Lemony Snicket – Eine Reihe betrüblicher Ereignisse Vol. I – III (Lesung)


Die Baudelaire-Waisen: In den Klauen des grausamen Grafen

Selten war ein Buchserientitel treffender formuliert: „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“. Sie brechen nacheinander über drei Waisen herein, die Baudelaire-Kinder. Band 1 erzählt, wie könnte es anders sein, den „schrecklichen Anfang“ ihrer scheinbar endlosen Leidensgeschichte. Band 2 versetzt sie in ein Schlangenparadies und Band 3 an die Ufer des unheimlichen Seufzersees.

Der Autor

Verlagsinfo:

„Lemony Snicket wurde in einem kleinen Ort geboren, in einem Landstrich, der heute unter Wasser steht. Mittlerweile lebt L.S. in der Stadt. In seiner Freizeit sucht er die Orte auf, an denen auch die Baudelaire-Kinder sich aufzuhalten gezwungen waren, um möglichst wahrheitsgetreu über ihr Schicksal berichten zu können. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der tapferen Geschwister in 13 Bänden aufzuschreiben. Wer will, kann L.S. im Internet unter http://www.lemonysnicket.com besuchen. Aber wir warnen dringend davor.“

So weit der Text im Buch. Nicht sonderlich aufschlussreich. Das Titelbild stammt vom Zeichner Brett Helquist.

Der Zyklus „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“:

1) Der schreckliche Anfang
2) Das Haus der Schlangen
3) Der Seufzersee
4) Die unheimliche Mühle
5) Die schreckliche Schule
6) Die dunkle Allee

Der Sprecher

Stefan Kurt wurde vor allem bekannt als „Der Schattenmann“ im gleichnamigen Fernsehkrimi von Dieter Wedel und als Hauptdarsteller in verschiedenen Inszenierungen von Robert Wilson, wie z.B. „The Black Rider“, „Alice“ (Hamburg) oder Büchners „Leonce und Lena“ (Berliner Ensemble). Er erhielt den Boy-Gobert- sowie den Adolf-Grimme-Preis und spielt zurzeit am Schauspielhaus Zürich.

Handlung von „Der schreckliche Anfang“

Zunächst führten die drei Baudelaire-Kinder eine sorgenfreie Existenz. Sie verbringen den Schicksalstag am Strand und freuen sich des Lebens, jedes nach seinen Vorlieben. Violet, mit 14 Jahren die älteste von ihnen, denkt an eine neue Erfindung, denn sie hat die Fähigkeiten eines Ingenieurs. Klaus, mit zwölf der zweitälteste, ist ein Bücherwurm und Wissenssammler – ein wandelndes Lexikon, aber nicht unfehlbar oder gar allwissend. Und schließlich wäre da noch die kleine Sunny, die noch ein Kleinkind ist, in alles hineinbeißt und kaum ein vollständiges Wort zu sagen vermag, geschweige denn ein verständliches.

Aus dem Nebel am Strand materialisiert sich eine Gestalt, der Unglücksbote persönlich. Es ist Mister Poe (leider nicht Edgar Allan), und was er ihnen sagt, ist in der Tat sowohl unglaublich als auch höchst betrüblich. Mutter und Vater sind beim Brand des Baudelaire-Heims umgekommen. Er muss sie als eine Art Vormund aufnehmen, obwohl er eigentlich nur als Vermögensverwalter ihres Vaters gearbeitet hat. Doch das Testament sieht vor, dass sie bei ihren nächsten Verwandten aufwachsen sollen, die sie in ihre Obhut nehmen können.

Bei den Mittelklasse-Poes gefällt es den Kindern nicht, doch bei dem Kerl, bei dem sie dann landen, noch viel weniger. Alles riecht muffig und ist ungepflegt, ist der erste Eindruck von Graf Olafs Haus. Und Graf Olaf selbst ist ein allein lebender Theaterdirektor, der mit seiner Truppe mehr unterwegs als zu Hause ist. Sein Haus ist voller aufgemalter Augen, was doch recht seltsam ist, und in sein Turmzimmer dürfen sie erst recht nicht. Der einzige Lichtblick ist die nette, freundliche Nachbarin, eine Richterin, bei der es wenigstens eine wohlausgestattete Bibliothek gibt – für Bücherwurm Klaus ein wahres Paradies.

Doch die Zukunft hält weitere Schrecken bereit: Graf Olaf hat es auf das Vermögen abgesehen, das den Kindern zufällt, sobald sie volljährig sind. Aber so lange will er gar nicht warten. Um es zu erlangen, plant er, Violet zu heiraten. Wie Klaus zu seinem Schreck in einem Buch der Richterin herausfindet, kann er als ihr Ehemann über ihr Vermögen verfügen, wie ihm beliebt. Sie muss nur „Ich will“ sagen, wenn sie vor dem Traualtar stehen, und auf einem Heiratsdokument eine rechtsgültige Unterschrift leisten – das war’s.

Doch erstens weigert sich Violet, zweitens ist sie zu jung zum Heiraten und drittens kann Graf Olaf sie doch nicht zwingen. Doch Graf Olaf kann und wird. Er weiß auch schon ganz genau, wie.

Handlung von „Das Haus der Schlangen“

Die drei Baudelaire-Waisen landen diesmal, auf Veranlassung ihres Interims-Vormunds Mr. Poe, beim nächsten Verwandten, und das ist Dr. Montgomery. Montgomery Montgomery, um ganz genau zu sein. Er ist zwar ein älterer Herr und schon etwas wunderlich und eigen, aber dennoch ein herzensguter Onkel. Er nimmt sich der drei Waisen gerne an und gibt jedem von ihnen ein eigenes Zimmer – welcher Luxus, denken die Kinder.

Nur Montgomerys Beruf macht ihnen ein wenig Sorgen. Der gute Mann ist Schlangenkundler (Herpetologe) und hat von seinen Forschungsreisen in aller Welt ein ganzes Repitilienhaus voll Schlangen und Kröten mitgebracht. Was Klaus, den Bücherwurm jedoch entzückt, ist die riesige Fachbibliothek, die Onkel Monty sein Eigen nennt. Er wird später noch einen guten Grund haben, sie intensiv zu nutzen.

Denn Onkel Monty bereitet seine nächste Reise vor. Sie soll nach Peru führen, und sofort darf Klaus alles über den Andenstaat lesen und Violet die Reiseroute planen, während Monty die nötige Ausrüstung kauft. Die kleine Sunny freundet sich derweil mit der Unglaublich Tödlichen Viper an, die allerdings völlig harmlos ist und ihrerseits das Kleinkind ins Herz schließt. (Dies ist ein Kinderbuch, okay?)

Doch am Tag vor der Reise taucht ein unvorhergesehener Besucher auf. Gustav, Montys Assistent, ist verschwunden, und man brauchte Ersatz. Dieser erscheint Gestalt eines gewissen Stefano, doch spätestens als die Kinder das tätowierte Auge auf dessen Knöchel erblicken, bestätigt sich ihr schlimmster Verdacht: Stefano ist kein anderer als ihr Erzfeind Graf Olaf!

Doch bevor sie ihrem Onkel diesen schrecklichen Verdacht mitteilen können, muss der einkaufen gehen. Unterdessen bedroht Stefano die Kinder mit einem Messer. Auch er will nach Peru, denn er hofft, in diesem unterentwickelten Land die Millionenerbin Violet Baudelaire einfacher heiraten zu können als in einem so „zivilisierten Land“ wie den Vereinigten Staaten. Von dem Geld, über das er danach verfügen kann, wird sie natürlich keinen Cent mehr sehen.

Zum Glück hat Monty bis zu seinen Rückkehr Verdacht gegen Stefano geschöpft: Allerdings hält er ihn nicht für einen Erbschleicher, sondern einen Spion der Herpetologischen Gesellschaft, die ihm seinen einzigartige Unglaublich Tödliche Viper stehlen will. Doch bevor er etwas gegen den Schurken unternehmen kann, ist Onkel Monty am nächsten Morgen mausetot: Unter seinem Auge befinden sich zwei kleine Einstiche, als habe ihn eine Schlange gebissen. „Ja, das war die Mamba du Mal“, versichert Stefano. Und natürlich hat sie nach vollzogener Untat hinter sich wieder die Käfigtür zugemacht, braves Tierchen, hm??

Nunmehr schutzlos dem Grafen preisgegeben, sehen sich die drei Waisenkinder dessen Entführungsanstrengungen wehrlos gegenüber. Schon stößt Stefano mit Montys Wagen hinaus auf die Straße, schon geht’s Richtung Hafen zum Schiff nach Peru – da passiert etwas Unvorhergesehenes.

Handlung von „Der Seufzersee“

Tante Josephine hat ein bemerkenswertes Domizil: Ihr Häuschen ist auf der Spitze eines Hügels beziehungsweise einer Klippe erbaut, der oder die den See in stolzer Höhe überragt. Das Häuschen wird von wackelig aussehenden Stelzen gestützt, als befände es sich in den Hügeln von Hollywood. Ob es wohl den heranziehenden Hurrikan Hermann, von dem der Taxifahrer den Kindern erzählt, überstehen wird? Irgendwie wagt man das zu bezweifeln.

Tante Josephine ist nicht ganz das, was sich die Kinder unter einem Vormund, der sich um ihr Wohlergehen kümmern sollte, vorstellen. Die Witwe hat so viele Ängste, dass sie sich kaum zu bewegen traut und kaum aus dem Haus geht. Sie stellt weder Heizung noch Kochherd an, aus Angst, das Ding könnte explodieren. Folglich bleibt die Küche kalt, und kalte Gurkensuppe ist sicherlich nicht das wohlschmeckendste aller Gerichte. Auch das Telefon rührt die Tante nicht an, aus Angst, es könnte ihr einen elektrischen Schlag versetzen. Ihr verstorbener Mann, den sie auf dem See verloren hat, hatte sich immer um diese Dinge gekümmert.

Das Einzige, dem sich die Tante mit ganzem Herzen hingibt, ist die Grammatik. Nichts geht ihr über einen wohlgeformten Satz, in dem jedes Wörtchen an seinem korrekten Platz und in seiner korrekten Form sitzt. Kaum eine Minute vergeht, in der sie nicht eines der Kinder korrigiert. Kein Wunder, dass die drei Kinder schon bald völlig genervt sind.

Tantchen hat eine riesige Bibliothek. Klaus, die Leseratte, freut sich schon auf neue Hirnnahrung, muss aber enttäuscht feststellen, dass sämtliche Werke nur mit – was wohl? – Grammatik zu tun haben. Die Bibliothek verfügt über ein Fenster, das vom Boden bis zur Decke reicht und einen beeindruckenden Ausblick auf den düsteren Seufzersee gewährt. Düster auch deswegen, weil sich darin die gefräßigen Seufzerseesauger, eine Art Blutegel mit Zähnen im Maul, tummeln. Sie sind es, die Tantchens Mann Ike auf dem Gewissen haben …

Wie sollte es anders sein, so stoßen die Kinder auch auf den unvermeidlichen Grafen Olaf. Doch wie er da im Supermarkt vor ihnen steht, würde niemand in ihm den Erbschleicher vermuten: Er sieht aus wie ein Seemann, der Pirat spielt: Er trägt ein Holzbein und eine Klappe über dem einen Auge. Er sei jetzt im Bootsverleih tätig, behauptet er und überreicht ihnen seine Visitekarte. Tantchen Josephine macht ihn sofort auf einen kolossalen grammatikalischen Fehler aufmerksam: Statt „dass“ hat er „das“ geschrieben.

Graf Olaf ist kein Mann, der Kritik wegstecken kann, aber er reißt sich am Riemen und bedankt sich artig für die Belehrung. Tante Josephine ist so angetan von „Kapitän Talmis“ Charme, dass sie überlegt, ihn zum Essen einzuladen. Entsetzt versuchen die Kinder, als sie wieder daheim sind, ihr diese Idee auszureden. Sie befürchten, der Graf werde sie wieder entführen, wie er es schon einmal versucht hat. Doch zu spät: Kapitän Talmi* kündigt sich bereits per Telefon an, dessen Hörer Violet abgenommen und dann der Tante gegeben hat. Wenig später klopft es an der Tür …

* Liebe Kinder: Ich mache es wie der Autor und erkläre euch, was das Wort „Talmi“ bedeutet. Darunter versteht man so etwas wie einen Falschen Fuffziger, also etwas, das vorgibt, etwas anderes, Wertvolleres zu sein, als es in Wirklichkeit ist. Im Original der Visitenkarte, die im Buch abgebildet ist, steht „Captain Sham“, wobei „sham“ fast das gleiche wie Talmi bedeutet.

Mein Eindruck

Es ist eine Geschichte, die eines Charles Dickens würdig wäre: wahrlich betrüblich, aber geschickt erzählt. Das Schicksal der Kinder mag zwar zunächst einem Erwachsenen – für den das Buch nicht geschrieben wurde – nicht so sehr zu Herzen gehen, doch dürfte man durchweg vom Einfallsreichtum Violets und ihrer Tatkraft beeindruckt sein. Wenn es je eine Heldin gab, die es mit Harry Schotter oder Artemis Fowl aufnehmen konnte, dann ist es Violet Baudelaire. Und ganz ohne Zauberkraft.

Zunächst lässt sich jedes der Bücher an wie eine jener Jammergeschichten aus dem 19. Jahrhundert, wie sie die Viktorianer so gerne schrieben, um das Bürgertum für das Elend der mehr oder weniger arbeitslosen Massen zu interessieren und an seine Wohltätigkeit zu appellieren. „Oliver Twist“ ist der klassische Fall solcher Literatur. Doch dieses Bild hat einen kleinen Webfehler: Violet, Klaus und Sunny kommen selbst aus dem gehobenen Bürgertum, sind jedoch durch den Elternverlust auf die Herzensgüte ihrer diversen Verwandten angewiesen. Und diesen kann man nicht unbedingt Tauglichkeit für diese Aufgabe bescheinigen.

Hier ist bei den Kindern mal wieder der Unternehmergeist des Yankees gefragt. Am eigenen Schopf müssen sie sich wie weiland ein gewisser Baron aus dem Sumpf ziehen. Leider wird das heldenhafte Durchhalten der Kinder durch das Verhalten der Erwachsenen untergraben. Merke: Erwachsene sind so dumm, dass sie nur ihren eigenen Augen trauen, denn Kinder haben nichts zu melden. Neben logischem Denken (Klaus) und Erfindungsreichtum (Violet) ist also zum Überleben auch Mut und und Körpereinsatz (Sunny) vonnöten. Ende der Lektion. Power to the kids!

Welche Zeit?

Wie in jedem Buch ist man zunächst bemüht zu erfahren, in welcher Epoche die Geschichte spielt. Das ist diesmal gar nicht so einfach. Poe und Baudelaire sind Schriftstellernamen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Strand der Kahlen Küste ist leer, keine Sonnenanbeter weit und breit. Die Feuerwehrautos, die Helquist im Buch zeichnet, scheinen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu stammen, ebenso wie der veraltete Frack von Graf Olaf. Weit und breit gibt es weder Fernseher noch Radios, wohl aber Herzschmerztheateraufführungen für ein ahnungs- und anspruchsloses Publikum. Es ist eine beschauliche Welt der Viktorianer. Dickens hätte es hier gefallen.

Dann aber treten Unstimmigkeiten auf, als ob wir uns rasant in der Zeit vorwärts bewegen würden. Mister Poe in seiner Bank spricht über mehrere Telefone, und Graf Olaf und seine Helfershelfer verfügen über Walkie-Talkies. Dieser Anachronismus wird nicht erklärt. Doch Graf Olaf ist keineswegs ein Fabelwesen, auch wenn sein Walkie-Talkie ihn in dieser viktorianischen Welt so erscheinen lassen könnte. Er ist allenfalls ein Teufel mit sehr niederträchtigen Absichten: ein krasser Materialist, der nur hinter Geld her ist, vorzugsweise dem Vermögen der Baudelaires.

Sprachkurs

Diese massive Warnung ist nur ein Beispiel für Snickets (ganz gleich, wer sich dahinter verbirgt) fortgesetzte Bemühungen, dem jungen Leser (oder Hörer) etwas beizubringen. Auf jeder zweiten Seite, wenn nicht öfter, erklärt der Erzähler oder sogar eine der Figuren, was ein bestimmtes Wort bedeutet. Dabei sind diese Wörter nicht einmal etwas so Besonderes wie etwa ausgefallene Fremdwörter (z.B. „Talmi“), sondern auch ganz einfache wie etwa „brillant“. Diese didaktische Anstrengung geht dem erwachsenen Leser – wie mir – schon ziemlich bald gewaltig auf den Zeiger. Hoffentlich können die jungen Leser etwas damit anfangen. Ich schätze, spätestens ab dem zehnten Lebensjahr können sie den Text verstehen, wahrscheinlich aber schon früher.

Der Sprecher

Stefan Kurt verfügt über eine auffallend angenehme Stimme, die hervorragend zu dem onkelhaften Tonfall des Erzählers Snicket passt. Zwar kann er sein Sprechorgan nur in begrenztem Umfang modulieren, doch das übertriebene Intonieren, wie es früher mal Rufus Beck praktizierte, ist sowieso out. Dennoch fällt es nicht schwer, die heisere Stimme des niederträchtigen Graf Olaf herauszuhören, das Piepsen von Sunny oder die bedrohlichen Worte eines von Olafs finsteren Kumpanen. Und um Mr. Poe zu erkennen, muss man nicht mal die Wörter verstehen: Er ist auf Anhieb an seinem permanenten Husten zu erkennen. Das muss genügen, denn das Hörbuch hat weder Musik noch Geräusche vorzuweisen.

Besonders haben mir Stefan Kurts deutliche Aussprache und die prägnanten Pausen zwischen Sätzen und Kapiteln gefallen. Sie erleichtern Kindern, die noch nicht so schnell folgen können wie geübte Erwachsene, das Begreifen des Gesagten ungemein. Und außerdem verleihen sie dem Vortrag eine stabile Struktur, so dass im Zuhörer der Eindruck entsteht, dieser Erzähler wisse genau, wovon er spreche und dass man ihm ohne Weiteres vertrauen könne. Dieser Mehrwert ist eine Seltenheit in der heutigen, schnellebigen Zeit und daher umso höher zu schätzen.

Das Booklet

Neben allgemeinen Informationen zu den Machern und Mitwirkenden des Hörbuchs finden sich sechs Dokumente, die direkt aus den Büchern übernommen wurden und vom Autor stammen:

1) Der Brief an den Hörer und die Hörerin des 1. Bandes
2) Der Brief an den Verleger des 2. Bandes
3) Der Brief an den Hörer und die Hörerin des 2. Bandes
4) Der Brief an den Verleger des 3. Bandes
5) Der Brief an den Hörer und die Hörerin des 3. Bandes
6) Der Abschiedsbrief von Tante Josephine mit der geheimen Botschaft.

Unterm Strich

Das Hörbuch bietet die kompletten drei ersten Bände der 13-teiligen Chronik um die betrüblichen Ereignisse, die den Baudelaire-Waisen widerfahren. Aber diese Geschehnisse sind für Kinder sowohl spannend als auch lehrreich, und als Erwachsener erkennt man die Satire schon von weitem. Der Sprecher Stefan Kurt, ein bekannter und mit Preisen geehrter Schauspieler, trägt die Geschichte mit angemessenem Mitgefühl und Einfühlungsvermögen vor. Besonders haben mir seine deutliche Aussprache und die Pausen zwischen Sätzen und Kapiteln gefallen. Sie erleichtern besonders Kindern, die noch nicht so schnell folgen können wie geübte Erwachsene, das Begreifen des Gesagten ungemein.

Die Geschichte ist entsprechend der Epoche: herzzerreißend, betrüblich sowieso, aber auch spannend, weil die Waisenkinder einige amerikanische Tugenden entwickeln und Wissen mit Tatkraft paaren, um sich aus der Patsche zu helfen. Kinder können hier eine ganze Menge lernen. Dies betrifft nicht nur das Verhalten der drei Hauptfiguren, sondern auch die Sprache. Es ist eine Eigenart der Bücher von „Lemony Snicket“ (dies ist selbstverständlich ein nach Dickens klingendes Pseudonym; von Daniel Handler, wird gemunkelt), dass sich der Chronist der „betrüblichen Ereignisse“, der sich am Schluss wieder per Brief an den Finder und Herausgeber seiner Aufzeichnungen wendet, die schwierigen Wörter, die er benutzt, erklärt.

Dies können durchaus auch seltene Wörter sein, zum Beispiel „phantasmagorisch“. Kein normaler Mensch würde dieses Wort benutzen, geschweige denn wissen, was es bedeutet. Vielleicht kann ja auch der eine oder andere Erwachsene noch etwas dazulernen, wenn er Snickets gesammelte Aufzeichnungen liest.

Bemerkenswert sind hingegen die deutlich formulierten psychologischen Einsichten in die prekäre seelische Lage der Waisen: Hier gelingt Snicket etwas, was man in anderen Kinderbüchern allzuoft vergeblich sucht. Er vermag dem jungen Leser genauen Einblick zu geben, wie den drei jungen Helden zumute ist. Da bewährt er sich einmal nicht als Sprachpädagoge mit erhobenem Zeigefinger, sondern als onkelhafter Freund des jungen Lesers. Dennoch verzichtet er nicht auf die unwahrscheinlichsten Taten seiner Helden, die schon fast an das Reich der Phantasie grenzen. Dietriche aus Steckern zu bauen, würde mir jedenfalls nicht im Traum einfallen.

Die Fortsetzungen des Hörbuchs, so der Hinweis im Booklet, erscheinen bei |Random House Audio|.

|Originaltitel: A Series of Unfortunate Events – The Bad Beginning (1999) / The Reptile Room (1999) / The Wide Window (2000)
9 CDs, 10 Stunden 5 Minuten
Aus dem US-Englischen übersetzt von Klaus Weimann und Birgitt Kollmann|