Kürthy, Ildikó von – Schwerelos

|“Wenn man die dreißig hinter sich gelassen hat, tut man gut daran, wichtige Termine auf den sehr späten Vormittag zu legen, um dem eigenen Gesicht genügend Zeit zu geben, sich zu entrunzeln und daran zu erinnern, dass irgendwo unter dieser alten Haut auch noch ein paar Bindegewebszellen stecken, die gefälligst allmählich ihren Dienst anzutreten haben.“|

Ildikó von Kürthy, freie Journalistin aus Hamburg und die Meisterin der gepflegten Frauenlektüre, legt nun endlich mit ihrem neuen Frauenroman nach. Nachdem sie mit ihren Verkaufsschlagern „Mondscheintarif“ oder auch „Freizeichen“ bewiesen hat, dass sie die Frau von heute, Anfang oder Mitte 30, so treffend beschreiben kann, dass sich fast jede Leserin in diesem Alter in der einen oder anderen Szene wiederfindet (oder auch in fast allen), erfindet sie mit Rosemarie Goldhausen, kurz Marie, eine neue Anti-Heldin, die man auf leider nur 251 Seiten kennen und lieben lernt.

_Ja oder nein – das ist hier die Frage_

Marie begräbt ihre Lieblingstante, die den gleichen Namen getragen hat wie sie. Rosemarie war erst 77 und stand mitten im Leben. Gerade war sie mit ihrem neuen Freund nach Kapstadt geflogen, doch sollte sie aus diesem Urlaub nicht zurückkehren. Obwohl die beiden Rosemaries den gleichen Namen hatten, hatten sie doch wenig gemeinsam. Während die Tante ihr Leben in vollen Zügen genossen und keine Minute mit einem Mann verschwendet hat, mit dem sie nicht vollkommen zufrieden war, gibt sich die junge Marie mit Frank zufrieden, obwohl die große Liebe und die Schmetterlinge im Bauch in der Beziehung fehlen. Sie geht ihr Leben ganz pragmatisch an, will kein Risiko eingehen und lässt sich dadurch viele Chancen entgehen. „Werd‘ endlich unvernünftig!“ rät ihr daher die geliebte Tante vor ihrem Tod.

Und diesen Rat nimmt Marie nun ernst. Als Frank ihr nach fast zehn Jahren Beziehung endlich den ersehnten Heiratsantrag macht, sagt Marie nicht im vollen Überschwang der Gefühle „ja“, sondern erbittet sich Bedenkzeit. Damit stößt sie Frank zwar vor den Kopf, aber sie erkennt, dass sie diese Zeit tatsächlich zum Nachdenken braucht. Auch mit ihrem Job bei einem stinklangweiligen Fachverlag ist sie unglücklich. Die literarischen Werke, die sie dort als Lektorin betreuen muss, widmen sich immer wieder der Esoterik oder der Bachblütentherapie, Risiken will man in dem Verlag nicht eingehen. Doch dann ist Maries Chefin im Urlaub, und Marie hat die einmalige Gelegenheit, einen Autor an Land zu ziehen, der den ultimativen Eheratgeber geschrieben hat. Der Verlagsleiter kocht vor Wut – allerdings nur so lange, bis der Ratgeber alle Bestsellerlisten stürmt und sich dort monatelang halten kann.

Während Marie darüber nachdenkt, ob Frank der richtige Mann fürs Leben ist, hilft sie ihrer Cousine, die schwanger ist, aber nicht weiß, von welchem Mann, bei der Geburtsvorbereitung. Glücklicherweise wünscht sich Maries bester Freund Erdal unbedingt ein Kind, obwohl er mit einem Mann zusammenlebt und schwul ist – das passt doch wunderbar zusammen. Und so begleiten Erdal und Marie ihre Cousine schon bald zum Geburtsvorbereitungskurs, wo Marie neidvoll feststellen muss, dass Erdal seine Gebärmutter besser fühlen kann als die meisten schwangeren Frauen im Kurs. Maries beste Freundin betrügt derweil ihren Mann mit einem bekannten Stadtpolitiker, womit sie vollkommen zufrieden ist. Als Marie sich dann auch noch in einen gutaussehenden Fernsehmoderator verliebt, ist das Chaos in ihrem Leben eigentlich perfekt, aber am Ende sorgt ihre tote Tante dafür, dass alles gut wird …

_Mittdreißigerin auf Abwegen_

„Schwerelos“ beginnt einmal ganz ungewöhnlich. Marie steht auf dem Friedhof und liest auf dem Grabstein am offenen Grab ihren eigenen Namen – allerdings falsch geschrieben, weil der Grabstein ein besonderes Schnäppchen war, das ihre Mutter gemacht hat. Nur leider ist der Stein so schmal, dass „Rosemarie Goldhausen“ nur mit zwei Trennstrichen draufpasst, von denen einer auch noch fehlt. Erst einige Seiten später klärt Ildikó von Kürthy auf, dass Marie ihre Tante begräbt und nicht etwa sich selbst. In vielen Rückblenden erfahren wir mehr über das Verhältnis von Marie und ihrer Tante und über die Freundschaft zwischen zwei so ungleichen Frauen. Doch obwohl die Tante tot ist, erinnert sich Marie immer wieder an ihre Ratschläge und fängt erstmals an, diese auch zu befolgen. Denn sie merkt, dass sie zwar fast 37 Jahre alt ist, aber doch ihr Leben nicht voll auskostet. Und das soll sich nun ändern.

Diese Rückblenden sind leider ein Problem des Buches, denn von Kürthy wechselt unvermittelt und ziemlich häufig die Zeitebenen, sodass man manchmal nur schwer folgen kann und deswegen auch nicht immer sortiert bekommt, welche Ereignisse in der Vergangenheit liegen und welche aktuell passieren. Hier habe ich zugegebenermaßen manchmal den Faden verloren.

Gut gefallen hat mir dagegen die Hauptfigur Marie, die wieder einmal herrlich unperfekt ist und mit sich und ihrem Leben hadert. Natürlich haben alle anderen Frauen eine bessere Figur und niemand sieht morgens so zerknittert aus wie sie selbst, und im Übrigen ist ihr Job sterbenslangweilig, genau wie ihre Beziehung auch. Je weiter wir Marie auf ihrem Weg begleiten, umso mehr eröffnet sich uns ein eher trostloses Bild ihres Lebens. Sie hat den sicheren Weg ohne Aufregungen und ohne Überraschungen gewählt, „schwerelos“ fühlt sie sich dabei niemals. Doch die Tante mit ihren guten Ratschlägen krempelt Maries Leben nun sogar postum um, denn der plötzliche Tod ihrer Tante bringt Marie erstmals so richtig ins Grübeln.

Diese Wandlung gefiel mir ausgesprochen gut, zumal sie absolut nachvollziehbar war, denn jede(r) kennt Beziehungen, die herrlich bequem sind, aber auch nicht mehr. Oftmals verharrt man in diesen Beziehungen, weil ja doch alles ganz gut läuft und man der Meinung ist, dass es besser ist als ein neuer Partner, der vielleicht total aufregend ist, diese Aufregung aber womöglich auch mit anderen Frauen ausleben will. Gemeinsam mit Marie suchen wir nach Abwechslung und nach dem Mann, der bei Marie wieder für Schmetterlinge im Bauch sorgt. Mit Marie hat Ildikó von Kürthy eine Frauenfigur gezeichnet, die nicht nur unperfekt ist und sich somit prima zur Identifikationsfigur eignet, sondern die auch bereit ist, ihr Leben auf den Kopf zu stellen, selbst wenn das mal unangenehm werden kann. Sie scheut sich nicht länger vor Risiken und macht sich aktiv daran, ihr Leben auf die Reihe zu bringen. Diese Eigenschaft gefiel mir wunderbar, da wir hier nicht die jammernde Frau Anfang 30 kennen lernen, die nichts anderes will als in ihrem eigenen Elend zu versinken.

Auch die anderen Charaktere sind herrlich sympathisch gezeichnet; selbst die tote Tante lernen wir gut kennen – einmal in den Rückblenden, aber auch in Maries Erinnerungen und in den vielen weisen Sprüchen, die ihre Tante Marie mit auf den Weg gegeben hat. In „Schwerelos“ gibt es auch ein nettes Wiedersehen mit dem schwulen Halbtürken Erdal, der bereits in „Höhenrausch“ seinen großen Auftritt hatte. Hier lebt er nun glücklich und zufrieden mit seinem Freund Karsten zusammen. Zwar plagen ihn nach wie vor die Asthmaanfälle, aber als Marie ihm tatsächlich ein „Baby besorgen“ kann, ist für Erdal alles perfekt, und er widmet sich gleich liebevoll seiner neuen Vaterrolle – oder ist es doch eher die Mutterrolle?

_Witz komm raus, du bist umzingelt_

Der Grund, warum ich immer wieder zu Ildikó von Kürthys Büchern greife, ist neben ihren herrlich menschlichen und komplizierten Frauenfiguren vor allem ihr Wortwitz und ihr Talent, Situationen zu überzeichnen und wunderbare Metaphern zu finden. Allerdings ist die Wortwitzdichte in dem vorliegenden Buch zugegebenermaßen nicht so groß wie in von Kürthys früheren Werken. Dennoch nimmt die Autorin insbesondere das Altern und auch überflüssige Pölsterchen aufs Korn.

Zwei Beispiele:

|“Ausgerechnet Veronica Ferres findet sich, wie ich der ‚Bunten‘ entnahm, sehr ansehnlich: ‚Ich liebe meine Falten, denn jede einzelne bedeutet gelebtes Leben.‘ Dasselbe könnte man natürlich auch über jeden verlorenen Zahn sagen, über Tränensäcke, Alterskurzsichtigkeit und über Schlupflider, die einem zunehmend die Sicht versperren.“|

|“Ich frage mich wirklich, wie diese Frauen das machen: Passen Minuten nach der Entbindung wieder in ihre 27er Miss-Sixty-Jeans und rennen leichtfüßig zwei Wochen später hinter ihrem Jogging-Kinderwagen an der Alster entlang. Für mich immer noch demütigend ist die Szene, wie Heidi Klum vier Wochen nach der Geburt ihres zweiten Kindes in Unterwäsche für Victoria’s Secret über den Laufsteg schwebte. Man sah ihr nichts an. Und ich? Ich habe noch nicht mal ein einziges Kind bekommen – was man mir leider auch nicht ansieht.“|

Immer wieder überspitzt Ildikó von Kürthy die beschriebenen weiblichen Problemzonen dermaßen komisch, dass ich mich beim Lesen köstlich amüsieren kann. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, die Schlupflider so zu vergrößern, dass sie die Sicht versperren. Auch der Gedanken an die frisch gebackene Mutter, die direkt nach dem Kreißsaal in ihre bauchfreie Minijeans steigt und nur 14 Tage später um die Alster joggt, ist so herrlich überzeichnet, dass die eigentlich belanglose Szene dadurch unheimlich an Witz gewinnt.

Auch einem Thema wie die Frau beim Sex, die in Gedanken den Einkaufszettel zusammenstellt oder darüber nachdenkt, dass sie den Anfang ihrer Lieblingsserie verpasst, das bereits tausendfach in einschlägigen Frauenzeitschriften abgehandelt wurde, gewinnt von Kürthy noch eine neue Seite ab:

|“Ich nutze die Zeit während des Beischlafs lieber sinnvoll. […] Als ich das letzte Mal mit Frank geschlafen habe, auch schon wieder ein paar Wochen her, habe ich mich zum Beispiel gefragt, warum Barbapapas keine Beine haben und wie sie sich eigentlich fortbewegen. Eine interessante Fragestellung, die meines Wissens noch nirgends hinreichend beantwortet wurde. Immerhin war ich so taktvoll, dieses Problem mit mir selbst auszumachen und mich ein wenig über mich selbst zu wundern – allerdings nur so lange, bis mich Frank kurz nach Abschluss des Aktes als solchem unvermittelt fragte: ‚Sag mal, lebt Inge Meysel eigentlich noch?'“|

Hier wälzt Marie ihrer Meinung nach echte Probleme, aber auch ihr Herzbube ist mit den Gedanken offensichtlich ganz woanders, wie sonst kann er kurz nach dem Akt schon an die verschrumpelte Grand Dame des deutschen Fernsehens denken?

_Kurzes Lesevergnügen_

Leider hat frau „Schwerelos“ nur allzu schnell durchgelesen; schon nach drei bis vier Stunden heißt es wieder Abschied nehmen von Marie und ihren Freunden und Problemen. Aber natürlich versöhnt das Ende die Leserin und lässt sie zufrieden zurück. Ausgeschmückt wird das schrecklich pinkfarbene Buch von einigen Zeichnungen aus der Feder Tomek Sadurskis, die stets zu den beschriebenen Szenen passen, aber alle Pink als Grundfarbe aufweisen. Meinen Geschmack haben die Zeichnungen jetzt nicht so sehr getroffen, dennoch lockern sie die Optik des Buches ganz nett auf.

„Schwerelos“ ist ein locker-flockiges Lesevergnügen, das von seinen fantastischen Charakteren und Ildikó von Kürthys erfrischendem Schreibstil lebt. Mit ihrem Wortwitz sorgt die Autorin immer wieder für kleine bis große Schmunzler, zumal frau sich immer wieder in den Beschreibungen wiederfindet. Einzig die verwirrenden Zeitsprünge störten den Lesefluss etwas, sodass es „Schwerelos“ unter dem Strich nicht aufnehmen kann mit von Kürthys hochbejubelten Werken „Mondscheintarif“ und „Freizeichen“. Nichtsdestotrotz hat Ildikó von Kürthy ihren Ruf als Meisterin des Frauenromans wieder einmal erfolgreich verteidigt!

_Mehr von Ildikó von Kürthy auf |Buchwurm.info|:_
[„Freizeichen“ 838
[„Höhenrauch“ 2672

http://www.rowohlt.de

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