Sandford, John – Jagdpartie, Die

Die vier Direktoren – und eine weibliche Direktorin – der „Polaris“-Bank gehen auf Einladung ihres Vorstandsvorsitzenden gemeinsam auf die Jagd. Was auf den ersten Blick ein reines Wochenend-Vergnügen zu sein scheint, entpuppt sich als grimmiges Spiel um Macht und Geld. Der Vorstandsvorsitzende hat die Fusion mit einer Konkurrenz-Bank in die Wege geleitet; ein Deal, der ihm unendlich viel Geld bescheren, seinen Direktoren aber wahrscheinlich den Job kosten wird. Da ist es kaum verwunderlich, dass der Vorsitzende plötzlich mit einem Loch in der Brust im Wald aufgefunden wird – ein Jagdunfall ist es nicht gewesen …

Deputy Chief Lucas Davenport von der Mordkommission der Stadt Minneapolis steht vor fünf mächtigen, ungeduldigen Verdächtigen, was die Fahndung erheblich erschwert, zumal der Mörder seine Spuren gut verwischt hat. Weit ist die Polizei mit ihren Ermittlungen noch nicht gekommen, als die weibliche Direktorin plötzlich ebenfalls umgebracht wird. Zusätzlich abgelenkt wird Davenport, als seine ehemalige Verlobte beinahe einem Brandanschlag zum Opfer fällt. Womöglich will sich ein von dem Detective hinter Gitter gebrachter Verbrecher auf diese Weise an ihm rächen.

Trotz der Probleme trägt die Ermittlungsarbeit langsam Früchte. Wilson McDonald, einer der vier überlebenden „Polaris“-Direktoren, kann möglicherweise mit dem Mord in Verbindung gebracht werden. Die geplante Fusion würde seine Karriere auf jeden Fall beenden, und der grobschlächtige Mann, der seine Ehefrau brutal zu schlagen pflegt, ist niemand, der sich dies gefallen ließe.

Hellhörig werden Davenport und sein Team, als sie Hinweise finden, die McDonald mit einigen ungeklärten Mordfällen der Vergangenheit in Verbindung bringen. Und dann ist da noch die unerklärlich hohe Todesrate unter denen, die McDonald in den letzten Jahren beruflich in die Quere gekommen sind …

Bevor Davenport endgültige Klarheit gewinnen kann, überschlagen sich die Ereignisse: Audrey McDonald bringt ihren gewalttätigen Ehemann nach einer neuerlichen Attacke um – anscheinend in Notwehr, denn sie ist schwer verletzt. Davenport ist misstrauisch, denn in ihm steigt langsam der Verdacht auf, dass eher Audrey als ihr Gatte für die zahlreichen Todesfälle im Umfeld dieses seltsamen Ehepaares verantwortlich sein könnte …

Die Lösung dieses ausgezeichneten Thrillers soll an dieser Stelle nicht verraten werden; es wäre ungerecht, obwohl es das Vergnügen an der Lektüre nicht unbedingt schmälern würde. Autor John Sandford lässt die Katze selbst schon vor dem letzten Drittel des Romans aus dem Sack; nun verfolgt der Leser gespannt das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Davenport und dem wahnsinnigen, aber gleichzeitig ebenso intelligenten wie rücksichtslosen Serienmörder.

Lucas Davenport ist nicht gerade das, was man eine Identifikationsfigur nennen würde. Er ist Polizist mit Leib und Seele und engagiert sich oft so intensiv, dass sein Privatleben ernsthaften Schaden nimmt. Dabei treten die weniger angenehmen Seiten seines Wesens zutage. In „Kalte Rache“, dem achten Teil der Davenport-Serie, tötet er überlegt und kaltblütig einen Kidnapper, der seine Verlobte gefangen hält. Diese gibt ihm daraufhin den Laufpass, was Davenport in eine depressive Phase treibt, die ihn zu Beginn von „Die Jagdpartie“ noch in ihrem Bann hält. Doch im Verlauf der Ermittlungen beginnt er eine Affäre mit der Polizistin Sherrill, die indes von Anfang an unter keinem guten Stern zu stehen scheint.

Die differenzierte Figurenzeichnung beschränkt sich nicht auf Davenport. Aber auch der Plot an sich lässt wieder einmal nichts zu wünschen übrig. Man erfährt einiges über das Geschäftsgebaren in den Vorstandsetagen moderner Bank-Konzerne, und da Sandford als Journalist etwas vom Recherchieren versteht und das Ergebnis als Schriftsteller gekonnt umzusetzen weiss, ist plausibel, was er schildert. Die Glaubwürdigkeit der Geschichte hängt an vielen Stellen davon ab – besonders in den ersten beiden Dritteln des Romans, als noch unklar ist, dass der Tod des Vorstandsvorsitzenden mit den internen Machtkämpfen an der Bankspitze nur mittelbar zu tun hat.

Zimperlich geht es in der Welt John Sandfords nicht zu. Gewalt und Verbrechen dienen jedoch nicht der vordergründigen Unterhaltung, sondern sind zweckgebunden: Serienmörder, allein dem Eigennutz verpflichtete Geschäftsleute, überlastete Polizei-Beamte – hier wird mit harten Bandagen gekämpft, und Sandfort schildert diesen Alltag nüchtern, fast dokumentarisch, verweist damit auf seine journalistischen Wurzeln (dazu unten mehr) und erhöht dadurch die Eindringlichkeit seiner Schilderungen.

Aufgelockert wird der Ernst der Handlung durch wohl dosierten, knochentrockenen Humor, den Sandford zum ersten Mal in diesem Umfang einsetzt. Auch hier zeigt er sich als Meister, der die meisten Lacher erzielt, indem er zum Beispiel nur schildert, in welche Nöte Davenport gerät, als 24 Großmütter, die illegal Mohn gezogen und Opiumtee daraus gebraut haben, sich ihm gleichzeitig stellen wollen und sämtliche Kolleginnen und Kollegen sich aus dem Staub gemacht haben … Der Humor entsteht aus der Darstellung; er wird nicht herbeigezwungen und wirkt dadurch wesentlich stärker.

„Die Jagdpartie“ ist seit 1989 bereits das neunte Abenteuer, das John Sandford seinen Lucas Davenport bestehen lässt. Mit dieser Figur begann die schriftstellerische Karriere des Autors, der eigentlich John Camp heißt und 1944 in Iowa geboren wurde. Der junge Mann studierte zunächst Geschichte, leistete dann seinen Militärdienst in Korea und ging anschließend an die Universität zurück. Mit dem „Master’s Degree in Journalism“ in der Tasche arbeitete Camp zwischen 1970 und 1978 für die „Miami Herald Tribune“, wo er Seite an Seite mit seinen inzwischen ebenfalls als Thriller-Autoren zu Ruhm gekommenen Kollegen Carl Hiaasen und Edna Buchanan arbeitete. (In „Die Jagdpartie“ spielt Camp auf diese Zeit an und flicht einen Witz auf Kosten seines Freundes Hiaasen in die Handlung ein: S. 368 und 371.) Seine journalistische Laufbahn gipfelte Mitte der 80er Jahren im Gewinn des renommierten Pulitzer-Preises für eine Artikelserie, die ein Jahr im Leben einer modernen Farmer-Familie beschrieb. Einige Jahre später begann Camp, Romane zu schreiben – er debütierte gleich mit zwei Büchern, von denen das eine – unter dem Pseudonym „John Sandford“ veröffentlicht – den ersten Auftritt Lucas Davenport schilderte. Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ließ Camp pro Jahr einen weiteren Davenport-Roman folgen, die im amerikanischen Original übrigens immer das Nomen „Prey“ – gleich „Opfer“ oder „Beute“ – im Titel tragen.

(Die biografischen Angaben sowie die Liste der Davenport-Romane wurden dem Sandford-Autoreninfo auf der immer empfehlenswerten Website www.kaliber38.de entnommen. John Sandford hat auch eine eigene Website, die bemerkenswert aktuell gehalten wird und unter www.johnsandford.org zu finden ist.)