Robin Hobb – Der Adept des Assassinen (Die Legende vom Weitseher 1)

Startband: Die Legende vom Weitseher

Fitz ist KEIN gewöhnlicher kleiner Junge. Er ist der Bastard von Prinz Chivalric, dem Thronerben des Königshauses der Weitseher, und dieser Fehltritt war es, der denselben zumindest vordergründig zum Rücktritt bewegt hat. Wenig später stürzt der Prinz unglücklich vom Pferd…

Chivalric gab zuvor seinem treuesten Gefolgsmann, dem Stallmeister Burrich, die Aufgabe Fitz großzuziehen. Doch nicht nur dieser hat Interesse an Fitz: Er ist einfach ein Politikum. Um der Gefahr eines von Fürsten für ihre Zwecke als Thronerben aufgebauten Bastards zu entgehen, beschließt König Listenreich, ihn in seine Dienste zu nehmen. So wie er es schon mit seinem eigenen Bastard-Halbbruder tat… Chade.

Chade ist der Assassine des Königs. Er erledigt alle politischen Morde und notwendigen Grausamkeiten, die einem König viel größeren Ärger ersparen können – und Fitz soll sein Lehrling werden, um dem künftigen König, Chivalrics jüngeren Bruder Veritas, ebenso zu dienen wie er selbst Listenreich.

Da Chade’s Existenz ein Geheimnis ist, lebt Fitz tags sein übliches Leben, nachts unterrichtet ihn der alte Assassine im Mischen von Giften, in Spionage und den Schlichen seines Standes. Bald zeigt sich, dass Fitz nicht nur die Veranlagung der „Gabe“ besitzt – leichten telepathischen Fähigkeiten – die dem Geschlecht der Weitseher gegeben ist, sondern vermutlich von mütterlicher Seite viel stärker der „Alten Macht“ verbunden ist, der so genannten Tiermagie. Das erschreckt Burrich, der merkt, dass Fitz sich in Gedanken mit seinem Hund unterhält und sich mit ihm verbrüdert… denn so etwas führt zu großen Problemen. Der Mensch der dies tut, wird mehr oder minder selbst zu einem Tier-Mensch-Zwitter, der Verhalten und Denkweise seines Brudertiers übernimmt. So trennt Burrich Fitz und den Hund Nosy, und nimmt ihm das Versprechen ab, sich nie wieder mit einem Tier zu verbrüdern oder mit ihm anders als auf „normalem“ Weg zu kommunizieren. Denn Tiermagie wird mit dem Tode bestraft.

Bald darf Fitz sich beweisen: Die „Roten Korsaren“ verheeren die Küsten. Dabei sind sie mehr auf Verwüstung als auf Plünderung aus, und seltsam mutet anfangs ihre Praktik an, die Hälfte der Bevölkerung zu entführen und die Forderung „Lösegeld oder wir schicken sie zurück“ zu stellen. Doch bald erkennt man das Grauen: Die Rückkehrer sind „entfremdet“, sie haben keine familiären Bande mehr, sind bar jeder Menschlichkeit und triebgesteuert, unreinlich und aggressiv in einem unerträglichen Maß, schlimmer als tollwütige Tiere. Der Terror, der so erzeugt wird, ist enorm, es bleibt nichts anderes übrig als die eigenen Landsleute zu töten, denn heilen kann man sie nicht. Fitz übernimmt die Aufgabe, diskret vergiftete Nahrung für die Unglücklichen auszustreuen.

Am Hof leidet Fitz unter seinem Status als Bastard. Tragisch wird ihm auch immer öfter bewusst, dass er kein eigenes, selbständiges Leben führt: Im Dienste des Königs stehen seine eigenen Wünsche nicht zur Debatte, und sein Doppelleben als Meuchler macht ihm immer mehr zu schaffen. Sogar vor seiner Flamme Molly muss er seine Tätigkeit verbergen.

Die Lage wird immer bedrohlicher: Die Korsaren sind nicht aufzuhalten. Die Steuererhöhungen des Königs und der Unwille der Inlandsprovinzen, die Küstenregionen zu stützen, werden zum Problem. Prinz Edel, der Sohn von Listenreichs zweiter Gemahlin, die aus den inländischen Fürstentümern stammt, entwickelt sich zum Fürsprecher für diese Seite. Da Veritas mit seinem Vater mit Hilfe der Gabe hinausspürt und die Verteidigung gegen die Korsaren koordiniert, wird Edel auf Brautsuche für seinen Bruder geschickt. Ein starker Verbündeter muss per Heirat gewonnen werden.

So lässt der König schließlich alle auch nur leicht der Gabe Kundigen ausbilden, doch der Gabenmeister Galen ist ein Gefolgsmann Edels… er treibt Fitz die Gabe fast aus, die anderen Schüler konditioniert er heimlich auf Gehorsam gegenüber Prinz Edel.

Dieser ist auch zum Lieblingssohn seines langsam vergreisenden Vaters geworden und flüstert ihm schlechten Rat ins Ohr. Er hat mittlerweile eine gute Partie für Veritas gefunden: Prinzessin Kettricken, die Erbin des Bergreichs. Wenn Prinz Rurisk sterben würde – der Vater Kettrickens ist auch nicht mehr der Jüngste… – würde man sich eine weitere Provinz per Heirat einverleiben.

Fitz soll diesen Auftrag ausführen. Am Hof in Jhaampe angekommen, stellt er fest, dass Rurisk auch ohne Mord ein starker Verbündeter wäre, und dass Edel gegen seinen eigenen Vater intrigiert: Er warnt vor dem Meuchler Fitz, verrät dessen Aufgabe. Er dreht seine eigene Idee so, als wäre sein Bruder Veritas ein Schurke, er dagegen ein besserer Gemahl für Kettricken und wahrer Freund des Bergvolks. Er hofft so, Veritas wie damals Chivalric zum Rücktritt zu bewegen… und selbst Thronfolger zu werden. Seine „Kordiale“ Gabenkundiger und seine Häscher machen Fitz, der versucht diese Intrige zu zerschlagen, das Leben schwer…

Mein Eindruck

Für Gelegenheitsleser besonders schön ist, dass der „Adept“, obwohl er der erste Band einer Trilogie ist, ein durchaus abgeschlossenes Ende bietet. Seine Stärke ist der vorzügliche Sprachstil Robin Hobbs, der auch sehr gut übersetzt wurde. Manchmal wirken einige Ausdrücke und Wendungen recht altertümlich, über die Namensgebung Hobb’s mit „Telling Names“ wie Listenreich, Veritas, Chivalric, Edel kann man streiten, der Deutsch/Englisch/Latein-Mix hier ist etwas gewöhnungsbedürftig. So heißt mal ein Waffenmeister Blade (Klinge), aber eine Soldatin Fuchsrot. Insgesamt ist die Übersetzung aber stilistisch wirklich sehr gut gelungen und flüssig zu lesen.

Eine weitere Besonderheit ist die Perspektive: Wir erleben alles ausnahmslos aus der Sicht von Fitz. Es wird durchgehend in der ersten Person, Ich-Perspektive, geschrieben. Das erlaubt besonders eindrucksvolle Charakterisierungen, so sehen wir die Personen stets, wie sie auf Fitz wirken, wie er verzweifelt oder Hoffnung schöpft und haben an seinen Gedanken teil. Dieser Erzählstil, gekoppelt mit der sprachlichen Finesse, sind im Fantasygenre eine Seltenheit und ein deutlicher Pluspunkt der Trilogie.

Die Charaktere werden so besonders lebensnah und detailliert geschildert, mir gefielen besonders der mysteriöse Narr des Königs, Burrich und in weiteren Folgebänden auch die Prinzessinnen Kettricken und Philia. Neben Fitz natürlich und seinem späteren Brudertier, einem Wolf, soviel will ich schon einmal verraten.

Der Titel ist etwas irreführend – ein echter Assassine wird Fitz nie werden. Auch hält sich trotz einer potenziell gewalttätigen Handlung die Gewalt an sich in Grenzen. Grausam detaillierte Beschreibungen spart sich Hobb, deshalb lehne ich auch den auf der Rückseite des Buchs gezogenen Vergleich zu J.V. Jones ab: Diese pflegt einen wesentlich heftigeren und düstereren Stil, in dem Grausamkeit intensiv erlebt wird. Hobb dagegen ist damit sehr zurückhaltend, auch wenn Prinz Edel gerne zur Folter greift.

Was habe ich an dem Buch zu bemängeln?

Am ersten Band selbst gibt es wenig auszusetzen, außer, dass er sich viel zu sehr mit der Ausbildung von Fitz beschäftigt und der auf seine Sicht der Dinge festgelegte Stil zwar intensiv, aber eben auch zwangsläufig einseitig auf Fitz beschränkt ist. In den beiden Folgebänden, insbesondere dem zweiten, werden weitere interessante Aspekte angeschnitten: So wird mit Nachtauge, dem Bruder-Wolf von Fitz, eine interessante Figur eingeführt und auch die „alte Macht“ an Bedeutung gewinnen. Das Rätsel der Entfremdung und die Rettung des Königreichs, während Veritas auf der Suche nach den geheimnisvolle „Uralten“ ist, um wie der legendäre König Weise Hilfe von ihnen im Kampf gegen die Korsaren zu erbitten, wird jedoch erst im dritten Band gelöst, in dem die Handlung aus Bocksburg in die Berge und die Wildnis sowie zu Edels neuer Königsresidenz in Farrow verlegt wird.

Der zweite Band zieht sich mit 827 Seiten in die Länge, wesentlich mehr neue und interessante Aspekte (alte Macht, die „Uralten“) sowie das Finale der Trilogie bietet erst der dritte Band mit 1199 Seiten. Und dennoch ist das Ende in gewisser Weise unbefriedigend, da es sehr spannend eingeleitet wird, um dann sehr rasch zu enden, zumal einige Fragen in meinen Augen offen blieben und ich mir gewünscht hätte, mehr über die alte Macht und über die Korsaren und ihre Motivation zu erfahren. Leider kommt das zu kurz und ist der zweiten Trilogie um Fitz vorbehalten.

Erwähnenswert auch das Cover: Bei allen Bänden der Weitsehertrilogie passt das schöne Titelbild tatsächlich zum Inhalt… im Fantasygenre eine echte Seltenheit!

Unterm Strich

Die Weitseher-Trilogie glänzt mit ihrem guten Erzählstil und der interessanten Perspektive. Leider ist das Stärke und Schwäche zugleich: Wir erleben eben alles exklusiv aus Fitz‘ Sicht, was dazu führt, dass sich vor allem der zweite Band ziemlich in die Länge zieht. Richtig spannend ist nur der dritte Band, die Erzählweise ist hier in gewisser Weise der Klotz am Bein.

Die weit von Fantasy-Klischees entfernten Charaktere, insbesondere der differenziert beschriebene Meuchelmörder Chade, liefern uns eine spannende Geschichte in mittelalterlichem Ambiente. Auch wenn die Tiere durch die „alte Macht“ oft sehr vermenschlicht werden, schildert sie Hobb ihrem Wesen getreu und amüsant.

Fitz‘ Entwicklung vom kleinen Jungen zum unfreiwilligen Assassinen und späteren Widerstandskämpfer, der endlich seiner Pflichten gegenüber seinem Souverän entbunden werden und sein eigenes Leben führen möchte, kann begeistern. Dieses Buch sollte in keiner Fantasysammlung fehlen und macht auf seine Art sogar George R.R. Martin’s „Lied von Eis und Feuer“ Konkurrenz, die Aufteilung der Welt in drei Trilogien sorgt zudem für Übersicht und für abgeschlossene Handlungsstränge – keine Endlosserie zudem, sondern bereits abgeschlossen.

Die Autorin

Robin Hobb ist der Autorenname von Megan Lindholm. Geboren 1952 in Kalifornien, zog sie mit neun Jahren nach Alaska und studierte Kommunikationswissenschaft. Nach der Hochzeit mit ihrem Mann lebte sie mit ihrem Mann auf der Insel Kodiak, einer kleinen Insel an der Küste. Im selben Jahr veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte. Sie hat vier Kinder und lebt heute in Tacoma bei Seattle.

Wegen ihrer großen Erfolge mit den zwei Weitseher-Zyklen und der Lifeship-Trader-Trilogie ist die Autorin in Deutschland eher unter dem Autorennamen „Robin Hobb“ bekannt, obwohl sie auch jede Menge Bücher als „Megan Lindholm“ veröffentlicht hat, darunter die Windsänger-Trilogie (alle Bände bei Goldmann). Neben ihren bekannten Fantasy-Zyklen um den Weitseher und die Zauberschiffe schreibt sie auch SF und Fantasy, die in der modernen Welt spielt. Für eine ihrer Kurzgeschichten wurde sie für den Nebula Award nominiert.

DIE LEGENDE VOM WEITSEHER:

Der Adept des Assassinen (ISBN 3-404-20350-X)
Des Königs Meuchelmörder (ISBN 3-404-20360-7)
Die Magie des Assassinen (ISBN 3-404-20375-5)

Hinweis: Lübbe hat die alle Weitseher-Romane und ihre Fortführungen an Randomhouse verkauft, wo sie in sehr schöner Aufmachung neu veröffentlicht wurden und sogar eine Landkarte spendiert bekamen.

Hinweis

Wer mehr von Fitz lesen möchte: Die ersten Bände einer zweiten Weitseher-Trilogie („Der lohfarbene Mann“ und „Der goldene Narr“) sind bereits übersetzt, und Hobbs‘ Zyklus „Die Zauberschiffe“ spielt im Süden derselben Fantasy-Welt. Besonders gut gefällt mir, dass die zweite Trilogie um Fitz ihre beiden Vorgängertrilogien verbindet, die Handlung zügiger voranschreitet und alles zu einem harmonischen Finale zusammenführt, das für einiges entschädigt, was man in den anderen beiden Trilogien vermisst hat.

Taschenbuch: 511 Seiten
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bauche-Eppers.
ISBN-13: 978-3404203505

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www.robinhobb.com