Andreas Brandhorst – Das Kosmotop

Erinnert ihr euch noch an »Die Kinder der Ewigkeit«? Kein Problem, man muss den Roman nicht gelesen haben, um »Das Kosmotop« genießen zu können. Wir kennen ja mittlerweile die grandiosen Weltentwürfe Brandhorsts, die Äonen umspannen und Geschichten von kosmischer Bedeutung erzählen. Der vorliegende Roman kehrt in das Universum der »Kinder der Ewigkeit« zurück, die Handlungszeit liegt allerdings viele Jahrtausende in der Zukunft, so dass es nur wenige Bezüge zwischen den Geschichten gibt – aber genug, um diejenigen, die schon die »Kinder« genossen haben, abzuholen und ihnen die weitere Entwicklung der Menschheit und der intelligenten Maschinenvölker nahezubringen.


Der Roman beginnt mit der »Wiedergeburt« des Protagonisten Corwain 18Tallmaster – die kleine Zahl zeigt die Nummer seines Klons und damit die Anzahl seiner Leben an – ein uraltes Geschöpf, einer der Letzten Menschen, wie man schnell erfährt. Es beginnt eine Geschichte um seine Arbeit als Mann des Friedens, als Vermittler zwischen verschiedenen Völkern, denn er ist Angehöriger der »Kompetenz«, eines Zusammenschlusses von 29 hochentwickelten Zivilisationen der Milchstraße, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Frieden zu bewahren und die Entwicklung der Völker zu fördern.

Er schafft es, ein junges Volk vor den Verführungen einer kriegerischen Macht zu bewahren, aber dann beginnen die Ereignisse, sich zu überschlagen: Es gibt einen Mord, den Tallmaster nicht verhindern kann – vielmehr tötet er einen der Täter und wird selbst des Mordes bezichtigt, ein Blutracheschwur hetzt ihm ein ganzes Volk auf den Leib, er wird aus der Kompetenz geworfen, und so ganz nebenbei erscheint ein gewaltiges, unwahrscheinliches Objekt in der Milchstraße: Das Kosmotop bedroht die Existenz der hohen Maschinenzivilisation, der Kompetenz und anderer Völker, während sich ein Bündnis zwischen zwei machtgierigen, hasserfüllten Mächten bildet und versucht, sich dieses Objektes zu bedienen.

Und das mit einigem Erfolg, wie nicht zuletzt die wenigen tausend Letzten Menschen erfahren müssen, die rasch dezimiert werden. Tallmaster, der anfangs nach Rehabilitation durch eine Macht sucht, die das Kosmotop zu bremsen versucht, bricht also mit seiner Gefährtin Solace auf und gerät immer tiefer in den Strudel der Ereignisse, deren Höhepunkt eine tödliche Gefahr für die friedliebenden Völker der Galaxis zu werden droht …

Andreas Brandhorst ist der erfolgreichste deutsche Science-Fiction-Schriftsteller. Er veröffentlicht als einziger seiner Branche regelmäßig bei großen Publikumsverlagen und ist auch darüber hinaus über alle Maßen produktiv: Unzählige Romane von Übersee tragen seinen Stempel als Übersetzer, zum Beispiel eine Vielzahl der »Scheibenwelt«-Romane von Terry Pratchett. Brandhorst trat im Jahre 2006 mit der großen Kantaki-Saga, die sich über sechs Bände erstreckt, verstärkt als Autor in Erscheinung. Es folgten drei Mystery-Thriller, zwei Taschenbücher zur Perry-Rhodan-Saga sowie einige eigenständige Romane, wie »Der letzte Regent« und »Die Kinder der Ewigkeit«. In die Welt der »Kinder« kehrt er mit dem vorliegenden Roman zurück.

Nun muss sich dieser Roman mit den »Kindern der Ewigkeit« vergleichen lassen – so leid es mir auch tut, das immer wieder zu erwähnen. Ich betone das für jene Leser, die die Kinder nicht kennen. Man kann völlig unbesorgt sein, hier wird weder die potenzielle Lektüre vorweggenommen, noch haben die Bezüge zwingenden Charakter. Aber als Kenner freut man sich, den Magister Jael (uswusf) wiederzusehen, von Esebians grundlegenden Änderungen zu hören und – nun, das war es auch schon. Alles andere ist neu.

Die Maschinenintelligenzen haben sich weiterentwickelt, es gibt konkurrierende Parteien unter ihnen. Demgegenüber haben sich die Menschen zurückentwickelt: Die Unsterblichkeit machte sie unfruchtbar, und als sie die Unsterblichkeit verloren, begann der unaufhaltsame Fall dieser Zivilisation. Dies ist auch eines der Hauptmerkmale, denen sich der Roman widmet. Dabei beschreibt Brandhorst keinesfalls die Probleme oder eine vorstellbare Depression, sondern er konzentriert sich auf seinen Protagonisten Corwain, der diesmal eine für Brandhorst ziemlich geradlinige Handlung erfährt. Natürlich gibts einen Haufen Wendungen und Entwicklungen, sonst wäre es kein Brandhorst. Und der Held macht selbst einige grundlegende Veränderungen durch, in deren Verlauf wir mehr und mehr von ihm, seiner Vergangenheit, seiner Beziehung zu den Menschen und den Zusammenhängen, die letztlich die Charakteristika der Letzten Menschen ausmachen, erfahren.

Wo »Die Kinder der Ewigkeit« seinen Sense of Wonder aus dem grandiosen Weltentwurf, den kosmischen Geschehnissen, den wirren Verwicklungen und dem umfassenden Zusammenhang bezieht, geht Brandhorst hier im »Kosmotop« ganz andere Wege. Das Universum ist zu einem guten Teil vorhanden, Techniken, FTL-Theorien und Ähnliches spielen keine wichtige Rolle. Es gibt sie, man berührt ihre Eigenarten, aber der tragende Faktor der Geschichte sind die Identitäten, die Personen, die Menschen. Begriffe, die man hier auch auf die KI ausgeweitet verstehen muss. Corwain als zentraler Faktor entwickelt sich, indem er als Spielball brutalerer Mächte in die Ereignisse geworfen wird, seine Reaktionen oft kaum mehr als der Kampf ums Überleben sind, seine Entscheidungen aber dennoch ausschlaggebend für die finale Entwicklung sind. Seine Motivation ist so naheliegend und nachvollziehbar, dass man unzweifelhafte Identifizierungsmöglichkeiten mit ihm als Protagonisten hat.

Wirre Kaleidoskope von Transzendenzerfahrungen oder Innenansichten in Form und Farbe erwartet man vergebens, hierin weicht Brandhorst von einem ihm oft eigenen Stil ab, der einerseits oft die Zerrissenheit seiner Protagonisten verdeutlichen soll, andererseits die unfassbaren kosmischen Zusammenhänge illustriert – beides Aspekte, die hier eine untergeordnete Rolle spielen. Corwain als Handlungsträger ist im Grunde eine stabile Figur, deren Wandel sich durch die emotionalen Seiten der Handlung darstellt. In ihm wüten keine gegensätzlichen Meinungen um Vorherrschaft. Was ihn an aller erster Stelle interessiert, ist schließlich seine Gefährtin – aller kosmobedrohlicher Schnickschnack interessiert ihn irgendwann überhaupt nicht mehr. Im Hintergrund ziehen natürlich noch andere Instanzen ihre Fäden, so dass der Leser trotz Corwain auf seine Kosten kommt.

Brandhorst legt Fäden aus, verwirrt, ordnet und verknüpft sie und formt ein rundes Bild von bester Unterhaltung. Durch die Einordnung in die Zukunft der »Kinder der Ewigkeit« greift er einige dort liegen gebliebene Fäden auf, verwebt sie allerdings nur unzureichend mit der neuen Geschichte, so dass es eigentlich diese auf alten Ursprüngen basierenden Fragen sind, die unbeantwortet bleiben: Wie kam es zum Verlust der Unsterblichkeit – einer Technik, die von den ehemaligen Magistern stammte? Wie kam es zum unbändigen Hass der Incera auf die Menschen – eines Umstands, der sicherlich im Roman »KdE« seinen Ursprung hat, im »Kosmotop« aber eine zu wichtige Rolle spielt, um unerklärt zu bleiben? Andererseits: Subtrahiert man die Incera aus der Geschichte, funktioniert sie weiterhin einwandfrei …

Ein Wort zum Klappentext: Glück gehabt, denn der weicht starkt von der knappen Inhaltsangabe des Verlages auf seiner Homepage ab, die mal wieder typisch am Roman vorbei, ja sogar inhaltlich falsch ist. Dagegen ist der eigentliche Klappentext preisverdächtig nah am Inhalt.

Die Auflösung der Geschichte ist friedlich und umfassend, ja, beinahe etwas zu eilig abgehandelt nach dem großen Showdown. Dadurch bleibt dieser allerdings auch deutlicher und gewichtiger im Gedächtnis. Insgesamt ist »Das Kosmotop« also eine runde Sache, die trotz der zwei Informationsdefizite um die Vorgeschichte bestens zu unterhalten weiß und einen überraschend direkten Stil offenbart, den man so von Brandhorst nicht erwartet. Hier erschlägt einen nicht das epochale Drumherum, das Augenmerk liegt auf der zentralen Figur, der Tonfall ist etwas ruhiger als im Vorgänger. Ein schöner Roman, dem nur ein ganz kleines Bisschen »Pepp« fehlt, um an die Qualität der »Kinder der Ewigkeit« zu reichen.

Broschiert, 560 Seiten
ISBN-13: 9783453315440
ORIGINALAUSGABE

www.heyne.de

Der Verlag bietet hier eine Leseprobe an.

Unser Interview mit Andreas Brandhorst.

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