Hale, Georgie – Gift der Rose, Das

_Weibliche Opfer: jung, rot, tot_

Blackport ist eine englische Kleinstadt mit einer Universität, wo sich zum Wintersemester auch Flora Flora Castledine, Tochter eines bekannten Schriftstellers, einschreibt. Sie freundet sich mit dem undurchsichtigen Kieran Willeran an, der den Romeo zu ihrer Julia im bekannten Shakespeare-Stück spielen soll. Doch aufgrund einer Mordserie ergibt sich, dass ein Dozent Kieran beschuldigt, der Urheber all der Morde an jungen Frauen zu seien, die Blackport seit Wochen erschüttern. Die Opfer hatten alle ein gemeinsames Merkmal: leuchtend rote Haare, genau wie Flora …

_Die Autorin_

Georgie Hale studierte an der Universität von Liverpool. Sie lebte lange Zeit in Coventry und unterrichtete dann an der Universität von Warwick. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Das vorliegende Buch ist ihr erster Roman.

_Handlung_

Flora Castledine ist in einer behüteten Umgebung in Cornwall aufgewachsen: bei ihrem Vater, einem Witwer, und in der Klosterschule. Nun kommt sie erstmals in Kontakt mit der freien Welt: Blackport, eine westenglische Universitäts- und Hafenstadt. Sie ist naiv, Jungfrau und voller Entdeckerlust. Die Uni weist ihr eine kleine Wohnung über einem indischen Restaurant zu, die sie mit der quirligen, aber schon erfahreneren Meg teilen muss. Beide haben leuchtend rote Haare. Der stotternde, schüchterne Hausverwalter Norman verliebt sich auf der Stelle in Flora und verspricht, auf sie aufzupassen. Niemand hätte gedacht, dass er seine Aufgabe derartig ernst nimmt, aber schließlich hat es erst kürzlich zwei Morde an jungen rothaarigen Frauen in Blackport gegeben.

Chief Inspector Shenfield, ein vor der Pensionierung stehender Bulle alter Schule, hat sich auf einen gewissen O’Driscoll als Urheber der Mordserie eingeschossen. Er hatte ihn schon, vernahm ihn brutal, wurde deshalb geschasst und musste ihn aus Mangel an Beweisen laufen lassen. Seitdem trägt er einen Groll mit sich herum, und als die Mordserie erneut losgeht, schläft er kaum noch. Sein Freund und Kollege Whitelaw ist besorgt.

Diesmal werden sie zu einem weiteren Tatort gerufen. Tanya Stewart hieß das Mädchen, doch der Fundort ist etwas Besonderes. Es ist die Wohnung von Shenfields Sohn Christopher Heatherington, einem Englisch-Dozenten an der Uni, den Shenfields ablehnt und sogar hasst. Wie auch immer: Sollte die Presse Wind davon kriegen, dass Vater und Sohn in den gleichen Fall verwickelt sind, wird Shenfield dieser Fall garantiert wegen Befangenheit weggenommen. Und da sie einen neuen Mitarbeiter direkt von der Polizeiakademie zugewiesen bekommen haben, wird das wohl nicht mehr lange dauern, setzt Medlock doch mehr auf neue Methoden als auf alte Seilschaften …

Flora ist bis über beide Ohren verliebt. Kieran Willeran ist der Romeo zu ihrer Julia in Shakespeares romantischem Stück, das beide in der Theater-AG der Uni üben. Doch Kieran tut sehr geheimnisvoll, erzählt praktisch nichts von sich und seiner Familie und deshalb fühlt sich Flora zurückgewiesen. Obwohl sie miteinander schlafen, scheint sich Kieran kein gemeinsames Leben mit Flora vorstellen zu können. Doch dann wagt Flora einen kühnen Schritt: Sie lädt Kieran zu ihrem Vater ein, der auf den abgelegenen Scilly-Inseln vor der Küste Cornwalls lebt.

Christopher Heatherington ist ein ehemaliger Schüler ihres Vaters. Er wurde von diesem gebeten, in loco parentis, also an Elternstelle über Floras Wohlergehen zu wachen. Klar, dass er Kierans Eindringen in Floras Privatleben misstrauisch beäugt, doch da ist er nicht der Einzige. Norman tut das Gleiche.

Als eines Morgens eine rothaarige junge Frau im Garten vor Floras Haus tot aufgefunden wird, überschlagen sich die Ereignisse, denn jeder der Beteiligten zieht die falschen Schlüsse. Und von Kieran Willeran findet sich keine Spur. Eine Tragödie nimmt ihren unausweichlichen Lauf.

_Mein Eindruck_

Ich habe diesen fein gestrickten Psychothriller in kurzer Zeit gelesen. Nicht bloß, weil die Schrift so groß gedruckt ist, dass die Seiten nur so vorüberrauschen, sondern auch weil die Spannung kaum jemals nachlässt. Denn die Autorin hat einen Thriller mit doppeltem Boden geschrieben. Aus der vordergründigen Kriminalerzählung über die Aktivitäten von Inspektor Shenfield und seinen Mannen entwickelt sich unversehens ein menschliches Drama, und aus der Liebesromanze Flora wird ein Spiel auf Leben und Tod.

|Infomangel|

Der Trick, mit dem der Autorin dies gelingt, besteht vor allem an einem ganz normalen Mangel an Informationen, die die Beteiligten wie auch der Leser erhalten. „Normal“ deshalb, weil die Informationen nicht das Maß übersteigen, über das ein realistisch geschilderter Polizist oder Bürger verfügt. Der alternde Shenfield ist kein Supermann mehr, und Medlock, obwohl Computercrack, ist ein Charakterschwein. Die Figuren, die Flora umgeben, werden unzureichend geschildert, wozu Kieran mit seiner Geheimniskrämerei nicht wenig beiträgt.

|Drei Kandidaten|

Ständig fragt sich der Leser, wer wohl der Schreiber jener eingestreuten poetischen Zeilen ist, der Flora seine Verehrung erklärt – solange sie sich nicht zur Metze ihres Lovers machen lässt. Dann nämlich beginnen die „Stimmen“ in seinem Kopf sich zu beklagen und ihn aufzufordern, etwas gegen diese Schande zu unternehmen. Doch wer kann solche Zeilen verfassen? Ist es der Englischdozent Christopher Heatherington, der schon von Berufs wegen Yeats & Co. auswendig kennt und selbst Gedichte veröffentlicht hat? Ist es Kieran, sein bester Schüler, der Flora mit Yeats‘ Poesie beglückt? (Der Originaltitel ist ein Yeats-Zitat.) Oder ist es der literaturbeflissene Wachmann und Verwalter Norman, der über Flora in ihrer nächsten Nähe wacht? Das Rätselraten hält bis fast zu Schluss an.

|Falsche Fährten|

Als Kieran untertaucht, setzt sich natürlich jeder Cop auf seine Fersen. Doch der Leser ahnt, dass diese Lösung viel zu leicht wäre. Und romantische Genmüter werden sich wünschen, dass Flora / Julia schließlich doch noch ihren Kieran / Romeo bekommt. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Wenn es aber nicht Kieran war, wer dann? Der mitdenkende Leser wird schon in jener komplexen Szene auf den richtigen Täter kommen, in der die rothaarige Frau vor Floras Haus gefunden wird. Ist die Tote Flora oder ihre ähnlich gekleidete Mitbewohnerin Megan? Die Autorin hat – nicht gerade geschickt – dafür gesorgt, dass sich Meg Klamotten gekauft hat, die sie wie Flora aussehen lassen. Zusammen mit dem gleichen roten Haar sehen sie sich zum Verwechseln ähnlich. Doch welche von beiden wollte der Mörder töten? Oder hat er sich geirrt?

|Showdown|

Auf den stürmischen Scilly-Inseln finden alle Rätsel ihre Antwort. Dass die Autorin diese schöne, vom warmen Golfstrom verwöhnte Meereslandschaft wie ihre Westentasche kennt, ist offensichtlich, denn jede Zeile darüber verrät ihre Liebe zu diesem rauen Land und seinen knorrigen, kantigen Bewohnern. Der Computerfreak Medlock ist hier so fehl am Platz wie ein Fisch auf dem Trockenen, und so ist er es, der zu den falschen Maßnahmen greift. Whitelaw fällt ihm gegen alle Dienstvorschrift in den Arm, denn nun müssen Dinge getan werden, die man nicht an der Polizeiakademie lernt.

|Familiengeschichten|

Der Vergleich mit den Thrillern von Nicci French liegt nahe, aber das Autorengespann French verlässt sich doch mehr auf den Kontakt mit der harten, widerwärtigen Realität. Georgie Hale hat in ihren Thriller eine Romanze hineingewoben und sie der gesellschaftlichen Realität ausgesetzt. Ihr Romeo ist ein gebrochenes Kind, das, wie er zögernd erzählt, schon früh von seinem Stiefvater missbraucht wurde und in der Folge zu einem Kleinkriminellen wurde. Das Kieran überhaupt an die Uni gelassen wurde, verdankt er nur Heatheringtons Fürsprache. Als Flora in Gefahr gerät und Kieran unter Verdacht, findet sich Heatherington unversehens mitten in der Schusslinie. Kann er dem Druck von allen Seiten standhalten?

_Unterm Strich_

„Das Gift der Rose“ ist beste Krimiunterhaltung. Einigermaßen raffiniert erzählt, wird der Leser aber doch nicht so hart gefordert wie von Minette Walters oder Val McDermid. Die romantischen Elemente spielen eine tragende Rolle, und alles endet in einer Tragödie. Aber werden sich die Liebenden finden? Was in jedem Schnulzenrtoman die Kardinalfrage ist, wird auch hier nicht vernachlässigt. Für Leserinnen mit einer romantischen Ader, die sich spannend unterhalten lassen wollen, ist der Krimi optimal geeignet. Sie können das melodramatische Ende wohl auch besser goutieren als männliche Leser. Die dürften sich mehr Action wünschen, denn davon gibt es fast überhaupt nichts.

|Originaltitel: Tread softly, 2000
Aus dem US-Englischen von Ruth Keen|
http://www.heyne.de