Ellis, Bret Easton – Unter Null

„Less Than Zero“ ist Bret Easton Ellis‘ makaberer Abgesang auf eine von ihren resignierten, desillusionierten und verantwortungslosen Eltern im Stich gelassene, zutiefst verunsicherte Generation, welcher (außer den materiellen) keinerlei Werte vermittelt wurden, und deren Angehörige ihre von Auflösung bedrohte Psyche vor allem durch das Überfrieren der eigenen Gefühlswelt zu stabilisieren suchen.

Ellis [(„American Psycho“) 764 beschreibt hier Menschen, die ihren blassen Charakter hinter Sonnenstudiobräune verbergen, die an dem Versuch scheitern, sich durch |lifestyle| eine Persönlichkeit zu erschaffen, die ihren Porsche nicht für irgendeine Abtreibung in Zahlung geben wollen, die bedeutungslosen Sex haben, weil ihnen die einzig denkbare Gemeinsamkeit der Konsum von Drogen ist, die einander nichts weiter bedeuten als Statisten in einer Szene, die nur deshalb nicht als inzestuös zu bezeichnen ist, weil es in diesen Kreisen überhaupt keine Familiarität mehr gibt.

Gesichtslos, geschichtslos, austauschbar, drogenvernebelt und im jeweiligen Augenblick gefangen, irren sie umher, von Party zu Party, von Rausch zu Rausch, von Film zu Film, gesichtslos, geschichtslos, gefangen, und noch einmal von vorn. Der Erzähler, Clay, ist selbst ein Paradebeispiel dieser Szene: orientierungslos und willenlos dahindriftend, angeödet, zugedröhnt, beziehungsunfähig, rastlos, vor sich selbst und seinesgleichen in eine übersteigerte Konsumwelt flüchtend; so tauchen einzelne Erinnerungen aus seiner Kindheit und Jugend – als aus dem Kontext der eigentlichen Erzählung losgelöste Flashbacks – nur sporadisch auf, blubbern durch die sonst so glatte Oberfläche nach oben, um sogleich wieder im allgemeinen Nebel zu versinken, noch bevor Clay einen klaren Gedanken fassen kann; da schimmert nur kurzfristig so etwas wie eine diffuse Sehnsucht auf, die ihm jedoch nie so richtig bewusst wird, denn vorher schon steht das nächste zerstreuende Event an.

Gar nicht mal nüchtern, wohl aber völlig gleichgültig ist der Stil, in welchem Clay sich und seine Umgebung wahrnimmt und unkommentiert an den Leser weiterreicht, so wie überhaupt von den Figuren dieser Erzählung fast alles nur durchgereicht wird: Autos, Drogen, Geld, Kleidung, Musik, und Mitmenschen; mitgenommen, ausgelutscht, weggeworfen.

„Less Than Zero“, so der Originaltitel, zeichnet ein deprimierendes Bild von L.A. und seinen Einwohnern, auch wohl ein überzeichnetes Bild; und doch entbehrt diese Erzählung nicht einer gewissen Authentizität und Ernsthaftigkeit. So vollzieht Ellis mit nahezu schlafwandlerischer Sicherheit eine literarische Gratwanderung: Einem ausgewogenen Arrangement sowie der flüssigen Verknüpfung einzelner Episoden ist es zu verdanken, dass die kaum vorhandene Story in der Balance bleibt (ohne etwa in beliebige Schwatzhaftigkeit abzugleiten), während die von Entfremdung wie von Distanz geprägte, gänzlich unprätentiöse, obgleich geschliffene Sprache sie gegenüber der Darstellung eines dekadenten und pervertierten Lebensstils in den Hintergrund treten lässt. So erhebt sich die Erzählung über die in ihr vorgeführte Oberflächlichkeit.

Ein amerikanischer Albtraum.

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