Charles Benoit – Du bist dran! Jugendkrimi

Falscher Fuffziger: Schulschelte, als Jugendkrimi getarnt

Der 15-jährige Kyle Chase, ein Durchschnittstyp, ist irgendwie auf die schiefe Bahn geraten. Schließlich steht er über einem Körper mit Blut an seinen Händen. Doch wie hat es nur dazu kommen können? Liegt es daran, dass er sein Vertrauen dem neuen Mitschüler Zack geschenkt hat und der ihn betrog? Oder hat alles schon viel früher angefangen …? (Verlagsinfo9

Der Verlag empfiehlt das Buch ab 13 – 16 Jahren

Der Autor

Charles Benoit ist ein ehemaliger Highschool-Lehrer, er kennt sich also mit dem Gegenstand seiner Erzählung aus. Heute arbeitet er als Werbetexter und Producer in einer Agentur, als Radiomoderator einer Jazz-Sendung, als Lehrer für kreatives Schreiben – und als Schriftsteller. „DU bist dran!“ ist sein erstes Jugendbuch, das auf ein enormes Echo stieß. Benoit lebt mit seiner Frau im Bundesstaat New York, USA.

Handlung

Kyle Chase, ein 15-jähriger Schüler an der Highschool, steht mit einer blutüberströmten Hand über einem Körper. Wie hat es nur dazu kommen können, fragt er sich. Er ist ein Durchschnittstyp, der nur vielleicht ein wenig zu viel Desinteresse an Lehrern und Schule und Lernstoff aufbringt. Dabei ist er keineswegs dumm. Seine Zensuren auf der vorhergehenden Schule waren gut. Und jetzt steht er als Mörder da.

Aber Intelligenz wird an dieser Schule ebenso wenig gefördert wie Neugier. Er hat sich den Hoodies angeschlossen, den Außenseitern, die sich in schwarze Kapuzen-Sweatshirts und schwarze Jeans kleiden. Einziger Lichtblick in seinem Leben ist die gleichaltrige Mitschülerin Ashley, die immerhin schon einen Job sucht – etwas, wofür Kyle einfach weder Interesse noch Energie aufbringen kann. Er hängt lieber mit seinen Hoodies ab.

Soweit so schlecht. Eines Tages taucht ein neuer Mitschüler auf. Zack ist nicht nur superintelligent, sondern auch noch frech gegen die Lehrer, die mit seinem geistigen Niveau nicht mithalten können. Zack weiß nicht nur, was im Schulcomputer über Kyle Chase steht, sondern auch, wann die nächste Brandübung stattfindet.

Er hilft Kyle gegen Jake, den Anführer der Schülermannschaft, bei. Jake behauptet, Kyle habe seine Brieftasche klauen wollen. Die Hackordnung verlangt, dass Kyle dem Älteren klein beigibt, doch er besteht darauf, dass er die Brieftasche nur gefunden habe. Zack filmt mit seinem Handy, wie Jake Kyle erneut fertigzumachen versucht. Nun hat er ein Druckmittel gegen Jake. Doch wieso tut Zack dies alles für Kyle?

An Warnungen mangelt es nicht. Nicole ist eine von Zack Verflossenen: „Er wird deinen Schwachpunkt finden und solange zudrücken, bis du brichst“, sagt sie ihm voraus. Nach diesem Schwachpunkt kann Zack lange suchen, denkt Kyle. „Das habe ich auch gedacht“, meint Nicole resigniert. Schon bald zeigt sich, worin Kyle wunder Punkt besteht: Es ist seine Freundin Ashley Bianchi …

Mein Eindruck

Krimikenner ahnen es bereits: Diese Geschichte wird nicht gut ausgehen und den längst vorhersehbaren Verlauf nehmen. Daher darf man sich durchaus fragen, was eigentlich der Pfiff bei dieser Allerweltsgeschichte sein soll. Das habe ich mich auch lange gefragt. Ich bin zum Schluss gekommen, dass das Bild des Blutes vom Anfang nur der ködernde Vorwand für eine lahmarschige Kritik an der heutigen amerikanischen Schülergeneration sein soll. Und darum geht es über 99% des Textes.

Da in diesem Hauptteil des Textes der junge Kyle im Mittelpunkt, darf man erwarten, alles über ihn zu erfahren. Masturbiert er? Iwo, nicht daran zu denken! (Zumindest nicht in einem amerikanischen Roman.) Ist er Weltmeister in „World of Warcraft“, das er vorwärts und rückwärts spielt? Vom Autor erfahren wir das ebenfalls nicht. Dafür scheint sich der Autor, alldieweil selbst einmal Lehrer, bestens mit allen Schulbelangen auszukennen, vom seltsamen System der Benotung der Schülerleistungen bis zu den kleinsten Inhalten der Tausende von Schülerspinden. Und die mehrfach inszenierte Rivalität zwischen Sportlern wie Jake und den Nerds ist so alt wie das System – gähn.

Nach einer Weile beschleicht einen der Verdacht, dass auch Kyle als Vorwand dienen soll: nämlich für eine geharnischte Kritik an dieser Art von Highschool. Merke: Nicht die Eltern sind an Kyles Verbrechen schuld, sondern das Schulsystem, das die Aggressionen in ihm weckt. Sogar die Schulpsychologin ist eine Dumpfbacke. Und wer wie Zack aufmuckt, kriegt eins reingewürgt. Ist ja klar, dass in einem System, das runde Hölzer für runde Löcher produziert, eckige Hölzer wie Zack (aktiver Widerstand) oder Kyle (passiver Widerstand) früher oder später aussortiert.

Besonderer Erzählstil

Zum erhobenen Zeigefinger des Autors passt wie die Faust aufs Auge der besondere Erzählstil: Hier spricht kein Ich-Erzähler von sich selbst, dessen Blickwinkel wir einnehmen, oder ein allwissender Er-Erzähler über das Innenleben einer Hauptfigur. Nein, Sir, hier wird das kumpelhafte Du eingesetzt, bis es dem Leser zu den Ohren rauskommt. (Das „Du“ steht im Einklang mit dem O-Titel „You“.)

Das Du als Anrede der Hauptfigur ist ein Mittelding zwischen Ich- und Er-Erzähler. Die Nähe zur Hauptfigur ist zwar angenehm, aber es gibt eine deutliche Distanz, denn der anonyme Sprecher hat die Freiheit, unbequeme Fragen zu stellen, die sich die Hauptfigur nicht im Traum einfallen ließe.

Der Knackpunkt für jeden Leser stellt sich bei der Frage: Ist dieser Du-Sprecher ein Kumpel oder ein Mahner der Hauptfigur? Ein Schüler könnte sich im ersten Fall mit der Hauptfigur Kyle identifizieren und dessen Hochs und Tiefs nachfühlen. Doch ich sah mich (natürlich) nicht als Schicksalsgenosse Kyles und daher den Erzähler als einen Mahner, der mehr mit den Lehrern gemein hat als mit Kyle. Deshalb hat mich dieser Erzählstil immer wieder genervt.

Die Übersetzung

Mareike Webers Übersetzung muss den Spagat zwischen Schülerjargon und der Systemsprache der Schule vollführen. Das schafft sie mit Bravour. Beides klingt im Deutschen sowohl natürlich als auch korrekt. So sagt man hierzulande „Aula“ statt „Versammlungshalle“, hat Vertrauenslehrer und so weiter.

Unterm Strich

Unter dem Vorwand, ein halbwegs spanenndes Schülerschicksal zu erzählen, bringt der Autor eine ganze Latte von Kritikpunkten gegen das US-amerikanische Schulsystem vor: Es töte jede Art von Neugier, jedes Interesse, jede Art von anderer Denkweise, und wer auch nur im Ruch steht, anders zu sein („Schwuchtel“!), der wird ausgegrenzt, als hätte er die Krätze. Wow, wer hätte das gedacht! Gähn. Kein Wort über alternative Modelle wie Waldorf-, Merz- oder Montessori-Schule.

Die interessanteste Figur ist deshalb zweifellos Zack: Wie er selbst erklärt, will er der Regisseur seines Lebens sein. Deshalb benutzt und manipuliert all die armseligen anderen Schüler, die bloß systemkonform leben wollen. Er findet stets ihren wunden Punkt und nutzt ihn gnadenlos aus, um das Opfer fertigzumachen. Bei Kyle gerät er allerdings unerwartet an den Falschen. Dumm nur, dass wir über Zack noch weniger erfahren als über Kyle. Dieser Roman ist meilenweit entfernt von Meisterwerken wie „Der Fänger im Roggen“.

Die deutsche Übersetzung ist sehr gut gelungen (s. o.), doch das Buch ist für seinen geringen Umfang viel zu teuer – typisch Bertelsmann alias Randomhouse / cbt. Man sollte aufs Taschenbuch warten. Wenn überhaupt.

Gebunden: 215 Seiten
Originaltitel: You (2010)
Aus dem US-Englischen von Mareike Weber
ISBN-13: 978-3570161234

https://www.penguin.de/Verlag/cbj-Jugendbuecher/16000.rhd

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