhang des Dichters einfügen. So erscheinen Leben und Werk des Autors als Einheit.

|Schwächen und Fehler|

Der Autor Bill Read war ein Freund des Dichters und dessen Familie. Sein Gesicht ist auf einem der Fotos zu sehen. Hat dieser Umstand etwas damit zu tun, dass er auf Dylan Thomas‘ zahlreiche Affären nur en passant eingeht und sie auch keineswegs verurteilt? Wer sich also kritischer mit dem Dichter, seinem Verhalten und seinem Werk auseinandersetzen möchte, sieht sich veranlasst, andere Quellen heranzuziehen.

Auf einen merkwürdigen Fehler bin ich gestoßen, als ich die Seite 107 umblätterte: Eine Zeile fehlte. Ob dies in späteren Ausgaben nach dem Oktober 1989 korrigiert wurde, kann ich nicht sagen, aber der Interessent sollte darauf achten, ob die Zeile immer noch fehlt. Der fehlende Text ist nicht ganz unwichtig, denn es geht um einen Streit, den Thomas mit einer Dame hatte, und aus dem Folgenden muss man den Inhalt der fehlenden Zeile erschließen, sonst ergibt der ganze Vorgang wenig Sinn.

_Unterm Strich_

Dylan Thomas ist ohne Zweifel einer der bedeutendsten Dichter in englischer Sprache, und man sollte ihn kennen. Ob die vorliegende Monografie allerdings der optimale Weg ist, den Autor kennen zu lernen, daran habe ich gelinde Zweifel. Zum einen ist die Darstellung sehr gedrängt und setzt sich weder mit Lebenswandel noch mit den meisten Werken auf eine anerkennenswert kritische Weise auseinander. Das könnte mit der persönlichen Freundschaft des Verfassers Bill Read zu tun haben, liegt sicherlich aber auch an dem engen Rahmen einer solchen Bildmonografie.

Für einen Laien ist das Buch ein leichter Einstieg und schneller Zugang zu Thomas, doch für Literaturwissenschaftler gelten andere Maßstäbe. Für sie kann die Monografie lediglich ein Streiflicht, einen Crashkurs zum Thema darstellen. Steinig ist der Weg der Alma mater.

|Originaltitel: The Days of Dylan Thomas, 1964
Aus dem Englischen übersetzt von Angela Boeckh, den Anhang besorgte Heribert Hoven|