Armin Rößler (Hrsg.); Dieter Schmitt (Hrsg.) – Walfred Goreng

Anthologien deutscher (oder überhaupt) Science-Fiction sind mittlerweile äußerst seltene Publikationen. Kurzgeschichten scheinen der heutigen Leserschaft immer weniger zu bedeuten. Im Wurdack-Verlag erschien Anfang 2004 die erste SF-Anthologie („Deus ex machina“) des Verlags, der damit schwieriges Terrain betritt. Es ist ein erfreuliches Ereignis, dass mit „Walfred Goreng“ bereits der zweite Band erschienen ist – Kurzgeschichtenanthologien dienen als wichtige Plattform für aufstrebende Autoren und bieten in unterhaltsamer Form einen Querschnitt durch die deutsche Science-Fiction-Landschaft. Vielleicht spielte auch die von Andreas Eschbach jüngst herausgegebene Sammlung von Geschichten bekannter europäischer Schriftsteller eine unterstützende Rolle, um das Interesse an derartigen Publikationen zu erhöhen.

In „Walfred Goreng“ finden sich 24 unterschiedliche Geschichten von 26 unterschiedlichen Autoren. Ansprechend gestaltet in einem Paperback, gibt es zu jeder Geschichte in einem hervorgehobenen Kasten eine kurze Vorstellung des jeweiligen Verfassers.

Ein Querschnitt

„Walfred Goreng“, die Titelstory von Markus Kastenholz, behandelt in amüsanter Art das Problem, das Fast-Food-Ketten in einer Zukunft haben, in der echtes Fleisch rar und eigentlich unbezahlbar ist. Leider ahnt der Leser spätestens ab dem Moment, in dem vom garantierten Echtfleisch-Anteil gesprochen wird, wohin die Geschichte führt. Trotzdem überrascht Kastenholz mit einem Epilog, in dem er die unausweichlich erwartete Lösung selbstironisch in Frage stellt, die Geschichte mit drei „bekannten“ Regeln beendet und letztlich ein belustigtes Grinsen beim Leser hinterlässt.

Erfolg versprechend in Wettbewerben wie dem jährlich von Storyolympiade.de veranstalteten werden vor allem die humoristischen Geschichten genannt. Da ist es kein Wunder, dass viele Storys mit einer Prise Humor gewürzt werden (sollen). Glücklicherweise lassen sich die Autoren von „Walfred Goreng“ davon nicht beeindrucken; so gibt es ebenso viele ernsthafte, nicht minder gute Geschichten. Thorsten Küpers „Njomwegs Krankheit“ wirft ein Licht auf die Irrwege der Wissenschaft, die viel zu oft rigoros und rücksichtslos für neue Erkenntnisse kämpft, selbst wenn Menschen, in diesem Fall sogar Kinder, als Versuchskaninchen herhalten müssen. Njomweg, dessen biochemische Experimente außer Kontrolle geraten, ist für die Ausbeutung der Kinder durch die Wissenschaft verantwortlich. Seine tragische Rolle in diesem Spiel führt uns vor Augen, dass es vielleicht auch den Menschen im Forscher gibt, der seine Fehler gegen alle Widerstände berichtigen will. Küper sieht aber in der Machtgier und Skrupellosigkeit die Eigenschaften unserer Gesellschaft, gegen die der Einzelne trotz aller Anstrengungen machtlos ist. Es entsteht etwas von dem Gefühl, das uns nach der Lektüre von Orwells „1984“ beschleicht: Die Resignation bei der Erkenntnis, dass man manipuliert wurde; das Eingeständnis der eigenen Schwäche; Unverständnis gegenüber den Machthabern, ungläubig das Gefühl, damit einen Blick hinter die Kulissen unserer Gesellschaft zu werfen.

Heidrun Jänchen, die mit ihrem Gemeinschaftsprojekt „Der eiserne Thron“ (mit Andrea Tillmanns, Christian Savoy; erschienen im |Wurdack|-Verlag) zum diesjährigen |Deutschen Phantastik Preis| in der Kategorie „Bestes Romandebüt – national“ nominiert war und den dritten Platz belegte, erzählt eine spannende Geschichte um den Krieg zwischen Menschen und Cetis. Sie zeichnet mit wenigen Worten eine Gesellschaft und eine Welt von solcher Komplexität, dass man ein eindrucksvolles, schlüssiges Bild vor Augen hat. Dabei lässt das Format der Kurzgeschichte nicht zu, in der Fülle der Ideen einzelne Details tiefer zu beleuchten. Man hat die Ahnung, dass es bei dem Krieg um Rohstoffe geht und dass die Bewohner von Tau Ceti, die Cetis, eigentlich keine Gegner sind. Hier kann man sich ohne Probleme vorstellen, dass die Idee ausreichend Stoff für weitere Erzählungen liefern kann. Beachtung sollte hier das durchaus ungewöhnliche Ende finden, als der „Held“ der Geschichte die Wahrheit erkennt und seine Entscheidung trifft …

Einer der Herausgeber, Dieter Schmitt, widmet sich den Problemen des Arbeitsmarktes, indem er die Ausnutzung und Überwachung durch große Firmen auf die Spitze treibt. Existenzangst mit fünfunddreißig? Trotz implantierten G-Gens (Steht hier G für „Genius“ oder dergleichen?), das einen leistungsfähiger macht. Diese Geschichte bildet mit einigen anderen aus der Sammlung sozusagen die Basis – sie ist gut erzählt und sicher geschrieben, kann aber nicht vom Hocker reißen.

„All inclusive“ – so wirbt auch die Reisegesellschaft der Zukunft, die von Helmuth W. Mommers, Ernst Vlcek und Uschi Zietsch heraufbeschworen wird. Mit diesen drei Autoren aus dem Profilager wird die Anthologie zu einem Aushängeschild für ihren Anspruch. Die Geschichte selbst erhebt sich nicht über das Mittelmaß der Sammlung – eine in drei Ebenen gespaltene Handlung für eine Kurzgeschichte muss ein gewagtes Experiment sein, doch so sieht man deutlich, wessen Handschrift die einzelnen Abschnitte tragen. Recht amüsante Episoden, die in ihren Unterschieden schwer zusammenpassen und leider schnell das Finish erahnen lassen. Teilweise spürt man hier die Routine der Profis etwas deutlich.

Peter Hohmanns „Tag des Glücks“ wartet mit einem spannenden Konflikt auf, der sich zwischen der Protagonistin und der Realität auftut. Die sprunghaften Veränderungen ihrer Umwelt verwirren anfangs, werden aber zu einem konsequenten und Betroffenheit verursachenden Ende geführt.

Die „Maschinelle Gelassenheit“ ist eine Überwachungseinheit, die bei Prozessorüberbelastung einschreitet und im Notfall zum Neustart des Systems oder sogar zur Neuprogrammierung befähigt ist. V. Groß skizziert eine abstrakt unmenschliche Zukunft nach großen Vorbildern wie Asimov oder Philip K. Dick, dem er die Geschichte sogar widmet. Es ist eine tragische Entwicklung eines allzu wohlwollenden, beschützenden Rechnersystems in der Nachbarschaft des Menschen, deren Aufhängepunkt wie nebensächlich eingeführt und erst am Ende mit der großen Erschütterung offenbart wird.

Melanie Metzenthin wählt einen unzufriedenen Bürger des Mondes der Zukunft als Protagonist, der in einer amüsanten Wahlrede die Missstände seiner Zeit anprangert und sich zurücksehnt in die „gute alte Zeit“, in der wir unsere Gegenwart erkennen. Aber auch in den Problemen, die er zum Beispiel mit seinen Vermietern hat (die einfach Neuerungen in der Wohnung installieren und den Mieter dann zahlen lassen), sehen wir schmunzelnd Parallelen zu den manchmal nervigen Angelegenheiten unseres Alltags.

„Corona“ von Lutz Herrmann ist ein gut erzählter, aber leider sehr vorhersehbarer Zukunftsthriller, in dem dramatische Möglichkeiten der Massenmanipulation dargestellt werden. Da kann man nur hoffen, dass die Entwicklung andere Wege findet.

Thomas Kohlschmidt liefert einen seichten Krimi, in dem es um gestohlene Hände geht. An sich hört sich die Idee interessant an. Leider offenbart sich ein unspektakuläres Ende um Mitleid und die Übervorteilung durch Korruption.

„Vascul“ von Petra Vennekohl bietet eine faszinierende Spielwiese für die Fantasie – unerforschte Gebiete im Innern eines Vulkans, unerklärliche Fähigkeiten an der Vulkanflanke, eine Biologin, die sich ihr Mikroskop selbst baut … Nach der Not- und Bruchlandung des Kolonistenschiffes brach der Kontakt zur Erde ab, bis die Zwangskolonisten eine hoffentlich profitable Entdeckung machten. Doch können sie die überlegenen Geräte der Prüfungskommission täuschen und die dringend benötigte Unterstützung erhalten?

Edgar Güttke schließlich zeigt dem erleichterten Leser mit „Dezibel“, dass die Bürokratie auch vor der Zukunft und vor Alienvölkern wie beweglichen Kakteen nicht Halt macht. In höchst amüsierter Weise begleiten wir einen Zustelldienst, der weder landen noch sonst wie aktiv werden darf, um die Lautstärkevorschriften nicht zu brechen. Dabei gerät die Besatzung in eine Lage, die nur durch den von ihnen transportierten Hubschrauber (irrigerweise ist sein Lärm erlaubt) behoben werden könnte, dessen Abladen allerdings den Vorschriften widerspricht. Der deutsche Vorschriftendschungel gelungen auf die Schippe genommen!

Zum Schluss

Die Anthologie sprüht vor unterschiedlichen Ideen, die oft sehr gekonnt umgesetzt wurden. Einsame Spitze bleibt Küpers „Njomwegs Krankheit“. Wenige Geschichten haben mich nicht berührt, insgesamt ist „Walfred Goreng“ eine sehr unterhaltsame Mischung, die jedem interessierten Leser ans Herz gelegt werden soll. Man kann nur hoffen, dass diese Qualität in den Folgesammlungen beibehalten werden kann.

Taschenbuch: 188 Seiten
www.wurdackverlag.de