Roger McBride Allen – Die Tiefen der Zeit

Autsch: Asimov-Jünger fabriziert Öko-Abenteuer

Um die gigantischen Entfernungen im Weltall zu überbrücken, wurden so genannte Zeitschächte geschaffen, durch welche die Raumschiffe relativ „schnell“ zu den abgelegenen Kolonien der Erde gelangen können. An den jeweiligen Ausgängen dieser Zeitschächte patrouillieren Wachschiffe. Sie sollen verhindern, dass nichts aus der Zukunft in die Vergangenheit gelangt und dort den kausalen Zusammenhang des Universums beeinträchtigt.

Als Anton Koffield, Kapitän des Wachschiffes „Upholder“, urplötzlich von einer Flotte unbekannter Kleinschiffe angegriffen wird, entscheidet er, den Zeitschacht zur Welt Solace zu schließen. Eine bisher einzigartige Maßnahme mit ungeahnten Konsequenzen … (erweiterte Verlagsinfo)

Die Fortsetzung trägt den Titel „Der Ozean der Jahre“ und erschien ebenfalls bei |Heyne|.

Der Autor

Roger McBride Allen ist ein geistiger Nachfahre von Isaac Asimov. So ist es kein Zufall, dass er dessen Roboter-Romane vor seinem Foundation-Hintergrund weiterschrieb. Aber auch im Star-Wars-Universum hat sich McBride Allen umgetan und in die Annalen eingeschrieben. Seine Romane zeichnen sich durch eine Verbindung aus naturwissenschaftlich-technischer Spekulation und einem sozialen Kontext aus, der meist nicht von Militarismus geprägt ist. Er schreibt also meist keine Military SF – aber das kann ja noch kommen, wenn die Zeiten härter werden.

Handlung

Unter der Leitung des eitlen Wissenschaftlers Oskar DeSilvo hat die Erde um das Jahr 5000 n. Chr. herum ein Langzeit-Programm für den Aufbau von Koloniewelten im Weltall gestartet. Diese Welten werden erst sorgfältig terraformt, mit einem Ökosystem versehen und dann mit zähen Siedlern erschlossen und urbar gemacht. Es gibt nur einen Haken, und der lässt sich nicht umgehen: die Zeit.

Aber die Zeit lässt sich austricksen. Um die enormen Distanzen von Dutzenden Lichtjahren zu überwinden, reicht es nicht, beinahe Lichtgeschwindigkeit erreichen zu können (selbst wenn das zu vertretbaren Kosten möglich wäre). Die relativistischen Folgen eines beinahe-lichtschnellen Fluges, die schon vielfach in der SF dargestellt wurden, würden zudem die Passagiere aus dem Kontext ihrer eigenen Epoche herausreißen und in ein kulturelles Nichts werfen. Das muss nicht sein.

Also wurden die Zeitschächte geschaffen. Der Zeitschacht befindet sich stets an einem Schwarzen Loch und stellt sich gemeinhin als Wurmloch dar: quasi ein Tunnel durch die Zeit. (Genauere Beschreibungen sind im Buch auf Seite 12 enthalten.) Obwohl die objektive Flugzeit beispielsweise über 80 Jahre beträgt, so erleben die Fahrgäste die Reise subjektiv so, als wären nur wenige Tage oder Wochen vergangen. Die meiste Zeit verbringen sie im Tieftemperaturschlaf. Und bei Erreichen des Zeitschachtes erlebt nur der Kapitän, wie reale Zeit verstreicht.

Um der gewaltigen Anziehungskraft des Schwarzen Lochs am Zeitschacht zu entgehen, sind natürlich schärfste Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Diese überwacht die Chronologische Patrouille. Diese kann die Zugänge zum Zeitschacht durch gezielte Befehle eines Computers verschließen. Dieser Computer befindet sich an Bord je eines der zwei Wachschiffe, welche die beiden Ausgänge des Zeitschachtes bewachen.

Zu den wichtigsten Aspekten der Sicherheit gehört beispielsweise, dass kein Objekt aus der Zukunft in die Vergangenheit gelangen darf. Es würde dort sonst zu katastrophalen Auswirkungen kommen. Die Kausalkette würde erheblich beeinträchtigt. (Was würde passieren, wenn ein Großvater auf diese Weise erführe, dass sein Enkel ihn in x Tagen umbringen werde? Was wäre an den Börsen los, wenn man vor einer Investition vom Schicksal eines Konzerns erführe?)

Als Konteradmiral Anton Koffield, der Kapitän des Patrouillenwachschiffes „Upholder“, feststellt, dass eine ganze Flotte von 32 Kleinschiffen mit affenartiger Geschwindigkeit den Zeitschacht, den er bewacht, ansteuert, durchquert und dann auf seiner Seite ausschwärmt, beschließt er, erst zu schießen und dann zu fragen. Seine Bitte um Identifizierung wird sowieso ignoriert. Es gelingt dem Schwesterschiff „Standfast“ und seiner eigenen Crew, eine ganze Reihe von Schiffen abzuschießen, aber sechs kommen durch und verschwinden – irgendwo in Richtung der Siedlerwelt Glister. Koffield ist verwirrt: Es sieht ganz so aus, als flögen diese unbekannten Schiffe mit Überlichtgeschwindigkeit!

Und sie kehren zurück, wie schon sein Wachoffizier vorausgesehen hat. Nur dass es jetzt ein massives Problem gibt: Ein Konvoi von Siedlerschiffen nähert sich dem Zeitschacht, um nach Glister zu fliegen. Koffield steckt in einem bösen Dilemma: Macht er den Zeitschacht dicht, können die Feinde zwar nicht mehr durch, doch die Konvoischiffe vielleicht nicht mehr rechtzeitig „bremsen“. Sie würden ins Schwarze Loch stürzen und von den Gravitationskräften zerfetzt werden. Ganz zu schweigen von den verheerenden Folgen für die Welt Glister.

Wie in einem Albtraum wird genau dieses Szenario wahr. Keiner der Angreifer kommt durch, als Koffields Computer den Zeitschacht in letzter Sekunde schließt. Von den fünf Konvoischiffen kommt nur eines durch den Schacht und eines kann rechtzeitig abdrehen – der Rest wird im Schwarzen Loch vernichtet. Eine ganz üble Bilanz für Koffields kurze Dienstzeit von drei Wochen. Und wie kommt die „Upholder“ jetzt nach Hause? Auf die gute alte Weise: Die stark dezimierte Crew muss in den Tiefkühlschlaf. Aber Koffield weiß: Erst danach dürften die Probleme so richtig beginnen.

130 Jahre später

Koffield erwacht an Bord des Zeitschachtschiffes „Dom Pedro IV“ aus dem Tieftemperaturschlaf. Kapitän Marquez hat ihn geweckt. Mit dem Schiff stimme etwas nicht, sagt er. Marquez, der schon seit Stunden herauszufinden versucht, was los ist, hat festgestellt, dass sich das Schiff dem System der Siedlerwelt Solace nähert. Aber exakt 127 Jahre zu spät! Wieso ging es nicht durch den Zeitschacht?

Anton Koffield, der nicht degradiert wurde und danach für den Terraformer Oskar DeSilvo gearbeitet hat, hat eine schlimme Vorahnung. Jemand hat verhindert, dass er mit seiner Hiobsbotschaft zur der vorgesehenen Zeit auf Solace eintrifft. Seine Botschaft ist nämlich äußerst ketzerisch. DeSilvo hat seine Ideen von einem vor 500 Jahren lebenden Mann oder einer Frau namens Ulan Baskaw geklaut. Doch als er dies tat, schlug er Baskaws Warnungen in den Wind. Nach dessen mathematischen Formeln sind alle künstlichen Ökosysteme instabil und brechen nach einem Zeitraum zusammen, der genau der Zeit entspricht, die für ihren Aufbau aufgewendet wurde. Fünf Jahre Aufbau ergeben demnach fünf Jahre Lebensdauer, dann Kollaps usw.

Solace, die Welt, die Marquez und Koffield mit ihrer Crew nun anfliegen, ist bzw. war erst seit wenigen hundert Jahren mit einem künstlichen Ökosystem versehen und urbar gemacht worden. Wie mag es dort jetzt aussehen? Hat man Koffields verschlüsselte Vorausbotschaft überhaupt erhalten?

Koffield fliegt mit dem Zweiten Offizier, Norla Chanday, nach Solace, während sich Marquez versteckt und weitere Fehlerquellen in seinem manipulierten Schiff sucht. Auf Solace, so hofft Koffield, werde sich zeigen, ob seine Kassandrarufe gehört wurden – oder ob die prophezeite Katastrophe bereits eingetreten ist.

Mein Eindruck

Als geistiger Nachfahre von Isaac Asimov verrät McBride Allens Werk sowohl dessen Vorzüge, allerdings auch dessen Mängel. Zum schlechten Erbteil Asimovs zählt dessen Unfähigkeit, glaubwürdige Figuren zu schaffen und halbwegs natürlich klingende Dialoge zu schreiben. Beides findet sich auch in „Die Tiefen der Zeit“. Koffield ist noch der interessanteste Typ im Personal, und auch Norla Chanday – sein genaues Gegenteil – zeigt Charakterzüge, die man nachvollziehen kann. Alle anderen haben jedoch keine Vergangenheit, kaum Persönlichkeit, und Oskar DeSilvo kommt meist – außer in einem kurzen Kapitel – nur im Rückblick vor.

Die Dialoge – nun ja, selten handelt es sich um einen echten Meinungsaustausch, und viel zu oft liest man seitenlange Monologe, insbesondere dann, wenn Koffield von seiner Vergangenheit erzählt. Das macht den ganzen Mittelteil zwischen dem Ende des 1. Teils und der Landung an der Orbitalstation von Solace zu einer mühseligen und langweiligen Angelegenheit. Es passiert rein gar nichts. Leider erweisen sich die gelieferten Neuigkeiten als notwendig für das letzte Drittel, doch ich könnte mir eine Reihe anderer Präsentationsmöglichkeiten vorstellen.

In diesem Mittelteil fiel mir eine weitere Sünde à la Asimov auf: Die minutiöse Darstellung völlig unwichtiger Einzelheiten. Man muss schon ein verkappter Technikfreak sein, um all die Details des Andockens an einer simplen Orbitalstation für sexy zu halten. Das sah mir sehr nach Zeilenschinderei aus. Und auch später, bei den Beschreibungen des Inneren der Station, habe ich Seiten einfach übersprungen, weil nichts Neues kam.

Positive Seiten

… gibt es ja auch zu verzeichnen, nachdem ich nun meiner Frustration Luft gemacht habe. Das eigentliche Thema des Buches bzw. der Duologie ist nicht die Zeit, sondern die künstliche Ökologie. Solace ist ja eine künstliche Erde. Koffield prophezeit ihr gemäß Baskaws Formeln eine kurze Lebensdauer. Die Katastrophe, die sich abzeichnet, hat eine beängstigende Ähnlichkeit mit den Vorgängen, die sich während des aktuellen, tatsächlich auf unserer Erde vollziehenden Klimawandels abspielen: Ausbreitung der Wüsten, Abschmelzen der Polkappen, steigende Meeresspiegel, zunehmende Vehemenz der Stürme und infolgedessen Überschwemmungen, Erosion der Bodenkrume, Verschiebung der Klimazonen und vieles mehr.

Kurzum: Klimawandel ist eine komplizierte Sache, und wohl dem, der Baskaws Formel hat. Sie ist auch im Buch abgedruckt. Leider gilt sie nur für künstliche Ökologien. Deshalb können wir sie vermutlich nicht auf unsere Erde anwenden. Ich sage „vermutlich“, weil ich es mit Darwin halte und nicht mit den Kreationisten, welche behaupten, die Erde sei von Gott vor rund 6000 Jahren in sechs Tagen geschaffen worden: eine künstliche Ökologie, wenn es je eine gab.

Die Anwendung von Baskaws Formel ist also nicht machbar, aber dennoch spiegelt die Welt Solace Aspekte des aktuellen Klimawandels auf der Erde wider. Der springende Punkt scheint mir die Verantwortung des Menschen zu sein, die er inzwischen für seine Welt zu übernehmen hat. Er ist kein Teil mehr, kein hilfloses Opfer, sondern inzwischen ein Gestalter geworden. Nur will das nicht jeder wahrhaben. Der Autor hebt – mehr oder weniger unauffällig – den Zeigefinger und warnt die Zeitgenossen vor dem, was noch kommen mag.

Und ganz nebenbei tritt er eine der Lieblingsideen der Science-Fiction in die Tonne: Terraformung als Weg, fremde Welten zu erobern. Dies hat zum Beispiel einer der Optimisten, Kim Stanley Robinson, mit seiner voluminösen Mars-Trilogie auf beeindruckende Weise getan. McBride Allen lässt Koffield jedoch etwas von einer „Mars-Katastrophe“ erwähnen, ohne dies jedoch näher auszuführen. Das ist schade, wäre dies doch eine direkte Kritik an Robinson, seinem Fachkollegen. (Dieser hat sich inzwischen ebenfalls mit dem Klimawandel befasst: „Forty signs of rain“ und „Fifty degrees below“ sind bereits erschienen.)

Rätsel

Allerdings wirft die Analogie eine Frage auf, die mich verwundert hat. Wenn sich die Warnung vor der Öko-Katastrophe von Solace auf die Erde der Gegenwart anwenden lässt, warum ist dann die Erde in der Zeit von Solace – also in etwa 3000 Jahren – völlig intakt und im Gleichgewicht? Das wird jedenfalls mehrmals im Text erwähnt. Müsste sie nicht ebenfalls einer oder mehreren Katastrophen zum Opfer gefallen sein? Ist der Autor schizophren, dass er seine eigene Warnung nicht auf die Gegenwart anwendet?

Vielleicht liegt es vielmehr daran, dass McBride Allen seinen Roman bereits 1998 geschrieben hat. Das Nachwort entstand im Januar 1999, auf den Markt kam das Buch erst im Jahr darauf. Im Jahr 1998 muss wohl die Wahrnehmung des Klimawandels und die zahlreich gesammelten Beweise noch nicht so im Bewusstsein des amerikanischen Autors gewesen sein. Aber immerhin gab es schon das Kyoto-Protokoll, das die US-Regierung nach wie vor ablehnt. Also bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Dass manche SF-Autoren etwas blauäugig sind oder sogar Augenwischerei betreiben, ist ja mittlerweile bekannt.

Die Übersetzung

Walter Brumm ist ein Veteran des Übersetzens von SF für den Heyne-Verlag. Ich bewundere seine Fähigkeit, klar verständlich und eindeutige Ausdrücke – auch Fachjargon – für ansonsten nebulöse amerikanische Wörter zu finden. Statt „location“ sagt er beispielsweise „Örtlichkeit“ und statt „blow-out“ einfach „Ausblasung“. Was könnte anschaulicher sein?

Da jedoch bei |Heyne| bekanntermaßen die Korrektoren oftmals pennen, finden sich auch in Brumms Übersetzung immer wieder Flüchtigkeitsfehler, die mitunter richtig kapitale Böcke werden können. Fehlende Kommata gehört in die Kategorie „Peanuts“, aber bei fehlenden Wörtern ist Schluss mit lustig. So fehlt auf Seite 217 das Wörtchen „er“ in dem Satz: »“Was tun wir jetzt“, fragte (er) Koffield. … als Kapitän war er der absolute Herr an Bord der „Dom Pedro IV.“« Bekanntlich ist nicht Koffield, sondern Marquez der Kapitän, als muss das Wörtchen „er“ unbedingt in den Satz, sonst ergibt er Unsinn.

Auf Seite 500 ist schon wieder so ein Flüchtigkeitsfehler: Da heißt es »“In Begleitung und Ehefrau Jassa und Tochter Zari?“« Das erste „und“ muss durch ein „von“ ersetzt werden, dann wird ein Schuh draus.

Unterm Strich

Wenn der Autor seinen Roman auch zunächst anpackt, als wär’s ein Stück von Asimov, so vollführt er doch im letzten Viertel ein Schwenk und nimmt sich an Jack McDevitt ein Beispiel: Eine quasi archäologische Expedition wie in „Gottes Maschinen“ muss herausfinden, was der hochverehrte „Gründer“ Oskar DeSilvo an geheimnisvollen Hinweisen zurückgelassen hat. Es ist ist ungefähr so, als würde man das erste Kapitel eines Romans von Dan Brown lesen: Es gibt einen Code und jede Menge Zutaten für eine feine Schnitzeljagd. Das Dumme ist nur: Nach dem Cliffhanger wird diese Schnitzeljagd in den Folgeband „Der Ozean der Jahre“ verlegt. Ist das Leserverarschung oder gutes Marketing? Wahrscheinlich beides.

Wie schon oben angedeutet, schreibt McBride Allen Steinzeit-Science-Fiction, zumindest insofern, als er Asimov nacheifert und selbst die kleinsten technischen Vorgänge noch in allen Einzelheiten schildert, bis es einem zu den Ohren rauskommt. Keine Spur von Ironie, allenfalls höchst tragischer bzw. ärgerlicher Ironie, die völlig auf Kosten von Anton Koffield geht. Ich würde sagen, dass zwölf- bis vierzehnjährige Jungs noch etwas mit solcher Schreibe und Geschichte anfangen können, aber ältere Semester werden sich darüber ärgern, dass nach dem furiosen Anfang weder Action noch Erotik irgendeine Rolle spielen. Asimov hätte das sehr gefallen.

Taschenbuch: 636 Seiten
Originaltitel: The depths of time, 2000
Aus dem US-Englischen von Walter Brumm.

ISBN-13: 978-3453213449

www.heyne.de

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