Kern, Claudia – Anno 1701: Kampf um Roderrenge

Nach den Adaptionen zahlreicher Ego-Shooter und Fantasy-Spiele folgt nun endlich auch der Strategie-Bereich in einer lebendigen Roman-Aufarbeitung. „Anno 1701“, neben den berüchtigten „Siedlern“ der wohl erfolgreichste Genre-Beitrag des endenden Jahres, lieferte Claudia Kern die Inspiration für einen überraschend spannenden Abenteuerroman, der sich sphärisch dicht an die PC-Welt anlehnt und dennoch als eigenständiger Plot abseits gewohnter Schemen funktioniert. „Anno 1701“ – scheinbar nicht nur am Bildschirm ein Hit!

_Story_

Der junge Arbor schlägt sich nach dem Tod seiner Eltern als Handlanger des Piraten Rodriguez mehr schlecht als recht durchs Leben. Derzeit hat er an Bord der |Windemeer| des wohlhabenden Gouverneurs Marten von Rallingen angeheuert, um dort zu intrigieren und die Besitztümer des Adligen in die Hände seiner Auftraggeber zu befördern. Da er jedoch nicht imstande ist, für seine Ziele zu töten, entgeht er Rodriguez und dessen Häschern und sticht mit von Rallingen in See.

Als die |Windemeer| Tage später einem heftigen Sturm ausgesetzt ist, fliehen ihr Besitzer und Jon als letzte Überlebende auf das Beiboot des Seglers, jedoch gelingt es nur dem jungen Matrosen, sich zu retten. Gemeinsam mit der Schatztruhe des Gouverneurs wird er von einem Händler entkräftet aufgefunden und nach Roderrenge, eine Kolonie von Rallingens, gebracht und dort tatsächlich für den verstorbenen Schiffseigner gehalten. Jon lässt sich alsbald auf das Spiel ein und schlüpft in die Scheinrolle des Gouverneurs, erlernt die Geschicke seiner Position und verändert das negative Gesamtbild, das die arme Bevölkerung Roderrenges von ihrem Regenten hat.

Doch just in dem Moment, in dem das Leben und der Handel auf Roderrenge florieren wie schon lange nicht mehr, sieht sich Jon einer neuen Bedrohung ausgesetzt; die Insel wird von Unbekannten angegriffen, die Ernte ruiniert und die Behausungen der meisten zerstört. Dies lässt der Inselherr aber nicht lange auf sich sitzen; auf der Suche nach den Urhebern lässt er sich auf einen unmoralischen Deal ein, enttarnt die unverhofften Betrüger in seinen Reihen und schwört, seine dahingeschiedenen Freunde zu rächen. Doch je weiter seine Reise führt, desto unschlüssiger ist sich der einstige Pirat, wer nun tatsächlich hinter den Anschlägen auf Roderrenge steckt …

_Persönliche Meinung_

Die Aufgabe, sich sowohl an den Vorgaben des Spiels als auch an den Erwartungen der kritischen Fans zu orientieren, war mitunter die schwierigste, die die Autorin zu meistern hatte. Einerseits galt es sicherlich, die Atmosphäre des Insel-Strategie-Klassikers aufrechtzuerhalten, andererseits war aber sicher auch eine gewisse Distanz vonnöten, damit die Story auch als eigenständig und zumindest im Rahmen des Möglichen als innovativ erachtet werden darf. Diesen Balanceakt hat Claudia Kern im Laufe der relativ knappen Story jedoch weitestgehend überzeugend gemeistert, wobei die stringente Linearität des Plots manchmal noch ein wenig mehr Detailfülle verlangt hätte. Gerade im zweiten Teil, als sich die Szenen geradezu überschlagen und die Geschichte mit vielen raschen Wendungen fortschreitet, fehlt es an Entfaltungsspielräumen, die gerade im Bezug auf Jons obskure Planungen etwas besser ausstaffiert hätten sein müssen. So nämlich steuert die Erzählung auf ein allzu flott überwundenes Finale zu, welches leider nicht gänzlich das Potenzial der eigentlichen Handlung auszuschöpfen vermag.

Dass Kern indes durchaus in der Lage ist, ein spannendes, umfassendes Abenteuer-Setting zu kreieren, beweist die Autorin besonders auf den ersten hundert Seiten, die einerseits nicht weniger wechselfreudig sind als die zweite Halbzeit, andererseits aber jeglichen Freiraum nutzen, um die Charaktere und ihre Motivationen etwas näher zu beleuchten. Außerdem ist der Plot zu diesem Zeitpunkt noch von einigen Mysterien umgeben, die sich vor allem um die Personen auf Roderrenge ranken, allesamt Leute, die nicht weniger zu verbergen haben als der falsche Gouverneur Jon Arbor. Speziell dieser Aspekt heizt die Spannung im Gesamtverlauf immer wieder deutlich an und ermöglicht eine Vielzahl überraschender Begebenheiten, die selbst die erprobte Spürnase nicht dringend durchschaut hätte. In diesem Sinne ist „Kampf um Roderrenge“ auch ein erstklassiger Roman!

Derweil zehrt die Story weiterhin von den zahlreichen Lügen und Intrigen, von Täuschungen und Scheinrealitäten, wobei schlussendlich wirklich niemand mehr um die wahre Identität des jeweils anderen weiß. Bedingt dadurch wird das Erzähltempo auf einem gewissen Höchstmaß festgehalten und erst auf den letzten, leider nicht ganz so befriedigenden Seiten rapide abgesenkt. Auch diesbezüglich gilt der Autorin ein deutliches Lob, da die Materie definitiv nicht jederzeit das Potenzial bietet, diesen Geschwindigkeitslevel fortwährend zu halten.

Der einzige Kritikpunkt dieses überraschend starken Buches bezieht sich auf die teils zu kompakte Schreibweise und den mangelnden Facettenreichtum. „Kampf um Roderrenge“ verdient etwas mehr Ausschmückung bzw. ein kleines bisschen mehr Liebe zum Detail in den jeweiligen Szenensprüngen. Ansonsten darf man dem Projekt eine durchaus gelungene, nicht nur für eingeschworene Fans empfehlenswerte, alles in allem überzeugende Umsetzung attestieren, die direkt nach einer Fortsetzung verlangt. Entsprechende Voraussetzungen liefert das PC- und Konsolenspiel jedenfalls ausreichend!

http://www.paninicomics.de/anno-1701-s10512.html

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