Kampmann, Renate – Fremdkörper

Kay Scarpetta und Co. müssen sich warm anziehen, denn die deutsche Konkurrenz schläft nicht. Um ehrlich zu sein, ist sie hellwach.

Die engagierte Rechtsmedizinerin Leonie Simon wird gerufen, als man auf dem Dachboden eines Hamburger Hauses die Leiche einer jungen Frau findet, die dort schon sehr lange liegt. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um die vermisste Tochter der mächtigen Staatsanwältin Monika Gebhart-Böttcher handelt. Da ein unnatürlicher Tod nicht auszuschließen ist, tut Leonie ihr Bestes, um Anhaltspunkte dafür zu finden.

Monika Gebhart-Böttcher schiebt ihr und Kommissar Kaminski allerdings einen Riegel vor. Sie lässt das Verfahren einstellen, obwohl Leonie schlüssige Beweise vorlegen kann. Die sture Rechtsmedizinerin findet sich damit allerdings nicht ab und beginnt, in der Vergangenheit der Toten zu recherchieren.

Zur gleichen Zeit werden in verschiedenen deutschen Städten Menschen von einem Sniper erschossen, unter anderem auch in Hamburg. Wirklich interessant wird das für Leonie erst, als ihr Halbbruder Michael auftaucht. Sie hat ihn erst vor Kurzem kennen gelernt und war nicht wirklich erbaut darüber, dass er als Auftragskiller im Untergrund lebt. Er hat den Auftrag, den Sniper zu finden, und bietet Leonie einen Deal an. Die Informationen der Polizei gegen seine eigenen. Die gewissenhafte Leonie ist hin- und hergerissen, doch bevor sie sich versieht, steckt sie viel tiefer im Schlamassel, als ihr lieb ist …

Renate Kampmann schafft mit dem dritten Leonie-Simon-Roman einen sehr gelungenen Krimi, der sich durch eine spannende und vielschichtige Handlung auszeichnet. „Vielschichtig“ ist in diesem Falle ernst zu nehmen, denn es werden gleich zwei voneinander unabhängige Kriminalfälle behandelt. Kampmann schafft es, die beiden Fälle parallel verlaufen zu lassen, ohne dass sie sich verknoten oder dadurch die Spannung flöten geht. Souverän strickt die Autorin ihr Buch zu einem Ende ohne Aussetzer, dafür aber mit viel Spannung, viel Wissen und viel Volumen.

Besonders positiv ist, dass Kampmann nebenbei noch versucht, so authentisch wie möglich den Alltag am Institut für Rechtsmedizin zu beschreiben. Leonie lässt beispielsweise nicht alles stehen und liegen, um auf eigene Faust zu ermitteln, sondern muss weiterhin Leichen und lebende Opfer von Kriminalität untersuchen. Zu den Untersuchungsobjekten werden immer wieder kleine Geschichten erzählt, was das Buch noch fülliger werden lässt.

Das Einzige, was im Verlauf des Krimis immer wieder stört, sind die vielen Erklärungen zu wichtigen und unwichtigen Dingen. Während es bei den medizinischen Fachsimpeleien durchaus etwas mehr hätte sein können, klingen Leonies oft weit hergeholte, sozialkritische Bemerkungen eher wie aus dem Herzen der Autorin als aus dem Mund der Protagonistin.

Leonie selbst ist eine gut ausgearbeitete, sympathische Hauptfigur mit einigen unkonventionellen Zügen. Sie ist eine sehr engagierte Person, die ihre Nase gerne in fremde Angelegenheit steckt und deshalb ständig Ärger bekommt. Außerdem ist sie eine erfolgreiche Frau in ihrer Position mit Aufstiegschancen. Sie ist eine Karrierefrau, aber ihr Leben ist bei weitem nicht so perfekt, wie es scheint. Neben ihrem Halbbruder Michael, mit dessen Gesinnung sie ein Problem hat, hat sie auch noch eine Beziehung zu einem Kollegen, obwohl der verheiratet ist. Leonies Privatleben ist also nicht gerade rosig, und bei der Arbeit legt man ihr auch immer wieder Steine in den Weg. Dadurch entsteht eine sehr starke Frauenfigur, die durch ihre Tiefgründigkeit und Impulsivität gefällt.

Der Schreibstil weist wenige Besonderheiten auf. Er transportiert Handlung und Persönlichkeit Leonies schön in der dritten Person und verzichtet dabei auf überflüssige Satzschnipsel. Die handwerkliche Technik ist ähnlich klar wie der Handlungsverlauf und gefällt durch seine durchkomponierte Art und Weise und die Plastizität.

Die |Bild am Sonntag| wird auf dem Buchrücken mit dem Satz „Besser als Patricia Cornwells aktueller Roman“ zitiert, und auch wenn man Cornwells Buch nicht kennt, muss man anerkennend zugeben, dass es schwierig ist, „Fremdkörper“ Konkurrenz zu machen. Kampmann, die unter anderem auch als Drehbuchautorin arbeitet, weiß, wie man ein gut durchstrukturiertes, spannendes Buch mit einer sympathischen Protagonistin schreibt.

http://www.rowohlt.de

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