Rönkä, Matti – Russische Freunde

_Die finnisch-russische Connection: Buddy Movie oder Actionkrimi? _

Viktor Kärppä ist cool und smart – und hat eine Spezialausbildung der Russischen Armee hinter sich. Nun lebt er friedlich in Helsinki. Bis das Haus, das er mit seiner Lebensgefährtin Marja eingerichtet hat, niederbrennt. Ursache: Brandstiftung. Kärppä hat sich in Russland offenbar jemanden Großes zum Feind gemacht. Er musst dorthin reisen und sich in die Höhle des Löwen begeben … (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Matti Rönkä, geboren 1959 in Nord-Karelien, ist Journalist. Er hat sowohl in den Printmedien als auch beim Radio gearbeitet und ist heute Chefredakteur und Nachrichtensprecher beim finnischen Fernsehen. Jeder Finne kennt ihn als „Mister Tagesschau“ – und als Autor sehr erfolgreicher Krimis. Rönkä lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Helsinki. Er wurde mit dem Finnischen, dem Nordischen und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. (Verlagsinfo)

Bereits erschienen:

1) Zeit des Verrats
2) Entfernte Verwandte
3) Bruderland
4) Der Grenzgänger

_Handlung_

Der Mann, der sich jetzt Viktor Kärppä nennt und in einem Vorort von Helsinki mit seiner Lebensgefährtin Marja lebt, frönte nicht immer einer so friedlichen Existenz als Hersteller von Fertigbauhäuschen. Er war mal in einer Spezialeinheit der russischen Armee, hat auch noch Verbindungen zur dortigen Halb- und Unterwelt. Russische Freunde, denkt Vitja, kann man immer brauchen.

Ganz besonders dann etwa, als zwei geschniegelte Typen in Geschäftsanzügen bei ihm auftauchen und verlangen, dass er alle seine Firmen – und es sind schon eine ganze Reihe – auf sie überschreibt. Wenn er wisse, was gesund für ihn ist. Viktor denkt gar nicht daran und hält die beiden Typen hin, die bald von handfesten Typen in Anoraks gefolgt werden. Er überschreibt seine Firmen in ein zugriffssicheres Dickicht von Holdings und Briefkastenfirmen, während er sich in St. Petersburg erkundigt, wer eigentlich dahintersteckt.

Als die Russen sein schönes neues Haus abfackeln, befindet sich zum Glück Marja nicht darin. Aber jetzt ist klar, dass sein Bruder Aleksej Marja bei ihrer russischen Familie verstecken und Viktor schleunigst abhauen muss. Bevor sie ihn in seiner Lagerhalle aufspüren, wo er seine falschen Pässe und Kreditkarten hervorholt, stößt er auf Teppo Korhonen, den finnischen Polizisten, der unbedingt Lorbeeren mit der Lösung eines „großen Falls“ ernten möchte. Der alte Cop hat neue Ehren offenbar dringend nötig. Und so tut sich Viktor notgedrungen mit ihm zusammen. Denn Korhonen hat wenigstens einen fahrbaren Untersatz.

Allerdings sind ihnen die russischen Verfolger auf den Fersen. Während sich das ungleiche Duo seinen Weg freikämpft, versucht Kärppä herauszufinden, wer ihm ans Leder will. Und die Hinweise sind nicht gerade vielversprechend. Er wird sogar bereits entlang der finnisch-russischen Grenze von den Leningrader Mafiabossen und ihren Helfern erwartet, heißt es.

Aber ein Ass hat Viktor noch im Ärmel, denn er war nicht umsonst in der Roten Armee Hauptmann. Im hintersten Nordfinnland macht er zusammen mit Korhonen über die Grenze und begibt sich mit Hilfe seiner ehemaligen Armeegenossen in die Höhle des Löwen. Das ist bestimmt das Letzte, was der unbekannte Feind von ihm erwarten würde, oder?

_Mein Eindruck_

Falsch gedacht, denn der „Feind“ sitzt ganz woanders, wie ja schon der Buchtitel andeutet. Genug verraten! Die Figur des Viktor Kärppä alias Kornojewitsch macht die Krimireihe, die Matti Rönkä kontinuierlich ausbaut, so einzigartig und unverwechselbar. Er ist ein Grenzgänger, der es aus der ehemaligen Sowjetunion in den reichen Westen geschafft hat.

Denkt er. Leider findet das nicht jeder gut, den er hinter gelassen zu haben meint. Es gibt „russische Freunde“ jenseits der finnischen Grenze, die ihm mal so, mal so gegenüberstehen. Viele sind in der Halbwelt, in die Militärangehörige und Geheimdienstler gerutscht sind. Manche sind immer noch beim Militär und retten Viktor den Hintern. Sogar alte Geheimdienstcodes des FSB kann er noch (wenigstens einmal) verwenden. Dieser Hintergrund zusammen mit seiner Spezialausbildung zu einem eiskalten Killer machen Viktor zu einem Protagonisten, von dem sich der Actionfreund einiges erwarten darf.

Dummerweise will Viktor ein friedlicher Zivilist sein, dem nichts so zuwider ist wie aufzufallen. Ganz besonders in Finnland, seiner neuen Heimat, wäre es äußerst lästig, wenn die Behörden auf ihn aufmerksam würden, denn er denkt gar nicht daran, irgendwelche Steuern zu bezahlen. Auch Marja, seiner Angebeteten, ist ein Besuch vonseiten der Cops – oder gar von Gangstern – nicht zuzumuten, findet er.

Leider hat er aber dann doch eine polizistische Klette am Hintern, und das ist kein anderer als der unverwechselbare Teppo Korhonen. Teppo scheint der übliche trinkfreudige Saunagänger zu sein, als den man sich mancherorts einen typischen finnischen Mann vorstellt. Doch unter seiner sangesfreudigen Art verbirgt Teppo großen Schmerz, ein humanes Gemüt und sogar einen Cop, der, wenn’s darauf ankommt, auch mal die Knarre zum Einsatz bringt. So rettet er etwa Viktors Hintern, als der in der Klemme steckt. Teppo ist dafür sogar barfuß durch Brennnesseln getapst – wie er nicht aufhört, Viktor jammervoll in Rechnung zu stellen.

Dieses dynamische Duo verkörpert das neue Finnland, das voller Fremder ist. Viele Exilrussen stoßen auf alteingesessene Finnen, die ihnen erst einmal misstrauisch gegenüberstehen. Diese Russen bringen natürlich ihre Eigenheiten mit, so etwa die Steuerhinterziehung, die Schwarzarbeit und vieles mehr. Andererseits bieten sie Cops wie Korhonen einen Zugang zum Riesenreich der Russen, von dem ja ein kleiner Teil, nämlich Karelien, einmal finnisches Staatsgebiet war.

Vielfach wird im Buch an die Winterkriege 1941 bis 1944 hingewiesen, als Sowjets und Finnen (und zeitweilig auch die deutsche Wehrmacht) dieses Gebiet umkämpften (es gibt dazu auch den Spielfilm „Beyond the Frontline“ von 2004). Die finnischen Soldaten, die sich damals für Karelien und die finnische Freiheit „opferten“, sind in den finnischen Legenden längst zu Märtyrern und Helden verklärt worden, ganz besonders der Nationalheld General Mannerheim.

Über den Umweg Viktor Kärppä gelingt es dem Autor, diese finnische Eigenart zu relativieren und einer ganz leisen Kritik zu unterziehen: Übertreiben es die Finnen nicht ein bisschen mit ihrer Heldenverehrung? Der Autor, selbst ein bekannter TV-Journalist, hält seinen Landsleuten den Spiegel vor.

Doch er vergisst nicht, dass er den Leser auch unterhalten muss. Nach einem Mittelteil mit vielen verschlungenen Wendungen und tröpfchenweise errungenen Informationen, der einem humorvoll-ironischen Budday Movie sehr ähnelt, findet der Roman doch noch zu einem mit Action und Spannung geladenen Finale. Hier trifft Viktor endlich auf seinen eigentlichen Gegner. Er denkt, er hat alle Trümpfe in der Hand, doch er lässt sich ablenken. Unversehens hat der Gegner die besseren Karten. Korhonen zum Einsatz!

_Die Übersetzung _

Die Übersetzerin hat nicht nur die wechselnden Ebenen des sprachlichen deutschen Stils gut getroffen, sondern auch unzählige kulturelle Details Finnlands und Russland sicher übertragen. Inwieweit sie dabei eigene Formulierungen hat einfügen müssen, bleibt unklar. Jedenfalls hat sie dazu keine Fußnoten bemüht, die manchen Lesern ja so lästig fallen.

Weil es keine Fußnoten gibt, muss man sich aber auch mit der Tatsache abfinden, dass manche der russischen Ausdrücke, die Viktor benutzt, einfach so stehen bleiben. Es sind allerdings nie ganze Sätze, so dass man die Wörter leicht online nachschlagen kann.

_Unterm Strich_

Der Krimianteil eines solchen Spannungsroman wird vom Autor zwar nie vernachlässigt, aber auch nicht allzu sehr hervorgehoben, vor allem nicht im Mittelteil. Dort merken wir dann, dass es dem Autor um den Kultur-Clash geht, wenn ehemalige Russen wie Viktor Kärppa und alteingesessene Finnen wie Teppo Korhonen aufeinandertreffen. Dann bekommt jede Kultur mitsamt ihren Helden ihr Fett weg. Der Leser, der schon einiges über die Finnen weiß, etwa durch Arto Paasilinnas humorvolle Romane, ist dabei zweifellos im Vorteil. Denn es gibt im Buch weder ein Glossar noch Fußnoten.

Ich fand diese Konstellation jedenfalls recht erfrischend. Kärppä ist einerseits nicht der eiskalte russische Killer, sondern ein Möchtegern-Zivilist, der sich widerwillig russischer Eigenheiten bedienen muss. Sein Buddy wider Willen, der finnische Polizist Teppo Korhonen, andererseits verdeckt seine Fachkompetenz gekonnt hinter dem Klischee des sanges- und trinkfreudigen Saunagängers.

Von dieser Fassade sollte man sich nicht täuschen lassen. Wie in einem Road Movie müssen sich die beiden Männer, der russische Beinahegangster und der finnische Kommissar, miteinander anfreunden. Da kann es schon mal passieren, dass Teppo friedlich einkaufen geht, während Viktor kurz mal die Verfolger zu Kleinholz zerlegt – mit einer Botschaft an deren Auftraggeber, versteht sich.

Diese Doppelbödigkeit macht den eigentlichen Reiz des Romans aus. Das Finale jenseits der Grenze liefert dann das Sahnehäubchen auf der Spannungsseite. Ganz nebenbei lernen wir genau diese Grenzgegend genau kennen, und hier scheinen sich noch eine Menge zwielichtige Gestalten herumzutreiben. Wer will, könnte also locker mal rübermachen, entweder nach Russland oder in den glorreichen Westen. Viktors Wohlergehen jedoch hat bei alten Freunden Neid und Minderwertigkeitsgefühle geweckt. Ob die ihn einfach so ungeschoren reich werden lassen? Zweifel sind angebracht.

|Originaltitel: Ystävat kaukana, 2005
189 Seiten
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara
ISBN-13: 978-3404160273|
http://www.bastei-luebbe.de

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